Sechstes Capitel - Mohammeds Verhalten nach seiner
Verheirathung – Denkt ernstlich an eine Religionsverbesserung
– Seine Neigung zu einsiedlerischer Zurückgezogenheit – Die
Vision (Gesicht) in der Höhle – Seine Ankündigung als Prophet
Die Vermählung mit Khadidschah stellte Mohammed unter die
Reichsten seiner Geburtsstadt. Sein sittlicher Werth verlieh
ihm auch großen Einfluß auf das Gemeinwesen. Allah, sagt der
Geschichtsschreiber Abulfeda, hatte ihn mit jedem Talente
ausgerüstet, welches zur Vollendung und zum Schmucke eines
rechtschaffenen Mannes nothwendig ist; er war so unbescholten
und aufrichtig, daß er allgemein unter dem Namen Al Amin, oder
der Treue bekannt war.
Das in seinen Verstand und in seine Rechtschaffenheit
gesetzte Vertrauen wurde die Veranlassung, daß er bei
Streitigkeiten zwischen seinen Mitbürgern häufig zum
Schiedsrichter aufgerufen ward. Eine Anekdote wird als Beleg
seines Scharfsinnes bei dergleichen Vorfällen erzählt. Die
Kaaba hatte durch Feuer Schaden gelitten und erfuhr eine
Ausbesserung, in deren Verlauf der heilige schwarze Stein
versetzt werden mußte. Unter den Häuptlingen der verschiedenen
Stämme erhob sich darüber Streit, welchem von ihnen das Recht
zustünde, eine so heilige Pflicht zu erfüllen, und sie
beschlossen, die Entscheidung der ersten Person, welche durch
das Thor Al Haram eintreten würde, abzuwarten. Diese Person
war zufällig Mohammed. Nach Anhörung ihrer verschiedenen
Ansprüche befahl er, daß ein großes Tuch auf dem Boden
ausgebreitet und der Stein darauf gelegt werden, und daß ein
Mann aus jedem Stamme den Rand des Tuches anfassen sollte. Auf
diese Art wurde der heilige Stein gleichmäßig und zu derselben
Zeit von ihnen Allen bis zu gleicher Höhe mit dem bestimmten
Platze erhoben, an welchem ihn Mohammed mit seinen eigenen
Händen befestigte.
Vier Töchter und ein Sohn waren die Frucht der Ehe mit
Khadidschah. Der Sohn hieß Kasem, weshalb Mohammed, der
arabischen Namenertheilung gemäß, öfters Abu Kasem, d. i.
Vater Kasems, genannt wurde. Dieser Sohn starb jedoch in der
Kindheit.
Nach seiner Verheirathung setzte er die Handelsgeschäfte
noch mehrere Jahre fort, indem er die großen arabischen Märkte
besuchte und mit den Karavanen weite Reisen machte. Seine
Expeditionen waren nicht so gewinnreich wie in den Tagen, wo
er als Geschäftsführer arbeitete, und der mit seiner Gattin
erlangte Wohlstand verminderte sich im Verlaufe seiner
Unternehmungen eher, als er sich mehrte. Dieser Wohlstand
hatte ihn in der That der Nothwendigkeit überhoben, für sein
Bestehen sich abzumühen, und ihm Muße verschafft, dem
ursprünglichen Hange seines Geistes zu fröhnen, nämlich einer
Neigung zur Grübelei und zur religiösen Betrachtung, welche er
von seinen frühesten Jahren an gezeigt hatte. Diese war
während seiner Reisen durch den Umgang mit Juden und Christen
genährt worden; sie waren ursprünglich Flüchtlinge der
Verfolgung halber, jetzt aber zu Stämmen vereinigt und
bildeten einen Theil der Bevölkerung in den Städten. Die
arabischen Wüsten zumal, reich, wie wir gezeigt haben, an
phantastischem Aberglauben, hatten seiner schwärmerischen
Grübelei Nahrung geliefert. Auch hatte er seit seiner
Verehelichung mit Khadidschah ein häusliches Orakel, welches
auf seine religiösen Ansichten einwirkte. Das war seiner
Gattin Vetter Waraka, ein Mann nachdenkenden Geistes und
biegsamen Glaubens; ursprünglich ein Jude, hernach ein Christ,
und bei dem Allen ein Freund der Sterndeuterei. Er ist
merkwürdig, weil er geschichtlich der Erste ist, welcher
Theile des Alten und Neuen Testaments ins Arabische
übersetzte. Von diesem hat Mohammed, wie vermuthet wird,
Vieles von seiner, jene Schriften betreffenden Kenntniß und
viele von den Ueberlieferungen der Mischna und des Talmud
entnommen, auf welche er so häufig in dem Koran hinweist.
Diese so verschiedenartig erworbene und in einem ungemein
treuen Gedächtnisse aufbewahrte Kenntniß stand in geradem
Widerspruche mit dem groben Götzendienste, welcher in Arabien
die Oberhand hatte und bei der Kaaba getrieben wurde. Dieses
heilige Gebäude war mit Götterbildern, deren Zahl sich auf
dreihundert und sechzig belief, so daß auf jeden Tag des
arabischen Jahres Einer kam, allmälig angefüllt und umgeben
worden. Hieher hatte man die Götzen aus verschiedenen
Gegenden, die Götter anderer Nationen gebracht, unter denen
der oberste, Hobal, aus Syrien stammte und angeblich die Macht
hatte, Regen zu geben. Unter diesen Bildsäulen waren außerdem
Abraham und Ismael, die ehemals als Propheten und Stammväter
verehrt, jetzt mit den weissagenden Pfeilen, den Sinnbildern
der Zauberei, in ihren Händen dargestellt wurden.
Mohammed wurde sich der Grobheit und Sinnlosigkeit dieser
Abgötterei mehr und mehr in dem Verhältnisse bewußt, als sie
sein denkender Geist mit den geistigen Religionen verglich,
welche die Gegenstände seiner Forschungen gewesen waren.
Verschiedene Stellen im Koran zeigen die herrschende Idee,
welche allmälig in seinem Gemüthe aufkeimte, bis sie alle
seine Gedanken befruchtete und auf alle seine Handlungen
einwirkte. Diese Idee war eine religiöse Reform. Es war sein
fester, aus Allem, was er gelernt und gedacht hatte,
hervorgegangener Glaube geworden, daß dem Adam bei seiner
Erschaffung die allein wahre Religion geoffenbart und in den
Tagen der Unschuld bekannt gemacht und ausgeübt worden wäre.
Diese Religion dränge auf die unmittelbare und geistige
Verehrung Eines wahren und alleinigen Gottes, des Schöpfers
des Weltalls.
Es war ferner seine Ueberzeugung, daß diese so erhabene und
einfache Religion von den Menschen wiederholt verdorben und
verfälscht, und vorzüglich durch Götzendienerei entstellt
worden wäre; deshalb wäre eine Reihe Propheten, jeder von
ihnen durch eine Offenbarung des Allerhöchsten erleuchtet, von
Zeit zu Zeit und in weit von einander entfernten Zeiträumen
gesendet worden, um dieselbe zu ihrer ursprünglichen Reinheit
zurückzuführen. Ein solcher wäre Noah, ein solcher wäre
Abraham, ein solcher wäre Moses, ein solcher wäre Jesus
Christus. Durch Jeden von diesen wäre die wahre Religion auf
der Erde hergestellt, aber von ihren Nachfolgern wieder
verdorben worden. Der Glaube, wie ihn Abraham bei dem Auszuge
aus Chaldäa lehrte und übte, scheint vorzüglich ein religiöses
Musterbild in seinem Geiste geschaffen zu haben, zufolge
seiner Ehrfurcht vor diesem Patriarchen als dem Vater Ismaels,
des Ahnherrns seines Geschlechtes.
Die Zeit zu einer andern Reform schien Mohammed wieder
herbeigekommen zu sein. Die Welt war noch einmal in blinde
Abgötterei gefallen. Es war die Ankunft eines andern Propheten
nöthig, welchen ein Auftrag aus der Höhe ermächtigte, die
irrenden Menschenkinder auf den rechten Pfad zurückzuführen
und den Gottesdienst der Kaaba wieder auf den Punkt zu
erheben, auf welchem er in den Tagen Abrahams und der
Patriarchen sich befunden hatte. Die Wahrscheinlichkeit einer
solchen Ankunft mit den sie begleitenden Reformen scheint von
seinem Geiste Besitz genommen und die mit dem Geräusche der
Welt unverträgliche Gewohnheit, nachzusinnen und in tiefe
Betrachtungen sich zu versenken, erzeugt zu haben. Es wird uns
erzählt, daß er sich allmälig aus der Gesellschaft zurückzog
und in einer Höhle des Berges Hara, ungefähr drei Stunden
nördlich von Mekka, die Einsamkeit suchte, wo er im Wetteifer
mit den christlichen Einsiedlern der Wüste, dem Gebet und
Nachdenken hingegeben, Tage und Nächte hintereinander sich
aufzuhalten pflegte. Auf diese Weise verlebte er den Monat
Ramadan, den heiligen Monat der Araber. Solch angestrengte
Beschäftigung des Geistes mit Einem Gegenstande, verbunden mit
einer glühenden Begeisterung des Gemüths, mußte einen
gewaltigen Eindruck auf sein Wesen ausüben. Er war Träumen und
Entzückungen ausgesetzt. Sechs Monate nach einander hatte er,
nach einem seiner Geschichtsschreiber, beständig Träume,
welche den Inhalt seiner Gedanken im Wachen darstellten. Oft
pflegte er alles Bewußtsein von den ihn umgebenden
Gegenständen zu verlieren und auf dem Boden zu liegen, als
wenn er empfindungslos wäre. Khadidschah, die bisweilen die
treue Genossin seiner Einsamkeit war, sahe diese Anfälle mit
ängstlicher Unruhe und suchte die Ursache zu erfahren; aber er
wich ihren Nachforschungen aus oder beantwortete sie
geheimnißvoll. Einige seiner Feinde haben dieselben der
Epilepsie zugetheilt, allein fromme Moslemen erklären, daß sie
Erscheinungen des Prophetenthums gewesen seien, denn die
Eingebungen des Allerhöchsten, sagen sie, begannen, obschon
noch unbestimmt, in seinem Geiste bereits zu dämmern, und sein
Verstand mühte sich mit Begriffen ab, welche für die Denkkraft
des Sterblichen zu groß sind. Endlich, sagen sie, wurde das,
was bis hieher in Träumen dunkel angedeutet worden war, durch
eine Engelerscheinung und eine göttliche Ankündigung offenbar
und deutlich.
Es war in dem vierzigsten Jahre seines Alters, als diese
berühmte Offenbarung statt fand. Von arabischen
Schriftstellern werden darüber Erzählungen mitgetheilt, als
wenn sie dieselben von seinen eigenen Lippen empfangen hätten,
und es wird in gewissen Stellen des Korans darauf angespielt.
Er verlebte, wie es seine Gewohnheit war, den Monat Ramadan in
der Höhle des Berges Hara, indem er durch Fasten, Gebet und
stilles Nachdenken die Gedanken zur Betrachtung der göttlichen
Wahrheit zu erheben sich bemühte. Es war in der Nacht, welche
von den Arabern Al Kader, d. i. der göttliche Rathschluß,
genannt wird; eine Nacht, in welcher nach dem Koran Engel auf
die Erde niedersteigen, und Gabriel die Rathschlüsse Gottes
herabbringt. Während dieser Nacht ist Friede auf der Erde, und
eine heilige Ruhe beherrscht die ganze Natur bis zum Anbruche
des Morgens.
Als Mohammed, um die Nacht schweigend zu durchwachen, in
den Mantel gehüllt dort lag, hörte er eine ihn rufende Stimme;
er entblößte sein Haupt, und ihn überströmte eine Lichtfluth
von so unerträglichem Glanze, daß er in Ohnmacht fiel. Bei
Wiedergewinnung des Bewußtseins sahe er einen Engel in
menschlicher Gestalt, welcher sich aus einer Entfernung
nähernd ein mit Schriftzügen bedecktes Stück Seidenzeug
entfaltete. »Lies!« sagte der Engel.
»Ich kann nicht lesen!« erwiderte Mohammed.
»Lies!« wiederholte der Engel, »in dem Namen des Herrn,
welcher alle Dinge geschaffen hat, welcher den Menschen aus
einem Blutklumpen erschuf. Lies im Namen des Allerhöchsten,
welcher dem Menschen den Gebrauch der Feder lehrte, welcher in
dessen Seele den Strahl der Erkenntniß fallen läßt und ihn
lehrt, was er zuvor nicht wußte.«
Hierauf fühlte Mohammed sogleich die Erleuchtung seines
Verstandes durch himmlisches Licht und las, was auf dem
Seidenstoffe geschrieben stand; er enthielt die Rathschlüsse
Gottes, die er nachher im Koran bekannt machte. Als er die
Durchlesung beendigt hatte, rief der himmlische Bote: »O
Mohammed, du bist in Wahrheit der Prophet Gottes und ich bin
sein Engel Gabriel.«
Mohammed kam, wie uns erzählt wird, zitternd und
erschüttert des Morgens zu Khadidschah, ohne zu wissen, ob
das, was er gehört und gesehen hatte, wirklich in Wahrheit
beruhte, sowie daß er ein Prophet wäre, berufen zur Ausführung
der Reform, welche so lange der Gegenstand seines Nachdenkens
gewesen war, oder ob es nicht eine bloße Vision, eine
Täuschung der Sinne, oder etwas Schlimmeres als Alles, nämlich
die Erscheinung eines bösen Geistes gewesen sein könnte.
Khadidschah jedoch sah jede Sache mit dem Auge des Glaubens
an, mit dem Vertrauen eines liebenden Weibes. Sie erkannte in
dem Vorgange die Erfüllung der Wünsche ihres Gatten, und das
Ende seiner Verzückungen und Entbehrungen. »Erfreuliche
Nachrichten bringst du!« rief sie aus. »Bei dem, in dessen
Hand Khadidschahs Seele ist, ich will dich von nun an als den
Propheten unsers Volkes betrachten. Freue dich,« fügte sie
hinzu, als sie ihn noch am Boden liegen sah, »Allah will nicht
dulden, daß du in Schande fallest. Hast du nicht deine
Verwandtschaft geliebt, bist du nicht freundlich gegen deine
Nachbarn, barmherzig gegen die Armen, gastfreundlich gegen die
Fremden, treu deinem Worte und stets ein Vertheidiger der
Wahrheit gewesen?«
Kadidschah eilte, das, was sie gehört hatte, ihrem Vetter
Waraka, dem Uebersetzer der heiligen Schrift, mitzutheilen,
der, wie wir gezeigt haben, Mohammeds Hausorakel in
Religionssachen gewesen war. Dieser wurde sofort dafür
gewonnen und mit Ungestüm rief er bei dieser wundervollen
Ankündigung aus: »Bei dem, in dessen Hand Warakas Seele ist,
du sprichst wahr, o Khadidschah. Der Engel, welcher deinem
Gatten erschienen ist, ist derselbe, welcher in den Tagen der
Vorzeit zu Moses, dem Sohne Amrams, gesendet wurde. Seine
Verkündigung ist wahr. Dein Gatte ist in der That ein
Prophet!«
Die eifrige Zusprache Warakas soll mächtig eingewirkt
haben, Mohammeds zweifelvolles Gemüth zu stärken.
Anmerkung. Man hat vielfältig die Behauptung aufgestellt,
daß Mohammed an Epilepsie (fallende Sucht) gelitten habe. Ein
namhafter Schriftsteller der neuesten Zeit, Doctor Gustav Weil
in Heidelberg, hat diese Angabe als Verleumdung der Feinde
Mohammeds und christlicher Schriftsteller bezeichnet. Diese
Krankheit scheint jedoch durch Mittheilungen der ältesten
moslemischen Geschichtsschreiber, welche sich auf Erzählungen
von glaubwürdigen Personen aus Mohammeds Umgebung berufen,
hinlänglich bestätigt zu werden. Oefters wurde er, sagen sie,
von einem heftigen Zittern ergriffen, dem eine Art Ohnmacht,
oder richtiger Convulsion (Zusammenziehung der Muskeln)
folgte, und in diesem Zustande strömte selbst im kältesten
Winter Schweiß von seinem Gesichte; die Augen waren
geschlossen, dem Munde entquoll Schaum, und er brüllte wie ein
junges Kameel. Seine Lieblingsfrau Ayescha und sein treuer
Anhänger Zeid werden unter den Personen aufgeführt, welche
diese Erscheinung bezeugen. Sie waren der Meinung, daß er in
diesem Zustande eine Offenbarung erhielte. Dergleichen Anfälle
hatte er jedoch in Mekka, bevor ihm der Koran offenbart wurde.
Khadidschah befürchtete, daß er von bösen Geistern besessen
wäre, und würde, wenn er es ihr nicht verboten hätte, einen
Beschwörer zu Hülfe gerufen haben, um sie auszutreiben. Er
hatte es nicht gern, daß er während dieser Anfälle von Jemand
gesehen wurde. Seinen Gesichten gingen jedoch nicht immer
solche Anfälle voraus. Hareth Ibn Haschem fragte ihn einmal,
wie erzählt wird, in welcher Weise die Offenbarungen
geschähen. »Oft«, entgegnete er, »erscheint mir der Engel in
menschlicher Gestalt und spricht mit mir. Bisweilen höre ich
Töne wie das Geklingel einer Schelle, aber ich sehe Nichts.
(Klingen in den Ohren ist ein Zeichen der Epilepsie.) Wenn der
unsichtbare Engel sich entfernt hat, so bin ich von dem, was
er geoffenbart hat, erfüllt.« Einige seiner Offenbarungen
wollte er unmittelbar von Gott empfangen haben, andere in
Träumen, denn die Träume der Propheten, pflegte er zu sagen,
sind Offenbarungen.
Der Leser wird diese Anmerkung nützlich finden, indem sie
einiges Licht auf die räthselhafte Laufbahn dieses
außerordentlichen Mannes wirft.