Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

An Bord des »Petrel«.

An der Mündung von Mellacoree, Guinea, November 1873.

An einem herrlich tropischen Abend gehen wir in Benty ans Land, und man führt uns sofort zu Miß Mary Parker.

Miß Mary, die Königin des Ortes, befindet sich in einer strohgedeckten Hütte, in der sich die verschiedensten Dinge angehäuft finden, die alle zum Verkauf aufgestapelt sind – übrigens der einzige Laden in der Gegend.

Miß Mary, die etwa zwanzig Jahre zählt, ist aus Sierra Leone gebürtig, und, ich gestehe es, sie ist ein sehr gelungenes Exemplar jener Negerrassen, die dort die Engländer in Kleidung und Gehaben imitieren. Miß Mary ist schwarz und hat welliges Haar. Sie ist ein pikantes Gemisch von exotischer Miß und Affenweibchen: ein komisches Geschöpf, aber sie hat Geist und sogar Charme.

Der Flecken Benty am Eingang des Flusses Melitacorée besteht nur aus wenigen Indianerhütten und aus einem einzigen weißen Haus, um das herum viel Blumen blühen. Das Ganze ist in Tropenwälder eingebettet. Und nach Senegambiens öden Sandflächen wäre es hier gut zu leben. Doch wird man gleich beim Landen von unerklärlichem Unbehagen befallen, die Hitze wirkt entkräftigend, und Fieberdünste liegen in der Luft.

Die Tage vergehen für uns mit Streifungen und Jagdzügen, erfüllt von Müdigkeit und wechselndem Erleben, und jeden Abend ist Gesellschaft im Warenlager von Miß Mary. Es weht durch diesen Raum eine unbeschreiblich drückende Hitze und ein aromatischer Duft sui generis.

Miß Mary empfängt mit englischem Zeremoniell, das an jedem anderen Ort unerträglich wäre, das aber hier erheiternd wirkt, in der weltfernen Hütte der jungen Negerin.

Sie benützt übrigens diese Abende, um uns eine Unzahl von Dingen zu verkaufen und kredenzt uns Ströme lauwarmen Wassers, die sie mit einem Absud aus bitteren Kräutern vermischt.

In Guineas Wälder dringt man auf kaum gebahnten Wegen ein, wo reichlich Schlangen hausen ... Nirgends ein Sichwohlfühlen, niemals ein frisches Lüftchen auf diesen engen Pfaden. Ob morgens, abends oder nachts, – immer die gleiche feuchte Stickluft, man fühlt, wie ungesund der Duft all dieser Pflanzen ist, und wie mit jedem Atemzug das Fieber in den Körper dringt ...

Die größere Hälfte das Bodens besteht aus völlig unzugänglichen Sümpfen, die ungezählte Sumpfblüten an ihrer Oberfläche und im Innern Herde tödlichen Giftes tragen.

Dies Land bleibt wohl für alle Zeiten verdammter Grund ohne jede Zivilisation, und Europäer werden wohl nur als Flüchtlinge ihren Fuß hierher setzen, um hier ihr Glück zu versuchen, koste es auch Gesundheit und Leben ...

Als unser Abschied von Mellacorée herannaht, verfällt Miß Mary in einen Zustand höchster Aufregung, sie kann nicht schnell genug alles verpacken, was sie uns verkauft hat, und die Menge der Pakete verwirrt sie. Unsere Einkäufe waren Zöpfe und Halsketten aus Beeren, deren herber, durchdringender Duft charakteristisch ist für die Küste von Guinea. Besonders viel kauften wir jedoch von den kleinen ebereschenähnlichen Früchten, die hier im Überfluß gedeihen und die einer der Lieblingsleckerbissen der Senegalneger sind.

In ihrer Geschäftigkeit verliert Miß Mary ihr Haarnetz, und ihr kurzes Krepphaar steht in steifen Zöpfchen wie eine Unzahl Fühler von ihrem Kopf weg. Das wirkt ungeheuer komisch.

Nichts Damenhaftes ist mehr an ihr zu erblicken, das Affenweibchen hat die Oberhand. Doch ist sie drollig und gutmütig dabei, daß man sie fast noch reizend finden könnte. Vor unserer Abreise bittet sie uns, ihr aus St. Louis, dem Ziel unserer nächsten Reise, einen Hut mit rosenroten Blüten mitzubringen, bei dessen Wahl sie das beste Vertrauen zu unserem guten Geschmack hat.

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