Der Islam im Dialog

Der Islam im Dialog - Aufsätze

Prof. Abdoldjavad Falaturi

Inhaltsverzeichnis

Spannungsfelder

Was die Spannungsfelder anbetrifft, so handelt es sich innerhalb der Religionen in der ersten Linie um das Spannungsfeld zwischen dem Anspruch der verkündeten Lehre und der alltäglichen Verhaltensweise ihrer Anhänger. Ich vermeide hier bewusst, dieses Phänomen als Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit der jeweiligen Religion zu bezeichnen. Die Wirklichkeit einer Religion ist die vollständige Verwirklichung derselben. Die landläufige Formulierung „Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit" ist unkorrekt, ja falsch, wenn man mit der Wirklichkeit die Abweichung von der Lehre im Auge hat. Wir sind bei den Dialogveranstaltungen oft Zeuge dieser Verwechslung. Man redet vom Islam oder vom Christentum positiv oder negativ und meint damit die Taten ja ganz deutlich, d. h. die mit dem Islam- oder Christentum unvereinbaren Taten ihrer Anhänger.

Es geht hier keineswegs um die Beschönigung der Religionen und deren Freisprechung von Problemen. Nein! Es geht lediglich um die Notwendigkeit der Einhaltung der gleichen Ebene bei jedem Dialog, wenn dieser von einer Erfolgsabsicht getragen werden soll.

Ein weiteres Spannungsfeld, das nicht minder zum Vertauschen verschiedener Ebenen führt, ist das zwischen der Lehre und dem sich daraus unvermeidlich entwickelten Volksglauben.

Es ist nicht gemeint, dass man den Volksglauben als falsch zurückweisen soll. Nein. Es ist sogar interessant, auf der Ebene der interreligiösen Volksglauben oder sogar Aberglauben Dialoge zu führen, um den Gründen und der Art dieser Phänomen nachgehen zu können, vorausgesetzt, dass sich dabei bei dem einen oder bei dem anderen kein Ebenentausch einschleicht.

Ein weiteres, ebenso unvermeidbares Spannungsfeld ist das zwischen der Lehre und dem wissenschaftlichen Umgang damit. Jede Lehre - jüdische, christliche, islamische usw. Lehre - gibt von sich aus Anlass zu verschiedenen Ansätzen: Interpretationsansätze. Das ist - im Unterschied zu einer Philosophie, die möglichst widerspruchsfrei sein soll, - die positive Eigenart der Offenbarungstexte, die durch ihre konkrete - nicht abstrakt gedachte - Lebensbezogenheit auf unterschiedliche Situationen, situationsgemäß und situationsgerecht reagieren und sogar unterschiedliche Aussagen über das gleiche Phänomen machen. Der Dialog wird mehr Erfolg erzielen, wenn es den Dialogpartnern gelingen würde, klarheitshalber historische Bezugssituationen zu rekonstruieren, anstatt mittels theologischer Spekulationen die Lage zu verkomplizieren und den Dialog in eine Sackgasse zu führen.

Ein recht störendes Spannungsfeld rührt von der aktuellen Weltpolitik her. Hier sind es die Anhänger dieser oder jener Religion, die im Einklang mit oder im Widerspruch zu dieser oder jener politischen Erscheinung im Namen ihrer Religion auftreten. Wegen ihrer Aktualität tauchen solche Erscheinungen bei vielen Zwiegesprächen vordergründig auf. Durch Ebenentausch und Undifferenziertheit bekommt das Gespräch eine verkehrte Laufbahn, vor allem dort, wo - wie angedeutet - eine ähnliche Absicht dahinter steckt.

Die Pro- und Kontraeinstellung der Muslime zum Aufruf Saddams zum jihad brachte den Islam und die Gespräche darüber in eine solch komplizierte Situation, obwohl weder das eine noch das andere - weder mit der Lehre des Islam noch mit dessen Praxis etwas zu tun hatte - es war ein rein politisches Phänomen im Rahmen der Beziehungen zwischen dem Westen und dem islamischen Orient.

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