Zweiundvierzigstes Kapitel - Hadschi wird beraubt und
erhält seine Freiheit wieder
Das Versprechen, das mir der Mudschtähid anläßlich seines
Besuches im Heiligtume gegeben hatte, beim Schah für meine
Begnadigung und Befreiung ein gutes Wort einlegen zu wollen,
kam mir nicht aus dem Sinn, darum überlegte ich lange, ob es
nicht rätlich sei, mir die Gunst dieses so mächtigen
Fürsprechers durch ein Geschenk warm zu halten, ohne das in
Persien nichts zu einem guten Ende zu führen ist. Freilich
hieß es die Wahl wohl zu bedenken. Das wenige, was ich an
Bargeld besaß und womit ich mein Leben fristen mußte, solange
sich mir keine neuen Einnahmequellen auftaten, hatte ich, in
meinem Beutel verwahrt, in einem versteckten Winkel in der
Nähe meiner Zelle vergraben.
Da mir für jemand, der immer auf den Knien liegt, ein
Gebetsteppich als das Passendste erschien, hatte ich mir zu
diesem Zwecke einige aus dem Basar zur Auswahl schicken
lassen.
»Sooft der wackere Mann betet,« sagte ich mir, »wird er an
mich denken, und da man in solchen Augenblicken immer gute
Vorsätze zu fassen pflegt, erinnert er sich dann vielleicht
auch an sein Versprechen, mir zu meiner Freiheit zu
verhelfen.«
Fest entschlossen, zu diesem Zwecke einen Toman zu opfern,
begab ich mich alsbald zu meinem heimlichen Verstecke, um
meinen Beutel auszugraben. Nun aber, lieber Leser, laß mich
innehalten und dich bitten, du mögest dich allerschrecklichen
Empfindungen erinnern, die dich bei den großen Enttäuschungen
deines Lebens durchtobten; ich kann dir versichern, sie
bedeuten nichts, verglichen mit dem Kummer, der Wut und der
Verzweiflung, der ich erlag, als ich entdeckte: – mein Beutel
war leer!
Ohne einen Augenblick zu zweifeln, rief ich aus tiefstem
Herzensgrunde: »O du vermaledeiter Hund! Du Gauner von einem
Derwisch! Freilich hast du mich in den sicheren Hafen gelotst,
mich nun aber meines Ankers beraubt! Möchten Bitternisse dein
Leben erfüllen und dein täglich Brot das Brot des Kummers
sein. Hadschi Baba ist nun am Ende noch ein Bettler geworden!«
Ich begann, auf die jammervollste Weise zu stöhnen und zu
lamentieren; denn ungeachtet der Mildtätigkeit der Bevölkerung
von Kum grinste mir nun doch die Furcht, verhungern zu müssen,
ins Gesicht! Da die Verzweiflung aber eine Krankheit ist, die
stets zunimmt, je länger man über sein Unglück nachsinnt, war
es mir geradezu ein Genuß, mich in alle Schrecknisse, die ich
bei Senebs Tode hatte erleben müssen, abermals recht zu
versenken, dachte hierauf über meine jetzige Gefangenschaft
und über meinen gerade erlittenen Verlust so lange nach, bis
mir schließlich meine ganze Lage so verzweifelt erschien, daß
ich sicher Gift verschluckt hätte, wäre es mir zur Hand
gewesen.
In diesem Augenblicke kam der alte Molla, der mich während
meines Besuches beim Mudschtähid gewarnt hatte, dem Derwische
kein allzu großes Vertrauen zu schenken, an meiner Zelle
vorüber. Ich erzählte ihm mein Mißgeschick und stöhnte so
erbarmungswürdig, daß sein Herz weich wurde. »O Molla,« sagte
ich, »nur zu wahr habt Ihr geredet, als Ihr mich vor dem
Derwische warntet! Mein Geld ist fort, und ich habe das
Nachsehen. Ich bin ein Fremdling, und derjenige, der vorgab,
mein Freund zu sein, entpuppte sich als mein ärgster Feind!
Fluch dem falschen Freunde! Wohin soll ich mich um Hilfe
wenden?«
»Gräme dich nicht, mein Sohn,« sagte der Molla. »Wir
wissen, es gibt einen Gott, und wenn es sein Wille ist, dich
durch Unglück zu prüfen, warum murrst du dagegen? dein Geld
ist fort, laß es fort sein, aber dein Beutel ist dir
verblieben, was willst du mehr? Schließlich ist ein Beutel
auch was wert.«
»Was sind das für Reden?« fragte ich. »Freilich weiß ich,
daß ein Beutel was wert ist, aber wird er mir mein Geld vom
Derwisch wiederverschaffen?«
Hierauf bat ich den alten Mann, den Mudschtähid von meinem
Mißgeschick in Kenntnis zu setzen und ihm überdies die
Unmöglichkeit vorzustellen, ihm jetzt, wie es meine Absicht
gewesen, meine schuldige Verehrung zu bezeugen. Er verließ
mich mit dem Versprechen, dem heiligen Manne meinen Fall in
der richtigen Beleuchtung vorzutragen. Überdies erfuhr ich zu
meiner größten Freude am gleichen Tage von der bevorstehenden
Ankunft des Schahs, eine Nachricht, die der Oberzeltbauer
mitbrachte, der nach Kum gekommen war, um alles für die
Bequemlichkeit des Königs Nötige vorzubereiten.
Der große offene Empfangsraum des Heiligtumes, in dem die
Könige ihr Gebet zu verrichten pflegten, wurde mit kostbaren
Teppichen belegt, der Springbrunnen in der Mitte in Tätigkeit
gesetzt, der Hof mit Wasser besprengt und die Zugänge zum
Grabmale in beste Ordnung gebracht. Alle Priester gingen als
Abordnung vereint dem Schah entgegen, und keine
Ehrenbezeugung, die die Würde des Schattens des Allmächtigen
erheischen konnte, wurde verabsäumt.
Ich machte mir nun schreckliche Sorgen wegen meines
künftigen Schicksals; ich hatte so lange Zeit nichts aus
Teheran vernommen und ahnte nicht, in welchem Grade ich mir
den Zorn des Schahs zugezogen hätte. Betrachtete ich die
Sachlage von der schwärzesten Seite, so bildete ich mir ein,
mein Kopf allein könnte ihm eine genügende Sühne dünken; gab
ich aber freundlicheren Zukunftsgedanken Raum, so wagte ich
leise zu hoffen, ich sei eine zu unwichtige Persönlichkeit,
als daß irgend jemand ein besonderes Interesse an meinem Tode
hätte, und setzte darum alle meine Hoffnungen auf die
Fürsprache des Mudschtähids. Seinerzeit war ich mit dem
Zeltbauer befreundet gewesen, fand auch unter seinen
Hilfsarbeitern viele mir bekannte Gesichter, die zu meinem
größten Erstaunen nicht zurückwichen, als ich mich ihnen zu
erkennen gab, trotzdem einer unsrer größten Weisen sagt: »Ein
Mensch im Unglücke wird zurückgewiesen wie ein falsches
Geldstück, das niemand nehmen mag; hat es einer aber
zufälligerweise angenommen, so gibt er es möglichst rasch an
einen andern weiter.«
Die Neuangekommenen berichteten mir alles, was sich seit
meiner langen Abwesenheit am Hofe zugetragen hatte; und
trotzdem ich erklärte, der Welt entsagt zu haben, ein
Einsiedler und ein Lebensmüder im Winkel geworden zu sein, so
merkte ich doch, wie willig mein Ohr allem lauschte, was in
der Welt vorging. Sie erzählten mir, der Oberexekutor sei von
seinem Feldzuge gegen die Russen zurückgekehrt und habe dem
Schah, um diesem einen noch höheren Begriff von seinen großen
Heldentaten und seinem Führertalente zu geben, unter andern
Raritäten auch eine georgische Sklavin und einen Sklaven
mitgebracht. Das Geschenk wurde angenommen, dem Oberexekutor
sollte auch die besondere Auszeichnung eines Ehrenkleides
[Fußnote] zuteil werden, vorausgesetzt, daß er einen ›Toubeh‹
(Eid der Buße) leistete, künftighin dem Weine etwas mäßiger
zuzusprechen. Gleichfalls erfuhr ich ferner, daß, trotzdem es
genugsam bekannt war, wie sehr ich an Senebs Schuld beteiligt
gewesen, dessenungeachtet mein früherer Herr, der Hakim, sich
gezwungen gesehen hatte, dem Schah als Ersatz für den durch
Senebs Tod erlittenen Verlust ein großes Geldgeschenk zu
machen, und ihm dieser, um seiner Enttäuschung Ausdruck zu
geben, daß sie nach seiner Rückkehr aus Sultanié nicht in der
Verfassung war, vor ihm zu tanzen und zu singen, außerdem die
Hälfte seines Bartes samt den Wurzeln ausreißen ließ.
Der Zorn des Schahs über den Verlust der kurdischen Sklavin
wurde jedoch größtenteils durch den Besitz der georgischen
besänftigt, die ihm der Oberexekutor zum Geschenke gemacht
hatte. Nach der Beschreibung galt sie als die Schönste ihrer
Art, die seit den Zeiten der Taûs (Pfaus) auf den
Sklavenmärkten zur Schau gestellt gewesen; sie war mit einem
Worte: die Perle in der Muschel der Schönheit und das Mark aus
dem Rückgrate der Vollkommenheit.
Ihr Gesicht war rund wie der Vollmond, ihre Augen hatten
einen Umfang von des Zeltbauers Zeigefinger und Daumen, ihre
Taille konnte er umspannen, und ihr Wuchs wetteiferte mit der
Größe und Majestät einer ausgewachsenen Zypresse. Überdies
versicherten sie mir, der Schah ließe sich ganz leicht
besänftigen, wenn ich ihm bloß ein Geschenk von ein paar Toman
machte.
Daraufhin begann ich abermals gotteslästerlich den Derwisch
zu verfluchen und sagte: »Wenn er nicht gewesen wäre, stünde
ich nun nicht mit leeren Händen da.« Jedenfalls aber war ich
überglücklich, zu erfahren, mein Fall sei nicht so
hoffnungslos, wie ich gefürchtet hatte; ich saß auf dem
Teppiche der Hoffnung, ich rauchte die Pfeife der Zuversicht
und war entschlossen, mein Schicksal mit dem beruhigenden
Gefühle der Vorherbestimmung abzuwarten, wie es der heilige
Prophet so weise zum ungestörten Seelenfrieden aller
Rechtgläubigen gelehrt hat.
Am nächsten Tage kam der König aller Könige an und stieg
bei den, für ihn außerhalb der Stadt erbauten Zelten vom
Pferde. Ich will den Leser mit der Beschreibung all der
Einzugsfeierlichkeiten, die auf seinen Wunsch tunlichst
vereinfacht wurden, nicht ermüden, denn der Schah
beabsichtigte mit seinem Besuche des Mausoleums keineswegs
weltliche Ehren zu ernten, sondern er wollte sich vor Gott und
den Menschen in Demut beugen, weil er hoffte, aufs reichste
und höchste dafür belohnt zu werden.
Seiner Staatsklugheit zufolge stand er stets auf dem besten
Fuße mit der ganzen Priesterschaft seines Landes, kannte er
doch ihren bedeutenden Einfluß auf das Volk und betrachtete
ihre Macht als die einzige Schranke seiner sonst
unumschränkten Herrschergewalt. [Fußnote] Aus diesem Grunde
zeichnete er Mirza Abul Kasim, den Mudschtähid von Kum, aus,
indem er seinen Besuch bei ihm zu Fuße machte, ihm auch
erlaubte, sich in seiner Gegenwart zu setzen, eine
Auszeichnung, die nur selten einem Laien zuteil wurde. Wahrend
seines ganzen Aufenthaltes in der Stadt ging er überallhin zu
Fuße, gab den Armen reichliche Almosen und weihte insbesondere
dem Grabmal der Heiligen mit Juwelen geschmückte wertvolle
Geschenke. Der König selbst, sowie alle in seiner Umgebung
fanden es angezeigt, den Ausdruck ihrer Gesichter mit den
Gepflogenheiten der Stadt in Einklang zu bringen; und ich
freute mich über alle Maßen, zu sehen, daß ich nicht als
einziger kummervoll betrübte Züge und eine weltabgestorbene
Haltung zur Schau trug. Ich erinnerte mich, als ich noch bei
Hofe war, gehört zu haben, der Schah sei in seinem Herzen,
wenn er auch äußerlich an allen religiösen Gebräuchen
unerbittlich streng festhielt, ein Susi. Darum bereitete es
mir eine wahre Erquickung, unter den hohen Offizieren seines
Gefolges einen der Staatssekretäre, einen notorischen Sünder
in dieser Richtung, augenblicklich gezwungen zu sehen, seine
Prinzipien in das Taschentuch des Vergessens zu wickeln und
sich in das Gewand des wahren Glaubens zu hüllen.
Am nächsten Morgen, als sich der Schah zum Grabmal begab,
um dort sein Gebet zu verrichten, war ich auf dem Posten, weil
ich hoffte, der Mudschtähid würde mich bemerken und dadurch an
sein gegebenes Versprechen erinnert werden.
Ungefähr eine Stunde vor der Gebetszeit um Mittag betrat
der Schah, von einem ungeheuren Troß von Höflingen, Priestern
und Leuten aus dem Volke umgeben, zu Fuße die Umfriedung des
Heiligtumes. Ganz im Einklänge mit seinem feierlich-ernsten
Gesichtsausdrucke trug er dunkle Gewandung; in der Hand hielt
er einen langen emaillierten Stock mit seltsam eingelegtem
Knauf. Er hatte jeden Schmuck abgelegt, trug sogar keine
seiner gewohnten Juwelen, nicht einmal seinen Dolch, ohne den
er bei keiner andern Gelegenheit erschien. Von hohem Werte war
nur sein Rosenkranz, den er nicht aus den Händen ließ und der
aus großen, tadellos geformten, weißschimmernden Perlen
bestand, die aus seinen Perlenfischereien in Bahrein stammten.
Der Mudschtähid ging zu seiner Linken, zwei bis drei Schritte
hinter ihm, beantwortete alle seine Fragen und schenkte jeder
Bemerkung, die er ihm zu machen geruhte, das eingehendste
Interesse. Als der Zug näher kam – er ging dicht an meiner
Zelle vorüber –, ergriff ich, da gerade kein Offizier in der
Nähe war, die Gelegenheit, rasch nach vorwärts zu eilen, auf
die Knie zu fallen, mit meinem Gesichte die Erde zu berühren
und auszurufen: »Ich suche Zuflucht beim König der Könige, dem
Horte der Welt! Im Namen der heiligen Fatimeh Barmherzigkeit!«
»Wer ist das?« rief der König dem Mudschtähid zu. »Ist er
einer der Euren?«
»Er floh ins Heiligtum«, antwortete der Mudschtähid, »und
fleht um Begnadigung, die der Schah, sooft er das Grabmal
besucht, allen unglücklichen Flüchtlingen zu gewähren pflegt.
Er wie wir alle sind Euer Opfer; doch geschehe, was immer der
Schah befiehlt.«
»Aber wer und was bist du,« fragte mich der Schah, »warum
hast du dich hierher geflüchtet?«
»Ich bin Euer Opfer,« sagte ich; »Euer Sklave war
Exekutionsunterleutnant des Mittelpunktes des Weltalls mit
Namen Hadschi Baba; meine Feinde ließen mich in den Augen des
Schahs verbrecherisch erscheinen, während ich unschuldig bin.«
»Yafte-em, da haben wir es endlich!« fiel der Schah nach
kurzer Pause ein. »Also du bist jener Hadschi Baba? Mubarek!
Möge dir's zum Segen gereichen. Ob der eine oder der andre von
den beiden Hunden die Sache gemacht hat, ob der Hakim oder der
Unterleutnant, das kommt aufs selbe heraus. Das Ende war, daß
des Königs Eigentum verbrannt wurde. Das ist doch klar genug;
nicht wahr, Mirza Abul Kasim?« sagte er, indem er sich zum
Mudschtáhid wandte.
»Ja, beim geheiligten Haupte des Königs,« antwortete der
heilige Mann, »meist vermögen in solchen Fällen zwischen Mann
und Weib nur die Betreffenden, und nur diese allein, die
Wahrheit zu sagen.«
»Aber was sagt unsre heilige Religion in solchen Fällen?«
bemerkte der König. »Der Schah hat eine Sklavin verloren; es
gibt ein Blutgeld selbst für das geringste menschliche Wesen!
Selbst ein Franke oder Moskowiter haben ihren Preis; und warum
sollten wir unsre Güter umsonst vergeuden zum Vergnügen unsres
Leibarztes oder unsres Exekutionsunterleutnants?«
»Jede von Gott erschaffene Kreatur hat ihren Preis, und
ungestraft sollte kein Blut vergossen werden; aber es gibt
auch die Verpflichtung des Vergebens und der Milde gegen die
Nebenmenschen, die der heilige Prophet (der in Ewigkeit
gesegnet sei!) vor allem jenen dringlichst empfiehlt, welche
die Macht in Händen haben, die du, o König, nirgends besser
anwenden kannst als in diesem Falle. Möge der Schah diesem
unglücklichen Sünder vergeben; und er wird dafür reichlicher
im Himmel belohnt werden, als hätte er zwanzig Moskowiter
getötet, den Vater aller Europäer gepfählt oder selbst einen
Sufi gesteinigt.«
»So sei es,« sagte der Schah mir zugewendet mit lauter
Stimme; »Murachaß (du bist entlassen); erinnere dich, du
verdankst der Fürsprache dieses Gottesmannes allein,« dabei
legte er gleichzeitig seine Hand auf die Schulter des
Mudschtáhids, »daß du frei bist und dich des Lichtes der Sonne
erfreuen darfst. Bero! (geh), öffne deine Augen und lasse dich
niemals wieder in unsrer Nähe blicken.«