Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Zweiundvierzigstes Kapitel - Hadschi wird beraubt und erhält seine Freiheit wieder

Das Versprechen, das mir der Mudschtähid anläßlich seines Besuches im Heiligtume gegeben hatte, beim Schah für meine Begnadigung und Befreiung ein gutes Wort einlegen zu wollen, kam mir nicht aus dem Sinn, darum überlegte ich lange, ob es nicht rätlich sei, mir die Gunst dieses so mächtigen Fürsprechers durch ein Geschenk warm zu halten, ohne das in Persien nichts zu einem guten Ende zu führen ist. Freilich hieß es die Wahl wohl zu bedenken. Das wenige, was ich an Bargeld besaß und womit ich mein Leben fristen mußte, solange sich mir keine neuen Einnahmequellen auftaten, hatte ich, in meinem Beutel verwahrt, in einem versteckten Winkel in der Nähe meiner Zelle vergraben.

Da mir für jemand, der immer auf den Knien liegt, ein Gebetsteppich als das Passendste erschien, hatte ich mir zu diesem Zwecke einige aus dem Basar zur Auswahl schicken lassen.

»Sooft der wackere Mann betet,« sagte ich mir, »wird er an mich denken, und da man in solchen Augenblicken immer gute Vorsätze zu fassen pflegt, erinnert er sich dann vielleicht auch an sein Versprechen, mir zu meiner Freiheit zu verhelfen.«

Fest entschlossen, zu diesem Zwecke einen Toman zu opfern, begab ich mich alsbald zu meinem heimlichen Verstecke, um meinen Beutel auszugraben. Nun aber, lieber Leser, laß mich innehalten und dich bitten, du mögest dich allerschrecklichen Empfindungen erinnern, die dich bei den großen Enttäuschungen deines Lebens durchtobten; ich kann dir versichern, sie bedeuten nichts, verglichen mit dem Kummer, der Wut und der Verzweiflung, der ich erlag, als ich entdeckte: – mein Beutel war leer!

Ohne einen Augenblick zu zweifeln, rief ich aus tiefstem Herzensgrunde: »O du vermaledeiter Hund! Du Gauner von einem Derwisch! Freilich hast du mich in den sicheren Hafen gelotst, mich nun aber meines Ankers beraubt! Möchten Bitternisse dein Leben erfüllen und dein täglich Brot das Brot des Kummers sein. Hadschi Baba ist nun am Ende noch ein Bettler geworden!«

Ich begann, auf die jammervollste Weise zu stöhnen und zu lamentieren; denn ungeachtet der Mildtätigkeit der Bevölkerung von Kum grinste mir nun doch die Furcht, verhungern zu müssen, ins Gesicht! Da die Verzweiflung aber eine Krankheit ist, die stets zunimmt, je länger man über sein Unglück nachsinnt, war es mir geradezu ein Genuß, mich in alle Schrecknisse, die ich bei Senebs Tode hatte erleben müssen, abermals recht zu versenken, dachte hierauf über meine jetzige Gefangenschaft und über meinen gerade erlittenen Verlust so lange nach, bis mir schließlich meine ganze Lage so verzweifelt erschien, daß ich sicher Gift verschluckt hätte, wäre es mir zur Hand gewesen.

In diesem Augenblicke kam der alte Molla, der mich während meines Besuches beim Mudschtähid gewarnt hatte, dem Derwische kein allzu großes Vertrauen zu schenken, an meiner Zelle vorüber. Ich erzählte ihm mein Mißgeschick und stöhnte so erbarmungswürdig, daß sein Herz weich wurde. »O Molla,« sagte ich, »nur zu wahr habt Ihr geredet, als Ihr mich vor dem Derwische warntet! Mein Geld ist fort, und ich habe das Nachsehen. Ich bin ein Fremdling, und derjenige, der vorgab, mein Freund zu sein, entpuppte sich als mein ärgster Feind! Fluch dem falschen Freunde! Wohin soll ich mich um Hilfe wenden?«

»Gräme dich nicht, mein Sohn,« sagte der Molla. »Wir wissen, es gibt einen Gott, und wenn es sein Wille ist, dich durch Unglück zu prüfen, warum murrst du dagegen? dein Geld ist fort, laß es fort sein, aber dein Beutel ist dir verblieben, was willst du mehr? Schließlich ist ein Beutel auch was wert.«

»Was sind das für Reden?« fragte ich. »Freilich weiß ich, daß ein Beutel was wert ist, aber wird er mir mein Geld vom Derwisch wiederverschaffen?«

Hierauf bat ich den alten Mann, den Mudschtähid von meinem Mißgeschick in Kenntnis zu setzen und ihm überdies die Unmöglichkeit vorzustellen, ihm jetzt, wie es meine Absicht gewesen, meine schuldige Verehrung zu bezeugen. Er verließ mich mit dem Versprechen, dem heiligen Manne meinen Fall in der richtigen Beleuchtung vorzutragen. Überdies erfuhr ich zu meiner größten Freude am gleichen Tage von der bevorstehenden Ankunft des Schahs, eine Nachricht, die der Oberzeltbauer mitbrachte, der nach Kum gekommen war, um alles für die Bequemlichkeit des Königs Nötige vorzubereiten.

Der große offene Empfangsraum des Heiligtumes, in dem die Könige ihr Gebet zu verrichten pflegten, wurde mit kostbaren Teppichen belegt, der Springbrunnen in der Mitte in Tätigkeit gesetzt, der Hof mit Wasser besprengt und die Zugänge zum Grabmale in beste Ordnung gebracht. Alle Priester gingen als Abordnung vereint dem Schah entgegen, und keine Ehrenbezeugung, die die Würde des Schattens des Allmächtigen erheischen konnte, wurde verabsäumt.

Ich machte mir nun schreckliche Sorgen wegen meines künftigen Schicksals; ich hatte so lange Zeit nichts aus Teheran vernommen und ahnte nicht, in welchem Grade ich mir den Zorn des Schahs zugezogen hätte. Betrachtete ich die Sachlage von der schwärzesten Seite, so bildete ich mir ein, mein Kopf allein könnte ihm eine genügende Sühne dünken; gab ich aber freundlicheren Zukunftsgedanken Raum, so wagte ich leise zu hoffen, ich sei eine zu unwichtige Persönlichkeit, als daß irgend jemand ein besonderes Interesse an meinem Tode hätte, und setzte darum alle meine Hoffnungen auf die Fürsprache des Mudschtähids. Seinerzeit war ich mit dem Zeltbauer befreundet gewesen, fand auch unter seinen Hilfsarbeitern viele mir bekannte Gesichter, die zu meinem größten Erstaunen nicht zurückwichen, als ich mich ihnen zu erkennen gab, trotzdem einer unsrer größten Weisen sagt: »Ein Mensch im Unglücke wird zurückgewiesen wie ein falsches Geldstück, das niemand nehmen mag; hat es einer aber zufälligerweise angenommen, so gibt er es möglichst rasch an einen andern weiter.«

Die Neuangekommenen berichteten mir alles, was sich seit meiner langen Abwesenheit am Hofe zugetragen hatte; und trotzdem ich erklärte, der Welt entsagt zu haben, ein Einsiedler und ein Lebensmüder im Winkel geworden zu sein, so merkte ich doch, wie willig mein Ohr allem lauschte, was in der Welt vorging. Sie erzählten mir, der Oberexekutor sei von seinem Feldzuge gegen die Russen zurückgekehrt und habe dem Schah, um diesem einen noch höheren Begriff von seinen großen Heldentaten und seinem Führertalente zu geben, unter andern Raritäten auch eine georgische Sklavin und einen Sklaven mitgebracht. Das Geschenk wurde angenommen, dem Oberexekutor sollte auch die besondere Auszeichnung eines Ehrenkleides [Fußnote] zuteil werden, vorausgesetzt, daß er einen ›Toubeh‹ (Eid der Buße) leistete, künftighin dem Weine etwas mäßiger zuzusprechen. Gleichfalls erfuhr ich ferner, daß, trotzdem es genugsam bekannt war, wie sehr ich an Senebs Schuld beteiligt gewesen, dessenungeachtet mein früherer Herr, der Hakim, sich gezwungen gesehen hatte, dem Schah als Ersatz für den durch Senebs Tod erlittenen Verlust ein großes Geldgeschenk zu machen, und ihm dieser, um seiner Enttäuschung Ausdruck zu geben, daß sie nach seiner Rückkehr aus Sultanié nicht in der Verfassung war, vor ihm zu tanzen und zu singen, außerdem die Hälfte seines Bartes samt den Wurzeln ausreißen ließ.

Der Zorn des Schahs über den Verlust der kurdischen Sklavin wurde jedoch größtenteils durch den Besitz der georgischen besänftigt, die ihm der Oberexekutor zum Geschenke gemacht hatte. Nach der Beschreibung galt sie als die Schönste ihrer Art, die seit den Zeiten der Taûs (Pfaus) auf den Sklavenmärkten zur Schau gestellt gewesen; sie war mit einem Worte: die Perle in der Muschel der Schönheit und das Mark aus dem Rückgrate der Vollkommenheit.

Ihr Gesicht war rund wie der Vollmond, ihre Augen hatten einen Umfang von des Zeltbauers Zeigefinger und Daumen, ihre Taille konnte er umspannen, und ihr Wuchs wetteiferte mit der Größe und Majestät einer ausgewachsenen Zypresse. Überdies versicherten sie mir, der Schah ließe sich ganz leicht besänftigen, wenn ich ihm bloß ein Geschenk von ein paar Toman machte.

Daraufhin begann ich abermals gotteslästerlich den Derwisch zu verfluchen und sagte: »Wenn er nicht gewesen wäre, stünde ich nun nicht mit leeren Händen da.« Jedenfalls aber war ich überglücklich, zu erfahren, mein Fall sei nicht so hoffnungslos, wie ich gefürchtet hatte; ich saß auf dem Teppiche der Hoffnung, ich rauchte die Pfeife der Zuversicht und war entschlossen, mein Schicksal mit dem beruhigenden Gefühle der Vorherbestimmung abzuwarten, wie es der heilige Prophet so weise zum ungestörten Seelenfrieden aller Rechtgläubigen gelehrt hat.

Am nächsten Tage kam der König aller Könige an und stieg bei den, für ihn außerhalb der Stadt erbauten Zelten vom Pferde. Ich will den Leser mit der Beschreibung all der Einzugsfeierlichkeiten, die auf seinen Wunsch tunlichst vereinfacht wurden, nicht ermüden, denn der Schah beabsichtigte mit seinem Besuche des Mausoleums keineswegs weltliche Ehren zu ernten, sondern er wollte sich vor Gott und den Menschen in Demut beugen, weil er hoffte, aufs reichste und höchste dafür belohnt zu werden.

Seiner Staatsklugheit zufolge stand er stets auf dem besten Fuße mit der ganzen Priesterschaft seines Landes, kannte er doch ihren bedeutenden Einfluß auf das Volk und betrachtete ihre Macht als die einzige Schranke seiner sonst unumschränkten Herrschergewalt. [Fußnote] Aus diesem Grunde zeichnete er Mirza Abul Kasim, den Mudschtähid von Kum, aus, indem er seinen Besuch bei ihm zu Fuße machte, ihm auch erlaubte, sich in seiner Gegenwart zu setzen, eine Auszeichnung, die nur selten einem Laien zuteil wurde. Wahrend seines ganzen Aufenthaltes in der Stadt ging er überallhin zu Fuße, gab den Armen reichliche Almosen und weihte insbesondere dem Grabmal der Heiligen mit Juwelen geschmückte wertvolle Geschenke. Der König selbst, sowie alle in seiner Umgebung fanden es angezeigt, den Ausdruck ihrer Gesichter mit den Gepflogenheiten der Stadt in Einklang zu bringen; und ich freute mich über alle Maßen, zu sehen, daß ich nicht als einziger kummervoll betrübte Züge und eine weltabgestorbene Haltung zur Schau trug. Ich erinnerte mich, als ich noch bei Hofe war, gehört zu haben, der Schah sei in seinem Herzen, wenn er auch äußerlich an allen religiösen Gebräuchen unerbittlich streng festhielt, ein Susi. Darum bereitete es mir eine wahre Erquickung, unter den hohen Offizieren seines Gefolges einen der Staatssekretäre, einen notorischen Sünder in dieser Richtung, augenblicklich gezwungen zu sehen, seine Prinzipien in das Taschentuch des Vergessens zu wickeln und sich in das Gewand des wahren Glaubens zu hüllen.

Am nächsten Morgen, als sich der Schah zum Grabmal begab, um dort sein Gebet zu verrichten, war ich auf dem Posten, weil ich hoffte, der Mudschtähid würde mich bemerken und dadurch an sein gegebenes Versprechen erinnert werden.

Ungefähr eine Stunde vor der Gebetszeit um Mittag betrat der Schah, von einem ungeheuren Troß von Höflingen, Priestern und Leuten aus dem Volke umgeben, zu Fuße die Umfriedung des Heiligtumes. Ganz im Einklänge mit seinem feierlich-ernsten Gesichtsausdrucke trug er dunkle Gewandung; in der Hand hielt er einen langen emaillierten Stock mit seltsam eingelegtem Knauf. Er hatte jeden Schmuck abgelegt, trug sogar keine seiner gewohnten Juwelen, nicht einmal seinen Dolch, ohne den er bei keiner andern Gelegenheit erschien. Von hohem Werte war nur sein Rosenkranz, den er nicht aus den Händen ließ und der aus großen, tadellos geformten, weißschimmernden Perlen bestand, die aus seinen Perlenfischereien in Bahrein stammten. Der Mudschtähid ging zu seiner Linken, zwei bis drei Schritte hinter ihm, beantwortete alle seine Fragen und schenkte jeder Bemerkung, die er ihm zu machen geruhte, das eingehendste Interesse. Als der Zug näher kam – er ging dicht an meiner Zelle vorüber –, ergriff ich, da gerade kein Offizier in der Nähe war, die Gelegenheit, rasch nach vorwärts zu eilen, auf die Knie zu fallen, mit meinem Gesichte die Erde zu berühren und auszurufen: »Ich suche Zuflucht beim König der Könige, dem Horte der Welt! Im Namen der heiligen Fatimeh Barmherzigkeit!«

»Wer ist das?« rief der König dem Mudschtähid zu. »Ist er einer der Euren?«

»Er floh ins Heiligtum«, antwortete der Mudschtähid, »und fleht um Begnadigung, die der Schah, sooft er das Grabmal besucht, allen unglücklichen Flüchtlingen zu gewähren pflegt. Er wie wir alle sind Euer Opfer; doch geschehe, was immer der Schah befiehlt.«

»Aber wer und was bist du,« fragte mich der Schah, »warum hast du dich hierher geflüchtet?«

»Ich bin Euer Opfer,« sagte ich; »Euer Sklave war Exekutionsunterleutnant des Mittelpunktes des Weltalls mit Namen Hadschi Baba; meine Feinde ließen mich in den Augen des Schahs verbrecherisch erscheinen, während ich unschuldig bin.«

»Yafte-em, da haben wir es endlich!« fiel der Schah nach kurzer Pause ein. »Also du bist jener Hadschi Baba? Mubarek! Möge dir's zum Segen gereichen. Ob der eine oder der andre von den beiden Hunden die Sache gemacht hat, ob der Hakim oder der Unterleutnant, das kommt aufs selbe heraus. Das Ende war, daß des Königs Eigentum verbrannt wurde. Das ist doch klar genug; nicht wahr, Mirza Abul Kasim?« sagte er, indem er sich zum Mudschtáhid wandte.

»Ja, beim geheiligten Haupte des Königs,« antwortete der heilige Mann, »meist vermögen in solchen Fällen zwischen Mann und Weib nur die Betreffenden, und nur diese allein, die Wahrheit zu sagen.«

»Aber was sagt unsre heilige Religion in solchen Fällen?« bemerkte der König. »Der Schah hat eine Sklavin verloren; es gibt ein Blutgeld selbst für das geringste menschliche Wesen! Selbst ein Franke oder Moskowiter haben ihren Preis; und warum sollten wir unsre Güter umsonst vergeuden zum Vergnügen unsres Leibarztes oder unsres Exekutionsunterleutnants?«

»Jede von Gott erschaffene Kreatur hat ihren Preis, und ungestraft sollte kein Blut vergossen werden; aber es gibt auch die Verpflichtung des Vergebens und der Milde gegen die Nebenmenschen, die der heilige Prophet (der in Ewigkeit gesegnet sei!) vor allem jenen dringlichst empfiehlt, welche die Macht in Händen haben, die du, o König, nirgends besser anwenden kannst als in diesem Falle. Möge der Schah diesem unglücklichen Sünder vergeben; und er wird dafür reichlicher im Himmel belohnt werden, als hätte er zwanzig Moskowiter getötet, den Vater aller Europäer gepfählt oder selbst einen Sufi gesteinigt.«

»So sei es,« sagte der Schah mir zugewendet mit lauter Stimme; »Murachaß (du bist entlassen); erinnere dich, du verdankst der Fürsprache dieses Gottesmannes allein,« dabei legte er gleichzeitig seine Hand auf die Schulter des Mudschtáhids, »daß du frei bist und dich des Lichtes der Sonne erfreuen darfst. Bero! (geh), öffne deine Augen und lasse dich niemals wieder in unsrer Nähe blicken.«

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