Neuntes Kapitel - Religionswirren
(Anmerkung der
Enzyklopädie des Islam: Die hier erfolgenden Schilderungen
sind in keinster weise authentisch und können daher nicht als
Quelle für die Geschichte des Islam angesehen werden. Die
Wiedergabe dient nur dazu, um darzulegen, wie in der
Westlichen Welt auf den
Islam geblickt worden ist.)
Ursprung und Lehre der Paulicianer. –
Verfolgung derselben durch die griechischen Kaiser. – Empörung
in Armenien usw. – Verpflanzung nach Thrakien. – Verbreitung
im Westen. – Same, Art und Folgen der Reformation
Man kann in der Art, wie die einzelnen Nationen das
Christentum bekennen, ihre Charaktere erkennen. Die
Eingeborenen von Syrien und Ägypten verbrachten ihr Leben
müßig und in stiller Andacht. Rom strebte wieder nach der
Herrschaft der Welt; die lebhaften und geschwätzigen Griechen
waren dauernd in metaphysisch theologische Streitigkeiten
verwickelt. Statt daß man die unbegreiflichen Mysterien der
Dreieinigkeit und Menschwerdung schweigend hinnahm, wurde
darüber heftig und in spitzfindiger Art gestritten. Vom Konzil
zu Nicäa bis zum Ende des siebenten Jahrhunderts wurde der
Frieden und die Freiheit der Kirche durch diese geistlichen
Kriege gestört, die einen so großen Einfluß auf den Verfall
des Reiches hatten, daß der Geschichtschreiber genötigt ist,
die Beschlüsse der Synoden und die Glaubensbekenntnisse zu
studieren und die Sekten der damaligen Zeit aufzuzählen. Vom
achten Jahrhundert an verstummten die Religionsstreitigkeiten,
die Neugierde war erschöpft, die Eifrigen ermüdet und in den
Beschlüssen von sechs Konzilien waren die Artikel des Glaubens
unwiderruflich festgesetzt. Streitigkeiten, seien sie noch so
verderblich, erfordern wenigstens einige Kraft und Betätigung
der Seelenkräfte; die im Staube liegenden Griechen aber
begnügten sich zu fasten, zu beten und eine blinde
Unterwürfigkeit gegen die Patriarchen und Geistlichen an den
Tag zu legen. Die isaurischen Kaiser versuchten es in einem
nicht gut gewählten Zeitpunkt, ihre Untertanen aufzustacheln;
die morgenländische Welt sehnt sich jedoch inbrünstig nach der
Wiedereinführung der Bilder und feierte, als dies der Fall
war, ein großes Fest. Diese Übereinstimmung überhob die
kirchlichen Herrscher der Mühe, Verfolgungen von Ketzern in
die Wege zu leiten. Die Heiden waren verschwunden, die Juden
still und ohne Bedeutung, die Streitigkeiten mit den Lateinern
selten, und die ägyptischen und syrischen Sekten genossen
unter den arabischen Kalifen Duldung ihrer Religionsausübung.
Um die Mitte des siebenten Jahrhunderts wurde ein Zweig der
Manichäer ein Opfer der geistlichen Tyrannei, sie wurden bis
zur Verzweiflung und Empörung gereizt, und ihre Verbannung
bewirkte es, daß der Same der Reformation über den Westen
verbreitet wurde. Diese wichtigen Ereignisse rechtfertigen das
nähere Eingehen in die Lehre und Geschichte der Paulicianer.
Da diese nicht für sich selbst sprechen können, muß der
unparteiische Kritiker das Gute vergrößern und das Schlimme,
das von ihren Gegnern über sie verbreitet wurde, verkleinern
oder zumindest argwöhnen, daß es nicht in ganzem Umfang wahr
ist.
Die Gnostiker, die anfangs das Wachsen der Kirche behindert
hatten, wurden von ihr, als sie groß geworden war,
unterdrückt. Statt daß sie mit dem Reichtum der Kirche, der
Gelehrsamkeit und Zahl ihrer Anhänger wetteifern konnten,
wurden ihre wenigen Anhänger aus den Hauptstädten des Westens
und Ostens vertrieben und ließen sich in den Dörfern und
Gebirgen längs des Euphrats nieder. Einige Anhänger der
Marcioniten mag es noch im fünften Jahrhundert gegeben haben,
aber die zahlreichen Sekten waren schließlich alle unter dem
verhaßten Namen der Manichäer verborgen. Diese Ketzer, die es
wagten, die Lehre Zoroasters und Christi zu vereinigen, wurden
von den Anhängern der Religionen mit unversöhnlichem Hasse
verfolgt. Unter dem Enkel des Heraklius erstand in der
Nachbarschaft von Samosata, das als Geburtsort Lukians
berühmter ist als durch seinen Titel eines syrischen
Königreiches, ein Reformator, den die Paulicianer für den
auserwählten Boten Gottes hielten. In seiner geringen Wohnung
zu Manalis nahm Konstantin einen Diakon, der aus der syrischen
Gefangenschaft zurückkehrte, auf und dieser erhielt als
Geschenk das Neue Testament, das die klugen griechischen,
vielleicht auch gnostischen Geistlichen bereits dem gemeinen
Mann vorenthielten. Er studierte es eifrigst und schrieb
Auslegungen dazu. Die Katholiken, die diese bekämpfen, geben
die Echtheit und Richtigkeit des Textes zu. Besonders liebte
er die Schriften und den Charakter des heiligen Paulus. Der
Name Paulicianer wird von den Feinden dieser Sekte von einem
unbekannten und einheimischen Lehrer abgeleitet, aber ich bin
überzeugt, daß sie sich ihrer Namensverwandtschaft mit dem
Apostel rühmen. Seine Schüler Titus, Timotheus, Sylvanus,
Tychicus wurden von Konstantin und seinen Mitarbeitern
beschrieben, die Namen der apostolischen Kirchen auf die
Gemeinden, die sie in Armenien und Kappadokien hatten,
angewendet, und diese harmlose Allegorie erhielt das Andenken
an die ersten Jahrhunderte. Im Evangelium und den Briefen; des
heiligen Paulus erforschte sein Anhänger das Urchristentum,
und was immer der Erfolg gewesen war, so zeigte er doch dabei
einen besonderen Mut. Die heilige Schrift der Paulicianer war,
bei aller Reinheit, mangelhaft. Ihre Stifter verwarfen die
beiden Briefe des heiligen Petrus, des Apostels der
Beschneidung, dessen Streit mit Paulus wegen dieses mosaischen
Gesetzes nicht vergessen werden konnte. Sie stimmten mit ihren
gnostischen Brüdern in der allgemeinen Verachtung des Alten
Testaments, der Bücher Moses' und der Propheten überein, die
von der katholischen Kirche geheiligt worden waren. Ebenso und
ohne Zweifel mit mehr Grund verwarf Konstantin, der neue
Sylvanus, ihre Geschichte, die in so vielen umfangreichen und
glänzenden Bänden von den orientalischen Sekten verbreitet
worden war, ferner die fabelhaften Werke der hebräischen
Patriarchen und der Weisen des Ostens, die unechten
Evangelien, die im ersten Jahrhundert massenhaft aufgetaucht
waren, die Theologie des Manes, die Stifter ähnlicher
Ketzereien und die dreißig Zeugen oder Äonen, die von dem
phantasiereichen Valentin geschaffen worden waren. Die
Paulicianer verdammten die Sekte und Ansichten der Manichäer
und klagten über die Ungerechtigkeit, daß man diesen verhaßten
Namen den einfachen Verehrern des heiligen Paulus und Christi
beilegte.
Manche Überlieferung der Kirche war von den Paulicianern
beseitigt worden; ihre Freiheit wurde größer mit Verminderung
der Anzahl ihrer Lehrer, auf deren Wunsch Geheimnisse und
Wunder geglaubt werden mußten. Die Trennung der Gnostiker fand
vor Einführung der Zeremonien der katholischen Kirche statt;
sie waren den Neuerungen im Zeremoniell und in der Lehre
unzugänglich. Sie glaubten nicht an die verschiedenen Wunder;
ein »nicht von Menschenhänden gemachtes Bild« war für sie das
Erzeugnis eines sterblichen Künstlers; die wunderwirkenden
Reliquien waren für sie nur Gebeine und Asche, das wahre Kreuz
war für sie nur Holz, das Blut und der Leib Christi, Brot und
Wein, die Geschenke der Natur und Symbole der Gnade. Die
Mutter Gottes wurde nicht verehrt, an die unbefleckte
Empfängnis nicht geglaubt, und die Engel und Heiligen galten
nicht als die Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Bei
der Lehre von den Sakramenten neigten die Paulicianer dazu,
alle sichtbaren Gegenstände der Gottesverehrung abzuschaffen,
und die Worte des Evangeliums waren ihrer Ansicht nach die
Taufe und das Liebesmahl der Gläubigen. Die Heilige Schrift
wurde von ihnen mit ziemlicher Freiheit ausgelegt und so oft
sie den wahren Sinn nicht umschreiben konnten, nahmen sie zu
Bildern und Allegorien Zuflucht. Sie müssen sich sehr
angestrengt haben, um die Zusammenhänge zwischen dem Alten und
Neuen Testament aufzulösen, weil sie das letztere als das
Orakel Gottes verehrten und jenes als die alberne Erfindung
von Menschen oder bösen Geistern verabscheuten. Wir können
nicht überrascht sein, daß sie in dem Evangelium das Mysterium
der heiligen Dreifaltigkeit fanden, aber statt an die
wirklichen Leiden Christi zu glauben, frönten sie in ihrer
Phantasie dem Glauben an einen himmlischen Leib, an eine
scheinbare Kreuzigung, wodurch die eitlen und ohnmächtigen
Juden geäfft worden waren. Ein zugleich so einfacher und
übersinnlicher Glaube war dem Geist der Zeiten nicht
angemessen, und der vernünftige Christ war mit Recht darüber
entsetzt, daß die Paulicianer es wagten, die Einheit Gottes,
den ersten Glaubensartikel, anzuzweifeln. Sie glaubten an den
Vater, Christus, die menschliche Seele und die unsichtbare
Welt. Aber sie glaubten auch an die Ewigkeit der Materie,
einen rebellierenden Stoff, den Urquell eines zweiten
Prinzips, an ein tätiges Wesen, das die sichtbare Welt
geschaffen hat und seine Herrschaft bis zum Tode aller ausübe.
Durch den Glauben an das moralisch und physisch Böse waren die
beiden Prinzipien in die Philosophie und Religion des Ostens
eingeführt worden, von wo sie sich unter den verschiedenen
Gnostikerschwärmen verbreiteten. Tausend Abstufungen von einem
Gott bis zu einem Dämon lassen sich für die Natur und den
Charakter Ahrimans ersinnen, der von der Schwäche und
Leidenschaft bis zu reiner Bosheit alles verkörpern kann. Der
gütige und machtvolle Ormuzd ist sein Gegenspieler, und je
weiter wir uns von dem einen entfernen, um so mehr nähern wir
uns dem anderen.
Durch die kirchlichen Arbeiten Konstantin Sylvanus' wurde
bald die Zahl seiner Schüler vervielfältigt. Der Rest der
gnostischen Sekten, insbesondere die Manichäer von Armenien,
vereinigten sich unter seiner Fahne. Viele Katholiken wurden
durch seine Gründe bekehrt oder verführt, und er predigte mit
Erfolg in den Gegenden von Pontus und Kappadokien, deren
Bewohner schon früher die Lehren des Zoroaster eingesogen
hatten. Die paulicianischen Lehrer zeichneten sich nur durch
ihre Bibelnamen, den bescheidenen Titel Mitpilger, ihren
strengen Lebenswandel, durch Eifer oder Kenntnisse aus. Aber
sie waren unfähig, den Reichtum und die Ehren der katholischen
Prälaten für sich zu wünschen, viel weniger zu erlangen; sie
tadelten den geistlichen Stolz sehr und verdammten selbst die
Einführung des Ranges der Ältesten und Presbyter als eine
Einrichtung der jüdischen Synagoge. Die neue Sekte war dünn
über die Provinzen von Kleinasien westwärts vom Euphrat
verstreut; sechs ihrer Hauptgemeinden stellten die Kirchen
vor, an die Paulus seine Briefe geschrieben hatte; ihr Stifter
wählte seinen Sitz in der Nähe von Colonia im Bezirke von
Pontus, der einst durch die Altäre der Bellona und die Wunder
Gregors berühmt geworden war. Nach siebenundzwanzigjährigem
Lehramte fiel Sylvanus, der die sanfte Herrschaft der Araber
geflohen hatte, als Opfer der römischen Verfolgung. Die
Gesetze der frommen Kaiser, die nur selten das Leben der
minder verhaßten Ketzer forderten, ächteten ohne
Barmherzigkeit die Montanisten und Manichäer, ihre Lehren und
Bücher. Letztere wurden Flammen überliefert, und alle, die
solche Schriften verheimlichten oder den Lehren anhingen,
waren einem schimpflichen Tode geweiht. Ein griechischer, mit
gesetzlicher und Militärmacht ausgestatteter Beamter erschien
in Colonia, um den Hirten der Gemeinde zu töten und die
verlorenen Schafe, wenn möglich, zurückzuführen. Mit
ausgesuchter Grausamkeit stellte Simeon den unglücklichen
Sylvanus vor eine Schar seiner Schüler, denen er als Bedingung
ihrer Begnadigung und als Beweis ihrer Reue befahl, ihren
geistlichen Vater zu töten. Sie wandten sich ab, die Steine
entsanken ihren Händen, und unter der ganzen Schar war nur
einer zu finden, ein neuer David, wie ihn die Katholiken
nannten, der den Henker des Riesen der Ketzerei machte. Dieser
Abtrünnige, Justus war sein Name, betrog und verriet seine
arglosen Brüder abermals. Die Bekehrung Simeons zeigt
Ähnlichkeit mit der des heiligen Paulus; gleich dem Apostel
bekannte er sich zu der Lehre, die er zu verfolgen gesendet
war, verzichtete auf seine Ehrenstellen und Besitzungen und
erwarb unter den Paulicianern den Ruf eines Glaubensboten und
Märtyrers. Diese geizten zwar nicht nach dem Märtyrertum,
machten aber während hundertfünfzig Jahren alle Leiden mit,
die ihnen durch Glaubenseifrige zugefügt werden konnten; man
war jedoch nicht imstande, die Schwärmer auszurotten. Trotz
des vergossenen Blutes erhoben sich neue Lehrer und Gemeinden;
sie fanden mitten unter den auswärtigen Feindseligkeiten Zeit
zu inneren Zwistigkeiten; sie predigten, zankten, litten. Die
Tugenden des Sergius, der dreiunddreißig Jahre pilgerte,
werden von den orthodoxen Geschichtschreibern, wenn auch mit
Widerstreben, anerkannt. Die angeborene Grausamkeit Justinians
II. wurde bei irgendeiner Gelegenheit angestachelt; er hoffte
umsonst, in einem einzigen Brande die Paulicianer und ihre
Lehre zu vernichten. Durch die Einfachheit, der sie sich in
urchristlicher Weise befleißigten, und ihren Abscheu gegen den
Volksglauben hätten die bilderstürmenden Fürsten mit einigen
Irrlehren ausgesöhnt werden können; aber sie waren selbst den
Verleumdungen der Mönche preisgegeben und zogen es vor, die
Tyrannen der Manichäer zu sein, um nicht als deren
Mitschuldige angeklagt zu werden. Ein solcher Vorwurf wurde
gegen den milden Nikephorus erhoben, der zu ihren Gunsten die
strengen Strafgesetze milderte; in seinem Charakter finden wir
zumindest nicht die Möglichkeit einer anderen Deutung. Der
schwache Michael I., der strenge Leo der Armenier, waren die
ersten Verfolger, aber der Preis in der Verfolgung muß
unzweifelhaft der blutdürstigen Theodora zuerkannt werden, die
den Bilderdienst wieder in der orientalischen Kirche
einführte. Ihre Glaubensrichter durchforschten die Städte und
Gebirge von Kleinasien, und die Schmeichler der Kaiserin haben
behauptet, daß während ihrer kurzen Regierung hunderttausend
Paulicianer durch Galgen, Feuer und Schwert ausgerottet worden
wären. Ihre Schuld und ihr Verdienst ist übermäßig vergrößert
worden, wenn man aber an obige Zahl glaubt, muß man annehmen,
daß viele einfache Ikonoklasten als Paulicianer bestraft
wurden, und daß andere, die aus der Kirche ausgestoßen worden
waren, wider Willen Zuflucht bei den Ketzern gesucht hatten.
Die wütendsten und verzweifeltsten Rebellen sind die
Anhänger einer verfolgten und schwer gereizten Religionssekte.
Sie sind als Verfechter einer heiligen Sache Furcht und
Gewissenbissen nicht mehr zugänglich; der Glaube an ihre
gerechte Sache verhärtet ihre Herzen gegen menschliche
Gefühle, sie rächen die Leiden ihrer Väter an den Kindern der
Tyrannen. So waren die Hussiten von Böhmen und die Kalvinisten
von Frankreich; so waren im neunten Jahrhundert die
Paulicianer von Armenien und der anstoßenden Provinzen. Sie
metzelten zuerst einen Statthalter und Bischof nieder, der sie
dadurch gereizt hatte, daß er den kaiserlichen Befehl vollzog,
die Ketzer entweder zu bekehren oder auszurotten. Sie
verbargen sich in schwer zugänglichen Schlupfwinkeln des
Berges Argäus. Die Verfolgungen der Theodora und die Empörung
des Carbeas entzündeten eine größere Flamme. Dieser tapfere
Paulicianer befehligte die Leibwache des Oberfeldherrn des
Ostens. Sein Vater war von den katholischen Glaubensrichtern
gepfählt worden, was seine Heeresflucht und Rache
rechtfertigte. Fünftausend seiner Brüder waren um ihn
versammelt, und sie sagten dem antichristlichen Rom die Treue
auf. Ein sarazenischer Emir stellte Carbeas dem Kalifen vor,
und der Beherrscher der Gläubigen nahm den unversöhnlichen
Feind der Griechen in seinen Schutz. In den Gebirgen zwischen
Sebas und Trebisond gründete oder befestigte er die Stadt
Tephrice, die noch von einem grimmigen und zügellosen Volke
bewohnt wird, und die benachbarten Berge bedeckten sich mit
paulicianischen Flüchtlingen, die nun zum Schwerte griffen.
Länger als dreißig Jahre wüteten in Kleinasien Kriege gegen
auswärtige und innere Feinde. Die Anhänger des heiligen Paulus
vereinigten sich bei ihren feindlichen Einfällen mit denen
Mohammeds, und die friedlichen Christen, die in barbarische
Knechtschaft geschleppt wurden, klagten mit Recht ihren
unduldsamen Souverän an. So groß war das Unheil, so groß die
Schmach, daß selbst der ausschweifende Michael, der Sohn der
Theodora, sich gezwungen sah, selbst gegen die Paulicianer zu
ziehen. Er wurde unter den Mauern von Samosata geschlagen, und
der römische Kaiser floh vor den Ketzern, die seine Mutter zum
Scheiterhaufen verdammt hatte. Die Sarazenen fochten unter
denselben Fahnen, aber der Sieg wurde dem Carbeas
zugeschrieben. Er ließ die gefangenen Anführer und mehr als
hundert Tribunen aus Habsucht teils frei, teils marterte er
sie aus Fanatismus. Sein tapferer und ehrgeiziger Nachfolger
Chrysocheir beraubte große Gebiete. Im Bund mit den treuen
Muselmanen drang er in das Herz von Kleinasien ein; die
Grenztruppen und Palastwachen wurden wiederholt
niedergeworfen, die Verfolgungsedikte mit der Plünderung von
Nicäa und Nicomedia, von Ancyra und Ephesus beantwortet, ja
selbst der Apostel Johannes vermochte seine Stadt und sein
Grab nicht vor Entweihung zu schützen. Die Kathedrale von
Ephesus wurde in einen Stall für Maulesel und Pferde
verwandelt, und die Paulicianer wetteiferten mit den Sarazenen
in der Verachtung und im Abscheu vor den Bildern und
Reliquien. Es ist erfreulich, den Triumph der Empörer über die
Despoten zu sehen, die ein flehendes, gekränktes Volk
verachtet hatten. Der Kaiser Basilius, der Makedonier, war
gezwungen, um Frieden zu bitten, Lösegeld für die Gefangenen
zu bieten und mit Mäßigung und Nächstenliebe zu ersuchen, daß
Chrysocheir seine Mitchristen schonen und sich mit einem
Geschenke an Gold, Silber und seidenen Gewändern begnügen
solle. »Wenn der Kaiser«, erwiderte der übermütige Fanatiker,
»den Frieden wünscht, möge er dem Osten entsagen und ungestört
im Westen herrschen. Weigert er sich dessen, werden ihn die
Diener des Herrn vom Thron stürzen.« Basilius brach ungern die
Verhandlungen ab, nahm die Herausforderung an, führte sein
Heer in das Gebiet der Ketzer und verwüstete es mit Feuer und
Schwert. Das offene Land der Paulicianer wurde verheert, aber
nachdem er die Stärke von Tephrice, die Anzahl der Barbaren,
die es schützten, und die Größe der Vorräte und Lebensmittel
erkundet hatte, die in der Stadt aufgestapelt waren, stand er
seufzend von der Belagerung ab. Nach seiner Rückkehr nach
Konstantinopel gründete er Klöster und Kirchen, um sich die
Hilfe seiner himmlischen Schutzherren, des Erzengels Michael
und des Propheten Elias, zu sichern, und er betete täglich,
daß es ihm vergönnt sein möge, das Haupt seines ruchlosen
Gegners mit drei Pfeilen zu durchbohren. Dieser Wunsch ging
über seine Erwartung in Erfüllung; nach einem glücklichen
Einfall wurde Chrysocheir auf dem Heimwege überrumpelt und
getötet. Das Haupt des Rebellen wurde triumphierend in die
Hauptstadt gebracht und vor dem Throne niedergelegt. Bei
Empfang dieses willkommenen Siegeszeichens rief Basilius
unverzüglich nach seinem Bogen, durchbohrte das leblose Haupt
mit sicherer Hand mit drei Pfeilen und empfing den Beifall des
Hofes, der den Sieg des kaiserlichen Schützen pries. Mit
Chrysocheir verschwand der Ruhm der Paulicianer; beim zweiten
Feldzuge verließen die Ketzer das uneinnehmbare Tephrice und
flehten entweder um Gnade oder entflohen über die Grenzen. Die
Stadt wurde zerstört, aber unabhängige Paulicianer lebten in
den Gebirgen fort und verteidigten über ein Jahrhundert ihre
Freiheit und Religion, machten die römischen Grenzen unsicher
und hielten das Bündnis mit den Feinden des Reiches und des
Evangeliums.
Um die Mitte des achten Jahrhunderts hatte Konstantin, von
den Verehrern der Bilder Kopronymus genannt, einen Zug nach
Armenien unternommen. Er fand in den Städten Melitene und
Theodosiopolis eine große Anzahl Paulicianer vor. Als Gunst
oder Strafe verpflanzte er sie nach Konstantinopel und
Thrakien, und dadurch wurde ihre Lehre in Europa eingeführt
und verbreitet. Wenn sich die Sektierer in der Hauptstadt auch
bald in der Menge verloren, schlugen die auf dem Lande Wurzel
in dem fremden Boden. Die Paulicianer widerstanden den
Verfolgungen, unterhielten geheimen Verkehr mit ihren Brüdern
in Armenien, unterstützten und schirmten ihre Prediger, die
nicht ohne Erfolg den Bulgaren predigten. Im zehnten
Jahrhundert wurden sie durch eine zahlreiche Kolonie, die
Johannes Zimisces von den chalybischen Gebirgen in die Täler
des Hämus versetzte, verstärkt. Die morgenländische
Geistlichkeit, die ihre Ausrottung vorgezogen hätte, verlangte
ungeduldig die Entfernung der Manichäer; der kriegerische
Kaiser achtete sie in ihrer Tapferkeit, die er gefühlt hatte.
Ihre Anhänglichkeit an die Sarazenen war unheilschwanger, aber
an der Donau, gegen die Barbaren Skythiens konnten ihre
Dienste nützlich sein, und sie fanden vielleicht in den
Grenzkämpfen den Untergang. Ihre Verbannung wurde durch
Duldung gemildert; die Paulicianer besaßen die Stadt
Philippopolis und damit die Schlüssel von Thrakien, die
Katholiken waren ihre Untertanen, die jakobitischen
Auswanderer ihre Bundesgenossen, sie besaßen eine Reihe von
Dörfern und Schlössern in Makedonien und Epirus, und viele
Bulgaren gesellten sich zu ihnen und nahmen ihren Glauben an.
Solange Macht ihnen Furcht einflößte und sie mit Mäßigung
behandelt wurden, zeichneten sich ihre freiwilligen Scharen im
Kriege für das Reich aus. Der Mut dieser Hunde, wie sie
genannt wurden, stets gierig nach Krieg und Menschenblut, wird
von den feigen Griechen mit Erstaunen und Tadel vermerkt. Sie
wurden mit der Zeit übermütig und widersetzlich; sie wurden
leicht durch Launen und Verfolgungen gereizt, und häufig
wurden ihre Vorrechte durch Regierung und Geistlichkeit
verletzt. Während des Normannenkrieges verließen
zweitausendfünfhundert Manichäer die Fahne des Alexius
Komnenus und kehrten in ihre Heimat zurück. Er verstellte
sich, um Rache zu nehmen, lud ihre Häuptlinge zu einer
freundschaftlichen Besprechung ein und bestrafte Unschuldige
wie Schuldige mit Kerker, Vermögenseinziehung und Taufe. In
friedlicherer Zeit übernahm der Kaiser das heilige Amt, sie
mit der Kirche und dem Staate auszusöhnen; er schlug seine
Winterquartiere zu Philippopolis auf, und der dreizehnte
Apostel, wie er von seiner Tochter genannt wird, verbrachte
ganze Tage und Nächte mit theologischen Erörterungen. Durch
die Ehren und Belohnungen, die er den ausgezeichneten
Proselyten erteilte, wurden seine Gründe unterstützt und ihre
Hartnäckigkeit vermindert. Er gründete eine mit Gärten
umgebene Stadt, der er entsprechende Freiheiten gewährte, die
seinen Namen erhielt und in der die von ihm Bekehrten
untergebracht wurden. Die wichtige Stadt Philippopolis wurde
ihnen entrissen, die widerspenstigen Anführer in den Kerker
geworfen oder verbannt und ihr Leben mehr aus Klugheit als aus
Barmherzigkeit von einem Kaiser geschont, auf dessen Befehl
ein armer vereinzelter Ketzer vor der St. Sophienkirche
lebendig verbrannt worden war. Aber die Hoffnung, die
Vorurteile einer Nation auszurotten, wurde durch die eifrigen
Paulicianer vereitelt, die aufhörten, sich zu verstellen und
sich weigerten, zu gehorchen. Nach der Abreise und dem Tode
des Alexius kehrten sie bald zu ihrer Religion zurück. Im
Anfang des dreizehnten Jahrhunderts residierte ihr Papst oder
Primas an der Grenze Bulgariens, Dalmatiens und Kroatiens und
leitete durch seine Stellvertreter die Gemeinden in Italien
und Frankreich. Von dieser Zeit an könnte man durch
sorgfältige Forschung die Paulicianer bis in die Neuzeit
verfolgen. Zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts bewohnte die
Sekte oder Kolonie noch immer die Täler des Hämus, wo sie in
Unwissenheit und Armut lebten und oft von den Türken und der
Geistlichkeit gequält wurden. Die neuen Paulicianer haben alle
Erinnerung an ihren Ursprung verloren. Sie beten das Kreuz an
und bringen blutige Opfer dar, welche Sitte durch einige
gefangene Tartaren eingeführt wurde.
Im Westen waren die ersten Lehrer des manichäischen
Glaubens vom Volke zurückgewiesen oder von den Fürsten
unterdrückt worden. Der Erfolg, den die Paulicianer im elften
und zwölften Jahrhundert erzielten, ist wohl darauf
zurückzuführen, daß selbst die frömmsten Christen gegen die
römische Kirche eingenommen waren. Sie war habsüchtig,
despotisch und gehässig; die häufigen Neuerungen erregten
Anstoß und Ärgernis. Die Lehre von der Transsubstantiation war
streng und allgemein eingeführt. Der Lebenswandel der
lateinischen Geistlichkeit war verderbt, und die
orientalischen Bischöfe konnten als Nachfolger der Apostel
gelten, wenn sie mit den fürstlichen Prälaten, die abwechselnd
den Krummstab, das Zepter und das Schwert schwangen,
verglichen wurden. Auf drei Wegen konnten die Paulicianer in
das Herz Europas gelangen. Nach der Bekehrung der Ungarn
folgten die Pilger, die nach Jerusalem wallfahrteten, dem Lauf
der Donau. Auf dem Hin- und Rückwege kamen sie durch
Philippopolis, und die Sektierer konnten, indem sie ihren
Namen und Glauben verheimlichten, den französischen oder
deutschen Pilgern in deren Heimat folgen. Die Venetianer
beherrschten mit ihrem Handel die Küsten des Adriatischen
Meeres, und die gastfreie Republik war für jeden Fremden,
welcher Nation und Religion immer, frei zugänglich. Unter
byzantinischer Flagge kamen die Paulicianer oft nach Italien
und Sizilien; sie verkehrten im Kriege und Frieden frei mit
den Eingeborenen und verbreiteten ihre Lehren in aller Stille
in Rom, Mailand und dem Reiche jenseits der Alpen. Man
entdeckte bald, daß viele tausend Katholiken jeden Ranges und
Geschlechtes sich der manichäischen Ketzerei zugewendet
hatten. Bald begann die Verfolgung, und zwölf Domherren zu
Orleans erlitten den Flammentod. Die Bulgaren verbreiteten die
Religion über Europa. Sie waren geeint im Haß gegen
Götzendienerei und gegen Rom und unterstanden einer
bischöflichen oder priesterlichen Regierung. Ihre
verschiedenen Sekten unterschieden sich durch geringe
Abstufungen des Glaubens, stimmten aber allgemein in der
Verachtung des alten Testamentes und der Leugnung des Leibes
Christi am Kreuz, wie im Abendmahl überein. Selbst ihre Feinde
gaben zu, daß ihr Götzendienst einfach und ihre Sitten
tadellos seien; das Maß ihrer Vollkommenheit war so groß, daß
ihre immer mehr zunehmenden Gemeinden in zwei Klassen von
Jüngern, in die Übenden und Strebenden, eingeteilt waren. Im
Lande der Albigenser, in den südlichen Provinzen von
Frankreich, hatten die Paulicianer am festesten Wurzel gefaßt,
und dieselben Vorgänge, die sich am Euphrat abgespielt hatten,
wiederholten sich im dreizehnten Jahrhundert an den Ufern der
Rhone. Die Gesetze der morgenländischen Kaiser wurden von
Friedrich dem Zweiten wieder ins Leben gerufen. Die Barone und
Städte von Languedoc spielten die Rolle der Anführer von
Tephrice und Papst Innozenz der Dritte übertraf die
blutdürstige Theodora. Nur in Grausamkeiten vermochten es ihre
Soldaten den Helden der Kreuzzüge gleich zu tun, und die
Unmenschlichkeit ihrer Priester wurde von den Stiftern der
Inquisition, einer Einrichtung, die eher dazu dient, den
Glauben an ein böses Prinzip zu festigen als zu widerlegen,
weit überboten. Die Gemeinden der Paulicianer oder Albigenser
wurden mit Feuer und Schwert ausgerottet, und wenige
Überlebende entzogen sich durch die Flucht dem Tode oder
nahmen den katholischen Glauben an. Aber der unbezwingliche
Geist, den sie entzündet hatten, lebte in der abendländischen
Welt fort; sogar in der Kirche und den Klöstern gab es
heimliche Schüler des heiligen Paulus, die gegen die Tyrannei
von Rom protestierten, an der Bibel als Glaubensregel
festhielten und ihr Bekenntnis von allem Beiwerk der
gnostischen Theologie reinigten. Die Kämpfe Wiclifs in
England, Hus' in Böhmen waren verfrüht und wirkungslos, aber
Zwingli, Luther und Calvin werden mit Dankbarkeit von Nationen
gepriesen.
Ein Philosoph, der Wert und Verdienst abwägt, muß natürlich
fragen, von welchen Glaubensartikeln, die gegen die Vernunft
sprechen, sie die Christen befreit haben, denn eine solche
Befreiung ist ohne Zweifel eine Wohltat, wenn sie sich mit
Wahrheit und Frömmigkeit vereinbaren läßt. Nach einer
unparteiischen Untersuchung müssen wir über die Schüchternheit
der ersten Reformatoren staunen. Sie glauben mit den Juden an
das alte Testament, samt allen Wundern, vom Garten des
Paradieses bis zu den Gesichten des Propheten Daniel und waren
gleich den Katholiken genötigt, gegen die Juden die
Abschaffung eines göttlichen Gesetzes zu rechtfertigen.
Bezüglich der Dreieinigkeit und Menschwerdung blieben die
Reformatoren streng orthodox, sie nahmen die Beschlüsse der
ersten vier oder sechs Konzilien an und verdammten alle
diejenigen, die nicht am katholischen Glauben festhalten. Die
Transsubstantiation oder unsichtbare Verwandlung des Brotes
und Weines in den Leib und das Blut Christi ist eine Lehre,
die den Beweis herausfordert; statt aber ihre Sinne zu Rate zu
ziehen, unterlagen die Protestanten Gewissenszweifeln und
wurden durch die Worte Jesu bei Einsetzung des Sakramentes
eingeschüchtert. Luther behauptete, daß Christus körperlich,
Calvin, daß er wirklich beim Abendmahle gegenwärtig sei, und
die Ansicht Zwinglis, daß es sich nur um eine geistige
Anwesenheit, um ein Gleichnis handle, brach sich nur langsam
in den reformierten Kirchen Bahn. Aber dieses Mysterium wird
hinreichend durch die Lehren von der Erbsünde, Erlösung, des
Glaubens, der Gnade und der Gnadenwahl aufgewogen, die den
Briefen des heiligen Paulus entnommen sind. Diese Fragen sind
allerdings von den Vätern und Schulmännern bereits diskutiert
worden, ihre Vervollkommnung und Verbreitung unter das Volk
muß aber den ersten Reformatoren zugeschrieben werden, die sie
als wesentliche Bedingung für das Seelenheil bezeichneten.
Die Verdienste Luthers und seiner Nebenbuhler sind
nichtsdestoweniger groß und der Philosoph muß diese
furchtlosen Enthusiasten anerkennen. I. Sie schafften den
Mißbrauch der Ablässe ab, und die heilige Jungfrau wird nicht
mehr als Fürbitterin angerufen. Mönche und Nonnen wurden der
Freiheit und dem gesellschaftlichen Leben wiedergegeben. Die
Heiligen und Engel wurden ihrer Macht beraubt und genießen nur
mehr die himmlische Seligkeit. Bilder und Reliquien wurden aus
den Kirchen entfernt, und die Aufzählung von Wundern und
Erscheinungen in den Predigten unterblieb. Es bleibt die Frage
offen, ob diese Einfachheit, die auch in allen Gebeten
beobachtet wird, sich mit der Andacht des Volkes verträgt und
ob die Menge durch die Abwesenheit aller sichtbaren zu
verehrenden Gegenstände nicht zur Schwärmerei verleitet wird
oder in Gleichgültigkeit versinkt. II. Der Glaube an die
Autorität, der den Bigotten abhält zu denken, wie es ihm
gefällt und den Sklaven zu sprechen wie er denkt, ward
vernichtet. Päpste, Kirchenväter und Konzilien waren nicht
mehr die obersten und untrüglichen Richter der Welt, und jedem
Christen wurde gelehrt, kein anderes Gesetz als die heilige
Schrift und keinen anderen Richter als sein eigenes Gewissen
anzuerkennen. Diese Freiheit war jedoch mehr die Folge als der
Sinn der Reformation. Die patriotischen Reformatoren geizten
darnach, den Tyrannen zu folgen, die sie entthront hatten. Sie
verlangten mit gleicher Strenge das Bekenntnis zu ihrem
Glauben und behaupteten das Recht zu haben, Ketzer mit dem
Tode zu bestrafen. Calvin richtete aus persönlicher
Feindschaft Servetus; Cranmer entzündete gegen die
Wiedertäufer die Flammen von Smithfield, von denen er nachher
selbst verzehrt wurde. Der römische Papst besaß ein
geistliches und weltliches Reich; die protestantischen
Gottesgelehrten waren von geringem Range, ohne Einkünfte und
Macht. Die Beschlüsse des Papstes waren durch das Alter der
katholischen Kirche geheiligt; die Beweise und Streitigkeiten
der protestantischen Priester waren dem Urteil des Volkes
unterworfen und ihr Hinweis auf die Berechtigung jedes
einzelnen zu urteilen, wurde weit über die Wünsche von den
Wißbegierigen und Enthusiastischen befolgt. Seit den Tagen
Luthers und Calvins ging im Schoße der Kirche in der Stille
eine geheime Reformation vor sich; viele Vorurteile wurden
beseitigt und die Schüler des Erasmus verbreiteten den Geist
des Freimuts und predigten Mäßigung. Die Gewissensfreiheit
wurde als Gemeingut, als unveräußerliches Recht proklamiert;
die freien Regierungen von Holland und England haben Toleranz
walten lassen, und die engherzigen Gesetze sind von klugen und
menschlich denkenden Gesetzgebern geändert worden. Der
Verstand hatte, seit er geübt ward, seine Grenzen erkannt, und
Worte vermochten ihn nicht mehr zu befriedigen. Die Bücher
über die Religionsstreitigkeiten liegen unbeachtet in den
Winkeln. Die Freunde des Christentums sind jedoch über den
maßlosen Trieb zur Forschung und über die Zweifelsucht
bestürzt. Die Prophezeiungen der Katholiken sind in Erfüllung
gegangen; das Gewebe des Mysteriums ist von den Arminianern,
Arianern und Socinianern, deren Zahl nicht nach ihren
Sondergemeinden berechnet werden darf, zerrissen worden, und
die Wahrheit der Offenbarungen wird hauptsächlich von jenen
Menschen untergraben, die die Religion bekennen, ohne ihrer
Wesenheit gerecht zu werden und jenen, die der Philosophie
frönen, ohne Mäßigung zu zeigen.