Der Islam im Dialog

Der Islam im Dialog - Aufsätze

Prof. Abdoldjavad Falaturi

Inhaltsverzeichnis

Islam und Moderne — eine Religion in der Defensive oder im dynamischen Aufbruch?

L.: ... ich heiße Sie alle herzlich zur ersten Veranstaltung einer neuen Reihe von Vorträgen und Seminaren willkommen. Diese sind einem hochaktuellen, sondern auch - und zwar auf lange Sicht - zentralem Thema gewidmet, nämlich dem Islam in einer multikulturellen Gesellschaft. Das Miteinander, Nebeneinander und leider auch das Gegeneinander von Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen ist für viele von uns inzwischen täglich gelebter und erlebter Alltag geworden. In Köln beispielsweise haben wir heute über 160.000 Ausländer, ein Viertel mehr als vor 10 Jahren, fast 17 % der Bevölkerung, fast jeder dritte Jugendliche hat ausländische Eltern. Diese verkörpern eine große Vielzahl kultureller Werte und Traditionen, die nicht selten, weil ungewohnt, als fremd und bedrohlich empfunden werden. Nun heißt multikulturell oft ganz wesentlich multireligiös und dies bedeutet in der Praxis vor allem, und zwar nicht nur für Köln, christlich und muslimisch. Nach Protestanten und Katholiken stellen in Deutschland die Muslime — lässt man die unterschiedlichen Richtungen außer Betracht — die drittgrößte religiöse Gruppierung dar. In der Bundesrepublik leben etwa 1,8 Mio. Muslime (Band abgeschaltet)

Prof. Falaturi:

... ich werde Sie nach so viel Lob nicht enttäuschen, denn ich bin seit gestern abend auf der Reise von St. Augustin nach Nürnberg. Ich bin gerade aus Nürnberg angekommen. Jetzt muss ich hier einen Vortrag halten, ich muss, heißt, ich tue dies gerne, aber manchmal übersteigt manches die menschlichen Kräfte. Dadurch, dass ich Ihre freundlichen Gesichter sehe, versuche ich mich doch zu motivieren. Meine Damen und Herren, ganz besonders die letzten Ereignisse in diesem Jahr haben die Religionen aus zweierlei Gründen interessant gemacht; einmal aus dem Grunde, ob tatsächlich die Religionen es sind, die an allem schuld sind, wie

ganz schnell angenommen wird, und zum zweiten, ob man doch bei den Religionen einen Weg, einen Ausweg aus dieser Krise findet, die, die gesamte Menschheit bedroht. Ich möchte einen Vergleich machen: In diesem Vergleich werden ihnen beide Fragen beantwortet. Ich charakterisiere die drei Religionen Judentum, Christentum und Islam so kurz wie folgt:

Judentum in seinem Ansatz als Befreiungsreligion, Christentum als Religion der Liebe, Islam als Religion des Friedens.

Dennoch sehen wir alle, dass man keine Zeit übrig ließ, indem man diese drei Religionen, im Gegensatz zu ihren Ansätzen, mit Feindbildern gegeneinander instrumentalisiert hat.

Das geschah in der Vergangenheit, das geschieht heute, das wird auch in Zukunft geschehen, solange machtpolitische Interessen die Welt beherrschen. Nach dieser Bemerkung gehe ich zu meinem Vortrag über. Weil ich nicht weiß, wieviel ich voraussetzen kann, möchte ich doch einige Daten hier angeben:

Der Islam steht und fällt mit Muhammad. Muhammad ist 570 n. Chr. Geboren. 610 n. Chr. bekommt er von Gott den Auftrag den Islam zu verkünden, Mitte 622 n. Chr. findet die Auswanderung von Mekka, seiner Heimatstadt, nach Medina statt und 632 n. Chr. starb er in Medina.

Fachlich teilen wir die Zeit in mekkanische und in medinenische Zeit ein. Innerhalb dieser Zeit, also 23 Jahre, ist der Koran nach und nach immer situationsentsprechend verkündet worden. Der Koran ist kein Buch, das irgendwie von ihm geschrieben und dann vorgelegt wurde, sondern nachweislich wurden immer situationsentsprechend bestimmte Verse verkündet.

Soweit zu den Bemerkungen über die Zeit des Propheten. Danach schließt sich eine weitere, für die islamische Welt wichtige, Periode an. Dies ist die Zeit der sogenannten rechtgeleiteten Kalifen (sogenannt nur, damit Sie mit dieser besonderen Bemerkung eine Meinungsverschiedenheit aufnehmen — nicht als Abwertung zu verstehen), d.h. das ist die Zeit von 632 bis 661. Sowohl die Zeit des Propheten als auch diese Zeit, ist nach dem Empfinden der Muslime in der Vergangenheit und heute noch eine Zeit, die man am ehesten als eine islamische Zeit bezeichnen kann. Von 661 bis 748 beginnt eine weitere Periode, die man Ummayadenzeit nennt. Diese Zeit wird gekennzeichnet dadurch, dass die Ummayaden im Gegensatz zu ihren Vorfahren, analog zum iranischen und byzantinischen Reich ein islamisches Imperium gegründet haben.

Hier fängt eine ganz andere Periode, fangen ganz andere Verhältnisse an, die wir nicht als ganz religiös bezeichnen können. 748 — 1250 beginnt dann die Abbassidenzeit, die Zeit der Abbassidenherrschaft, die sich nicht nur auf den Irak beschränkte, sondern über die islamischen Gebiete erstreckt. Mit dem Untergang der Abbassiden zerfällt die islamische Welt, das islamische Reich, wenn Sie so wollen, in mehrere kleinere und größere Staaten. 150 Jahre später, also Mitte des 14. Jahrhunderts kommen die Türken an die Macht und diese Herrschaft der Osmanen reichte bis in den Anfang unseres Jahrhunderts hinein.

Parallel zum Osmanischen Reich gab es große Reiche im Iran und auch in Indien. Die sind später entstanden, aber sie waren in der Stärke genauso beachtlich. Geographisch gesehen umfasst die islamische Welt Gebiete von Marokko bis tief nach Indonesien. Man spricht heute von einer Milliarde Muslime. Wir in Europa, wenn wir vom Islam reden, denken nur an Araber, Türken und Perser. Das auch nur, wenn dort etwas geschieht. Öl oder sonst etwas, Krieg oder andere Dinge führen

uns dazu, von diesen Ländern zu sprechen. Vom Islam in anderen Ländern, asiatischen Ländern spricht man überhaupt nicht, man weiß auch nicht, wie sie leben, wie ihr Islam aussieht. Gut so. Das ist halt eine Geschichte. Gesellschaftlich gesehen, gehe ich jetzt wieder zum Anfang der islamischen Zeit zurück, und das ist erforderlich, um zentrale Glaubensinhalte des Islam zu erklären. Gesellschaftlich gesehen, befand sich Muhammad in einer Zeit, die sowohl innerhalb der arabischen Halbinsel, wie auch außerhalb, von Streit und Krieg bestimmt war. Innerhalb der Arabischen Halbinsel kann man von einem mehr als 100jährigem, wenn nicht gar 150jährigem Krieg und Stammesfehden, sprechen. Ihr Leben bestand praktisch daraus. Manche sagen, Krieg war für sie ein Sport, das könnte auch sein. Jedenfalls war dies ihr Lebensinhalt.

Außerhalb der Arabischen Halbinsel müssen wir von zwei großen Imperien sprechen, einmal Byzanz und Iran. Äthiopien ist zwar ein selbständiges Land gewesen, hat aber immer mit Byzanz kooperiert, das kann man schwer als selbständig bezeichnen. Wichtig ist für uns, dass die Arabische Halbinsel als Kolonie der beiden großen Mächte galt.

Wenn Iran im Krieg gegen Byzanz gewann, waren die meisten Teile von Arabien iranisch. Wenn Byzanz gewann, waren sie byzantinisch. Und genau wie wir heute sehen, auch in der Vergangenheit gab es Kolonialherren. Beide Kolonialherren hatten ihre langen Hände in diesem Gebiet.

Die Byzantiner waren mit den Ghassaniden verbündet. Diese umfassten mehrere arabische Stämme und waren Christen, jakobitische Christen, Monophysiten, die aber stets mit Byzanz kooperiert haben und wenn Byzanz gewann oder die Iraner schwächen wollte, hat es gerade diese Gruppe mobilisiert.

Umgekehrt hatte Iran auch seine verbündeten Gruppen da. Es waren Juden, es waren aber auch nestorianische Christen. Letztere hatten ihre Hauptzentren, die tief in den Iran hineinreichten und sich sogar bis nach Indien erstreckten. Sie waren Vasallen des iranischen Königsthrons. Jedenfalls haben sie immer dem Iran geholfen, indem sie den Byzantinern Schwierigkeiten machten. Nun, in so einer Zeit entsteht der Islam. Wie ist das mit den geistigen Strömungen in diesem Land gewesen? Es gab keine Statistiken, aber kann sagen, dass die Araber wenigstens zu 80 % Polytheisten = muschrikun waren.

Die Polytheisten hatten mehrere Götter und jeder Stamm hatte seinen eigenen Gott, wenn nicht zwei oder drei. Mehrere Stämme zusammen hatten noch einen größeren Gott, und dann ging es einfach hierarchisch bis zur höchsten Gottheit aufwärts.

Aber, wie ich angedeutet habe, lebten auf der Arabischen Halbinsel auch Christen, zweierlei Christen, Monophysiten im Norden und Nestorianer im Süden. Neben den Christen lebten mehrere Stämme von Juden, überwiegend in Medina. Muhammad ist

nach dorthin ausgewandert. Diese Gruppen von Juden und Christen haben in Südarabien stets gegeneinander gekämpft.

Ein Jude, Abu Nawas, kam an die Macht und hat die Christen bis zur Paralysierung ausgebeutet. Die Reaktion kam aus Äthiopien. Die Christen intervenierten und haben die Juden ausgerottet.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, das was wir heute erleben, das ist nicht neu, das ist immer so gewesen und das wird auch leider, solange die Menschheit nicht zur Besinnung kommt, weiterhin so bleiben. Dann gab es Kriege unter den Arabern und Juden selbst. Nicht, dass die Araber unbedingt gegen Juden waren, nein, das waren Stammesfehden, manchmal haben Juden und Araber zusammen gegen andere Araber oder gegen andere Juden koaliert.

Es ging um Kämpfe der Stämme gegeneinander, um wen oder was, das war Nebensache. Hauptsache kämpfen. Zu den geistigen Strömungen dieser drei Religionen Christentum, Judentum und Polytheismus, waren auch zoroastrische und manichäische geistige Strömungen hinzugekommen, die vom Iran aus zur Arabischen Halbinsel gelangten. Solche Gesellschaften, solche Gemeinschaften gab es innerhalb der Arabischen Halbinsel und außerhalb der Arabischen Halbinsel. Dann kam Muhammad.

Er musste mit Sicherheit jahrzehntelang diese Szenen erlebt haben. Was man gar nicht beachtet, Muhammad gehörte zu einer Familie, die direkt für damalige Mekkabesuche oder Wallfahrten der Polytheisten zuständig war; diese Mekkawallfahrt gab es immer. Und diese Familie war zuständig für die Versorgung der Gäste, also mehr oder weniger eine geistige Aufgabe. Es ist ganz offensichtlich, dass in dieser Familie die Konfrontation mit Religionen, religiösen Sitten und Gebräuchen selbstverständlich gewesen ist.

Und von Anfang an, 610, als er die aller ersten Verse seiner Offenbarung, noch im engeren Kreis seiner Familie verkündete, war es so, dass er sich ganz eindeutig und klar für den Monotheismus und gegen den Polytheismus aussprach. Bitte, wichtig: Denken Sie an das Phänomen, Monotheismus und Polytheismus. Dieser Tauhid, dieser Monotheismus, ist von Beginn an bis zum Schluss seiner Offenbarung der Kernbestandteil seiner Lehre geblieben. Es gibt nichts Größeres in der islamischen Lehre als den Monotheismus als Kernbestandteil dieser Lehre. Das hatte Folgen. Diese Folgen waren sehr weitreichend. Er hat sich immer wieder für alle die Religionen ausgesprochen, die diesen Monotheismus beinhalteten. Ganz klar natürlich Judentum und Christentum, aber nicht nur das.

Es wird immer wieder im Koran, wenn er auch unhistorisch ist, behauptet, dass Gott zu allen Völkern Gesandte geschickt hat. Und der Inhalt dieser Offenbarung war immer der Monotheismus. Und dieser Monotheismus ist nach der koranischen Formulierung Islam. Islam bedeutet nicht, meine Damen und Herren, nur die Lehre von Muhammad. Islam bedeutet Anbetung eines einzigen Gottes, die nach koranischer Auffassung die einzige Möglichkeit der Begegnung des Menschen mit Gott ist.

Religion und Religiosität, solange sie Gott als Zentrum hat, kann nur in der Weise vonstatten gehen, dass der Mensch Gott begegnet und zwar unmittelbar. Diese unmittelbare Begegnung geschieht auch immer wieder im Koran, denn er will nur Mensch und Gott haben, jede andere Vermittlung stört diesen absoluten Monotheismus. Das ist verständlich. Hier möchte ich etwas ganz besonderes für uns, also für all diejenigen, die hier der christlichen Lehre anhängen, sagen. Es ist selbstverständlich, dass der Koran Jesus nicht als Mittler und Vermittler ansieht, dennoch hat Jesus im Koran das größtmögliche Ansehen, die eine Person haben kann. Die Attribute, die Jesus hat, kommen keinem anderen zu, nicht einmal Muhammad selbst.

Alles, was die Christen sagen, Geist Gottes, Wort Gottes, diese metaphysische Art und Weise der Schwangerschaft Marias und Geburt, all das wird im Koran zugegeben. Nur eins nicht, dass Jesus der Sohn Gottes und gottgleich ist.

Das wird im Koran nicht akzeptiert. Der vertritt eine ganz andere Christologie, die in sich schlüssig ist und zwar sehr würdevoll, so dass man wenigstens ein bisschen darüber nachdenken und sich nicht so schnell daran stören sollte. Dass der Koran nicht Jesus als Sohn Gottes bezeichnet, sehen Sie daran, dass so eine große Gestalt nicht gekreuzigt werden konnte. Jesus ist dem Koran nach nicht gekreuzigt worden. Die historische Tatsache, dass es eine Kreuzigung gab, bestätigt der Koran, aber an die Adresse der Juden sagt er, sie behaupteten, sie hätten Jesus gekreuzigt, aber das sei nicht so gewesen, die Sache sei ihnen nur so erschienen, denn ein anderer sei in Jesu Gestalt gekreuzigt worden.

Der Koran kann bei dieser Würdigung der Person Jesu nicht einfach zugeben, dass er von Menschen dieser Art überhaupt gekreuzigt werden konnte. Auf eine viel würdigere Art und Weise wird dann Jesu zu Gott emporgehoben. Im Koran steht ... „wir werden dich sterben lassen und wir nehmen dich zu uns." Nur ein einziges Mal wird im Koran in einer solchen Form gesprochen, d. h. ein Mensch oder eine Kreatur wird zu Uns genommen, zu Gott im Himmel.

Das ist nicht wenig, meine Damen und Herren, Sie möchten sich bitte nicht daran stören, dass diese islamische Christologie nicht direkt mit der christlichen Christologie übereinstimmt. Denken Sie daran, welche Christologie der Koran vertritt. Nach koranischer Auffassung ist sie eine großartige Würdigung der Person Jesu und auch der Marias. Die Muslime haben mit ihrer Christologie nicht weniger Probleme als die Christen.

Denn wie Maria überhaupt das Kind bekam, wie es geboren wurde, wie Jesus mit seiner Mutter, als er im Leib der Mutter war, gesprochen hat und wie er, nachdem er geboren wurde, in der Wiege mit den Leuten, die vor Maria standen und ihr vorwarfen, woher sie dieses Kind hat, wie dieses Kind in der Wiege mit den Leuten gesprochen hat und gesagt hat, er sei Jesus, Sohn von Maria und Gesandter Gottes für euch, er käme mit dem Buch und der Weisheit. All diese Sachen können die Muslime weder empirisch noch logisch nachweisen, genauso wenig die Christen mit ihrer Christologie.

So sieht die Offenbarung für die Muslime aus, aber ich wollte ihnen nur sagen, dass auch die Muslime es sich nicht ganz so leicht machen und einfach sagen, die Christen könnten nicht behaupten und nicht beweisen, dass er es nicht ist. Es handelt sich hier um Offenbarung gegen Offenbarung, Meinung gegen Meinung. Das soll kein Grund sein, die Leute oder die beiden Völker auseinander zu bringen. Meine Damen und Herren, hier gibt es etwas Wichtiges, und dann verlasse ich dieses Thema. Wichtig insofern, dass etwas Ideelles hinter dieser Vorstellung liegt. Der Mensch ist nach der koranischen Auffassung auch selbstverständlicher weise gottausgerichtet geboren. In jedem Menschen herrscht, egal wie und wann, die Urreligion, die Gottesausrichtung = Din al-fixrah.

Ich spreche von der natürlich veranlagten Religion, nicht Naturreligion, bitte nicht, d. h. von Natur aus, von der Schöpfung aus, ist dieser Kern im Menschen vorhanden: nach der Geburt, in der Gesellschaft, usw., dann kann das in diese oder jene Richtung gehen. Also, hier korrespondiert die monotheistische naturgemäße Anlage des Menschen mit den Offenbarungen, von denen Muhammad sprach, nämlich mit allen Offenbarungen, die, die Menschen zum Monotheismus hinführen wollen. Das ist der Kern, die Lebensmitte des Islam. Diese Lebensmitte, die Muhammad oder im Koran Huda = Rechtleitung genannt wird. Die Rechtleitung ist die Aufgabe der Gesandten gewesen. Was heißt Rechtleitung? Die Menschen zu dem einen einzigen Gott führen. Also Rechtleitung als Inhalt der Botschaft und Gottausgerichtetheit als Natur des Menschen. Diese korrespondieren miteinander, weil der Mensch alleine nicht in der Lage ist, sich selbst zu orientieren.

Er braucht Hilfe und Gott, der die Menschen geschaffen hat, aus Gründen der Barmherzigkeit. Gott hatte von Anfang der Schöpfung an dem Menschen diese Botschaft mitgegeben. An wen? An unseren Großvater Adam. Adam ist insofern für

den Islam der erste Gesandte, der erste Prophet. Nicht unbedingt der Sündige. Ich komme dann dazu, wenn wir über die Sünde Adams sprechen. Der hat gesündigt, das ist klar, aber er hat bereut, und Gott hat ihm vergeben.

Hier treffen wir mit der christlichen Christologie und der christlichen Vorstellung zusammen. Im Christentum kann diese Sünde nicht als solche einfach vergeben werden, es braucht eine Erlösung. Jesus hat diese Funktion des Erlösers. Das ist der wesentliche Inhalt der christlichen Lehre, wenn man davon ausgeht, dass Sündhaftigkeit eine Wesensbestimmung des Menschen ist. Diese muss natürlich auch auf eine metaphysische Art und Weise erlöst werden. Im Islam gibt es diese Voraussetzung, gibt es dieses Bedürfnis nicht, deshalb fehlt auch die Erlösung, deshalb kann sich Jesus überhaupt nicht für die Menschen geopfert haben. Das ist der gravierende Unterschied, aber was für ein gravierender. Das ist klar. Das heißt, dass wir jeweils das Wesen dieser und das Wesen jener Religion haben. Davon abgesehen, bleibt dann als zweiter Glaubensartikel, der Glaube an die Gesandtschaft, also neben dem Glauben an Gott. Wie ich gesagt habe, kommt man mit diesen Erläuterungen, die ich Ihnen gegeben habe, über die Notwendigkeit der Botschaft zur Gesandtschaft oder zum Prophetentum als zweiten wichtigen Glaubensinhalt, Glaubensartikel.

Der dritte Glaubensartikel ist weniger problematisch, da können sich alle Religionen gut verstehen, denn er handelt vom Jenseits, vom Glauben an das Jenseits. Da hat man bis jetzt zum Glück nie diesen Glaubensinhalt monopolisieren können, es sei denn, wenn man wüsste, dass man im Jenseits mehr Gewinn hätte. Also, das ist eine Sache, woran fast alle monotheistischen Religionen glauben. Wie dieses Jenseits aussieht, ist unterschiedlich. Aber das ist unerheblich. Trotzdem ist und bildet es ein Glaubensartikel.

Das sind diese Glaubensartikel, also, ich wiederhole:

Gott, Prophetentum bzw. Gesandtschaft und Jenseits. Das sind die drei Hauptartikel, an denen alle islamischen Richtungen festhalten. Egal, ob Sunnit oder Schiit, Ismailit, oder, oder, oder. Das sind Sachen, woran alle Richtungen festhalten und das ist vielleicht auch die Stärke des Islam, das sind diese Kardinalfragen, über die sich alle einig sind. Eine weitere Inhaltsbestimmung, gerade für die christlichen Zuhörer, ist die Charakterisierung der islamischen Lehre dahingehend, dass, wenn ein Mittler und Vermittler fehlt, dies auch in der Praxis eine Wirkung haben muss.

Beim Christentum hat man durch Mittler und Vermittler eine Vorstellung entwickelt, nach Nietzsche ist dies von Platon, aber gut, sagen wir einmal christlich, dass man von einer sakralen und einer profanen Welt redet. Von Platon insofern, als dass er von einer wahren Welt und einer Scheinwelt redet. Die sakrale Welt braucht hier, das ist auch bei den Juden der Fall, einen Wächter, die Wächter dafür sind die Priester. Die Folge ist, dass man dann mehrere sakrale Handlungen von der Geburt des Kindes bis über Heirat und Tod hat. Diese sind sakrale Handlungen.

Im Islam gibt es das nicht, weil es auch keinen Vermittler gibt. Diese Trennung zwischen Sakralem und Profanem gibt es nicht. Das ist kein Mangel, manche glauben das. Nein, das macht sogar das Leben der Muslime schwieriger, weil es keine profanen Handlungen gibt, die dem Sakralen gegenübergestellt werden. Die Folge davon ist, dass alle sogenannten profanen Handlungen höher in Richtung Gott, gehoben werden. Sie sind nicht sakral, aber sie müssen in Gottausgerichtetheit, d.h. zum Wohlgefallen Gottes vollzogen werden, so dass dann normale Handlungen plötzlich eine moralische Dimension bekommen können, aber nicht brauchen. Also, hier sehen Sie eine gewisse äußere Handlung, die mit einer Verinnerlichung miteinander verbunden wird. In diesen Einheitsgedanken, die wiederum von dem Monotheismus abhängen, in dieser Einheitsvorstellung passiert folgendes:

Alle gesellschaftlichen Tätigkeiten werden in eine göttliche Richtung gelenkt, d. h., die sozialen Handlungsweisen sind nicht nur moralisch, sondern sind gottesdienstliche Handlungen. Der Muslim, wenn er wirklich Muslim ist und sich wirklich daran hält, ist nicht nur daran gehalten, zu beten, zu fasten und die Mekkawallfahrt zu machen, sondern ist auch daran gehalten, die Gesellschaft gesund zu halten.

Jeder ist für den Erhalt einer gesunden Gesellschaft verantwortlich. Zu Muhammads Zeit gab es nicht diese Trennung zwischen Kaiser und Kirche, so dass man sagte, man soll dem Kaiser das geben, was ihm gehört und der Kirche auch, nein, das gab es nicht, diese Trennung war unvorstellbar. Jeder war selbst, als noch die Stammesreligionen herrschten, für den gesamten Stamm verantwortlich, und dies ist genauso in den Islam aufgenommen worden. Alle Menschen sind verantwortlich für den Erhalt der Gesellschaft. Aus dieser Verantwortung heraus, meine Damen und Herren, geschah folgendes:

Nachdem Muhammad starb, kamen die Leute zusammen und fragten, wer jetzt diese Gesellschaft führen solle. Die Führung oblag allen. Praktisch musste jeder Muslim dafür verantwortlich sein. Das war nicht möglich. Sie mussten aus ihrer Mitte einen wählen und haben gewählt. Wie diese Wahl vor sich gegangen ist, ob einfach ob, widerspruchslos oder nicht, das ist eine andere Sache. Wichtig ist für uns das Ereignis, das ich erzähle. Man hat Abu Bakr als ersten Kalifen gewählt und jetzt tauchte ein Problem auf. Dieses Problem, das ich Ihnen jetzt erzähle, damit Sie sehen, was überhaupt, wenn man von Staat und Religion im Islam redet, gemeint ist. Das ist nicht Einheit von Staat und Religion in dem Sinne, dass jeder Herrscher, ob Muslim oder nicht, befugt ist, den islamischen Staat zu führen, das ist es absolut nicht, das ist, was wir hier falsch verstehen.

Schuld daran sind die Muslime selbst. Als Abu Bakr dieses Amt übernahm, fragte man, wie soll er weiter leben, denn bis dahin hatte er als Bauer, als ein Mensch, der Dattelbäume hatte, und Dattelbäume pflegte, gelebt. Das waren Zeiten, meine Damen und Herren, das kann man als ein Geschichtsmärchen schreiben und sich daran freuen.

Er kam und besaß nichts. Diskussion darüber: er darf auch kein Geld dafür nehmen, meine Damen und Herren, nehmen Sie dies richtig auf. Er durfte für dieses Amt kein Geld nehmen. Warum? Weil dieses Amt eine Obligation war. Obligation insofern, dass alle Muslime das praktisch machen mussten, diese Führung, sie haben sie auf eine Person übertragen, das ist eine obligatorische Handlung und für eine Obligation bekommt man kein Geld. Was geschah? Dann haben die größten Männer, zu denen auch drei weitere Kalifen gehörten, sich zusammengetan, sich entschieden für diese Lösung:

Er darf aus der Staatskasse nur so viel nehmen, wie er als ein einfacher Mensch zum Leben braucht. Seine Residenz war die Moschee, sein Haus war wie jedes andere. So eine Verbindung zwischen Verantwortung für die Gesellschaft und Religion ist legitim und ist auch sogar obligatorisch. Das ist, meine Damen und Herren, wenn man sagt, Staat und Gesellschaft. Das Wort Staat soll man überhaupt nicht sagen. Das ist eine Gesellschaftsführung, das musste jeder tun und das haben sie auch getan. Der Kalif war nicht als Herrscher überhaupt über die anderen tätig. Im Gegenteil. In aller Offenheit, von Anfang an, hat er gesagt: „Wenn ich mich irre, sagt es mir. Erinnert mich daran." Nun ist nicht bekannt, inwieweit das richtig ist; jedenfalls es ist sehr interessant, dass ein Araber aufstand, sein Schwert zog und sagte: „Wenn du David wärest, wir werden dich zum Rechten ermahnen."

So eine Gesellschaft gab es damals, aber leider, das Leben einer solchen Gesellschaft war zu kurz. Wie gesagt, spätestens 661 begann die ummayadische Herrschaft. Das hat seine eigene Bewandtnis, warum gerade die Ummayaden, warum sie kamen, wieso und weswegen. Das liegt in der Geschichte ganz weit zurück, in der vorislamischen Zeit.

Die islamische Herrschaft war nicht mehr islamisch, zumindest nicht mehr koranisch wie in der Zeit der vier Kalifen. Man hat von einer richtig islamischen Herrschaft Abschied genommen und dann eine weltliche Herrschaft, wie sonst jede andere mit allen Lastern und allen Vorteilen, errichtet. Mit Hinrichtungen, mit Unterschlagungen, mit allem möglichen, was wir uns vorstellen können. Die islamische Welt hat seitdem nicht mehr diese ideale Vereinbarung zwischen Religion und Staatsführung erlebt. Man hat immer wieder versucht, sich danach zu richten, zumindest führt man dies immer noch als Grund an, um gegen die Herrscher zu opponieren.

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