An Bord des »Vaudreuil«
Feuerland, September 1871.
Die ausgedehnte bergige Insel Feuerland ist in ihrem ganzen
östlichen Teil von Urwäldern bedeckt, die sozusagen
undurchdringlich sind. Ihr Himmel ist nebelumhangen, ihr Klima
dem der kältesten Landstriche in Europa vergleichbar.
Es ist ein mühselig Vorwärtsdringen, ein Anklammern an
Zweige mitten in diesen zeitlosen Wäldern, wo abgestorbene
Bäume den Weg versperren. Der Boden ist bedeckt mit Überresten
von vielerlei Vegetation, die Jahrhunderte in regelmäßiger
Folge hier aufgehäuft haben, und in welchen man gänzlich zu
versinken droht. Moosflechten sind im immerwährenden
Waldesschatten zu üppiger Entwicklung gediehen, und ihre
wirren filzigen Massen bedecken alles ringsumher.
Dies reglose Stück Natur bietet dem Blick an trüben
Wintertagen ein sonderbar gespenstiges Bild. Die Einsamkeit
und die tiefe Stille weit und breit legen sich beklemmend aufs
Herz.
Auf unseren weiten, beschwerlichen Streifzügen durch dieses
Land stießen wir eines Tages auf etwas, was wir hier weder
vermuteten, noch suchten: auf eine Schar Indianer, deren
Urzustand alles, was wir bisher ähnliches gesehen, weit hinter
sich zurückließ; es war eine Art idealen Wildentums.
Schauplatz war der Wald an einem Wintermorgen, nahe einer
tiefen Bucht, in welche zweifellos vor uns noch kein Europäer
eingedrungen war. Die Gegenwart dieser Lebewesen verriet sich
uns durch ein Geräusch von Lauten in unbekannter Klangfarbe.
Und als wir mitten im dichten Gezweig langsam
vorwärtsschlichen, standen wir bald vor einem Schauspiel, das
uns so neu als scheußlich war.
Die Wilden saßen oder hockten mit der Gefräßigkeit
reißender Tiere vor ihrer Morgenmahlzeit. Furchtbare Hunde,
die mit ihnen fraßen, hatten bei unserem Nahen nicht
angeschlagen, und so konnten wir sie einen Augenblick lang
unbemerkt beobachten. –
Der Hauptteil ihres Frühstücks bestand aus Muscheltieren.
Doch sahen wir auch, wie zwei Pinguine in Teile gerissen
wurden, die diese vom Hunger getriebenen Menschen nicht
zuzubereiten für nötig hielten. Junge Weiber von abstoßendem
Äußern bissen selbst in ihre noch befiederten Flügel.
Unser Erscheinen erschreckte die Familie maßlos. Das gab
sich vorerst durch wilde Gesten und lautes Schreien kund; dann
aber waren sie alle in einem Augenblick ins Dickicht geglitten
und darin verschwunden, und man hörte nur mehr ein ruckweises
Geräusch, das, von ihren Kehlen hervorgebracht, den Lauten
glich, die gereizte Affen von sich geben.
Doch sie waren bald so zahm wie jene andern in der St.
Nicolaus-Bai, als wir ihnen Zwieback und Brot reichten.
Da wurden wir sofort umringt, neugierig betrachtet und
betastet. Man fand uns wunderbar, unsere Kleidung lächerlich.
Und sie teilten sich ihre Beobachtungen mit einem
undefinierbar komischen Ausdruck in Miene und Gebärde mit.
Ihre häßlichen, eckigen, mageren Köpfe zeigten alle dasselbe
Gesicht, wie es bei ganz tiefstehenden unvermischten Rassen
der Fall ist. Ihr Haar, rötlichbraun wie bei den meisten
indischen Volksstämmen, hing lang über dem Hals und stand kurz
und struppig über der Stirn. Langhaarige Fellmäntel hingen als
einzige Bekleidung von ihren Schultern herab; weder die
heftige Kälte, noch irgendeine leise Spur von Schamgefühl
konnten sie jemals zwingen, ihre häßlichen, mit Fischtran
überstrichenen Leiber zu bedecken.
Die Boote, in denen sie gekommen waren, waren aus mehreren
Balken roh gezimmert und zusammengesetzt. Wir fanden Netze
darin, die aus Binsen geflochten waren, knöcherne Messer,
solchen aus der Steinzeit ähnlich, Pfeile und Pinguineier.
Ein Fellbündel, das wohl absichtlich dort versteckt worden
war, erregte unsere Aufmerksamkeit, doch als wir es berühren
wollten, fielen uns schreiend und drohend die Frauen in den
Arm. Es waren zwei ganz kleine Kinder, die, in Fuchshäute
eingehüllt, schliefen. Da sahen wir, daß in diesen Weibern
auch, wie sonst in Mensch und Tier, die Mutterliebe schlief,
und das hob sie in unseren Augen höher empor.
Die Südseite des Feuerlandes, die unausgesetzt von
furchtbaren Schneestürmen gepeitscht wird, ist überall
entblößt. Und die südlichsten in der Gruppe dieser Inseln,
jene unter anderen, die das Kap Horn einschließt, strecken
kahle Felsen in die Luft, die Pinguinen und Robben zum
Tummelplatz dienen. Das sind gefährliche Küsten, an die ohne
Ende das wütende Meer anschlägt, und die von Seeleuten sehr
gefürchtet werden.
Mitten in diesen trostlosen Landstrichen liegt das
Elend-Eiland, das durch den besonders herzbeklemmenden
Anblick, den es gewährt, in jeder Hinsicht seinen Namen
rechtfertigt. Es trägt nur spärliche Vegetation in weiter öder
Einsamkeit, und überall lagert Moosflechte. Von Zeit zu Zeit
erblickt der Wanderer Gruppen zwerghaft verkrüppelter, ja
selbst toter Bäume, deren Gerüste, vom Winde gebleicht und
gebogen, seltsame Formen angenommen haben. Finstere, feuchte
Kälte allenthalben, kein Lebewesen rings zu erspähen, und
immerfort die gleiche fürchterliche Stille.