Achtundvierzigstes Kapitel - Hadschi wird für ein
seltsames Projekt gewonnen
Als der Priester weggegangen war und ich mit dem Molla
allein blieb, zog er das Brieflein des Mudschtähid aus seinem
Busen, betonte, daß er sich glücklich schätze, mich auf eine
so herrliche Empfehlung hin in seine Dienste zu nehmen, schien
auch, wie er mir andeutete, von den Antworten, die ich ihm
bezüglich meiner Kenntnisse gab, hochbefriedigt zu sein.
Schon lange suchte er nach einer Persönlichkeit meines
Schlages; »denn jener, der eben wegging, war mir zwar bei der
vielseitigen Ausübung meiner verschiedenen Amtsvorschriften
behilflich, aber für meine Zwecke doch viel zu sehr ›Napak‹
(Intrigant). Ich suche jemand, der meine Interessen wie seine
eigenen behandelt, der einen Bissen Brot mit mir teilt, sich
aber kein größeres Stück nimmt, als ihm zukommt.«
Darauf antwortete ich dem Molla, daß, trotzdem ich schon
viel in der Welt herumgekommen sei, er dennoch in mir einen
treuen und ergebenen Diener finden sollte, der bereit sei,
sich seine Grundsätze anzueignen, und (wie ich schon dem
Mudschtähid erklärt hatte) den Entschluß gefaßt habe, ein
neues Leben zu beginnen, und unter seiner Leitung versuchen
wolle, ein wahrer Muselmann zu werden.
»In dieser Richtung«, sagte der Molla, »kannst du dich als
den glücklichsten aller Sterblichen betrachten, denn ich gelte
als das Muster eines Nachfolgers des heiligen Propheten. Kurz,
man kann mich einen lebendig gewordenen Koran nennen.
Regelmäßiger als ich betet keiner. Niemand nimmt sein Bad
gewissenhafter oder hält sich ängstlicher von allem fern, was
als unrein gilt. Du wirst weder Seide an meiner Kleidung noch
Gold an meinen Fingern sehen. Es ist anerkannt, daß kein
Mensch in der Stadt seine Waschungen korrekter verrichtet als
ich, und meine Art, mich zu reinigen, hat die größte
Verbreitung gefunden. Ich trinke und rauche nie vor Menschen,
und spiele, weil es den Geist von der tiefen Betrachtung
abzieht, niemals Karten noch Schach oder irgendein Spiel,
welches das Gesetz verbietet. Ich gelte als ein vorbildlicher
Faster. Während des Ramasans, wo mich so viele hungrige Kerle
aufsuchen und unter den verschiedensten Vorwänden eine
Milderung des Gesetzes von mir erlangen möchten, lautet meine
unerbittliche Antwort stets: ›Lieber sollt ihr sterben als
essen, trinken oder rauchen. Folgt mir nach, der lieber von
einem Freitag zum anderen, ohne seine Lippen mit unerlaubter
Nahrung zu verunreinigen, ausharren würde, als ein Tüttelchen
der heiligen Vorschrift außer acht zu lassen.‹«
Obschon ich seine Hartnäckigkeit im Fasten gerade nicht
übermäßig bewunderte, so war ich sonst mit allem, was er
sagte, sehr einverstanden und drückte meinen Beifall stets so
zur richtigen Zeit aus, daß ich bemerken konnte, wie ich ihm
schon beinahe ebensogut gefiel, wie er sich selber!
»Da die gleiche religiöse Hingabe«, fuhr er fort, »mich
immer abhielt, selbst eine Frau zu nehmen, übertreffe ich in
dieser Hinsicht an Vollkommenheit den heiligen Propheten, der
(Segen ruhe auf seinem Barte!) mehr Frauen, Weiber und
Sklavinnen besaß, als selbst Sulaiman ibn Daûd (Salomo, der
Sohn Davids). Aber wenn ich mich auch nicht selbst verheirate,
so verhelfe ich doch anderen dazu, und gerade in diesem
besonderen Zweige meiner Pflichten beabsichtige ich, dich zu
verwenden.«
»Bei meinen Augen,« antwortete ich, »ich harre Eurer
Befehle, denn vor der Hand bin ich so unwissend, wie der Türke
auf dem Lande.«
»So wisse denn,« sagte er, »daß zum Ärgernisse aller
Religiösen und zum größten Schaden des Gesetzes der Handel mit
den ›Kaulis‹ oder Kurtisanen einen solchen Umfang in der Stadt
annahm, daß Ehefrauen bereits als etwas Überflüssiges gelten.
Die Männer ruinieren sich, die Verordnungen des Propheten
werden verhöhnt. Der Schah, der ein frommer Fürst ist, die
Olemas hoch verehrt und die Ehe heilig hält, beklagte sich
beim Molla-Baschi, dem Oberhaupte aller Schriftgelehrten, über
diese Mißachtung jeder Moral in seiner Hauptstadt. Er erteilte
ihm, nebst einer Rüge ob seiner Lässigkeit, den Befehl, ein
Mittel zu ersinnen, diesem Übel abzuhelfen. Der Molla-Baschi
ist, unter uns gesagt, in jeder Hinsicht ein Esel, einer, der
von der Religion und ihren Pflichten soviel weiß als von
Frengistan (Europa) und seinen Königen. Aber ich, der Molla
Nadan, ich schlug ein System vor, das die Ansprüche des
Publikums und die Vorschriften des Gesetzes herrlich in
Einklang bringt, allen dient und niemanden schädigt. Wie du
weißt, können wir uns nach unserm Gesetze auf so lange oder so
kurze Zeit verheiraten, als es uns paßt, und in diesem Falle
heißt die Frau Sighé. ›Aber warum,‹ sagte ich zum
Oberpriester, ›warum sollten wir nicht eine gewisse Anzahl
solcher Frauen für alle jene, die um eine Gefährtin in
Verlegenheit sind, auf Lager halten?‹ Dem Molla-Baschi, der in
allen Fällen, wo es sich nicht um seinen Vorteil handelt, ein
Oberdummkopf ist, leuchtete meine Idee, von der er sich eine
reiche Ernte erhoffte, ein. Er erwarb demzufolge einige
kleine, billige Häuser, in denen er eine Anzahl von Frauen
unterbrachte, die durch seine Vermittlung in der Stellung und
den Vorrechten einer Sighé an jeden Beliebigen, dem nach einer
solchen Heirat gelüstet, verheiratet werden. Nach der
Eheschließung müssen ihm beide Teile, je nach ihren
Vermögensumständen, eine Gebühr entrichten, was sein Einkommen
sehr wesentlich erhöht. Die Leute sind auf diese Heiraten so
erpicht, daß mehrere seiner Mollas nur mit dem Lesen der
Heiratszeremonien vollauf zu tun haben. Vom ganzen Ertrage
läßt er aber mir, der doch den ganzen Plan erdachte, auch
nicht das geringste zukommen, und deshalb habe ich mich selbst
zur Gründung eines solchen Geschäftes entschlossen. Jedoch die
Sache muß geheimgehalten werden, erführe der Molla-Baschi
etwas davon, würde er vermöge seiner Autorität das ganze
Unternehmen zunichte machen und mich womöglich der Stadt
verweisen lassen.«
Während mir der Molla seine Pläne darlegte, schaute ich ihn
von Kopf zu Füßen an und fragte mich, ob dieser in der Tat der
Pfeiler des Gesetzes sei, den der gutherzige Mudschtähid in so
begeisterten Worten gepriesen hatte? Jedenfalls war mir dies
gottgeweihte Leben noch zu neu, als daß ich mir erlaubt hätte,
die Tauglichkeit solcher Systeme in Zweifel zu ziehen, und
fuhr darum fort, alles, was mir Nadan sagte, beifälligst
anzuhören. Er sagte:
»Ich habe bereits drei Frauen in Bereitschaft und sie in
einem kleinen Hause in der Nachbarschaft untergebracht, und
ich möchte dich damit beauftragen, Männer für sie zu suchen.
Du wirst in den Karawansereien auf die ankommenden Leute und
Fremden, denen du eine Heirat unter billigeren Bedingungen als
die des Oberpriesters vorschlagen kannst, ein Auge haben und
eine den Vermögensverhältnissen des Bräutigams entsprechende
Gebühr eintreiben. Von mir darfst du keinerlei Gehalt
erwarten, da du Gelegenheit hast, großes Wissen bei mir zu
erwerben und es selbst eines Tages zum Molla, der allen
Rechtgläubigen den Weg zur Erfüllung ihrer Pflichten zeigt,
bringen kannst. In meinem Hause sollst du reichlich verpflegt
werden, und hie und da wird sich auch eine Gelegenheit bieten,
auf ehrliche Weise einiges in deine Tasche fließen zu lassen.
Besuchen mich meine Freunde, um die Abendmahlzeit bei mir
einzunehmen, wirst du als mein Diener auftreten; bei andern
Gelegenheiten aber kannst du dich in meiner Gegenwart setzen
und das Amt meines Schreibers versehen.«
Hier endete der Molla seine Rede, in der Erwartung, einer
zustimmenden Antwort von mir. Ich jedoch, von diesem neuen
Feld der Tätigkeit, das sich vor mir auftat, ganz verwirrt,
brauchte einige Minuten, um zur Besinnung zu kommen. Ich, der
erwartet hatte, ein eingezogenes Leben zu führen, in einem
Winkel zu sitzen, meinen Koran zu lesen oder Gebete zu
murmeln, die Vorlesungen in der ›Medresseh‹ (Hochschule) oder
die Kanzelreden in der Moschee zu besuchen; kurz, ich, der
geglaubt hatte, mein Herr sei ein Verächter aller Güter dieser
Welt und einzig und allein bestrebt, sich auf die zukünftige
vorzubereiten, war plötzlich dazu berufen, noch tiefer als
bisher ins geschäftliche Treiben der Welt verstrickt zu werden
und in die Fußstapfen dieses Mannes zu treten, der allem
Anscheine nach nur den Lebenszweck verfolgte, Reichtümer zu
erraffen und Ansehen zu erwerben. »Ich kann es ja immerhin
einmal versuchen!« dachte ich. Meine Verhältnisse waren viel
zu trostlos, um mich erst lange zu besinnen, und ich zeigte
mich, da schließlich die Stellung als Schüler eines der
berühmtesten Männer der Stadt nicht zu verachten war, mit den
Vorschlägen des Mollas einverstanden.
Er sagte mir hierauf: er würde nächstens eingehend mit mir
über alles reden, müßte aber jetzt dem Oberpriester, dem
Haupte des Gesetzes, seine Aufwartung machen, bemerkte auch,
er halte, da er ein Verächter jeglichen weltlichen Luxus sei,
nur die unumgänglich nötigste Dienerschaft. Sein Haushalt
bestehe aus einem Koche und einem Diener, der zugleich das Amt
eines Haushofmeisters, eines Kammerdieners und eines
Stallburschen versehe, da der gegenwärtige Bestand seines
Marstalles nur einen Esel aufweise. »Nach unendlichen Mühen«,
sagte er, »gelang es mir schließlich, ein ganz weißes Tier,
dessen Reiter stets größeres Aufsehen erregt, aufzutreiben;
ich hege aber, nachdem mein Geschäft und mein Ansehen im
Wachsen sind, die Absicht, mich zu einem Maultiere
aufzuschwingen.« Da ich diese Gelegenheit nicht vorübergehen
ließ, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß mir ein sehr
schönes Maultier zur Verfügung stünde, so wurde nach einigen
Verhandlungen beschlossen, vorerst nicht nur das Maultier,
sondern auch den Esel zu behalten. Das erstere wollte er
reiten, während zu meiner Weiterbeförderung das bescheidenere
Tier dienen sollte.