Al-Mizan
Al-Mizan - Auslegung des Qur'an

Aussprache: tafsiir al-miizaan
arabisch:
تفسير الميزان
persisch: تفسير ميزان
englisch: Al-Mizan

Mehr zum Thema siehe: Al-Mizan

Al-Mizan - Auslegung des Qur’an

Führe uns den geraden Weg (6), den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, nicht den (Weg) derer, die (Deinen) Zorn erregt haben und nicht den (Weg) der Irregehenden. (7)

Die Bedeutung von “al-Hidāyah“ (Führung, Rechtleitung) kann leicht verstanden werden, wenn wir zunächst einmal die Wichtigkeit des “Weges“ in Betracht ziehen. “A-irāt“ (Weg, Pfad) kann synonym mit „a-arīq“ und „as-Sabīl“ verwendet werden.

Allah bezeichnet in den oben angeführten Versen, den Weg (a-irat) zunächst als geraden/richtigen Weg (al-Mustaqīm) und erklärt dann, dass es der Weg derjenigen ist, denen Allah seine speziellen Gnaden gewährt. Dieser Weg, dessen Beschaffenheit also gerade (al-Mustaqīm) ist und der eine Rechtleitung für die Diener darstellt, ist gleichzeitig auch das Ziel der Dienerschaft und Anbetung (arab.: Ibadat). Das bedeutet, dass der Diener von seinem Herrn erbittet, dass er seine Dienerschaft und Anbetung nur innerhalb der Grenzen dieses Weges – frei von jeglichem Mangel und jeglicher Unreinheit – ausführen darf.

Allah hat in Seinem Buch angeführt, dass Er einen Pfad für die ganze Menschheit, mehr noch – für die gesamte Schöpfung – festgelegt hat, einen Pfad, auf dem sie alle sich fortbewegen. Er sagt: „Du Mensch! Du strebst mit aller Mühe Deinem Herrn zu; und du sollst Ihm begegnen“ (84:6); „...und zu Ihm ist die Heimkehr“ (64:3); „...Wahrlich, zu Allah kehren alle Dinge zurück“ (42:53).

Im Heiligen Qur´an finden sich viele solcher Verse, welche darauf hinweisen, dass sich Alle auf einem vorgeschriebenen Pfad fortbewegen und dass ihr Ziel Allah ist. Diesen Weg betreffend, sagte Allah, dass es sich dabei eigentlich um zwei verschiedene Wege handle, nicht nur um einen: „Habe ich euch, ihr Kinder Adams, nicht geboten, nicht Satan zu dienen – denn er ist euer offenkundiger Feind, sondern Mir alleine zu dienen? Das ist der gerade Weg“ (36:60-61).

Demnach gibt es also einen „geraden Weg“ und es gibt auch einen anderen Weg. An anderer Stelle sagte Er: „... so bin Ich nahe; Ich höre den Ruf des Rufenden, wenn er Mich ruft. Deshalb sollen sie auf Mich hören und an Mich glauben. Vielleicht werden sie den rechten Weg einschlagen“ (2:186); „...Bittet Mich; Ich will eure Bitte erhören. Die aber, die zu überheblich sind, um Mir zu dienen, werden unterwürfig in das Höllenfeuer eintreten“ (40:60). Es ist offensichtlich, dass Allah Seinen Dienern nahe ist und, dass der Weg, der zu Seiner Nähe führt, jener, der Dienerschaft und des Gebets ist. Vergleichen wir es mit einer Beschreibung derjenigen, die nicht an Ihn glauben: „...diese werden von einem weit entfernten Ort angerufen“ (41:44). Daraus ergibt sich deutlich, dass die Stellung der Ungläubigen[1] ein weit entfernter Ort ist. Demnach gibt es also zwei Wege zu Allah, einen Weg der Nähe – den Weg der Gläubigen (an Gott) – und einen Weg der Distanz –den Weg der Anderen. Das ist der erste Unterschied zwischen den beiden Wegen.

Der zweite Unterschied: „Wahrlich, denjenigen, die Unsere Zeichen für Lüge erklären und sich mit Hochmut von ihnen abwenden, werden die Pforten des Himmels nicht geöffnet werden...“ (7:40). Was ist die Funktion einer Pforte oder Türe? – Autorisierten Personen den Durchgang zu ermöglichen, während unautorisierten Personen der Zutritt verweigert wird. Dieser Vers weist uns darauf hin, dass es einen Durchgang gibt, eine Art Passage, von den tieferen Ebenen zu den oberen Höhen. Auf der anderen Seite sagt Allah: „ ...denn der, auf den Mein Zorn niederfährt, geht unter“ (20:81). Das Wort, das hier mit “untergehen“ übersetzt wurde, bedeutet wortwörtlich “hinunterfallen“. Daraus können wir schließen, dass es noch eine weitere Passage gibt, und zwar von den oberen Höhen hinunter zu den tieferen Ebenen. Und Er sagt des Weiteren: „...Und wer den Unglauben gegen den Glauben eintauscht, der ist gewiss vom rechten Weg abgeirrt“ (2:108). Allah verwendet hier den Begriff “Polytheismus“ für “abirren“.

Demnach sind die Menschen in drei Kategorien eingeteilt: Erstens diejenigen, die sich in Richtung der oberen Höhen fortbewegen – diejenigen, die an die Zeichen Allahs glauben und die nicht zu überheblich sind, Ihm zu dienen und Ihn anzubeten. Zweitens diejenigen, die hinunterfallen, auf die tieferen Ebenen – diejenigen, auf die Allahs Zorn niedergefahren ist. Drittens diejenigen, die vom rechten Weg abgeirrt sind; sie sind die Verlorenen und Verwirrten, die einmal in diese und einmal in jene Richtung umherwandern. Der letzte Vers der Sure “die Eröffnende“, der hier zur Diskussion steht, deutet auf jene drei Kategorien hin: „Den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, nicht den (Weg) derer, die (Deinen) Zorn erregt haben und nicht den (Weg) der Irregehenden.“

Daraus können wir schließen, dass der gerade Weg sich deutlich unterscheiden muss, von den beiden letzteren Wegen. Denn ersterer ist der Weg der Gläubigen, der Weg derjenigen, die nicht arrogant sind. Gleichzeitig, weist uns der folgende Vers darauf hin, dass sich auch der gerade Weg wiederum in unterschiedliche Zweige, man könnte sagen unterschiedliche Fahrspuren, aufteilt: „...Allah wird die unter euch, die gläubig sind, und die, denen Wissen gegeben wurde, um Rangstufen erhöhen...“ (58:11). Dieser Vers bedarf nun einiger weiterer Erläuterungen:

Jegliches Abirren vom Weg gleicht Polytheismus (arab.: schirk) und umgekehrt, wie wir von den Worten Allahs ableiten können: „...Und wer den Unglauben gegen den Glauben eintauscht, der ist gewiss vom rechten Weg abgeirrt“ (2:108). Das gleiche Thema behandelt auch dieser Vers: „Habe ich euch, ihr Kinder Adams, nicht geboten, nicht Satan zu dienen – denn er ist euer offenkundiger Feind, sondern Mir alleine zu dienen? Das ist der gerade Weg. Und doch hat er eine große Menge von euch irregeführt“ (36:60-62).

Ebenso wird Polytheismus aus Sicht des Qur´an als Ungerechtigkeit/Grausamkeit (arab.:ulm) betrachtet und umgekehrt, so wie wir es auch von den Worten Satans ablesen können, die er einst sprechen wird, nachdem das Urteil über ihn und seine Anhänger verhängt werden wird: „Ich habe es schon von mir gewiesen, dass ihr mich (Allah) zur Seite stelltet. Den Ungerechten wird wahrlich eine schmerzliche Strafe zu Teil sein“ (14:22). An anderer Stelle wird Ungerechtigkeit mit Abirren gleichgesetzt: „Die da glauben und ihren Glauben nicht mit Ungerechtigkeiten vermengen – sie sind es die Sicherheit haben und die rechtgeleitet werden“ (6:82). Es sollte hier nochmals darauf hingewiesen werden, dass nur jene rechtgeleitet werden können und vor dem Abirren und der daraus resultierenden Strafe bewahrt werden können, die ihren Glauben nicht mit Ungerechtigkeit vermengen.

Wenn wir diese Verse nun in ihrem Zusammenspiel betrachten, dann wird es deutlich, dass Abirren, Polytheismus und Ungerechtigkeit alle den gleichen Effekt haben. Sie sind alle drei miteinander verbunden. Deswegen wird auch behauptet, dass jede dieser Eigenschaften durch die anderen beiden identifiziert werden kann. So bezeichnen diese drei Begriffe praktisch gesehen ein und dasselbe, auch wenn sie sich in ihrer wörtlichen Bedeutung unterscheiden.

Daraus folgt nun, dass der “gerade Weg“ ein anderer ist, als der Weg derjenigen, die in die Irre gegangen sind. Es ist ein Weg, der weit weg führt von Polytheismus und Ungerechtigkeit/Grausamkeit. Wer sich auf diesem Weg befindet, der wird nicht in die Irre gehen – weder was die verborgenen Aspekte seiner Gedankens- und Glaubenswelt angeht (wie versteckter Unglaube oder all jene heimlichen Gedanken, die die Ungunst von Allah erwirken), noch was die offenkundigen Aspekte seiner Handlungen betrifft (wie etwa mit Hilfe Sünden zu begehen oder ein Mangel an Gehorsam). Dieser Weg ist der Weg des wahren Monotheismus, der sowohl im Glauben, als auch im Handeln seinen Ausdruck findet. „Was sollte also nach der Wahrheit übrig bleiben, als der Irrtum?“ (10:32).

Der oben bereits angeführte Vers: „Die da glauben und ihren Glauben nicht mit Ungerechtigkeiten vermengen – sie sind es die Sicherheit haben und die rechtgeleitet werden“ (6:82), passt nun genau zu diesem Thema. Dieser Vers garantiert Sicherheit auf dem Weg und verspricht die vollkommene Rechtleitung. Dieses Versprechen lässt sich von der Tatsache ableiten, dass das Wort, dass hier mit “rechtleiten“ übersetzt wurde, eigentlich ein Nomen Agentis[2] ist (arab.: “muhtadūn“ bzw. diejenigen, die rechtgeleitet werden) und die Linguisten sagen, dass solch eine Konstruktion für gewöhnlich auf die Zukunft hinweist. Das ist nun eine der Eigenschaften des geraden Weges.

Allah hat in folgendem Vers jene, denen Er Seine göttliche Gnade und Gunst erwiesen hat wie folgt identifiziert: „Und wer Allah und dem Gesandten gehorcht, soll mit denen sein, denen Allah Seine Huld gewährt, von den Propheten, den Wahrhaftigen, den Bezeugenden (Märtyrern) und den Rechtschaffenen; welch gute Gefährten!“ (4:69). Die Bedeutung von Glauben und Gehorsam wird in den Versen kurz davor erklärt, wo es heißt: „Doch nein, bei deinem Herren! Sie sind nicht eher Gläubige, bis sie dich zum Richter über alles machen, was zwischen ihnen strittig ist und dann in ihren Herzen keine Bedenken gegen deine Entscheidung finden und sich voller Ergebung fügen. Und hätten Wir ihnen vorgeschrieben: `Tötet euch selbst oder verlasst eure Häuser!´ so würden sie es nicht tun, außer einige wenige von ihnen; hätten sie aber das getan, wozu sie aufgefordert worden waren, so wäre es wahrlich besser für sie gewesen und stärkend (für ihren Glauben)“ (4:65-66).

Diejenigen, die wahrhaftig glauben, sind aufrecht und stark in ihrer Dienerschaft und Hingabe, und drücken dies sowohl durch ihre Worte als auch durch ihre Taten und Handlungen aus, sowohl durch ihre äußere Erscheinung, als auch durch das, was in ihnen verborgen ist. Dennoch werden jene vollkommenen Gläubigen im Rang unter denjenigen stehen, denen Allah seine Huld und Gnade erwiesen hat; deswegen sagte Allah auch: „sie sind mit denjenigen...“ und nicht „sie sind unter/von denjenigen...“. Sie werden mit ihnen sein (im Jenseits) aber nicht von ihnen. Dies wird durch den letzten Satz auch nochmals betont: „welch gute Gefährten!“ Denn Gefährten bezeichnen offensichtlich nicht sie selbst, sondern jemand anderen.

Es gibt noch einen anderen Vers, der diesem in seiner Bedeutung sehr ähnlich ist. So heißt es im Kapitel 57: „Und diejenigen, die an Allah und Seinen Gesandten glauben, sind die Wahrhaftigen und die Bezeugenden vor ihrem Herren; sie werden ihren Lohn und ihr Licht empfangen...“ (57:19). Demnach werden die Gläubigen im Jenseits in den Rang der Bezeugenden (Märtyrer) und der Wahrhaftigen aufgenommen werden. Die Tatsache, dass sich dies auf die nächste Welt bezieht, leitet sich aus den Worten „vor/bei ihrem Herren“ ab und aus der Aussage: „die werden ihren Lohn empfangen...“. Diejenigen, denen Allah Seine Huld und Gnade erwiesen hat, sind die Leute des “geraden Weges“ – und durch die Verbindung mit ihnen, wird der “gerade Weg“ überhaupt erst sichtbar. Diese Menschen verfügen über ein größeres Ansehen und einen höheren Rang, als diejenigen Gläubigen, die ihren Glauben und ihre Handlungen von jeglichem Abirren, von Polytheismus und Ungerechtigkeit gereinigt haben.

Wenn wir nun über all diese Verse in ihrem Zusammenspiel betrachtet nachsinnen, so gelangen wir zu dem Schluss, dass diese spezielle Gruppe von Gläubigen noch immer existieren muss. Ihre Zeit ist noch nicht abgelaufen. Denn wenn die Zeit dieser Gruppe von Dienern bereits abgelaufen wäre, dann würden sie wohl unter diejenigen – und nicht (Seite an Seite) mit denjenigen – gezählt werden, denen Allah Seine Huld und Gnade erwiesen hat. Diese speziellen Gläubigen wären dann bereits hinauf gestiegen, und anstatt mit denjenigen zu sein, denen Allah seine Huld erwiesen hat, wären sie bereits ein Teil von ihnen geworden.

Wahrscheinlich sind sie auch denjenigen zuzurechnen, denen Allah wahres Wissen gewährt hat, so wie Er sagt: „Allah wird die unter euch, die gläubig sind und die, denen Wissen gegeben wurde, um Rangstufen erhöhen...“ (58:11). Den Leuten des “geraden Weges“ werden herausragende Gnaden gewährt, die noch wertvoller sind, als vollkommener Glaube und Überzeugung. Das ist nun die zweite Eigenschaft des “geraden Weges“.

Allah erwähnt im Qur´an immer wieder die Begriffe: “a-irā“ (der Pfad, der Weg) und “as-sabīl“ (der Weg). Er schreibt Sich Selbst jedoch niemals etwas anderes zu, als den einen einzigen “geraden Weg“ (arab.: a-irāt-ul-mustaqīm). Wenn Er andererseits auch mehrere Wege beschreibt, die auf ihn zurückzuführen sind: „Und diejenigen, die in Unserer Sache wetteifern – Wir werden sie gewiss auf unseren Wegen leiten...“ (29:69).

Ebenso hat Er “den geraden Weg“ (a-irāt-ul-mustaqīm) keinem Seiner Diener zugeschrieben. Die einzige Ausnahme ist derjenige Vers, der hier zur Diskussion steht (1:7) und der den geraden Weg als den Weg derer beschreibt, denen Gott Seine Huld und Gnade erwiesen hat.

Dementgegen hat Er “den Weg“ (unter Verwendung des arabischen Wortes: “Sabīl“) häufig mit dem einen oder anderen Seiner auserwählten Diener assoziiert: „Sprich: `Das ist mein Weg: Ich rufe zu Allah – ich und diejenigen, die mir folgen, sind uns darüber im klaren´“ (12:108); „...und folge dem Weg, dessen, der sich Mir zuwendet“ (31:15); „...den Weg der Gläubigen...“ (4:115).

All diese Beispiele sind ein Indiz dafür, dass sich “der Weg“ (as-sabīl) von “dem geraden Weg(a-irau´l-mustaqīm) unterscheidet. So mag es vielfache unterschiedliche Wege geben, die von verschiedenen auserwählten Dienern beschritten wurden, die sich alle auf dem Pfad der Anbetung und Hingabe fortbewegten; aber “der gerade Weg“ ist nur ein einziger, worauf uns Allah mit folgenden Worten hingewiesen hat: „wahrlich zu euch sind ein Licht von Allah und ein klares Buch gekommen. Damit leitet Allah jene, die Seinen Wohlgefallen suchen auf die Wege des Friedens, und Er führt sie mit Seiner Erlaubnis aus den Finsternissen zum Licht und führt sie auf einen geraden Weg“ (5:15-16).

Dieser Vers verweist uns nun einerseits auf “die Wege“ (“sabīl“ im Plural) und andererseits auf “den geraden Weg“ (irā im Singular). Dafür mag es nun zwei Erklärungen geben.

Entweder ist der “gerade Weg“ eins mit “den Wegen“, oder “die Wege“ führen so weit, bis sie irgendwann aufeinander treffen und sich vereinigen in den einen “geraden Weg“. Aber es gibt auch noch einen anderen Unterschied zwischen dem geraden Weg (irā) und dem Weg (sabīl). Allah sagt: „Und die meisten von ihnen glauben nicht an Allah, ohne (Ihm) Götter zur Seite zu stellen“ (12:106). Bemerkenswert ist an dieser Stelle, wie gesagt wird, dass auch viele der Gläubigen, Allah andere Götter beigesellen. Das zeigt uns, dass eine bestimmte Art von Polytheismus (was mit Abirren gleichgesetzt werden kann) mit dem Glauben (und dieser ist einer der “Wege“) ko-existieren kann. Anders ausgedrückt, dieser Weg kann potentiell mit Polytheismus ko-existieren, während das in Bezug auf den “geraden Weg“ unmöglich ist, denn dieser wird unter anderem dadurch definiert, dass es nicht der Weg derjenigen ist, die Abirren.

Jeder dieser Wege hat den einen oder anderen Vorzug oder auch Makel aufzuweisen, aber mit dem geraden Weg verhält es sich anders. Jeder dieser Wege ist Teil des geraden Weges, aber unterscheidet sich von den anderen Wegen. Das kann sowohl von den oben angeführten Versen abgeleitet werden, als auch von etlichen anderen, wie beispielsweise folgende: „Mir alleine zu dienen; Das ist der gerade Weg“ (36:61). „Sprich: `Wahrlich, mich hat mein Herr auf einen geraden Weg rechtgeleitet – zu dem rechten Glauben, dem Glauben Abrahams, des Aufrechten´...“ (6:161).

Die Anbetung und die Religion sind allen Wegen gleich, und sie sind auch “der gerade Weg“. Die Beziehung zwischen dem geraden Weg und den Wegen Allahs ist die Beziehung zwischen Seele und Körper. Während des Lebens ist der Körper vielerlei Veränderungen ausgesetzt, er verändert sich von Tag zu Tag – vom Säuglingsalter hin zur Kindheit; vom Wachstumsalter zur Jugend, von den mittleren Jahren hin bis zur Zeit des Alters und schließlich der Senilität. Aber die Seele bleibt immer die gleiche, und ist immer eins mit dem Körper in jeder Phase des Lebens. Manchmal wird der Körper von unerwünschten Erscheinungen heimgesucht, die die Seele niemals akzeptieren würde, wenn sie unabhängig vom Körper wäre. Aber die Seele – jene Schöpfung von Allah, aus der Er den Menschen hervorbrachte – verfällt niemals. Und doch bleibt der Körper während all dieser unterschiedlichen Stadien eins mit der Seele und immer mit ihr verbunden.

Ebenso sind die Wege Allahs eins mit dem geraden Weg; Aber manchmal leidet einer dieser Wege – der Weg der Gläubigen, der Anhänger des Propheten, derjenigen, die sich Allah zuwenden oder auch andere Wege – unter irgendeiner Art von Verfall oder Verderb, obwohl der gerade Weg absolut immun ist, gegen jede Art von Mangel, Defekt oder Unvollkommenheit. Wir haben gesehen, wie einer dieser Wege, der Weg des Glaubens, sich manchmal mit Polytheismus oder einer anderen Art des Abirrens vermengen kann, aber das kann niemals mit dem geraden Weg passieren. Zusammengefasst kann also gesagt werden, dass die Wege von unterschiedlichen Graden der Nähe und der Distanz, der Sicherheit und der Unsicherheit, der Reinheit und der Unreinheit sind, aber alle sind sie integriert in dem einen geraden Weg, sind Teile dieses Weges oder eins mit ihm.

Allah hat diese Gegebenheit in einer Parabel über Wahrheit und Falschheit angeführt: „Er sendet Wasser vom Himmel herab, so dass die Täler nach ihrem Maß durchströmt werden, und die Flut trägt Schaum auf der Oberfläche. Und ein ähnlicher Schaum ist in dem, was sie im Feuer aus Verlangen nach Schmuck und Gerät erhitzen. So verdeutlicht Allah Wahrheit und Falschheit. Der Schaum aber, der vergeht wie die Blasen; das aber, was den Menschen nützt, bleibt auf der Erde zurück. Und so prägt Allah die Gleichnisse“ (13:17).

Dieser Vers weist darauf hin, dass sich die Herzen und die Gemüter in ihren Fähigkeiten und in ihren Kapazitäten, göttliches Wissen zu empfangen und spirituelle Vervollkommnung zu erreichen, unterscheiden, auch wenn alle gleichermaßen an der göttlichen Substanz teilhaben (eine nähere Erläuterung dazu findet sich im Kapitel 13 des Gesamtwerks). Das war nun die dritte Eigenschaft des geraden Weges.

Aus der vorangegangenen Analyse lässt sich nun schließen, dass der gerade Weg eine Art Aufseher oder Kontrollorgan für all die verschiedenen Wege ist, die zu Allah führen. Wir können sagen, dass ein Weg zu Allah, einen Menschen auch wirklich zu Ihm führt, solange dieser Weg eins bleibt mit dem geraden Weg und nicht von diesem abweicht, der gerade Weg aber, führt immer zu Allah, bedingungslos, direkt und ohne wenn und aber. Deswegen hat Allah den geraden Weg auch „a-irāu´l-mustaqīm“ genannt.

A-irā selbst bedeutet wörtlich “ein deutlicher, klarer Weg“ und lässt sich ableiten von “saraṭṭu saran“ (Ich habe es zur Gänze aufgenommen, hinuntergeschluckt). Mit anderen Worten, dieser klare Weg nimmt diejenigen, die ihn beschreiten zur Gänze in sich auf ohne sie wieder loszulassen.

Al-mustaqīm (gerade bzw. zielgerichtet) bedeutet wörtlich „jemand, der auf seinen eigenen Beinen steht und über vollkommene Kontrolle über sich selbst und jene Dinge, die an ihm hängen, verfügt.“ So handelt es sich dabei um etwas, das keinerlei Veränderung, Schwankung oder Wechsel ausgesetzt ist. Daraus ergibt sich nun, dass „a-irāu´l-mustaqīm“ wie folgt definiert werden kann:

Der gerade Weg ist jener Weg, der niemals darin versagt denjenigen, der ihn beschreitet, zu seinem Ziel zu führen und rechtzuleiten.

Allah sagt:“ Was aber diejenigen angeht, die an Allah glauben und an Ihm festhalten – diese wird Er in Seine Barmherzigkeit und Huld aufnehmen und sie auf dem geraden Weg zu Sich führen“ (4:175). Offensichtlich handelt es sich hierbei um eine Führung und Rechtleitung, die niemals versagt und die immer erfolgreich verläuft und ihr Ziel erreicht.

An anderer Stelle sagte Er: „Wen Allah aber recht leiten will, dem weitet Er die Brust für den Islam; und wen Er in die Irre gehen lassen will, dem macht Er die Brust eng und bedrückt, wie wenn er in den Himmel emporsteigen würde. So verhängt Allah die Strafe über jene, die nicht glauben. Und dies ist der Weg deines Herren, ein gerader Weg“ (6:125-126). Das ist also der Weg Allahs, der sich niemals ändert und der niemals darin versagt, denjenigen, der ihm folgt, ans Ziel zu bringen.

Und des Weiteren sagt Er: „ Er sprach: `Dies ist ein gerader Weg, den Ich gewähre. Wahrlich, du sollst keine Macht über Meine Diener haben, bis auf jene, der Verführten, die dir folgen´“ (15:41-42). Dieser Vers verdeutlicht ebenfalls dass es sich beim geraden Weg um einen fixen Kurs handelt, der niemals Schwankungen oder Abweichungen unterliegt. In diesem Zusammenhang vermittelt dieser Vers die gleiche Idee, die auch in folgendem Vers enthalten ist: „ Aber in Allahs Vorgehen wirst du nie eine Änderung finden; und in Allahs Verfahren wirst du nie einen Wechsel finden“ (35:43).

Diese Diskussion hat nun folgende Punkte verdeutlicht:

Erstens: Es gibt viele verschiedene Wege zu Allah, die sich voneinander in ihrer Vollkommenheit und Perfektion, ihrer Leichtigkeit und ihrer Geradlinigkeit unterscheiden. Alles hängt ab von der respektiven Nähe oder Distanz eines bestimmten Weges – wie der Weg der Hingabe, des Glaubens, der Anbetung, der Reinheit der Absicht oder der Bescheidenheit und Demut vor Allah – von der ursächlichen Realität – dem geraden Weg. Manche der Wege führen auch in die entgegen gesetzte Richtung, wie Unglaube, Polytheismus, Untreue, das Überschreiten der Grenzen und des rechten Maßes, Sünden zu begehen usw... Allah sagte: „Und für alle gibt es Rangstufen gemäß dem, was sie getan haben, auf dass Er ihnen ihre Taten voll zurück zahle; und kein Unrecht soll ihnen widerfahren“ (46:19).

Gleiches gilt nun auch für das spirituelle Wissen, das der menschliche Geist von Allah empfängt. Es variiert in Graden, entsprechend der geistigen und spirituellen Kapazität des Empfängers und erscheint getönt durch die Farben der Visionen des Betrachters. Auf diese Tatsache wird auch in der qur´anischen Parabel hingewiesen, die zuvor bereits zitiert wurde: „Er sendet Wasser vom Himmel herab, so dass die Täler nach ihrem Maß durchströmt werden...“ (13:17).

Zweitens: Der gerade Weg kontrolliert, lenkt und beaufsichtigt alle anderen Wege. Ebenso besitzen „die Leute des geraden Weges“ (die von Allah fest darin begründet wurden) eine vollkommene Autorität darüber, die anderen Diener Allahs rechtzuleiten und zu führen.

Allah sagt: „Welch gute Gefährten!“ (4:96); „Euer Beschützer ist wahrlich nur Allah und Sein Gesandter und jene Gläubigen, die das Gebet verrichten (aufrecht halten) und die Zakāt entrichten, während sie sich vor Allah verneigen“ (5:55). Der letzte dieser Verse wurde in Bezug auf Imam `Alī, dem Befehlshaber der Gläubigen (a.) offenbart, wie aus etlichen Überlieferungen bekannt ist, die als mutawātir[3] eingestuft werden.

Und Imam `Ali (a.) war auch der erste, der dieses Tor des Islam geöffnet hat. Im Detail werden wir dieses Thema noch im fünften Kapitel (des Gesamtwerks) behandeln.

Drittens: Die Bedeutung der Führung/Rechtleitung auf den Weg ist abhängig von der Bedeutung des Weges selbst. Al-Hidāyah bedeutet “die Führung, die Leitung“. Dieses Wort kann zwei Objekte annehmen, entweder ohne Präposition (wie in der Sprachvariation des idschāz) oder mit der Präposition ilā (zu, nach) vor dem zweiten Objekt (wie in der Sprachvariation anderer Stämme). Dieses Detail stammt aus dem a-iā von al-Dschawharī und ist als korrekt zu bewerten.

Bevor diese Überlegungen jedoch weiter ausgeführt werden, sollte zunächst noch eine falsche Vorstellung beseitigt werden. Denn manche Leute glauben, dass die Bedeutung von “Führung/Rechtleitung“ sich verändert, abhängig davon, ob die Präposition ilā dem zweiten Objekt vorausgeht oder nicht. Falls keine solche Präposition existiert, dann ist die Bedeutung von “Führung/Leitung“ ihrer Meinung nach “ans Ziel zu bringen“; wenn allerdings dem Objekt ein ilā vorangestellt ist, dann bedeutet es “den Weg zeigen“. Um diese Auffassung zu untermauern, führen sie folgende Verse an: „Wahrlich, du kannst dem den Weg nicht weisen, den du liebst; Allah aber weist dem den Weg, dem Er will“ (28:56). Dieser Vers, in dem die Verben „du kannst nicht den Weg weisen“ und „Er weist den Weg“ ohne Präposition verwendet wurden, würde demnach besagen, dass der Prophet nicht führen konnte, wenn er wollte. Aber es ist bekannt, dass er während seines gesamten Lebens die Menschen geleitet und ihnen den Weg zu Allah gezeigt hatte. Deswegen muss wohl das, was hier verneint wurde, die andere Bedeutung sein. Was dieser Vers zum Ausdruck bringt wäre dann folgendes: „Du kannst nicht wen du willst ans spirituelle Ziel bringen, sondern alleine Allah ist es, Der zu diesem Ziel bringt, wen Er will.“

Dieser Unterschied in der Bedeutung des Wortes wird noch deutlicher ersichtlich, wenn wir folgenden Vers betrachten: „...und Wir würden sie sicher auf den geraden Weg leiten“ (4:68). In diesem Fall wurde das Verb ohne jegliche Präposition verwendet und es bezieht sich auf die göttliche Rechtleitung – im Sinne der Beförderung ans Ziel. Mit folgenden Worten adressiert Allah den Propheten: „Wahrlich, du leitest sie auf den geraden Weg“ (42:52). Hierbei folgt auf das Verb die Präposition ilā. Dieser Satz schreibt dem Propheten die Aufgabe der Rechtleitung/Führung zu – im Sinne von “den Weg zeigen/weisen“.

Der Argumentation der Vertreter dieser Auffassung zu Folge, verdeutlichen diese drei Verse gemeinsam betrachtet, dass, wenn “Führung/Leitung“ die Bedeutung von “an ein Ziel bringen“ trägt, das zweite Objekt keinerlei Präposition annimmt; Wenn es hingegen in der Bedeutung “den Weg zu zeigen“ verwendet wird, dann ist dem Objekt ein ilā vorangestellt.

Diese Auffassung wird vom Qur´an selbst allerdings nicht unterstützt. Allah zitiert einen Gläubigen aus dem Volke Pharaos: „O mein Volk, folgt mir! Ich will euch zum Weg der Rechtschaffenheit leiten“ (40:38). An dieser Stelle wird im arabischen Text keine Präposition verwendet, dennoch ist die Bedeutung in diesem Fall nicht “ans Ziel zu bringen“, sondern “den Weg zu zeigen“. Worauf der zuvor erwähnte Vers 28:56 („Wahrlich, du kannst dem den Weg nicht weisen, den du liebst; Allah aber weist dem den Weg, dem Er will.“) hinweist, ist die Wirklichkeit und Vollkommenheit der Rechtleitung. Dieser Vers zeigt, dass der Prophet seinem Volk nicht die vollkommenste Stufe, die absolute Wirklichkeit der Rechtleitung geben kann, denn dies ist eine Aufgabe, die Allah alleine Sich Selbst vorbehalten hat.

Zusammengefasst können wir nun sagen, dass die Bedeutung von “Führung/Rechtleitung“ nicht von der Präposition ilā abhängig ist, die dem Objekt vorangestellt werden kann oder auch nicht. In beiden Fällen ist die Bedeutung ein und dieselbe.

Al-Hidāyah bedeutet demnach “das Führen“, “das Leiten“, “das Ziel zu zeigen, indem man den Weg weist“ oder “ans Ziel zu bringen“. Diese Art der Führung und Rechtleitung ist in ihrer vollen Wahrheit, alleine Allah vorbehalten. Er leitet Seine Diener indem Er Gründe erwirkt, die sie auf ihre Bestimmung hinweisen und sie zu ihrem spirituellen Ziel führen.

Und so sagt Er: „Wen Allah aber recht leiten will, dem weitet Er die Brust für den Islam...“ (6:125) „...dann erweicht sich ihre Haut und ihr Herz zum Gedenken Allahs. Das ist die Führung Allahs; Er leitet damit recht, wen Er will...“ (39:23). Dem Verb, das hier mit “erweichen“ (biegsam, geschmeidig werden) übersetzt wurde, folgt die Präposition ilā (zu) („zum Gedenken Allahs“), was dem Verb eine Bedeutungsnuance im Sinne von Neigung/Absicht verleiht. Führung/Rechtleitung ist demnach dann so zu verstehen, dass Allah in den Herzen eine besondere Neigung oder Fähigkeit entstehen lässt, die es dahingehend bewegt – und es erweicht und biegt wie Metall in der Schmiede – Allah zu gedenken und in diesem Gedenken Ruhe und Gelassenheit zu finden.

Zuvor wurde bereits erwähnt, dass es viele Wege gibt, die zu Allah führen. Infolgedessen würde sich die Art der Führung für einen der Wege von der eines anderen Weges unterscheiden. Denn jeder Weg verfügt über eine spezielle, ihm zugehörige Anleitung. Auf diese Vielfalt wird auch in einem Qur´an-Vers hingewiesen: „Und diejenigen, die in Unserer Sache wetteifern Wir werden sie gewiss auf unseren Wegen leiten. Wahrlich, Allah ist mit denen, die Gutes tun“ (29:69).

Der eine wetteifert und strebt auf dem Wege Allahs, während der Andere für Allah selbst wetteifert und strebt. Zwischen diesen beiden besteht ein großer Unterschied. Der erstere versucht den Weg möglichst sicher und frei von jeglichen Gefahren und möglichen Blockaden zu halten. Die Aufmerksamkeit des Letzteren hingegen ist alleine auf Allah selbst gerichtet. Es ist jener Letztere, der in diesem Vers gelobt wird – er strebt nach Allah, strengt sich an und wetteifert für ihn alleine; deswegen kommt Allah ihm entgegen, hilft ihm und leitet ihn auf einem Weg, der seinen Fähigkeiten und Kräften am Besten entspricht. Und so führt Er ihn von einem Weg zum nächsten, bis Er ihn nur mehr an Sich allein bindet.

Viertens: Der gerade Weg wird bewahrt in den Wegen und durch die Wege von Allah – jene Wege, die von unterschiedlichen Graden sind und von unterschiedlichem Niveau. Allah führt die Menschen auf diese Wege und so werden sie rechtgeleitet. Wie zuvor bereits erwähnt, mag es sein, dass Allah den Menschen von einem Weg zum nächsten führt, der auf einer höheren Stufe, einem höheren Level liegt, und dann weiter wieder zu einem höheren Weg. Das Gebet in jenem Vers „Führe uns auf den geraden Weg“ (das für diejenigen offenbart wurde, die Allah bereits dazu geführt hat, Ihn anzubeten) weist deutlich darauf hin. Wenn wir uns diesen Punkt vor Augen halten, dann würde kein Platz für Einwände, wie den folgenden bleiben: Derjenige, der diese Worte ausspricht wird bereits rechtgeleitet – wieso soll er dann nochmals von neuem für diese Rechtleitung beten? Das würde dem Versuch gleichen, etwas wiederzuerlangen, was bereits in der eigenen Hand liegt, und das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Außerdem befindet sich der Betende ja bereits auf dem geraden Weg – wie kann er also darum beten nochmals auf denselben Weg geführt zu werden, auf dem er sich ja bereits befindet? Ist das nicht unmöglich? Aber die Erklärung, die oben bereits angeführt wurde, sollte den Nebelschleier solcher Einwände zur Genüge lichten.

Ein weiterer Einwand: Unser Gesetz ist das vollkommenste und das umfassendste aller Gesetze und Richtlinien, die Allah seit Beginn der Menschheit herabgesandt hat. Wieso sollen wir Allah also darum bitten, dass Er uns auf den Weg derjenigen führt, die vor uns gelebt haben und denen Er Seine Gnade erwiesen hat?

Antwort: Zugegebenermaßen ist das Gesetz, dass von Muhammad (s.) gebracht wurde vollkommener als jedes andere. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass alle jene, die diesem Gesetz folgen, vollkommener sind, als diejenigen, die den älteren Gesetzen folgen oder gefolgt sind. Ein durchschnittlicher Anhänger der Gebote von Muhammad (s.) kann niemals Propheten wie Nū (a.) oder Ibrāhīm (a.) übertreffen, auch wenn deren Gesetze lange vor den islamischen Geboten herabgesandt worden sind. Es ist eine Sache ein Gebot zu akzeptieren und demgemäß Gefolgschaft zu leisten; doch es ist etwas ganz anderes, spirituelle Vervollkommnung und absolute Ehrerbietigkeit und Hingabe zu erreichen – indem man sich selbst vollkommen in die Struktur der Gesetze und Gebote hineinwebt und mit ihrer Form verschmilzt. Ein Gläubiger der vorangegangenen Nationen und Völker, der einen hohen spirituellen Rang erreicht hat und der zu einem Spiegelbild der göttlichen Eigenschaften wurde, ist ganz gewiss besser und höher zu bewerten, als ein einfacher Anhänger des Gesetzes von Muhammad (s.), der diese Stufe nicht erreicht hat, obwohl der Letztere dem vollständigsten und vollkommensten der Gesetze Gefolgschaft leistet.

Deswegen ist nichts dagegen einzuwenden, dass ein Gläubiger von niederer Rangstufe (selbst wenn er dem vollkommensten aller Gesetze folgt) zu Allah betet, ihm zu helfen jenen Rang eines Gläubigen, der sich auf einer höheren Stufe befindet, zu erreichen (selbst wenn dieser weniger vollständigen Gesetzen und Geboten gefolgt war.)

Ein anderer Exeget hat auf diesen Einwand in einer Art und Weise geantwortet, die als nicht frei von Fehler zu beurteilen ist. Er sagte Folgendes: Die Religion von Allah ist nur eine einzige, und das ist der Islam. Die grundsätzlichen Wahrheiten – der Glaube an Einen Gott, das Prophetentum und den Tag des jüngsten Gerichts und all das, was diesem Glauben entspringt (und all das was die Konsequenz aus diesem Glauben ist) – sind die gleichen in allen Gesetzen und Offenbarungen, die von Allah herabgesandt wurden. Das Gesetz des Islam verfügt jedoch über einen weiteren vornehmlichen Unterschied, denn es umfasst alle Aspekte des menschlichen Lebens und ist demnach das vollständigste und umfassendste der Gesetze. Dieses Gesetz kümmert sich mehr um das allgemeine Wohlergehen der Gesellschaft und es gründet seine Fundamente auf Basis der Vernunft – in all ihren Erscheinungsformen: Logik, Ermahnung, Argumentation und Beweisführung. Alle göttlichen Religionen sind demnach gleich und die grundsätzlichen Wahrheiten liegen allen gleichermaßen zu Grunde. Die vorangegangenen Völker haben lediglich vor uns diesen Weg beschritten. Deswegen, hat Allah uns geboten uns dem Studium ihrer Angelegenheiten zu widmen, von ihnen Lektionen zu lernen und ihnen in Bezug auf ihre spirituelle Vervollkommnung zu folgen.

Der Autor sagt: Das Prinzip, auf der diese Antwort fußt, läuft entgegen der Prinzipien, die uns im Rahmen dieser Exegese des Qur´an leiten. Denn die Antwort setzt voraus, dass sich die Wirklichkeit der grundsätzlichen Wahrheiten in allen Religionen auf ein und derselben Ebene befinden, dass es keinen Unterschied in ihren Abstufungen gibt, dass die spirituelle Vervollkommnung und die religiösen Tugenden überall von der gleichen Qualität wären. Dieser Sichtweise entsprechend, wäre der höchststehende Prophet in Bezug auf seine Existenz und seine natürliche Vollkommenheit gleichzusetzen mit dem sich auf der niedrigsten Stufe befindenden Gläubigen –zumindest soweit es seine Schöpfung betrifft. Der Unterschied, falls es denn einen gäbe, würde rein auf einer subjektiven Perspektive der Scharī`ah[4] basieren, aber nicht hinsichtlich der Schöpfung selbst. Dieser Meinung nach, ist der Fall vergleichbar mit dem eines Königs vis-à-vis seiner Untertanen – in ihrer menschlichen Existenz unterscheiden sie sich nicht voneinander. Der einzige Unterschied zwischen ihnen besteht nur in ihren subjektiven vermeintlichen Positionen, die von den Menschen selbst festgelegt wurden, aber keine unabhängige Existenz besitzen.

Diese Sichtweise basiert auf der Theorie des Materialismus, die uns lehrt, dass nichts existiert, außer der Materie. Metaphysische “Objekte“ hingegen verfügen über keinerlei reale Existenz (oder zumindest sind wir nicht in der Lage zu wissen, dass diese existieren). Die einzige Ausnahme ist Gott selbst und wir glauben an Seine Existenz weil es die logische Beweisführung erfordert. Diejenigen, die diese Sichtweise akzeptiert haben, haben dies getan, weil sie unter dem Einfluss der Naturwissenschaften standen und ihr ganzes Vertrauen allein in ihre fünf Sinne investierten; oder weil sie dachten, dass der gesunde Menschenverstand ausreichen würde, um die göttlichen Worte erklären und interpretieren zu können. Deswegen meinten sie wohl, dass sie darauf verzichteten könnten tief über den Qur´an zu meditieren und über dessen Worte und Inhalte nachzusinnen.

Wenn Gott es uns erlaubt, wollen wir an anderer Stelle noch mehr Licht auf dieses Thema werfen.

Fünftens: Die Leute des geraden Weges stehen in ihrem Rang höher, als Andere und ihr Weg ist erhaben über die Wege der Anderen. Das ist so aufgrund ihres Wissens, und nicht nur aufgrund ihrer tugendhaften und rechtschaffenen Handlungen. Denn sie besitzen ein Wissen über die göttlichen Eigenschaften, das für die Anderen verborgen ist. (Zuvor wurde bereits erwähnt, dass die Perfektion von tugendhaften und rechtschaffenen Handlungen auch auf anderen, weniger vollkommenen Wegen als dem geraden Weg, zu finden ist. Deswegen können in dieser Angelegenheit die Taten und Handlungen nicht als Kriterium herangezogen werden, durch die die Auszeichnung und Überlegenheit der Leute des geraden Weges gegenüber dem Rest der Menschen festgelegt und bestimmt werden kann). Die Frage, die sich hier nun stellt, betrifft die Art und die Wesenheit dieses Wissens und wie es erworben werden kann. Doch werden wir uns diesen Fragen noch genauer widmen, wenn der Vers 13:17 („Er sendet Wasser vom Himmel herab, so dass die Täler nach ihrem Maß durchströmt werden) erläutert wird.

Auch die folgenden Verse verweisen auf die eben erwähnte Gegebenheit hin: „...Allah wird die unter euch, die, die gläubig sind, und die, denen Wissen gegeben wurde, um Rangstufen erhöhen...“ (58:11); „...Zu Ihm steigt das gute Wort empor, und rechtschaffenes Werk wird es hochtreiben lassen....“ (35:10). Was zu Allah emporsteigt sind demnach die guten Worte, womit aufrechter Glaube und Wissen gemeint sind. Gute Handlungen und rechtschaffenes Werk lassen jene guten Worte hochtreiben und helfen ihnen bei ihrem Aufstieg, ohne dass diese von selbst hinaufsteigen könnten. Doch dieser Vers wird noch ausführlich besprochen werden, wenn wir die entsprechende Stelle erreichen.

[1] Der Begriff “Ungläubiger“ ist eine der missverständlichsten Übersetzungen islamischer Begriffe und wird oft als Übersetzung des Begriffs “Kafir“ (plural Kuffar) verwendet. Das arabische Verb mit dem Konsonantenbestand “kfr“ [kafara] hat die Grundbedeutung “bedecken“, “verbergen“, “verhüllen“, so dass die Bedeckung bzw. das Verbergen der vollständigen Wahrheit gemeint ist. Er kann aber durchaus einen eigenen Glauben haben bzw. der Islam geht sogar davon aus, dass letztendlich jeder irgendeinen “Glauben“ hat bzw. an irgendetwas glaubt, und sei es das eigene Ich.

[2] Nomen Agentis: ist eine Personenbezeichnung, welche von einem Verb oder Substantiv abgeleitet ist, und das mit ihm verbundene Subjekt bezeichnet. So lässt sich z.B. aus dem Verb "laufen" das deverbale Nomen Agentis "Läufer"formen. In diesem Fall werden „die Personen, die rechtgeleitet werden“ bezeichnet. Arabisch: “Muhtadūn“.

[3] Als „al-mutawātir“ wird in den adīthwissenschaften (Teilgebiet der islamisch-theologischen Wissenschaften, die sich mit den Überlieferungen des Propheten, der Gefährten und Imamen und der Sicherung deren Quellen auseinandersetzen) eine Überlieferung bezeichnet, die einerseits über eine lückenlose, zweifelsfreie Kette glaubhafter und vertrauenswürdiger Überlieferer verfügt [isnad] und andererseits in ihren verschiedenen Generationen jeweils nicht nur von einer Quelle, sondern von mehreren vertrauenswürdigen Überlieferern gleichzeitig tradiert wurde, ohne dass dabei gleichzeitig andere glaubhafte/sichere Überlieferungen existieren, die jener Überlieferung widersprechen oder diese in Zweifel ziehen könnten.

[4] Die Scharī`ah, das islamische Recht, oder eingedeutscht "Scharia" bedeutet ein Weg zur Tränke oder deutlicher: gebahnter Weg. Es steht für religiöses Gesetz bzw. Ritus. Der Begriff ist abgeleitet aus dem Verb "den Weg weisen" bzw. "vorschreiben" (schara`ah).

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