Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Rochefort, November 1877

An einem Februarabend dieses Jahres war es, in der Rue Sultan Selim, auf der Höhe von Stambul ...

In eisigen Stößen strich der Wind über die osmanische Erde, die alten brüchigen Häuser erzitterten, und kahle Zweige neigten sich stöhnend über Grabstätten aus Marmorstein.

Eine enge, menschenleere Straße war es, und rechts und links ward sie begrenzt von alten Säulen längstvergessener maurischer Architektur, einer langen Folge von Arkaden, die der Jahrhunderte Spur im zerbröckelnden Gestein wiesen und unter denen sich niedere, geheimnisvolle Pförtchen auftaten. Alle diese Häuser hatten nur ein Erdgeschoß, und das gemahnte beim Anblick der langen öden Straße ein wenig an Alt-Bagdad.

Zwei Männer hockten auf Bastmatten hinter der bleigefaßten Fensterscheibe eines türkischen Cafés, das im Souterrain gelegen und hauptsächlich von Derwischen besucht war. Die beiden jungen Leute entboten den Anwesenden einen guten Abend, erhoben sich und traten in die Nacht hinaus. Von Kälte erfaßt, hüllten sie sich fester in ihre Röcke, aus grober Wolle, die mit schwarzen Zeichen bemalt waren.

Sie trugen beide die gleiche Kleidung, braune eingefaßte Beinkleider, die am Knie mit Seidentressen in schreienden Farben gehalten wurden, rote gestickte Gürtel, orangefarbene Seidenhemden. Und jeder trug einen leichten weißen Turban um die Stirn gewunden.

Die beiden waren die einzige Spur von Jugend in diesem baufälligen geheimnisvollen Stadtteil. Die Nacht sank nieder in trockener, stechender Kälte, der Wind sang schauerlich, und fahlgelbes Dämmerlicht erlosch am Himmel.

Die beiden Männer sprachen die Sprache des Dschingis-Khan. Und plötzlich begannen sie zu lachen, und dies Lachen war so laut, so zügellos, daß drei alte Türken, die eben vorübergingen, sich entrüstet nach ihnen umsahen.

Tatsache ist, daß ein solches Lachen in so trübseliger Umgebung befremden mußte. Aber da die Haltung der beiden Burschen vornehme Muselmänner in ihnen vermuten ließ, begnügten sich die Greise damit, schließlich wohlwollend in den Bart zu murmeln: »Tchoudjouk« (das sind Kinder).

Dann verschwanden sie im Hause von Selim des Tigers Großwesir und aufs neue erscholl das Lachen der jungen Leute.

Diese beiden Jünglinge waren Achmet und ich ... Und Achmet lachte derart in seiner frischen herzlichen Art, daß er sich vorsichtshalber an eine Mauer lehnen ging. Er konnte vor Lachen einfach nicht weiter.

Ein Wortspiel, das mir eben ganz unfreiwillig entfahren war, hatte uns beide in solche Lustigkeit versetzt. Es war, ich muß es sagen, ein ganz harmloser Spaß, aber damals brauchten wir nicht mehr, um uns zu unterhalten, und Achmet erzählte ihn noch am selben Abend Eriknaz, seiner Schwester ...

Noch oft haben wir seither darüber gelacht, und die kleine Alemshah grüßte mich nie mehr, ohne mich an mein Wortspiel zu erinnern.

Und, so er daran denkt, muß Achmet sogar in dieser Stunde darüber lachen, fern am Fuß des Balkans, unter dem Feuer der Russen ...

Rochefort, November 1877

Ich bin in Rochefort, und das Wetter ist trüb. Aber alle Liebe meiner Kinderjahre lebt nach wie vor in meinem Herzen. Ich bete meine Mutter an, ich habe ihr zuliebe mein Leben im Orient aufgegeben, und ich glaube, sie wird das nie wissen.

Ich habe mein Zimmer in nahezu türkischer Weise eingerichtet, und es ist angefüllt mit Kissen aus asiatischer Seide und all den kleinen Nichtigkeiten, die mir der Brand meines Hauses in Eyoub und die jüdischen Wucherer übriggelassen haben. Ein wenig gemahnt es nun an den kleinen Raum, dessen Wände mit blauer Seide bespannt waren und der nach Rosenwasser duftete, – fern dort, am Goldenen Horn ...

Ich lebe viel in meinen vier Wänden, und das sind die stillen Stunden meines Lebens. Umhüllt von den Rauchschwaden meiner langen Pfeife, träume ich dann von Stambul und von den schönen durchsichtig grünen Augen meiner lieben kleinen Aziyadé.

Ich habe niemanden mehr hier, mit dem ich die Sprache des Islam sprechen kann, und langsam, langsam beginne ich, sie zu vergessen ...

 

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