Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Sechsundsechzigstes Kapitel - Hadschi wird als Betrüger entlarvt

Ich verbrachte eine fieberhaft erregte Nacht, verfiel erst, als die Muezzins von den Minaretts den Anbruch des Tages verkündeten, in einen leichten Schlummer. Doch kaum nach Ablauf einer Stunde weckte mich ein ungewohnter Lärm auf. Einer meiner Diener meldete mir, die Brüder meiner Frau befänden sich in Begleitung von mehreren Personen in meinem Hause. Da sich nun die Folgen meiner Lügen geltend machten, durchlief mich bei dieser Nachricht unwillkürlich ein Zittern, das mich jeder Tatkraft beraubte. Dutzende von schrecklichen Vorstellungen durchrasten im tollen Wirbel mein armes Gehirn und steigerten sich schließlich zu solchem Entsetzen, daß sich ein Kribbeln in meinen Fußsohlen einstellte. Ein Beweis, daß selbst eine Reihe von Jahren nicht imstande gewesen war, den nachhaltigen Eindruck meiner schlimmen Erlebnisse in Meschhed zu verwischen.

»Aber«, dachte ich mir, »was auch immer kommen mag, Schekerleb ist meine Frau. Gab ich mich auch für reicher aus, als wirklich der Fall war, so habe ich getan, was Tausende vor mir taten.«

Hierauf wandte ich mich meinem Diener zu und sagte: »Im Namen des Propheten, laßt sie eintreten und haltet Kaffee und Pfeifen bereit!«

Einstweilen wurde mein Bett zusammengerollt und aus dem Zimmer getragen. Meine Besucher traten, einer nach dem andern, langsam herein, um lautlos auf meinem Diwan Platz zu nehmen. Es erschienen die Brüder meiner Frau, ihr Onkel nebst seinem Sohne, und zuletzt ein finster aussehender Mann, den ich vorher niemals zu Gesicht bekommen hatte. Als alle sich gesetzt hatten, trat auch die zahlreiche Dienerschaft, die sie begleitete, herein, um sich am Ende des Zimmers in einer Reihe aufzustellen. Ganz im Vordergrunde bemerkte ich zwei Halunkengesichter, mit schweren Bambusstöcken bewaffnet, die mich, wie mir vorkam, mit besonders wilden Blicken grimmig anstarrten. Mit unschuldiger harmloser Miene versuchte ich, meinen Verwandten entgegenzukommen und über ihren Besuch die größte Freude zu heucheln. Nachdem ich mich in allen denkbaren Höflichkeiten ergangen, auf die sie allerdings nur höchst einsilbig antworteten, befahl ich, Kaffee zu bringen, und hoffte, während sie ihn schlürften, einigermaßen den Zweck ihres Besuches zu ergründen.

»Mögen Eure Stunden gesegnet sein!« sagte ich zum ältesten Bruder, »kann ich Euch zu dieser frühen Stunde des Tages mit irgend etwas dienlich sein, so stehe ich ganz zu Eurer Verfügung!«

»Hadschi,« antwortete dieser nach einer Pause, die nichts Gutes ahnen ließ, »seht mich an! Haltet Ihr uns für unvernünftige Tiere ohne Sinn und Verstand, oder haltet Ihr Euch für den unvergleichlichsten Mann Eurer Zeit, der den besonderen Vorzug genießt, die Bärte der Menschenkinder in seine Hand nehmen zu dürfen, um damit zu machen, was ihm beliebt?«

»Was soll das heißen?« erwiderte ich; »o mein Aga, ich bin niemand und nichts, ich bin weniger als eine Unze Staub!«

»Mensch!« sagte der zweite Bruder, einen weit hitzigeren Klang in der Stimme, »Ihr sagt niemand und nichts? Und wie habt Ihr uns behandelt? Sind wir denn gar nichts, daß Ihr von Bagdad herkommt, um uns auf Euren Befehl wie Affen tanzen zu lassen?«

»O großer, gütiger Allah!« rief ich aus, »was soll das alles? Warum redet Ihr in diesem Tone mit mir? Was habe ich getan? Sprecht und sagt die Wahrheit!«

»O Hadschi!« rief der Onkel meiner Frau, indem er sein weißes Haupt und seinen Bart gleichzeitig schüttelte. »Ihr habt viele Scheußlichkeiten gegessen! Konnte ein Mann wie Ihr, der die Welt gesehen hat, annehmen, daß andere sie mit Euch essen würden und noch sagen: Allah sei Dank! – Nein, nein, wir mögen wohl Euren Übermut mitessen, aber nicht mitverdauen!«

»Aber, mein Onkel, was habe ich getan?« fragte ich, »bei meiner Seele, sprecht!«

»Was Ihr getan habt?« antwortete der Vetter meiner Frau. »Ist Lügen nichts? – und Stehlen nichts? – und eine Frau unter falschen Angaben heiraten nichts? Wenn alle diese Dinge in Euren Augen nichts sind, so seid Ihr ein Mann ohne jedes Schamgefühl!«

»Vielleicht«, sagte der ältere Bruder, »meint Ihr, der Sohn eines Barbiers aus Ispahan erwiese einer der reichsten Familien, wenn er die Tochter heirate, noch eine besondere Ehre?«

»Und vielleicht«, sagte der andere Bruder, »haltet Ihr einen bettelarmen Pfeifenrohrverkäufer für einen jeder Heirat würdigen Großkaufmann?«

»Aber, Hadschi – gelobt sei Allah – ist ein mächtiger Kaufmann,« meinte ironisch der Onkel; »seine Seidenstoffe und Samte kommen, als Lammfelle umgetauscht, aus Bokhara, seine Schals befinden sich auf der Reise von Kaschmir zu uns, seine Schiffe jedoch verdunkeln zwischen Basra und China die Oberfläche des Meeres.«

»Und seine Herkunft!« fuhr sein Sohn in gleichem Tone fort. »Der Sohn eines Barbiers, sagt ihr? – nein, nein, er stammt von den Koreisch ab, er ist nicht einmal der Abkömmling, sondern mit Gottes Segen einer der Vorfahren des Propheten, und wer könnte sich mit einem Mansuri-Araber messen?«

»Was soll das alles!« rief ich zu wiederholten Malen aus, als ich den Sturm um meine Ohren toben fühlte. »Wenn Ihr mich töten wollt, so tut es, aber zieht mir die Haut nicht stückweise vom Leibe!«

»Was Ihr seid – Mensch ohne Treu und Glauben, werde ich Euch sagen!« rief nun der Strengdreinblickende, der bisher keine Miene verzogen hatte: »Ihr seid ein Schurke, der nicht verdient zu leben, und so Ihr nicht augenblicklich alle Ansprüche auf Eure Frau und auf alles, was ihr gehört, freiwillig aufgebt und dies Haus, ohne eine Minute zu verlieren, verlaßt, so werden Euch diese Männer dort«, dabei zeigte er auf die zwei Kerle mit den Galgenphysiognomien, »die Seele aus dem Körper hauen, wie man Tabak aus den Pfeifen klopft! – Ich habe gesprochen! – Ihr seid Herr, zu tun, was Euch gut dünkt.«

Durch diese Worte angefeuert, kam mit einem Male die ganze Versammlung ins Reden, um mir eine Reihe höchst peinlicher Wahrheiten entgegenzuschleudern. Ohne die Lippen zu öffnen, ließ ich diesen Sturm, der mir Zeit zum Nachdenken ließ, über mich dahinbrausen und beschloß, zu versuchen, ob sich mit einem leisen Widerstand nichts erreichen ließe.

»Und wer seid Ihr?« fragte ich den Finsterblickenden, »daß Ihr wagt, in mein Haus zu kommen, um mich wie einen Hund zu behandeln? – Jenen dort«, und dabei zeigte ich auf die Verwandten meiner Frau, »gehört dies Haus – und sie sind mir willkommen; aber was habt Ihr hier zu suchen, der Ihr weder Schekerlebs Vater, Bruder noch Onkel seid? – Ich heiratete weder Eure Tochter, noch Eure Schwester, was kann es Euch verschlagen, wer ich bin?«

Der andere, der vor Wut schier platzen wollte und unterdessen, genau wie seine zwei rohen Begleiter, die Schnurrbartspitzen bis zu den Augenwinkeln hinaufzwirbelte, begann mich jetzt mit Blicken zu verschlingen, wie ein Löwe, ehe er sich auf die Hindin stürzt.

»Wer ich bin?« brüllte er wütend; »wenn Ihr es zu wissen wünscht, so fragt nur jene, die mich hierherbrachten. Ich und meine Leute handeln auf höheren Befehl, desto schlimmer für Euch, wenn Ihr Euch diesem widersetzt!«

»Aber«, sagte ich in sanfterem Tone, weil ich erriet, es seien Polizeibeamte, »wenn Ihr darauf besteht, mich von meiner mir gesetzlich angetrauten Frau zu trennen, so laßt mir wenigstens Zeit, die Männer des Gesetzes zu befragen. Jeder Sohn des Islams steht unter dem Schutze des gesegneten Korans. Wollt Ihr so ungläubig sein, mich dessen zu berauben? Übrigens hat man mir noch nicht kundgetan, ob meine Frau in Eure Vorschläge einwilligt. Sie hat zuerst um mich geworben, ich bewarb mich nicht um sie. Sie freite mich um meiner selbst willen und keineswegs aus weltlichem Eigennutz. Als ich ihrem Werben Gehör schenkte, hatte ich weder Kenntnis von ihrem Reichtume noch ihrer Familie. Da das ganze ein Werk der Vorherbestimmung war, wollt Ihr, ein Muselmann, es wagen, Euch dem zu widersetzen?«

»Was die Wünsche Schekerlebs in diesem Falle betrifft, so seid ganz ohne Sorgen, denn sie ersehnt die Trennung womöglich noch heftiger als wir!«

»Ja, er soll ruhig abziehen! um Allahs willen, wir wollen frei sein!« tönte es im gleichen Augenblicke an mein Ohr. Als ich daraufhin nach der zu den Frauengemächern führenden Tür, aus der diese und ähnliche Ausrufe erschallten, hinschaute, sah ich Schekerleb, die, um gegen mich zu zeugen, hierhergeführt worden war, an der Spitze meiner verschleierten Frauen stehen, die nun insgesamt wetteiferten, ihre Bitten, mich aus dem Harem zu entfernen, so wehklagend herauszuheulen und herauszuschreien, als sei ich der Böse in Person, der verjagt werden müßte.

Da ich einsah, daß es mit mir aus und vorbei war und der schutzlose Fremdling nicht gegen eine Macht, der er nicht gewachsen war, ankämpfen könne, so zeigte ich angesichts dieser unhaltbaren Lage möglichste Fassung und rief, indem ich mich von meinem Sitze erhob: »Wenn dem so ist, so soll es auch so sein!

»Da weder Schekerleb noch ihre Brüder etwas von mir wissen wollen, so will auch ich weder von ihr noch von ihrem Gelde etwas wissen. Nur das eine möchte ich betonen: sie haben mich auf eine, des muselmännischen Glaubens und Namens unwürdige Art behandelt! Wäre ich ein Hund unter den Ungläubigen gewesen, so hätten mich diese nicht so mißhandelt! Im tiefsten Grunde meines Herzens aber glaube ich, daß die gleiche Strafe, die am Jüngsten Tage über alle jene, welche unseren heiligen Propheten verwerfen, verhängt wird, auch meine Unterdrücker treffen soll!« Mit besonderem Nachdruck schleuderte ich ihnen (so gut ich ihn im Gedächtnisse behalten hatte) den schrecklichen Spruch aus dem heiligen Koran entgegen, der also lautet: »Sie sollen mit enganschließenden Gewändern aus lebendigem Feuer bekleidet sein; siedendes Wasser soll über sie ausgegossen werden; die Eingeweide sollen ihnen herausgerissen und die Haut abgezogen werden! In diesem Zustande sollen sie mit rotglühenden, eisernen Keulen geschlagen und mit Peitschen gezüchtigt werden, deren Riemen Blitze und deren Knallen Donnerschläge sind!«

Erhitzt und aufgeregt von dieser wütenden Rede, stellte ich mich mitten ins Zimmer, riß jedes einzelne Stück meiner Kleidung, das meiner Frau gehörte oder von ihrem Gelde gekauft war, herunter, um es von mir zu schleudern, als ob es verunreinigt wäre; ich forderte hierauf einen alten, ursprünglich mir gehörenden Mantel, warf ihn über die Schultern und wandte, einen drohenden Fluch auf den Lippen, der erstarrt dreinschauenden Versammlung den Rücken.

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