Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Siebzehntes Kapitel - Hadschi im Hause des Hofpoeten

Ich lenkte meine Schritte zum Hause des Poeten, weil ich dort etwas über ihn zu erfahren hoffte. Vom Ende der Straße aus bemerkte ich, daß eine Menschenmenge das Eingangstor umlagerte, erfuhr auch bald, der Poet sei soeben zurückgekommen und habe nach altem Brauche seinen Einzug über das Dach, anstatt durch das Tor gehalten, wie es die Sitte erheischt, wenn ein Totgesagter wieder lebendig heimkehrt. Durch den Volkshaufen drängte ich mich in das Gemach, wo der Poet saß, um ihn mit überschwenglichen Freudenbezeugungen zu seiner Heimkehr zu beglückwünschen. Er erkannte mich nicht wieder. Selbst nachdem ich ihm erklärt hatte, wer ich sei, wollte er kaum glauben, der schmucke, schöne Mensch, der vor ihm stand, und der zerlumpte, schmutzige Kerl, den er einst gekannt, könnten ein und dieselbe Person sein. Das Gemach war voll von allerlei Leuten, einigen, die glücklich, andern, die enttäuscht durch die Heimkehr schienen. Unter den letzteren, die dem Poeten aber die allerschönsten Komplimente machten, war Mirza Fusul, der Mann, der zum Nachfolger des Dichters ernannt war und nicht aufhörte zu rufen: »Euer Platz blieb unausgefüllt; unseren Augen ist das Licht wiedergegeben!« – Endlich wurde ein lautes Getöse vernehmbar, durch die weit aufgerissenen Tore trat ein Abgesandter des Schahs, der den Poeten aufforderte, unverzüglich zur Audienz zu kommen, welchem Befehl der Dichter in seinen von der Reise mit Staub bedeckten Kleidern und Schuhen sofort nachkam. Den Rest des Tages bummelte ich in den Straßen herum, baute Luftschlösser, durchstreifte den Basar, besuchte die Moscheen und lungerte unter den Faulenzern herum, die zu jeder Tageszeit die Tore des königlichen Palastes umlagern. Hier bildete die Wiederkehr des Poeten das Tagesgespräch. Einige behaupteten, der Schah habe befohlen, dem Überbringer der frohen Nachricht zehn Toman zu geben, andere sagten, der Schah habe im Gegenteil angeordnet, daß der nun einmal für tot erklärte Dichter auch tot bleiben müsse. In Wahrheit war der Beherrscher aller Gläubigen in übelster Laune ob dieser unerwarteten Wiederkehr: warf sie doch seine Verfügung über Haus und Eigentum des Poeten gänzlich über den Haufen. Asker aber, der die Leidenschaft seines königlichen Herrn für die Poesie im allgemeinen kannte, insbesondere für Verse, die seine Verdienste lobpreisend besangen, hatte diesen Fall vorausgeahnt und noch als Gefangener der Turkmenen ein für diese Gelegenheit passendes Gedicht verfaßt. Dies trug er im richtigen Augenblicke vor – und siehe da, die königliche Gunst, die sich so ganz von ihm abgewandt hatte, floß ihm nun abermals wie ein gewaltiger Strom zu.

Unverzüglich eilte ich zu meinem neuen selbsterkorenen Herrn und versäumte niemals, ihm bei der Morgentoilette aufzuwarten. Da er mir gewogen schien, klärte ich ihn über meine momentane Lage auf mit der Bitte, mich entweder in seinem Haushalte zu verwenden oder einem seiner Freunde als Diener zu empfehlen. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß die Niedergeschlagenheit des Nasirs oder Hausverwalters anläßlich der Rückkehr des Dichters nur die Angst war, gewisse von ihm verübte Betrügereien würden ans Tageslicht kommen. Da ich alles dieses dem Poeten hinterbracht hatte, hoffte ich im stillen, seine Stelle zu erlangen. Aber meine Rechnung erwies sich als falsch, der Hausverwalter behielt seinen Posten. Endlich eines Morgens ließ mich Asker zu sich rufen und sagte: »Hadschi, mein Freund, du weißt, welche Dankbarkeit ich dir stets für alle Freundlichkeit bezeigte, die du für mich hattest, als wir noch Gefangene der Turkmenen waren, und will dir nun auch meine Erkenntlichkeit beweisen. Ich habe dich dem ersten Leibarzte des Schahs, Mirza Ahmak, der einen Diener sucht, warm empfohlen; ich zweifle nicht, wenn du seine Zufriedenheit erringst, daß er dich in seiner Kunst, durch die du im Leben vorwärtskommen kannst, unterweisen wird. Du brauchst nur bei ihm vorzusprechen und zu sagen, ich hätte dich geschickt. Er wird dir dann sofort eine Beschäftigung anweisen.« Zur ausübenden Arzneikunde fehlte mir zwar jede Neigung; nach dem, was mir der Derwisch erzählt hatte, fühlte ich sogar eine gewisse Verachtung für den ärztlichen Beruf. Doch meine Lage war verzweifelt, der letzte Dinar ausgegeben, es blieb mir also nichts anderes übrig, als die Stelle bei dem Doktor anzunehmen. Demzufolge ging ich am anderen Tage in das nahe beim königlichen Palaste gelegene Haus des Arztes. Als ich den öden, nachlässig gehaltenen Hof betrat, kauerten mehrere Kranke gegen die Mauer, andere wurden von Freunden gestützt, wieder andere warteten mit Flaschen in den Händen, bis der Doktor aus dem Frauengemache käme, um seinen Beruf öffentlich auszuüben. Ich näherte mich einem offenen Fenster, wo jene standen, die nicht das Vorrecht genossen, das Zimmer selbst betreten zu dürfen, stellte mich dort auf und wartete, bis ich gerufen würde. Im Zimmer befanden sich allerlei Leute, die gekommen waren, um dem Doktor aufzuwarten, der wie alle Hofbediensteten täglich seinen Morgenempfang abhielt. Die Beobachtung dieser Leute lehrte mich, wie nötig es ist, wenn man im Leben vorwärtskommen will, selbst aus dem Kleinsten viel Wesens zu machen, sei es auch nur, daß einem der Hund oder die Katze desjenigen in den Weg liefe, der das Ohr der Mächtigen besitzt.

Ich stellte Betrachtungen an über alles Elend, das ich schon durchgemacht hatte, berechnete, wie lange es wohl noch währen könnte, bis ich auf dem Wege des Kriechens und Schmeichelns so weit gelangt wäre, die gleichen Aufmerksamkeiten für mich zu beanspruchen, als ich an den tiefen Bücklingen meiner Umgebung merkte, daß der Doktor sich ans Fenster gesetzt habe und seine tägliche Beschäftigung aufnahm. Der Hakim oder Doktor war ein alter Mann mit tief eingesunkenen Augen, hervorstehenden Backenknochen und spärlichem Haarwuchse. Sein Rücken war stark gebeugt; wenn er saß, streckte er das Kinn nach vorne, lehnte den Kopf zwischen die Schultern nach rückwärts und steckte die Hände in den Gürtel, so daß seine Ellenbogen auf jeder Seite ein Dreieck bildeten. Er fragte bissig und mürrisch, antwortete mit leisem Gemurmel, kurz, schien an alles eher zu denken als an das Geschöpf, das vor ihm stand. Als er alle Krankenberichte der Anwesenden vernommen und ein paar Worte an die Parasiten gerichtet hatte, schaute er mich mit seinen kleinen, scharfen Augen ein paar Sekunden lang an, bat mich zu warten, um dann vertraulich mit mir zu sprechen. Er stand bald auf, und ich wurde ersucht, ihn in einem kleinen von dicken Mauern eingeschlossenen Seitenhofe zu erwarten.

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