Siebzehntes Kapitel - Hadschi im Hause des Hofpoeten
Ich lenkte meine Schritte zum Hause des Poeten, weil ich
dort etwas über ihn zu erfahren hoffte. Vom Ende der Straße
aus bemerkte ich, daß eine Menschenmenge das Eingangstor
umlagerte, erfuhr auch bald, der Poet sei soeben
zurückgekommen und habe nach altem Brauche seinen Einzug über
das Dach, anstatt durch das Tor gehalten, wie es die Sitte
erheischt, wenn ein Totgesagter wieder lebendig heimkehrt.
Durch den Volkshaufen drängte ich mich in das Gemach, wo der
Poet saß, um ihn mit überschwenglichen Freudenbezeugungen zu
seiner Heimkehr zu beglückwünschen. Er erkannte mich nicht
wieder. Selbst nachdem ich ihm erklärt hatte, wer ich sei,
wollte er kaum glauben, der schmucke, schöne Mensch, der vor
ihm stand, und der zerlumpte, schmutzige Kerl, den er einst
gekannt, könnten ein und dieselbe Person sein. Das Gemach war
voll von allerlei Leuten, einigen, die glücklich, andern, die
enttäuscht durch die Heimkehr schienen. Unter den letzteren,
die dem Poeten aber die allerschönsten Komplimente machten,
war Mirza Fusul, der Mann, der zum Nachfolger des Dichters
ernannt war und nicht aufhörte zu rufen: »Euer Platz blieb
unausgefüllt; unseren Augen ist das Licht wiedergegeben!« –
Endlich wurde ein lautes Getöse vernehmbar, durch die weit
aufgerissenen Tore trat ein Abgesandter des Schahs, der den
Poeten aufforderte, unverzüglich zur Audienz zu kommen,
welchem Befehl der Dichter in seinen von der Reise mit Staub
bedeckten Kleidern und Schuhen sofort nachkam. Den Rest des
Tages bummelte ich in den Straßen herum, baute Luftschlösser,
durchstreifte den Basar, besuchte die Moscheen und lungerte
unter den Faulenzern herum, die zu jeder Tageszeit die Tore
des königlichen Palastes umlagern. Hier bildete die Wiederkehr
des Poeten das Tagesgespräch. Einige behaupteten, der Schah
habe befohlen, dem Überbringer der frohen Nachricht zehn Toman
zu geben, andere sagten, der Schah habe im Gegenteil
angeordnet, daß der nun einmal für tot erklärte Dichter auch
tot bleiben müsse. In Wahrheit war der Beherrscher aller
Gläubigen in übelster Laune ob dieser unerwarteten Wiederkehr:
warf sie doch seine Verfügung über Haus und Eigentum des
Poeten gänzlich über den Haufen. Asker aber, der die
Leidenschaft seines königlichen Herrn für die Poesie im
allgemeinen kannte, insbesondere für Verse, die seine Verdienste
lobpreisend besangen, hatte diesen Fall vorausgeahnt und noch
als Gefangener der Turkmenen ein für diese Gelegenheit
passendes Gedicht verfaßt. Dies trug er im richtigen
Augenblicke vor – und siehe da, die königliche Gunst, die sich
so ganz von ihm abgewandt hatte, floß ihm nun abermals wie ein
gewaltiger Strom zu.
Unverzüglich eilte ich zu meinem neuen selbsterkorenen
Herrn und versäumte niemals, ihm bei der Morgentoilette
aufzuwarten. Da er mir gewogen schien, klärte ich ihn über
meine momentane Lage auf mit der Bitte, mich entweder in
seinem Haushalte zu verwenden oder einem seiner Freunde als
Diener zu empfehlen. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß die
Niedergeschlagenheit des Nasirs oder Hausverwalters anläßlich
der Rückkehr des Dichters nur die Angst war, gewisse von ihm
verübte Betrügereien würden ans Tageslicht kommen. Da ich
alles dieses dem Poeten hinterbracht hatte, hoffte ich im
stillen, seine Stelle zu erlangen. Aber meine Rechnung erwies
sich als falsch, der Hausverwalter behielt seinen Posten.
Endlich eines Morgens ließ mich Asker zu sich rufen und sagte:
»Hadschi, mein Freund, du weißt, welche Dankbarkeit ich dir
stets für alle Freundlichkeit bezeigte, die du für mich
hattest, als wir noch Gefangene der Turkmenen waren, und will
dir nun auch meine Erkenntlichkeit beweisen. Ich habe dich dem
ersten Leibarzte des Schahs, Mirza Ahmak, der einen Diener
sucht, warm empfohlen; ich zweifle nicht, wenn du seine
Zufriedenheit erringst, daß er dich in seiner Kunst, durch die
du im Leben vorwärtskommen kannst, unterweisen wird. Du
brauchst nur bei ihm vorzusprechen und zu sagen, ich hätte
dich geschickt. Er wird dir dann sofort eine Beschäftigung
anweisen.« Zur ausübenden Arzneikunde fehlte mir zwar jede
Neigung; nach dem, was mir der Derwisch erzählt hatte, fühlte
ich sogar eine gewisse Verachtung für den ärztlichen Beruf.
Doch meine Lage war verzweifelt, der letzte Dinar ausgegeben,
es blieb mir also nichts anderes übrig, als die Stelle bei dem
Doktor anzunehmen. Demzufolge ging ich am anderen Tage in das
nahe beim königlichen Palaste gelegene Haus des Arztes. Als
ich den öden, nachlässig gehaltenen Hof betrat, kauerten
mehrere Kranke gegen die Mauer, andere wurden von Freunden
gestützt, wieder andere warteten mit Flaschen in den Händen,
bis der Doktor aus dem Frauengemache käme, um seinen Beruf
öffentlich auszuüben. Ich näherte mich einem offenen Fenster,
wo jene standen, die nicht das Vorrecht genossen, das Zimmer
selbst betreten zu dürfen, stellte mich dort auf und wartete,
bis ich gerufen würde. Im Zimmer befanden sich allerlei Leute,
die gekommen waren, um dem Doktor aufzuwarten, der wie alle
Hofbediensteten täglich seinen Morgenempfang abhielt. Die
Beobachtung dieser Leute lehrte mich, wie nötig es ist, wenn
man im Leben vorwärtskommen will, selbst aus dem Kleinsten
viel Wesens zu machen, sei es auch nur, daß einem der Hund
oder die Katze desjenigen in den Weg liefe, der das Ohr der
Mächtigen besitzt.
Ich stellte Betrachtungen an über alles Elend, das ich
schon durchgemacht hatte, berechnete, wie lange es wohl noch
währen könnte, bis ich auf dem Wege des Kriechens und
Schmeichelns so weit gelangt wäre, die gleichen
Aufmerksamkeiten für mich zu beanspruchen, als ich an den
tiefen Bücklingen meiner Umgebung merkte, daß der Doktor sich
ans Fenster gesetzt habe und seine tägliche Beschäftigung
aufnahm. Der Hakim oder Doktor war ein alter Mann mit tief
eingesunkenen Augen, hervorstehenden Backenknochen und
spärlichem Haarwuchse. Sein Rücken war stark gebeugt; wenn er
saß, streckte er das Kinn nach vorne, lehnte den Kopf zwischen
die Schultern nach rückwärts und steckte die Hände in den
Gürtel, so daß seine Ellenbogen auf jeder Seite ein Dreieck
bildeten. Er fragte bissig und mürrisch, antwortete mit leisem
Gemurmel, kurz, schien an alles eher zu denken als an das
Geschöpf, das vor ihm stand. Als er alle Krankenberichte der
Anwesenden vernommen und ein paar Worte an die Parasiten
gerichtet hatte, schaute er mich mit seinen kleinen, scharfen
Augen ein paar Sekunden lang an, bat mich zu warten, um dann
vertraulich mit mir zu sprechen. Er stand bald auf, und ich
wurde ersucht, ihn in einem kleinen von dicken Mauern
eingeschlossenen Seitenhofe zu erwarten.