Sechsundsechzigstes Kapitel - Hadschi wird als Betrüger
entlarvt
Ich verbrachte eine fieberhaft erregte Nacht, verfiel erst,
als die Muezzins von den Minaretts den Anbruch des Tages
verkündeten, in einen leichten Schlummer. Doch kaum nach
Ablauf einer Stunde weckte mich ein ungewohnter Lärm auf.
Einer meiner Diener meldete mir, die Brüder meiner Frau
befänden sich in Begleitung von mehreren Personen in meinem
Hause. Da sich nun die Folgen meiner Lügen geltend machten,
durchlief mich bei dieser Nachricht unwillkürlich ein Zittern,
das mich jeder Tatkraft beraubte. Dutzende von schrecklichen
Vorstellungen durchrasten im tollen Wirbel mein armes Gehirn
und steigerten sich schließlich zu solchem Entsetzen, daß sich
ein Kribbeln in meinen Fußsohlen einstellte. Ein Beweis, daß
selbst eine Reihe von Jahren nicht imstande gewesen war, den
nachhaltigen Eindruck meiner schlimmen Erlebnisse in Meschhed
zu verwischen.
»Aber«, dachte ich mir, »was auch immer kommen mag,
Schekerleb ist meine Frau. Gab ich mich auch für reicher aus,
als wirklich der Fall war, so habe ich getan, was Tausende vor
mir taten.«
Hierauf wandte ich mich meinem Diener zu und sagte: »Im
Namen des Propheten, laßt sie eintreten und haltet Kaffee und
Pfeifen bereit!«
Einstweilen wurde mein Bett zusammengerollt und aus dem
Zimmer getragen. Meine Besucher traten, einer nach dem andern,
langsam herein, um lautlos auf meinem Diwan Platz zu nehmen.
Es erschienen die Brüder meiner Frau, ihr Onkel nebst seinem
Sohne, und zuletzt ein finster aussehender Mann, den ich
vorher niemals zu Gesicht bekommen hatte. Als alle sich
gesetzt hatten, trat auch die zahlreiche Dienerschaft, die sie
begleitete, herein, um sich am Ende des Zimmers in einer Reihe
aufzustellen. Ganz im Vordergrunde bemerkte ich zwei
Halunkengesichter, mit schweren Bambusstöcken bewaffnet, die
mich, wie mir vorkam, mit besonders wilden Blicken grimmig
anstarrten. Mit unschuldiger harmloser Miene versuchte ich,
meinen Verwandten entgegenzukommen und über ihren Besuch die
größte Freude zu heucheln. Nachdem ich mich in allen denkbaren
Höflichkeiten ergangen, auf die sie allerdings nur höchst
einsilbig antworteten, befahl ich, Kaffee zu bringen, und
hoffte, während sie ihn schlürften, einigermaßen den Zweck
ihres Besuches zu ergründen.
»Mögen Eure Stunden gesegnet sein!« sagte ich zum ältesten
Bruder, »kann ich Euch zu dieser frühen Stunde des Tages mit
irgend etwas dienlich sein, so stehe ich ganz zu Eurer
Verfügung!«
»Hadschi,« antwortete dieser nach einer Pause, die nichts
Gutes ahnen ließ, »seht mich an! Haltet Ihr uns für
unvernünftige Tiere ohne Sinn und Verstand, oder haltet Ihr
Euch für den unvergleichlichsten Mann Eurer Zeit, der den
besonderen Vorzug genießt, die Bärte der Menschenkinder in
seine Hand nehmen zu dürfen, um damit zu machen, was ihm
beliebt?«
»Was soll das heißen?« erwiderte ich; »o mein Aga, ich bin
niemand und nichts, ich bin weniger als eine Unze Staub!«
»Mensch!« sagte der zweite Bruder, einen weit hitzigeren
Klang in der Stimme, »Ihr sagt niemand und nichts? Und wie
habt Ihr uns behandelt? Sind wir denn gar nichts, daß Ihr von
Bagdad herkommt, um uns auf Euren Befehl wie Affen tanzen zu
lassen?«
»O großer, gütiger Allah!« rief ich aus, »was soll das
alles? Warum redet Ihr in diesem Tone mit mir? Was habe ich
getan? Sprecht und sagt die Wahrheit!«
»O Hadschi!« rief der Onkel meiner Frau, indem er sein
weißes Haupt und seinen Bart gleichzeitig schüttelte. »Ihr
habt viele Scheußlichkeiten gegessen! Konnte ein Mann wie Ihr,
der die Welt gesehen hat, annehmen, daß andere sie mit Euch
essen würden und noch sagen: Allah sei Dank! – Nein, nein, wir
mögen wohl Euren Übermut mitessen, aber nicht mitverdauen!«
»Aber, mein Onkel, was habe ich getan?« fragte ich, »bei
meiner Seele, sprecht!«
»Was Ihr getan habt?« antwortete der Vetter meiner Frau.
»Ist Lügen nichts? – und Stehlen nichts? – und eine Frau unter
falschen Angaben heiraten nichts? Wenn alle diese Dinge in
Euren Augen nichts sind, so seid Ihr ein Mann ohne jedes
Schamgefühl!«
»Vielleicht«, sagte der ältere Bruder, »meint Ihr, der Sohn
eines Barbiers aus Ispahan erwiese einer der reichsten
Familien, wenn er die Tochter heirate, noch eine besondere
Ehre?«
»Und vielleicht«, sagte der andere Bruder, »haltet Ihr
einen bettelarmen Pfeifenrohrverkäufer für einen jeder Heirat
würdigen Großkaufmann?«
»Aber, Hadschi – gelobt sei Allah – ist ein mächtiger
Kaufmann,« meinte ironisch der Onkel; »seine Seidenstoffe und
Samte kommen, als Lammfelle umgetauscht, aus Bokhara, seine
Schals befinden sich auf der Reise von Kaschmir zu uns, seine
Schiffe jedoch verdunkeln zwischen Basra und China die
Oberfläche des Meeres.«
»Und seine Herkunft!« fuhr sein Sohn in gleichem Tone fort.
»Der Sohn eines Barbiers, sagt ihr? – nein, nein, er stammt
von den Koreisch ab, er ist nicht einmal der Abkömmling,
sondern mit Gottes Segen einer der Vorfahren des Propheten,
und wer könnte sich mit einem Mansuri-Araber messen?«
»Was soll das alles!« rief ich zu wiederholten Malen aus,
als ich den Sturm um meine Ohren toben fühlte. »Wenn Ihr mich
töten wollt, so tut es, aber zieht mir die Haut nicht
stückweise vom Leibe!«
»Was Ihr seid – Mensch ohne Treu und Glauben, werde ich
Euch sagen!« rief nun der Strengdreinblickende, der bisher
keine Miene verzogen hatte: »Ihr seid ein Schurke, der nicht
verdient zu leben, und so Ihr nicht augenblicklich alle
Ansprüche auf Eure Frau und auf alles, was ihr gehört,
freiwillig aufgebt und dies Haus, ohne eine Minute zu
verlieren, verlaßt, so werden Euch diese Männer dort«, dabei
zeigte er auf die zwei Kerle mit den Galgenphysiognomien, »die
Seele aus dem Körper hauen, wie man Tabak aus den Pfeifen
klopft! – Ich habe gesprochen! – Ihr seid Herr, zu tun, was
Euch gut dünkt.«
Durch diese Worte angefeuert, kam mit einem Male die ganze
Versammlung ins Reden, um mir eine Reihe höchst peinlicher
Wahrheiten entgegenzuschleudern. Ohne die Lippen zu öffnen,
ließ ich diesen Sturm, der mir Zeit zum Nachdenken ließ, über
mich dahinbrausen und beschloß, zu versuchen, ob sich mit
einem leisen Widerstand nichts erreichen ließe.
»Und wer seid Ihr?« fragte ich den Finsterblickenden, »daß
Ihr wagt, in mein Haus zu kommen, um mich wie einen Hund zu
behandeln? – Jenen dort«, und dabei zeigte ich auf die
Verwandten meiner Frau, »gehört dies Haus – und sie sind mir
willkommen; aber was habt Ihr hier zu suchen, der Ihr weder
Schekerlebs Vater, Bruder noch Onkel seid? – Ich heiratete
weder Eure Tochter, noch Eure Schwester, was kann es Euch
verschlagen, wer ich bin?«
Der andere, der vor Wut schier platzen wollte und
unterdessen, genau wie seine zwei rohen Begleiter, die
Schnurrbartspitzen bis zu den Augenwinkeln hinaufzwirbelte,
begann mich jetzt mit Blicken zu verschlingen, wie ein Löwe,
ehe er sich auf die Hindin stürzt.
»Wer ich bin?« brüllte er wütend; »wenn Ihr es zu wissen
wünscht, so fragt nur jene, die mich hierherbrachten. Ich und
meine Leute handeln auf höheren Befehl, desto schlimmer für
Euch, wenn Ihr Euch diesem widersetzt!«
»Aber«, sagte ich in sanfterem Tone, weil ich erriet, es
seien Polizeibeamte, »wenn Ihr darauf besteht, mich von meiner
mir gesetzlich angetrauten Frau zu trennen, so laßt mir
wenigstens Zeit, die Männer des Gesetzes zu befragen. Jeder
Sohn des Islams steht unter dem Schutze des gesegneten Korans.
Wollt Ihr so ungläubig sein, mich dessen zu berauben? Übrigens
hat man mir noch nicht kundgetan, ob meine Frau in Eure
Vorschläge einwilligt. Sie hat zuerst um mich geworben, ich
bewarb mich nicht um sie. Sie freite mich um meiner selbst
willen und keineswegs aus weltlichem Eigennutz. Als ich ihrem
Werben Gehör schenkte, hatte ich weder Kenntnis von ihrem
Reichtume noch ihrer Familie. Da das ganze ein Werk der
Vorherbestimmung war, wollt Ihr, ein Muselmann, es wagen, Euch
dem zu widersetzen?«
»Was die Wünsche Schekerlebs in diesem Falle betrifft, so
seid ganz ohne Sorgen, denn sie ersehnt die Trennung womöglich
noch heftiger als wir!«
»Ja, er soll ruhig abziehen! um Allahs willen, wir wollen
frei sein!« tönte es im gleichen Augenblicke an mein Ohr. Als
ich daraufhin nach der zu den Frauengemächern führenden Tür,
aus der diese und ähnliche Ausrufe erschallten, hinschaute,
sah ich Schekerleb, die, um gegen mich zu zeugen,
hierhergeführt worden war, an der Spitze meiner verschleierten
Frauen stehen, die nun insgesamt wetteiferten, ihre Bitten,
mich aus dem Harem zu entfernen, so wehklagend herauszuheulen
und herauszuschreien, als sei ich der Böse in Person, der
verjagt werden müßte.
Da ich einsah, daß es mit mir aus und vorbei war und der
schutzlose Fremdling nicht gegen eine Macht, der er nicht
gewachsen war, ankämpfen könne, so zeigte ich angesichts
dieser unhaltbaren Lage möglichste Fassung und rief, indem ich
mich von meinem Sitze erhob: »Wenn dem so ist, so soll es auch
so sein!
»Da weder Schekerleb noch ihre Brüder etwas von mir wissen
wollen, so will auch ich weder von ihr noch von ihrem Gelde
etwas wissen. Nur das eine möchte ich betonen: sie haben mich
auf eine, des muselmännischen Glaubens und Namens unwürdige
Art behandelt! Wäre ich ein Hund unter den Ungläubigen
gewesen, so hätten mich diese nicht so mißhandelt! Im tiefsten
Grunde meines Herzens aber glaube ich, daß die gleiche Strafe,
die am Jüngsten Tage über alle jene, welche unseren heiligen
Propheten verwerfen, verhängt wird, auch meine Unterdrücker
treffen soll!« Mit besonderem Nachdruck schleuderte ich ihnen
(so gut ich ihn im Gedächtnisse behalten hatte) den
schrecklichen Spruch aus dem heiligen Koran entgegen, der also
lautet: »Sie sollen mit enganschließenden Gewändern aus
lebendigem Feuer bekleidet sein; siedendes Wasser soll über
sie ausgegossen werden; die Eingeweide sollen ihnen
herausgerissen und die Haut abgezogen werden! In diesem
Zustande sollen sie mit rotglühenden, eisernen Keulen
geschlagen und mit Peitschen gezüchtigt werden, deren Riemen
Blitze und deren Knallen Donnerschläge sind!«
Erhitzt und aufgeregt von dieser wütenden Rede, stellte ich
mich mitten ins Zimmer, riß jedes einzelne Stück meiner
Kleidung, das meiner Frau gehörte oder von ihrem Gelde gekauft
war, herunter, um es von mir zu schleudern, als ob es
verunreinigt wäre; ich forderte hierauf einen alten,
ursprünglich mir gehörenden Mantel, warf ihn über die
Schultern und wandte, einen drohenden Fluch auf den Lippen,
der erstarrt dreinschauenden Versammlung den Rücken.