Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Achtundvierzigstes Kapitel - Hadschi wird für ein seltsames Projekt gewonnen

Als der Priester weggegangen war und ich mit dem Molla allein blieb, zog er das Brieflein des Mudschtähid aus seinem Busen, betonte, daß er sich glücklich schätze, mich auf eine so herrliche Empfehlung hin in seine Dienste zu nehmen, schien auch, wie er mir andeutete, von den Antworten, die ich ihm bezüglich meiner Kenntnisse gab, hochbefriedigt zu sein.

Schon lange suchte er nach einer Persönlichkeit meines Schlages; »denn jener, der eben wegging, war mir zwar bei der vielseitigen Ausübung meiner verschiedenen Amtsvorschriften behilflich, aber für meine Zwecke doch viel zu sehr ›Napak‹ (Intrigant). Ich suche jemand, der meine Interessen wie seine eigenen behandelt, der einen Bissen Brot mit mir teilt, sich aber kein größeres Stück nimmt, als ihm zukommt.«

Darauf antwortete ich dem Molla, daß, trotzdem ich schon viel in der Welt herumgekommen sei, er dennoch in mir einen treuen und ergebenen Diener finden sollte, der bereit sei, sich seine Grundsätze anzueignen, und (wie ich schon dem Mudschtähid erklärt hatte) den Entschluß gefaßt habe, ein neues Leben zu beginnen, und unter seiner Leitung versuchen wolle, ein wahrer Muselmann zu werden.

»In dieser Richtung«, sagte der Molla, »kannst du dich als den glücklichsten aller Sterblichen betrachten, denn ich gelte als das Muster eines Nachfolgers des heiligen Propheten. Kurz, man kann mich einen lebendig gewordenen Koran nennen. Regelmäßiger als ich betet keiner. Niemand nimmt sein Bad gewissenhafter oder hält sich ängstlicher von allem fern, was als unrein gilt. Du wirst weder Seide an meiner Kleidung noch Gold an meinen Fingern sehen. Es ist anerkannt, daß kein Mensch in der Stadt seine Waschungen korrekter verrichtet als ich, und meine Art, mich zu reinigen, hat die größte Verbreitung gefunden. Ich trinke und rauche nie vor Menschen, und spiele, weil es den Geist von der tiefen Betrachtung abzieht, niemals Karten noch Schach oder irgendein Spiel, welches das Gesetz verbietet. Ich gelte als ein vorbildlicher Faster. Während des Ramasans, wo mich so viele hungrige Kerle aufsuchen und unter den verschiedensten Vorwänden eine Milderung des Gesetzes von mir erlangen möchten, lautet meine unerbittliche Antwort stets: ›Lieber sollt ihr sterben als essen, trinken oder rauchen. Folgt mir nach, der lieber von einem Freitag zum anderen, ohne seine Lippen mit unerlaubter Nahrung zu verunreinigen, ausharren würde, als ein Tüttelchen der heiligen Vorschrift außer acht zu lassen.‹«

Obschon ich seine Hartnäckigkeit im Fasten gerade nicht übermäßig bewunderte, so war ich sonst mit allem, was er sagte, sehr einverstanden und drückte meinen Beifall stets so zur richtigen Zeit aus, daß ich bemerken konnte, wie ich ihm schon beinahe ebensogut gefiel, wie er sich selber!

»Da die gleiche religiöse Hingabe«, fuhr er fort, »mich immer abhielt, selbst eine Frau zu nehmen, übertreffe ich in dieser Hinsicht an Vollkommenheit den heiligen Propheten, der (Segen ruhe auf seinem Barte!) mehr Frauen, Weiber und Sklavinnen besaß, als selbst Sulaiman ibn Daûd (Salomo, der Sohn Davids). Aber wenn ich mich auch nicht selbst verheirate, so verhelfe ich doch anderen dazu, und gerade in diesem besonderen Zweige meiner Pflichten beabsichtige ich, dich zu verwenden.«

»Bei meinen Augen,« antwortete ich, »ich harre Eurer Befehle, denn vor der Hand bin ich so unwissend, wie der Türke auf dem Lande.«

»So wisse denn,« sagte er, »daß zum Ärgernisse aller Religiösen und zum größten Schaden des Gesetzes der Handel mit den ›Kaulis‹ oder Kurtisanen einen solchen Umfang in der Stadt annahm, daß Ehefrauen bereits als etwas Überflüssiges gelten. Die Männer ruinieren sich, die Verordnungen des Propheten werden verhöhnt. Der Schah, der ein frommer Fürst ist, die Olemas hoch verehrt und die Ehe heilig hält, beklagte sich beim Molla-Baschi, dem Oberhaupte aller Schriftgelehrten, über diese Mißachtung jeder Moral in seiner Hauptstadt. Er erteilte ihm, nebst einer Rüge ob seiner Lässigkeit, den Befehl, ein Mittel zu ersinnen, diesem Übel abzuhelfen. Der Molla-Baschi ist, unter uns gesagt, in jeder Hinsicht ein Esel, einer, der von der Religion und ihren Pflichten soviel weiß als von Frengistan (Europa) und seinen Königen. Aber ich, der Molla Nadan, ich schlug ein System vor, das die Ansprüche des Publikums und die Vorschriften des Gesetzes herrlich in Einklang bringt, allen dient und niemanden schädigt. Wie du weißt, können wir uns nach unserm Gesetze auf so lange oder so kurze Zeit verheiraten, als es uns paßt, und in diesem Falle heißt die Frau Sighé. ›Aber warum,‹ sagte ich zum Oberpriester, ›warum sollten wir nicht eine gewisse Anzahl solcher Frauen für alle jene, die um eine Gefährtin in Verlegenheit sind, auf Lager halten?‹ Dem Molla-Baschi, der in allen Fällen, wo es sich nicht um seinen Vorteil handelt, ein Oberdummkopf ist, leuchtete meine Idee, von der er sich eine reiche Ernte erhoffte, ein. Er erwarb demzufolge einige kleine, billige Häuser, in denen er eine Anzahl von Frauen unterbrachte, die durch seine Vermittlung in der Stellung und den Vorrechten einer Sighé an jeden Beliebigen, dem nach einer solchen Heirat gelüstet, verheiratet werden. Nach der Eheschließung müssen ihm beide Teile, je nach ihren Vermögensumständen, eine Gebühr entrichten, was sein Einkommen sehr wesentlich erhöht. Die Leute sind auf diese Heiraten so erpicht, daß mehrere seiner Mollas nur mit dem Lesen der Heiratszeremonien vollauf zu tun haben. Vom ganzen Ertrage läßt er aber mir, der doch den ganzen Plan erdachte, auch nicht das geringste zukommen, und deshalb habe ich mich selbst zur Gründung eines solchen Geschäftes entschlossen. Jedoch die Sache muß geheimgehalten werden, erführe der Molla-Baschi etwas davon, würde er vermöge seiner Autorität das ganze Unternehmen zunichte machen und mich womöglich der Stadt verweisen lassen.«

Während mir der Molla seine Pläne darlegte, schaute ich ihn von Kopf zu Füßen an und fragte mich, ob dieser in der Tat der Pfeiler des Gesetzes sei, den der gutherzige Mudschtähid in so begeisterten Worten gepriesen hatte? Jedenfalls war mir dies gottgeweihte Leben noch zu neu, als daß ich mir erlaubt hätte, die Tauglichkeit solcher Systeme in Zweifel zu ziehen, und fuhr darum fort, alles, was mir Nadan sagte, beifälligst anzuhören. Er sagte:

»Ich habe bereits drei Frauen in Bereitschaft und sie in einem kleinen Hause in der Nachbarschaft untergebracht, und ich möchte dich damit beauftragen, Männer für sie zu suchen. Du wirst in den Karawansereien auf die ankommenden Leute und Fremden, denen du eine Heirat unter billigeren Bedingungen als die des Oberpriesters vorschlagen kannst, ein Auge haben und eine den Vermögensverhältnissen des Bräutigams entsprechende Gebühr eintreiben. Von mir darfst du keinerlei Gehalt erwarten, da du Gelegenheit hast, großes Wissen bei mir zu erwerben und es selbst eines Tages zum Molla, der allen Rechtgläubigen den Weg zur Erfüllung ihrer Pflichten zeigt, bringen kannst. In meinem Hause sollst du reichlich verpflegt werden, und hie und da wird sich auch eine Gelegenheit bieten, auf ehrliche Weise einiges in deine Tasche fließen zu lassen. Besuchen mich meine Freunde, um die Abendmahlzeit bei mir einzunehmen, wirst du als mein Diener auftreten; bei andern Gelegenheiten aber kannst du dich in meiner Gegenwart setzen und das Amt meines Schreibers versehen.«

Hier endete der Molla seine Rede, in der Erwartung, einer zustimmenden Antwort von mir. Ich jedoch, von diesem neuen Feld der Tätigkeit, das sich vor mir auftat, ganz verwirrt, brauchte einige Minuten, um zur Besinnung zu kommen. Ich, der erwartet hatte, ein eingezogenes Leben zu führen, in einem Winkel zu sitzen, meinen Koran zu lesen oder Gebete zu murmeln, die Vorlesungen in der ›Medresseh‹ (Hochschule) oder die Kanzelreden in der Moschee zu besuchen; kurz, ich, der geglaubt hatte, mein Herr sei ein Verächter aller Güter dieser Welt und einzig und allein bestrebt, sich auf die zukünftige vorzubereiten, war plötzlich dazu berufen, noch tiefer als bisher ins geschäftliche Treiben der Welt verstrickt zu werden und in die Fußstapfen dieses Mannes zu treten, der allem Anscheine nach nur den Lebenszweck verfolgte, Reichtümer zu erraffen und Ansehen zu erwerben. »Ich kann es ja immerhin einmal versuchen!« dachte ich. Meine Verhältnisse waren viel zu trostlos, um mich erst lange zu besinnen, und ich zeigte mich, da schließlich die Stellung als Schüler eines der berühmtesten Männer der Stadt nicht zu verachten war, mit den Vorschlägen des Mollas einverstanden.

Er sagte mir hierauf: er würde nächstens eingehend mit mir über alles reden, müßte aber jetzt dem Oberpriester, dem Haupte des Gesetzes, seine Aufwartung machen, bemerkte auch, er halte, da er ein Verächter jeglichen weltlichen Luxus sei, nur die unumgänglich nötigste Dienerschaft. Sein Haushalt bestehe aus einem Koche und einem Diener, der zugleich das Amt eines Haushofmeisters, eines Kammerdieners und eines Stallburschen versehe, da der gegenwärtige Bestand seines Marstalles nur einen Esel aufweise. »Nach unendlichen Mühen«, sagte er, »gelang es mir schließlich, ein ganz weißes Tier, dessen Reiter stets größeres Aufsehen erregt, aufzutreiben; ich hege aber, nachdem mein Geschäft und mein Ansehen im Wachsen sind, die Absicht, mich zu einem Maultiere aufzuschwingen.« Da ich diese Gelegenheit nicht vorübergehen ließ, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß mir ein sehr schönes Maultier zur Verfügung stünde, so wurde nach einigen Verhandlungen beschlossen, vorerst nicht nur das Maultier, sondern auch den Esel zu behalten. Das erstere wollte er reiten, während zu meiner Weiterbeförderung das bescheidenere Tier dienen sollte.

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