Rochefort, November 1877
An einem Februarabend dieses Jahres war es, in der Rue
Sultan Selim, auf der Höhe von Stambul ...
In eisigen Stößen strich der Wind über die osmanische Erde,
die alten brüchigen Häuser erzitterten, und kahle Zweige
neigten sich stöhnend über Grabstätten aus Marmorstein.
Eine enge, menschenleere Straße war es, und rechts und
links ward sie begrenzt von alten Säulen längstvergessener
maurischer Architektur, einer langen Folge von Arkaden, die
der Jahrhunderte Spur im zerbröckelnden Gestein wiesen und
unter denen sich niedere, geheimnisvolle Pförtchen auftaten.
Alle diese Häuser hatten nur ein Erdgeschoß, und das gemahnte
beim Anblick der langen öden Straße ein wenig an Alt-Bagdad.
Zwei Männer hockten auf Bastmatten hinter der bleigefaßten
Fensterscheibe eines türkischen Cafés, das im Souterrain
gelegen und hauptsächlich von Derwischen besucht war. Die
beiden jungen Leute entboten den Anwesenden einen guten Abend,
erhoben sich und traten in die Nacht hinaus. Von Kälte erfaßt,
hüllten sie sich fester in ihre Röcke, aus grober Wolle, die
mit schwarzen Zeichen bemalt waren.
Sie trugen beide die gleiche Kleidung, braune eingefaßte
Beinkleider, die am Knie mit Seidentressen in schreienden
Farben gehalten wurden, rote gestickte Gürtel, orangefarbene
Seidenhemden. Und jeder trug einen leichten weißen Turban um
die Stirn gewunden.
Die beiden waren die einzige Spur von Jugend in diesem
baufälligen geheimnisvollen Stadtteil. Die Nacht sank nieder
in trockener, stechender Kälte, der Wind sang schauerlich, und
fahlgelbes Dämmerlicht erlosch am Himmel.
Die beiden Männer sprachen die Sprache des Dschingis-Khan.
Und plötzlich begannen sie zu lachen, und dies Lachen war so
laut, so zügellos, daß drei alte Türken, die eben
vorübergingen, sich entrüstet nach ihnen umsahen.
Tatsache ist, daß ein solches Lachen in so trübseliger
Umgebung befremden mußte. Aber da die Haltung der beiden
Burschen vornehme Muselmänner in ihnen vermuten ließ,
begnügten sich die Greise damit, schließlich wohlwollend in
den Bart zu murmeln: »Tchoudjouk« (das sind Kinder).
Dann verschwanden sie im Hause von Selim des Tigers
Großwesir und aufs neue erscholl das Lachen der jungen Leute.
Diese beiden Jünglinge waren Achmet und ich ... Und Achmet
lachte derart in seiner frischen herzlichen Art, daß er sich
vorsichtshalber an eine Mauer lehnen ging. Er konnte vor
Lachen einfach nicht weiter.
Ein Wortspiel, das mir eben ganz unfreiwillig entfahren
war, hatte uns beide in solche Lustigkeit versetzt. Es war,
ich muß es sagen, ein ganz harmloser Spaß, aber damals
brauchten wir nicht mehr, um uns zu unterhalten, und Achmet
erzählte ihn noch am selben Abend Eriknaz, seiner Schwester
...
Noch oft haben wir seither darüber gelacht, und die kleine
Alemshah grüßte mich nie mehr, ohne mich an mein Wortspiel zu
erinnern.
Und, so er daran denkt, muß Achmet sogar in dieser Stunde
darüber lachen, fern am Fuß des Balkans, unter dem Feuer der
Russen ...
Rochefort, November 1877
Ich bin in Rochefort, und das Wetter ist trüb. Aber alle
Liebe meiner Kinderjahre lebt nach wie vor in meinem Herzen.
Ich bete meine Mutter an, ich habe ihr zuliebe mein Leben im
Orient aufgegeben, und ich glaube, sie wird das nie wissen.
Ich habe mein Zimmer in nahezu türkischer Weise
eingerichtet, und es ist angefüllt mit Kissen aus asiatischer
Seide und all den kleinen Nichtigkeiten, die mir der Brand
meines Hauses in Eyoub und die jüdischen Wucherer
übriggelassen haben. Ein wenig gemahnt es nun an den kleinen
Raum, dessen Wände mit blauer Seide bespannt waren und der
nach Rosenwasser duftete, – fern dort, am Goldenen Horn ...
Ich lebe viel in meinen vier Wänden, und das sind die
stillen Stunden meines Lebens. Umhüllt von den Rauchschwaden
meiner langen Pfeife, träume ich dann von Stambul und von den
schönen durchsichtig grünen Augen meiner lieben kleinen
Aziyadé.
Ich habe niemanden mehr hier, mit dem ich die Sprache des
Islam sprechen kann, und langsam, langsam beginne ich, sie zu
vergessen ...