Unterscheiden sich ihre Standpunkte und Taktiken?
Dem äußeren Schein nach unterscheidet sich das Vorgehen
dieser beiden großen “Guides”, die der Gesandte Gottes selbst
als rechtmäßige Imame bezeichnete. Einige meinen, der Nachweis
dafür, dass ihre Ansichten hinsichtlich Taktik und Methode
auseinander gingen”, werde daraus ersichtlich, dass sich der
eine trotz eines Heeres von 40000 Mann zu einem fragwürdigen
Frieden mit dem Feind bereiterklärte, dieweil der andere mit
nur vierzig seiner Gefährten - abgesehen von seinen
Angehörigen - dem Gegner Widerstand leistete und selbst seinen
kleinen Sohn -ein Säugling noch - auf diesem Wege hingab.
Bei ein wenig genauerem Hinsehen aber wird deutlich, dass
von einer Gegensätzlichkeit im Zusammenhang mit der
Wahrnehmung ihres Imamats keinesfalls die Rede sein kann! Das
jene, die so denken, einem Irrtum erlegen sind.
Imam Hassan (a.) hatte nahezu neuneinhalbe Jahre unter
Druck und Vorherrschaft Muawiahs zugebracht, erhob sich aber -
aus guten Gründen- nicht zu einem offenen Widerstand. Auch
Imam Hussayn (a.) brachte es. neuneinhalb Jahre im
Gewaltregime des Yazid zu, ohne auch nur ein Wort über einen
offenen Kampf verlauten zu lassen.
Das bedeutet also, dass die Frage anders lauten muss. Und
zwar, wie war es um den Herrschaftsstil der beiden
Umayyaden-Kalifen Muawiah und Yazid bestellt? Unterschied sich
das Vorgehen Muawiahs von dem seines Sohnes Yazid, so das sich
Imam Hussayn (a.s.) schließlich zu einem offenen Widerstand
gegen das herrschende Kalifat entschloß?
Nun..., Muawiahs Regierungsweise war von jener sichtbaren
Amoral als auch offenkundigen Gegensätzlichkeit gegen die
göttlichen Gebote - etwas, aus dem sein Sohn Yazid keinen Hehl
machte - nicht gekennzeichnet. Er bezeichnete sich selbst als
“Sahabeh”, als Prophetengefährte, und als einer derjenigen,
die den Koran niedergeschrieben hatten. Da seine Schwester
eine Gattin des Gesandten Gottes und somit “Umm ul Mu’minun”
war, nannte er sich selbst “Hal ul Mu’minun”, d.h. “Onkel der
Gläubigen”. Und weil der Großteil der Bevölkerung Umar, dem
zweiten Kalifen, vertraut und dieser Muawiah verehrt und
gewürdigt hatte, hielt es erstere, das heißt die Gesellschaft,
mehr oder weniger ebenso. Abgesehen davon waren die meisten
der noch lebenden Prophetengefährten - wie Abu Hurayrah, Amr
As, Samreh, Yassar, Murayrat Ibn Schubah und andere - die die
Zuneigung der Bevölkerung besaßen, mit Posten, Ämtern und
wichtigen Staatsaufgaben betraut worden. Sie. sorgten nun
ihrerseits für die positive Einstellung der muslimischen
Gesellschaft Muawiah gegenüber.
Zudem kursierten zahlreiche “Überlieferungen” in der
damaligen Gesellschaft, in denen von der Tugend und
Hervorragendheit der Prophetengefährten die Rede war, von
ihrer “religiösen Immunität” und darüber, dass niemand an dem,
was sie taten, etwas aussetzen dürfe_.
Mit dem Resultat, dass Muawiahs Tun und Lassen, das ganz
allgemein von den Sahabeh bestätigt wurde, nicht angezweifelt
wurde bzw. nicht angezweifelt werden durfte. Wenn jedoch hin
und wieder jemand Kritik äußerte, wurde er auf fürstliche
Weise “belohnt”, richtiger gesagt, “bestochen”. Wer sich
jedoch als unempfänglich für derlei “Belohnungen” erwies, fand
den Tod. Durch Muawiahs Helfer und Helfershelfer. Zigtausend
unschuldiger Freunde und Anhänger Imam Alis (a.s.) als auch
jener aus den Reihen der übrigen Muslime und sogar der
“Sahabeh” hatten aus diesem Grunde ihr Leben verloren.
Muawiah zeigte sich stets im Mäntelchen der
Rechtschaffenheit. Bezeichnete sich als jemand, der auf der
Seite von Recht und Gerechtigkeit steht. Mit erstaunlicher
Geduld und Beharrlichkeit verfolgte er seine Ziele. Und da er
sich milde und nachsichtig gab, brachte ihm die Bevölkerung
Zuneigung und Gehorsam entgegen. Selbst wenn ihm der eine oder
andere Vorhaltungen machte, reagierte er besonnen und
langmütig und antwortete mit milden Worten. Das war sein
politischer Stil, mit dem er das, was er wollte, erreichte.
Imam Hassan und Imam Hussayn (a.) gegenüber wahrte er -
scheinbaren - Respekt und bedachte sie mit kostbaren
Geschenken. Andererseits aber drohte er einem jeden, der
würdigend über Ahl-ul-Bayt (a.s.) sprach oder entsprechende
Riwayat verbreitete, schwere Strafe an. Derartiges war strikt
untersagt, und Ehre, Eigentum und Leben dessen, der sich
derlei “Frevel” schuldig machte, gerieten in akute Gefahr.
Muawiah ordnete an, dass ein jeder, der die Minbar bestieg,
in seiner Rede unbedingt Ali (a s.) zu verunglimpfen und zu
schmähen hatte. Zudem erteilte er den Befehl, dass Ali Ibn Abi Talibs Anhänger, wo immer man auf sie stoße, zu töten seien.
Seine Anweisungen wurden ausgeführt. Man ging dabei so
unerbittlich und geradezu “blind” vor, dass selbst etliche
jener, die Ali (a.) feindlich gesonnen waren, unter der
Anschuldigung, sie seien seine Freunde gewesen, ums Leben
gebracht wurden.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass Imam Hassan (a.) gar
nicht anders vorgehen konnte, als er vorging. Hatte er offenen
Widerstand gegen Muawiah geleistet, wäre das unweigerlich zum
Nachteil der islamischen Sache gewesen. Er hätte nichts
erreicht als nur, dass sein Blut und das seiner Mitstreiter
vergossen worden wäre.
Zudem lag es nahe, dass Muawiah Imam Hassan (a.) durch
jemanden aus dessen Reihen würde töten lassen, um dann in
geheuchelter Trauer an dessen Begräbnis teilzunehmen und -
sozusagen in bitterer Vergeltung - unter der Schiah ein
Blutbad anzurichten. Unter dem Vorwand: Sie, die Schiiten,
waren es, die Imam Hassan (a.) töteten. Sie müssen daher das
Verbrechen sühnen!
In dem Stile, wie er im Zusammenhang mit Uthmans Tod
vorgegangen war...
Yazids Methode war eine völlig andere und in keinster Weise
mit der Strategie seines Vaters zu vergleichen. Er war ein
arroganter junger Mann, zügellos, unbeherrscht, roh und
gewalttätig. Das, was die Bevölkerung über ihn dachte,
interessierte ihn nicht und was sie wünschte, war ihm völlig
unwichtig. Was dem Islam zuvor - insgeheim, sozusagen hinter
dem Vorhang - angetan worden war, ließ er während seiner
kurzen Herrschaftszeit völlig unbemantelt zu Tage treten. Im
ersten Jahr seines Kalifats richtete er die Lanzen gegen jene
aus dem Hause des Propheten und ließ einen jeden von ihnen,
dessen seine Häscher habhaft werden konnten, töten.
Im zweiten Jahr verwüstete er Medina. Drei Tage lang
wüteten seine Soldaten in der “Stadt des Propheten” und
mordeten, plünderten und schindeten in grauenvoller Weise.
Im dritten Jahr dann ordnete Yazid die Zerstörung der Ka’ba
an. Sein rohes und skrupelloses Vorgehen aber war es, was die
Gesellschaft für die Botschaft der Bewegung Hussayns (a.)
empfänglich machte. Mehr und mehr erkannte sie deren Sinn. Es
kam zu blutigen Aufstanden gegen das tyrannische Kalifat, und
die Gemeinschaft jener Muslime, die sich auf die Seite von
Recht und Wahrheit stellten und sich als Freunde, als
“Schi’ah” AhI-ul-Bayts (a.) bezeichneten, wuchs und wuchs...
Eine solche Entwicklung aber hatte Muawiah verhindern
wollen, weshalb er Yazid nachdrücklich angewiesen hatte,
nichts gegen Hussayn (a.) zu unternehmen und ihn nicht zu
provozieren. Jedoch..., als ob Yazid in seiner
Selbstherrlichkeit und Borniertheit zwischen dem, was ihm zu
Wohle war oder zum Schaden gereichte, hätte differenzieren
können...