Zehntes Kapitel - Derwisch Sefer erzählt seine Geschichte
Eines Tages, als wir wieder zusammenkamen, jeder von uns
die Pfeife in der Hand, den Rücken an die Mauer gelehnt, den
Blick durchs offene Fenster des Gemaches auf den kleinen,
viereckigen, mit etlichen Blumen bepflanzten Hof gerichtet, da
erzählte Derwisch Sefer, der das große Wort in unserem Kreise
führte, also seine Geschichte:
»Ich bin der Sohn des Lûti-Baschi oder obersten
Possenreißers des Prinzen von Schiras, und der gefeierten
Buhlerin, die unter dem Namen ›Tāûs‹ oder Pfau bekannt ist.
Ihr könnt euch wohl selbst vorstellen, welche Erziehung ich
bei diesen Eltern genoß. In meiner frühen Kindheit war ich
zumeist auf den Umgang mit den Bären und Affen angewiesen, die
meinem Vater und seinen Genossen gehörten, und verdanke
möglicherweise dem Beispiele dieser Tiere, die ihre unzähligen
Kunststückchen mit so unglaublicher Leichtigkeit erlernten,
daß auch ich mich seither jeder Lebenslage mit Glück und
Geschick anzupassen wußte. Mit fünfzehn Jahren war ich ein
ausgelernter Lûti, konnte Feuer essen, Wasser speien wie eine
Fontäne, alle erdenklichen Taschenspielerkünste vorführen, und
würde es sicher in dieser Laufbahn sehr weit gebracht haben,
hätte sich nicht die Tochter des Generals der Kamelartillerie
sterblich in mich verliebt, als ich anläßlich des Nouruzfestes bei einem großen Hoffeste auf dem Seile tanzte. Die
Schwester meines besten Freundes, der im Stalle beim General
diente, berichtete mir, welch tiefen Eindruck ich auf ihre
Herrin gemacht hatte. Das Mädchen diente im Harem des
Generals. Sofort eilte ich schnellen Fußes an die Ecke des
Basars und ersuchte einen Mirza, der dort in einem
bescheidenen Büdchen hauste, mir einen Liebesbrief zu
schreiben, nicht nur mit einem großen Aufwand von roter Tinte
herrlich verschnörkelt und verziert, sondern auch in sinnverwirrend blumenreicher Sprache abgefaßt. Schon der
Beginn dieses ganz unübertrefflichen Schriftstückes sagte der
Herrin meiner Seele, das Feuer ihrer Augen habe mich
vernichtet, mein Herz in heimlicher Liebesglut verkohlt. Trotz
dieser Beteuerungen riskierte ich am Schlusse des Briefes die
Dreistigkeit, zu gestehen, ich hätte zwar ihr holdes Antlitz
noch niemals erblickt, hoffe aber desungeachtet, sie würde
Mittel und Wege finden, mir ein Stelldichein zu gewähren. In
der Freude meines Herzens über diesen unvergleichlichen Brief
beging ich die Unvorsichtigkeit, dem Briefschreiber unter dem
Siegel der Verschwiegenheit zu verraten, wer mein Herz zu
solchem Feuer entflammt habe. Kaum war mir das Geheimnis
entschlüpft, so eilte der elende Mirza, weil er eine Belohnung
erhoffte, zum General, um diesen vom Sachverhalte; zu
unterrichten. Daß der Sohn eines Lûti-Baschi, eines
öffentlichen Possenreißers, es wagte, seine Augen zu der
Tochter eines Generals der Kamelartillerie zu erheben, galt
als unerhörter Frevel. Der einflußreiche General erwirkte
meine sofortige Verbannung aus Schiras. Mein Vater scheute
sich, den Zorn des Prinzen zu erregen, fürchtete auch, meine
wachsende Beliebtheit beim Volke könnte ihn aus seiner
Stellung verdrängen, kurz, er beschleunigte meine Entfernung,
anstatt sie zu verhindern. Am Morgen, als ich von den Löwen,
Affen und anderen seiner Fürsorge anvertrauten Tieren Abschied
nahm, sagte er mir: ›Sefer, mein Sohn – der Abschied von dir
würde mich betrüben, hättest du nicht eine unübertreffliche
Erziehung bekommen und das besondere Glück genossen, fast
ausschließlich zwischen mir und meinen Tieren aufzuwachsen; so
aber kann es dir im Leben ja gar nicht schief gehen. Damit du
rasch zu Geld kommst, statte ich dich für deinen neuen
Lebensweg mit einem köstlichen Geschenke aus – mein bester und
gelehrigster Affe, ein Juwel seiner Art, sei dein! Mach ihn
dir in deinem Interesse zum Freunde, liebe ihn um
meinetwillen; mögest du eines Tages nicht minder hochberühmt
werden, als es dein Vater ist.‹
»Damit setzte er die Meerkatze auf meine Schulter, und in
dieser Begleitung verließ ich das väterliche Dach.
»Meine Stimmung war nicht gerade zuversichtlich, als ich
Schiras verließ. War mir doch selbst nicht klar, ob dieser
Wechsel des Geschickes mir Freud oder Leid brächte. Meine
Selbständigkeit und der Besitz des kostbaren Affen schienen
mir freilich herrlich, doch schweren Herzens verließ ich meine
Bekannten und die mir seit meiner Kindheit lieb gewordenen
Tiere; der Umstand aber, die schöne Unbekannte im Stiche
lassen zu müssen, die mir meine Phantasie lieblich wie Schirin
selbst vorzauberte, dünkte mir vor allem so maßlos traurig,
daß ich einem Anfalle wilder Verzweiflung erlag, als ich die
Hütte des Derwisches bei Allaho Akbar erreicht
hatte. Ich setzte mich samt meinem Affen auf einen Stein vor
der Hütte und schluchzte in unbeschreiblich jammervollen
Tönen: ›A wahi – A wahi!‹ Diese Klagen lockten den Derwisch
herbei. Als er meine Erlebnisse vernommen, bat er mich, in
seine Behausung zu treten, wo ich einen zweiten Derwisch von
besonders kühner Erscheinung vorfand. Beinahe so gekleidet,
wie Ihr mich heute seht (meine Mütze stammt von ihm), lag in
seinem wild-phantastischen Äußern etwas geradezu
Imponierendes. Als er mich und meinen Gefährten erblickte,
schien ihm plötzlich eine Idee aufzublitzen. Nach geheimer
Zwiesprache mit dem ersten Derwische schlug er mir vor, ihm
nach Ispahan zu folgen, versprach, sich meiner liebreich
anzunehmen und, falls er mit mir zufrieden wäre, die Wege zu
meinem Glück zu ebnen. Damit war ich sofort einverstanden.
Nachdem wir eine Pfeife zusammen geraucht hatten, wanderten
wir eine gute Strecke festen Schrittes, ohne viel zu plaudern,
vorwärts. Endlich begann Derwisch Bidin, denn das war sein
Name, mich sehr genau über mein Vorleben und meine Kenntnisse
auszufragen, und schien von allem wohl befriedigt. Alsdann
schilderte er mir die erheblichen Vorteile, die das Leben
eines Derwisches, verglichen mit dem weit niedereren Gewerbe
eines Lûti, böte, so daß ich mich überzeugen ließ und beschloß,
selbst einer zu werden. ›Nenn du mich fürderhin als deinen
Gebieter betrachten willst, so werde ich dir alle meine
Kenntnisse beibringen, die, wie ich dir versichern kann, ein
gutes Stück Weisheit bedeuten, da ich als der heiligste und
erfahrenste Derwisch von ganz Persien gelte‹. Hierauf begann
er, über Magie und Astrologie zu sprechen, gab mir für jedes
Vorkommnis im Leben Zaubermittel und Beschwörungsformeln,
durch deren Verwertung allein ich schon imstande wäre, mein
Glück zu machen. Mn Hasenschwanzchen, unter das Kopfkissen
eines Kindes gelegt, erzeugt Schlaf. Gibt man einem Pferde
Hasenblut, so wird es schnellfüßig und ausdauernd. Das Auge
und der Rückenwirbel eines Wolfes machen den Knaben, der sie
bei sich trägt, mutig. Reibt eine Frau sich mit Wolfsfett ein,
so verwandelt sich die Liebe ihres Gatten in Gleichgültigkeit.
Wolfsgalle in gleicher Weise angewendet, erzeugt
Unfruchtbarkeit. Kus Keftar, das getrocknete Fell einer
weiblichen Hyäne, steht im Harem im höchsten Preise, denn es
verleiht der Trägerin die Zuneigung aller‹. Er redete so lange
über diese und ähnliche Dinge, schilderte mir mein künftiges
Leben in so glänzenden Farben, bis er sah, daß ich nach und
nach vom Glauben daran fest durchdrungen war und er es wagen
könnte, mir einen Vorschlag zu unterbreiten, von dem er
annehmen mußte, wie peinlich er mich berühren würde.
»›Sefer,‹ sagte er, ›du ahnst gar nicht, welchen Schatz du
in dem Affen besitzest; doch nicht der lebendige, sondern der
tote Affe ist wertvoll. Ja, wäre er tot, könnte ich aus seinem
Körper Zaubermittel bereiten, die im Harem des Schahs mit Gold
aufgewogen würden. Die Leber gerade dieser Meerkatzenart
erringt ihrem Besitzer die sicherlich wiederkehrende Liebe
eines heißbegehrten Gegenstandes. Die Haut seiner Nase, um den
Hals getragen, schützt mit Sicherheit gegen Gift. Die Asche
des langsam verbrannten Tieres gibt innerlich eingenommen alle
Eigenschaften des Affen, Gewandtheit und die Gabe der
Nachahmung.‹ Nach diesen Reden schlug er mir vor, das Tier zu
töten.
»Diese Zumutung empörte mich freilich sehr. War ich doch
mit dem Affen aufgewachsen, hatte bisher Glück und Unglück mit
ihm geteilt. Ihn auf diese scheußliche Weise zu verlieren,
schien mir ein unerträglicher Gedanke. Als ich mich der
Ausführung dieses Planes glatt widersetzen wollte, merkte ich,
daß Bidin, der bisher nur lächelnd und voller Freundlichkeit
schien, in helle Wut geriet. In der Angst, er werde mir mit
Gewalt nehmen, was ich doch nicht zu schützen vermochte,
willigte ich mit dem allergrößten Widerstreben in seinen
barbarischen Vorschlag. Wir suchten eine abseits des Weges
gelegene Höhle auf, zündeten mit Hilfe dürrer Stoppeln und
Reiser ein Feuer an; der Derwisch packte meinen Affen mit den
Händen, erwürgte ihn ohne Umstände, zerlegte das Tier, nahm
die Leber und die Schnauze an sich, verbrannte den Rest des
Tieres auf dem Feuer, sammelte die Asche sorgfältig in einem
Zipfel seines Taschentuches, und hierauf setzten wir unsere
Wanderung fort.
»Als wir Ispahan erreichten, vertauschte ich alle
Kleidungsstücke, die an den Lûti mahnten, mit der Tracht eines
Derwisches, und wir zogen gen Teheran weiter. Dort erregte die
Erscheinung meines Herrn sehr großes Aufsehen, denn kaum ward
seine Ankunft bekannt, strömte auch schon allerlei Volk
herbei, um seinen Rat einzuholen. Mütter ersehnten ein Mittel,
das ihre Kinder vor dem bösen Blicke hüten sollte, Ehefrauen
eines gegen die Eifersucht ihrer Männer, Soldaten wollten
einen Talisman, der sie in der Schlacht vor Wunden schütze.
Unsere besten Kundinnen aber blieben die Damen des königlichen
Serails. Ihr dringendstes Ansuchen galt stets einem unfehlbar
kräftig wirkenden Zaubermittel, das ihnen die Aufmerksamkeit
des Schahs sicherte. Gerade für diesen Fall besaß Derwisch
Bidin eine großartige Auswahl der verschiedensten, seltsamsten
Ingredienzien, als Haare des Luchses, das Rückgrat einer Eule,
Bärenfett in vielfältigster Zubereitung. Er verkaufte einer
Haremsdame, deren vorgerückte Jahre sie noch dringlicher nach
dem Zaubermittel verlangen ließen als die jüngeren, die Leber
meines Affen und schwor ihr, daß, sobald der Schah sie
erblicke, wenn sie die Leber bei sich trüge, sie vor allen
Nebenbuhlerinnen ausgezeichnet würde. Einer andern, die
klagte, niemals die Gunst des Schahs zu besitzen und alle ihre
Künste, zu gefallen, stets jämmerlich scheitern zu sehen,
verschrieb er einen Absud aus der Affenasche; einer dritten,
die ein Mittel gegen Falten im Gesicht erflehte, verabfolgte
er eine Salbe, die bei völliger Ruhe der Gesichtsmuskeln und
Unterdrückung jedweden Lächelns die Haut glatt und frisch
mache. In alle diese Mysterien wurde ich eingeweiht. Kam mein
Herr in die Lage, daß seine Zaubermittel ohne greifbaren
Erfolg blieben und er sich genötigt sah, mit übernatürlichen
Dingen sein Ansehen aufrecht zu erhalten, so war ich des
öfteren sein Helfershelfer.
»Doch was auch immer durch meine Beihilfe oder durch die
Überbleibsel meines Affen verdient wurde, behielt er ganz
allein für sich; auch nicht die kleinste Kupfermünze bekam ich
zu sehen. In Gesellschaft Bidins durchwanderte ich
verschiedene Länder; wir wurden manchmal als Heilige verehrt,
andere Male als Landstreicher gesteinigt. Von Teheran aus
reisten wir nach Konstantinopel, von dieser Hauptstadt nach
Kairo, Aleppo und Damaskus. Von Kairo aus besuchten wir Mekka
und Medina, schifften uns in Djidda ein, landeten in Surat,
und wanderten von dort nach Lahore und Kaschmir. Am
letztgenannten Orte gab sich der Derwisch abermals die
erdenklichste Mühe, die Eingeborenen auf seine erprobte Manier
zu betrügen, wir waren jedoch alsbald genötigt, uns durch
schleunigste Flucht der Wut des für unsere Künste viel zu
aufgeklärten Volkes zu entziehen, und setzten uns schließlich
in Herat bei den Afghanen fest, die alles, was wir zu sagen
für gut befanden, mit größter Leichtgläubigkeit als bare Münze
nahmen. Gerade als der Derwisch einen herrlichen Plan, als
Prophet aufzutreten, vorbereitete, unser ganzer zum
Wunderwirken nötiger Mechanismus beinahe vollendet war, mußte
er, der Tausenden die ewige Jugend versprochen hatte,
schließlich selbst der Natur seinen Tribut zahlen. Er hatte
sich in einer kleinen Hütte auf einem Herat nahe liegenden
Berge eingeschlossen. Wir machten den guten Leuten weis, er
lebe dort nur von dem, was die Dschann und Peris ihm zu essen
brächten. Er aber starb, weil er sich unglücklicherweise an
einem Lammsbraten und einer süßen Speise, die ihm nicht bekam,
überfressen hatte. Zur Aufrechterhaltung meiner Stellung mußte
ich dem Volke sagen, die Dschann, eifersüchtig auf die
Sterblichen, die einen so ganz bevorzugten Mann besaßen,
hätten diesen mit himmlischer Nahrung so vollgestopft, daß
seine Seele, die keinen Platz mehr im Körper hatte,
entschwand, und von dem starken Nordost, der damals gerade
blies, in den fünften Himmel geweht worden sei. Der Derwisch
wurde mit den größten Ehren zur Ruhe bestattet; der Prinz von
Herat, Eschek Mirza, hat ihn selbst auf seiner Schulter zu
Grabe getragen. Einer der frömmsten Afghanen
errichtete auf seinem Grabe ein Mausoleum, das seither ein
Wallfahrtsort für die ganze Umgegend wurde. Ich verblieb nach
dem Hinscheiden meines Gebieters noch einige Zeit in Herat,
wollte ich doch alle Vorteile ausnützen, die mir, dem Freunde
und Jünger eines so hochberühmten Heiligen, eigentlich
unfehlbar zukommen mußten, und habe diesen Entschluß niemals
bereut.
»Meine Zaubermittel ließ ich mir gut bezahlen, verdiente
überdies eine ansehnliche Summe durch den Verschleiß der
Barthaare und abgeschnittenen Fingernägel meines verblichenen
Freundes, die ich – so versicherte ich meinen Kunden –,
seitdem der Heilige sich auf den Berg zurückgezogen, sorgsam
aufgehoben hatte. In Wahrheit stammten Haare und Nägel von
meiner höchst eigenen Person. Als ich nun so viele dieser
Reliquien verkauft hatte, wie einige ansehnliche Bärte
ausmachten, die Quantität der Fingernägel war eine den
Barthaaren entsprechende, schien es mir doch geheuer, diesen
Handel trotz der Leichtgläubigkeit der Afghanen nicht so weit
zu treiben, daß sie in mir einen Schwindler vermuten mußten.
»Ich schnürte deshalb mein Bündel, ließ mich, nachdem ich
verschiedene Teile Persiens bereist hatte, zwischen Kabul und
Kandahar bei den Hezarehs, einem Nomadenvolke, das meist im
Zelte lebt, nieder. Die Erfolge, die ich dort zu verzeichnen
hatte, übertrafen meine allerkühnsten Erwartungen. Was
Derwisch Bidin einst in Herat zögernd geplant hatte, ward mir
vergönnt auszuführen: ich trat als richtiger Prophet auf.«
Derwisch Sefer legte die Hand auf die Schulter des ihm
zunächst sitzenden Derwisches und sagte: »Bei jenem
Unternehmen war dieser Freund mein Helfershelfer und entsinnt
sich sicher, wie köstlich schlau wir es einrichteten, die
Hezarehs glauben zu machen, wir besäßen einen Kessel, der
stets mit gekochtem Reis vollgefüllt sei – ein Wunder, von dem
selbst die Ungläubigsten fest überzeugt waren, wenn sie ihr
Teil davon abbekamen. Kurz, ich bin der in Hezareh so berühmte
Ischan, von dem ihr in der letzten Zeit viel reden hörtet, in
Person. Wenn meine Heiligkeit mich auch nicht gegen die
Angriffe des Schahs schützt, so trug mir doch die Frömmigkeit
und Leichtgläubigkeit meiner Anhänger so viel ein, den Rest
meines Lebens äußerst bequem verbringen zu können. Ich lebe
nun seit einiger Zeit in Meschhed; es ist kaum eine Woche her,
daß ich das Wunder vollbrachte, einem blinden Mädchen das
Augenlicht wiederzugeben, und genieße darum die allgemeine
allerhöchste Verehrung.«
Hier endete die Erzählung des Derwisches.