Vierundvierzigstes Kapitel - Hadschi erbt, kann aber kein
Geld finden
Nachdem mein Vater ohne einen letzten Willen gestorben war,
wurde ich naturgemäß und ohne Einspruch als sein einziger Erbe
erklärt. Alle jene, die getrachtet hatten, sich in sein
Vermögen zu teilen, und durch mein plötzliches Erscheinen leer
ausgingen, zogen ihre Ansprüche zwar unverzüglich zurück,
machten aber ihrer Enttäuschung durch üble Nachrede Luft. Sie
erklärten, ich wäre ein Schuft, hätte weder Religion, noch
Ehrfurcht für meine Eltern, durchzöge als Abenteurer die Welt,
und meine Genossen seien Wanderderwische und Lûtis.
Da ich nicht im Sinne hatte, in Ispahan zu verbleiben,
begegnete ich ihren Versuchen, mich zu schädigen, mit
Verachtung; aber eine Genugtuung war es mir doch, ihre
pöbelhaften Gemeinheiten durch eine Flut von Ausdrücken
wettzumachen, die weder ihnen noch ihren Vätern je zu Ohren
gekommen waren: gräßliche Ausdrücke, die ich in meiner ersten
Jugend im jahrelangen Verkehre mit erlauchten Persönlichkeiten
aufgelesen hatte.
Als meine Mutter und ich wieder allein und uns selbst
überlassen waren, sie den Verlust des Gatten, ich den des
Vaters hinreichend mit rührenden Wehklagen betrauert hatte,
kam es zu folgender Unterredung.
»Nun sage mir, Mutter (denn zwischen uns darf kein
Geheimnis sein), sage mir, wie stehen die Angelegenheiten
Hassan Kerbelaïs? Da er dich liebte und dir sein Vertrauen
schenkte, mußt du sie besser als irgend jemand anders kennen.«
»Inwieweit sind sie dir selbst bekannt, mein Sohn?« fragte
sie mit großer Hast und augenscheinlicher Verwirrung.
Ich unterbrach sie, um in meiner Rede fortzufahren: »Es
wird dir bekannt sein, daß, nachdem ich dem Gesetze nach sein
Erbe bin, ich auch seine Schulden zu begleichen habe, und
darum sollten diese festgestellt werden. Ferner müssen die
Begräbniskosten, die sehr bedeutend sein dürften, bezahlt
werden, ich jedoch bin im Augenblicke ebenso von allen Mitteln
entblößt wie am Tage, als du mir das Leben gabst. Um aber
alles dies zu decken, brauchen wir Geld, sonst würde mein und
meines Vaters Namen vor den Leuten entehrt sein und meine
Feinde nicht verfehlen, über mich herzufallen. Er stand im
Geruche des Reichtums; denn hätten sich sonst so viele
Blutsauger und Achselträger, die nur mein Erscheinen verjagte,
um sein Totenbett gedrängt? Du bist meine Mutter, du mußt mir
sagen, wo er gewöhnlich sein Bargeld hintat, wem er etwas
schuldig ist oder schuldig sein könnte, und wie groß sein
Vermögen außer seinem sichtbaren Eigentume sein kann?«
»O Allah!« rief sie aus, »was sind das für Reden? Dein
Vater war ein armer Mann, der weder Geld noch Gut besaß. Ja,
Geld! Wir hatten nichts andres zu essen als trockenes Brot!
Hier und da nach Ankunft einer Karawane, wenn es recht viele
Köpfe zu rasieren gab und das Geschäft flott ging, vergönnten
wir uns eine Schüssel Reis oder ein Gericht Kebab; außerdem
haben wir wie Bettler gelebt. Ein Bissen Brot, ein Stückchen
Käse, eine Zwiebel, eine Schale saurer Milch, anders ging es
alltags nicht bei uns her; und angesichts dieser Verhältnisse
verlangst du Geld von mir und noch dazu Bargeld? Es ist dies
Haus hier da, was du kennst, und der Laden samt der
Einrichtung; aber damit habe ich auch so ziemlich alles
angeführt, was anzuführen ist. Du kamst gerade zur rechten
Zeit, um in die Fußstapfen deines Vaters zu treten und sein
Geschäft zu übernehmen; Inschallah, so Gott will, wird deine
Hand eine gesegnete sein, die jahraus, jahrein nicht zu feiern
braucht.«
»Dies ist höchst seltsam!« rief ich aus. »Mehr als fünfzig
Jahre harter, unablässig saurer Arbeit und kein Geld vorweisen
können! Das ist unglaublich, da müssen die Wahrsager ins Haus
kommen!«
»Die Wahrsager?« rief meine Mutter einigermaßen bestürzt.
»Was sollen diese uns nützen? Die läßt man kommen, um Diebe
ausfindig zu machen! Hadschi, du wirst doch deine Mutter nicht
des Diebstahls bezichtigen wollen? Geh, erkundige dich bei
deinem Freunde, dem Akhund, der auch deines Vaters Freund war.
Er ist über alle Angelegenheiten deines Vaters genau
unterrichtet und kann dir meiner Überzeugung nach nur
wiederholen, was ich dir gesagt habe.«
»Mutter, dein Vorschlag klingt nicht übel,« antwortete ich.
»Der Akhund, der meines Vaters intimster Vertrauensmann auf
seinem Sterbebette zu sein schien, wird auch wissen, welches
seine letzten Wünsche waren, und mir sagen können, ob er etwas
hinterließ und wo das Geld zu finden ist.«
Demzufolge suchte ich sofort den alten Mann auf und fand
ihn inmitten seiner Schüler in der gleichen Ecke der kleinen
Gemeindemoschee sitzen, genau wie vor zwanzig Jahren, wo ich
selbst den Unterricht bei ihm genossen hatte.
Als er mich kommen sah, entließ er seine Schüler, indem er
sagte, auch er wolle ebenso wie andre des Vergnügens
teilhaftig werden, das ich unfehlbar hervorriefe, wo auch
immer ich erschiene.
»Ahib Akhund,« sagte ich, »mache dich nicht über mich
lustig. Mein Glück läßt mich ganz im Stiche; denn jetzt, wo
ich hoffen konnte, daß das Schicksal, das mir den Vater nahm,
mich für diesen Verlust durch Reichtum entschädigen würde,
scheint meiner eine Enttäuschung zu harren, und am Ende werde
ich noch bettelärmer sein, als ich es je gewesen bin!«
»Allah kerim, Gott ist gütig!« sagte der Schulmeister,
blickte gen Himmel, legte seine Hände, die Innenseite nach
oben gekehrt, auf seine Knie und rief: »O Allah, alles, was
ist, bist du!« Und mir zugewendet, sagte er: »Ja, mein Sohn,
so ist die Welt und wird immer so bleiben, solange man sein
Herz nicht allen menschlichen Wünschen verschließt. Wünsche
nichts, suche nichts, dann wird dich nichts suchen.«
»Seit wann bist du denn ein Sufi,« fragte ich ihn, »daß du
in dieser Weise redest? Über das Thema kann ich mitsprechen,
seitdem mich meine schlechten Sterne nach Kum führten. Aber
jetzt nehmen mich andre Angelegenheiten in Anspruch!« Ich
sagte ihm dann, weshalb ich ihn aufgesucht hätte, und bat ihn,
mir mitzuteilen, was er von meines Vaters Angelegenheiten
wüßte.
Bei dieser Frage begann er zu husten, machte ein
erschrecklich kluges Gesicht, schwor zahllose Eide und erging
sich in gewundenen Beteuerungen, die damit endeten, mir zu
wiederholen, was ich schon vorher durch meine Mutter erfahren
hatte, nämlich, er glaube, mein Vater sei gestorben, ohne im
Besitz von ›Nagd‹ – Bargeld – zu sein (worauf doch eigentlich
mein momentanes Suchen allein gerichtet war). Was seine
liegenden Güter beträfe, die kennte ich doch sicher ebensogut
wie er selbst.
Zuerst ließ mich die Enttäuschung für einige Zeit
verstummen, um später meinem Staunen mit den heftigsten Worten
Ausdruck zu geben. Ich hatte Beweise, daß mein Vater als
echter, guter Muselmann niemals Geld auf Zinsen lieh, entsann
mich jetzt sehr wohl aus meiner Jugend, daß Osman Aga, mein
erster Herr, eine große Summe von ihm borgen wollte, ihm auch
hohe Zinsen dafür anbot, mein Vater aber sein Gewissen in die
Hände eines rechtgläubigen Mollas legte, der ihm sagte, die
Vorschrift des Korans verböte dies überhaupt. Ob er nun seit
der Zeit weniger streng an seinen Grundsätzen festgehalten,
konnte ich nicht sagen, war aber überzeugt, daß er sich dem
ungesetzmäßigen Brauch, Zinsen zu nehmen, stets abgeneigt
zeigte und im Tode wie im Leben das wahre Vorbild eines
Rechtgläubigen gewesen war. Sehr niedergeschlagen verließ ich
die Moschee, lenkte meine Schritte zu meines Vaters Laden und
zermarterte mir das Gehirn, was ich beginnen sollte, um mir
künftighin meinen Unterhalt zu sichern.
In Ispahan zu verbleiben, kam nicht in Frage, da mir die
Stadt und ihre Bewohner geradezu verhaßt waren; also blieb mir
nichts andres übrig, als über alles, was mir gehörte, zu
verfügen und in die Hauptstadt zurückzukehren, die für einen
Abenteurer wie mich schließlich doch die größten Vorteile bot.
Ich konnte mich des Gedankens nicht entschlagen, mein Vater
habe sicher Bargeld besessen, und gegen meinen Willen stieg
mir ein Argwohn auf, man habe in der einen oder andern Weise
falsches Spiel mit mir gespielt.
Da ich fremd in der Stadt war und nicht wußte, an wen ich
mich wenden sollte, und gerade darüber nachdachte meinen Fall
mit dem Kadi zu beraten, redete mich der alte Kaputschi an.
»Friede sei mit dir, Aga!« sagte er. »Möge dein Überfluß
größer werden! Meine Augen werden heller, wenn ich dich sehe!«
»Du scheinst köstlich gelaunt zu sein, Ali Mohammed,« gab
ich zur Antwort. »Was nun meinen Überfluß, von dem du
sprichst, anbelangt, so habe ich allerdings Kümmernisse im
Überfluß, von einem andern aber wüßte ich nichts. Ach!« rief
ich mit einem Seufzer, »meine Leber ist zu Wasser geworden und
meine Seele verdorrt.«
»Was soll das heißen?« fragte der alte Mann. »Dein Vater
(der in Frieden ruhe) ist gerade gestorben. Du bist sein Erbe,
bist jung und, Maschallah, auch hübsch, hast obendrein einen
hellen Kopf, was willst du denn mehr!«
»Allerdings bin ich der Erbe, aber wovon? Was nützt es mir,
ein altes Haus aus Lehm zu erben, ein paar zerschlissene
Teppiche, einige Töpfe, Pfannen und altersschwachen Hausrat,
den Laden dort nebst den Messingbecken und einem Dutzend
Rasiermessern? Auf eine solche Erbschaft spucke ich!«
»Aber Hadschi,« rief der Torwart, »wo ist dein Geld, dein
Bargeld? Deinem Vater (Gott sei mit ihm) sagt man nach, er sei
ebenso knauserig mit seinem Gelde als freigebig mit seiner
Seife gewesen; jedermann weiß auch, daß er viel
zusammengescharrt haben muß, und kein Tag verging, an dem er
seinem Schatze nicht etwas zulegte.«
»Das mag ja richtig sein,« sagte ich, »aber was nützt mir
das, wenn ich nicht herausbringen kann, wo er sein Geld
aufbewahrte? Meine Mutter sagt, er hätte keins gehabt; das
nämliche wiederholte mir der Akhund. Leider bin ich kein
Zauberer, um die Wahrheit herauszubringen, und hatte gerade im
Sinne, zum Kadi zu gehen.«
»Zum Kadi?« fragte Ali Mohammed. »Gott bewahre, geh da
nicht hin. Ebensogut könntest du in meiner Abwesenheit ans Tor
der Karawanserei anklopfen, als den Versuch machen, durch ihn,
ohne hohe Gebühren im voraus, zu deinem Rechte zu kommen.«
»Ja, was ist denn da zu tun?« sagte ich. »Könnten mir
vielleicht die Wahrsager in dem Falle helfen?«
»Da ist weiter gar nichts Schlimmes dabei,« antwortete der
Torwart. »Gerade während meiner Dienstzeit in dieser
Karawanserei sah ich sie bedeutende Entdeckungen machen;
Kaufleute, die ihr Geld verloren hatten, fanden es häufig
durch ihr Zutun wieder. Nur beim Überfalle der Turkmenen, wo
so viel Gut gestohlen wurde, waren sie völlig am Ende ihrer
Weisheit. Ach, war das ein seltsames Erlebnis, das viel
Trübsal über mein Haupt brachte. Waren doch einige infam
genug, zu sagen, ich sei mit ihnen im Einverständnisse
gewesen, und, was noch merkwürdiger ist, zu behaupten, du
hättest dich unter ihnen befunden, Hadschi; denn nur auf
deinen Namen hin, dessen sich der Hundesohn bediente, um mich
zum Öffnen des Tores zu bewegen, entstand das ganze Unheil.«
Glücklicherweise sah der alte Mohammed sehr schlecht, sonst
hätte er bei diesen Worten eine Veränderung meiner
Gesichtszüge beobachten müssen. Dessenungeachtet endete unser
Gespräch damit, daß er mir versprach, den erfahrensten aller
Wahrsager von ganz Ispahan zu schicken; »ein Mann,« sagte er,
»der ein Goldstück aus der Erde herausziehen würde, und wäre
es zehn Gäz (Ellen) tief vergraben.«