Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Achtundsechzigstes Kapitel - Hadschi erwirbt sich einen hochgestellten Freund

Eingezogener Erkundigungen zufolge erfuhr ich, man habe dem Botschafter eine Residenz in Skutari [Fußnote] angewiesen. Ich gedachte, mich eilends in einer Barke dorthin zu begeben, und hatte glücklicherweise auf meiner Fahrt Zeit genug vor mir, meinen Fall zu Faden zu schlagen, um ihn sodann in eine ebenso klare wie überzeugende Anklage zusammenzufassen.

Nachdem ich gelandet war, erkundigte ich mich, wo der Botschafter wohne? Die Zugänge seines Hauses wimmelten von geschäftiger Dienerschaft, deren Zungenfertigkeit und lebhafte Gebärden mich nur zu sehr an meine Heimat erinnerten, die so grundverschieden ist von dem Lande, wo ich jetzt weilte.

An meiner Art zu reden merkten alle, daß ich trotz meiner türkischen Verkleidung einer der Ihren sein müsse, und versprachen mir deshalb ohne Zögern mich alsogleich ihrem Herrn vorzuführen.

Vorher jedoch versuchte ich, um einen kleinen Einblick in das Wesen des Botschafters zu gewinnen, mich mit einem seiner Kammerdiener in ein Gespräch einzulassen, bekam auch auf alles, was ich zu wissen wünschte, anstandslos offene und rückhaltslose Aufschlüsse, denen ich folgendes entnahm. Der Botschafter, Mirza Firus mit Namen, war von Geburt Schiraser, aus sehr geachteter, wenn auch nicht vornehmerer Familie, seine Mutter ausgenommen, eine Schwester eines früheren mächtigen Großwesirs, durch dessen Einfluß der Schah auf den Thron kam. Der Mirza selbst heiratete seine Base, die Tochter besagten Wesirs, und kam infolgedessen, nachdem er vorher mit manchem Mißgeschicke zu kämpfen hatte, in den Dienst der Regierung, der ihn veranlaßte, verschiedene Länder zu bereisen. Diesem Umstande verdankte er auch, daß ihn der Schah auserkor, seine Geschäfte bei der Hohen Pforte zu vertreten.

»Der Mirza ist ein Mann von lebhaftem und durchdringendem Verstande,« sagte mein Berichterstatter, »leicht zu erzürnen, aber ebensoleicht wieder zu besänftigen. Milder und versöhnlicher Natur, wennschon er sich in der ersten Aufregung nicht selten zu Gewalttätigkeiten hinreißen läßt. Im Besitze einer geradezu überwältigenden Redegewandtheit weiß er sich aus allen Schwierigkeiten, in die ihn voreilige Worte recht häufig verwickeln, mit der größten Sicherheit wieder glatt herauszuziehen. Gegen seine Diener und sein Gefolge zeigt er sich gewöhnlich gütig, hin und wieder auch hart. Bisweilen gestattet er ihnen, zu sagen und zu tun, was ihnen beliebt, zu anderen Zeiten stößt er sie durch schneidende Kälte zurück. Im ganzen aber ist er leicht zugänglich, angenehm im Verkehr, von bestrickender Liebenswürdigkeit, heiter und gesellig veranlagt.«

So war der Mann geartet, dem ich vorgeführt werden sollte. Da er nach persischer Gepflogenheit in einer Ecke saß, vermochte ich seine Größe nicht zu beurteilen, doch schien mir sein Oberkörper außerordentlich schön zu sein. Der Kopf saß gut auf den Schultern, die eine sanft gebogene Linie mit dem Nacken verband, während die enganliegende Kleidung die ungewöhnliche Wölbung seiner Brust zur Geltung brachte. Sein Gesicht wies eine feingebogene Adlernase und große, funkelnde Augen auf, während sein wunderschöner, mit ausgesucht weißen Zähnen geschmückter Mund von einem Barte beschattet wurde, der den Neid jedes Beschauers erregen mußte. Kurz, unter meinen Landsleuten war mir nie ein schönerer Mann vorgekommen, und besser als er konnte keiner sein Land repräsentieren. Nachdem wir uns als getreue Muselmanner begrüßt hatten, sagte er zu mir:

»Seid Ihr ein Irani (Perser)?«

»Zu dienen, ja.«

»Warum äußerlich ein Osmanli?« fragte er; »Allah sei Dank, wir haben einen König und ein Land, dessen wir uns nicht zu schämen brauchen.«

»Ja,« antwortete ich, »Eure Bemerkung ist sehr wahr, und seitdem ich das Gebaren eines Türken annahm, bin ich auch weniger als ein Hund geworden. Meine Tage flossen in Bitterkeit dahin, und meine Leber ist zu Wasser geschmolzen, nachdem ich mich mit dem verhaßten Volke durch eine Heirat verband. Meine einzige Zuflucht ist in Gott und Euch!«

»Wie kommt das?« fragte er. »Sprecht! ist ein Kind Irans, denn ein solches müßt Ihr Eurer Sprache nach sein, von einem Türken übertölpelt worden? Das wäre in der Tat höchst wunderbar! Wir kommen so weit her, um sie unseren Abscheu kosten zu lassen, nicht aber, um den ihrigen zu verschlucken!«

Daraufhin erzählte ich ihm meine Abenteuer von Anfang bis zu Ende. Im Laufe meiner Schilderungen sah ich deutlich, wie ungeheuer sein Interesse wuchs. Als ich jedoch auf meine Heiratsgeschichte zu sprechen kam, schien ihn diese in so hohem Maße zu belustigen, daß er über den Vertrag mit meiner Frau in schallendes Gelächter ausbrach.

Alles, was ich ihm von meiner verflossenen Pracht, der Ehrerbietung, die man mir gezollt hatte, erzählte, auch die genaue Beschreibung, die ich vom glänzenden Gastmahle entwarf, vernahm er mit wahrem Entzücken. Und je eingehender ich mich über die Hinterlist ausließ, die ich diesen Kühen von Türken gegenüber (wie er sie nannte) angewendet hatte, desto wärmere Teilnahme zeigte er für meine Erzählung, die er fortwährend mit Ausrufen unterbrach, als: »Ei, brav gemacht, mein Ispahaner! O Ihr Bankrottierer! Bei Allah, da habt Ihr recht getan! Ach, wäre ich dagewesen, ich hätte es auch nicht besser machen können!«

Doch als ich ihm erzählte, auf welch perfide Art mir meine neiderfüllten Landsleute mitgespielt, ihm die Schlußszene in meinem Hause und das mörderische Gezeter meiner Frauen beschrieb, ihm endlich in Worten, Haltung und Gebärde meinen Abzug vorspielte, da steigerte sich seine Heiterkeit ins Grenzenlose, und anstatt des tiefen Mitgefühles, auf das ich gerechnet hatte, wälzte er sich auf seinem Sofa in so wilden Lachkrämpfen, daß ich buchstäblich fürchtete, die Stirnadern möchten ihm platzen.

»Aber bitte, o mein Aga!« rief ich, »bedenkt gefälligst, in welcher Lage ich mich augenblicklich befinde! Anstatt auf einem Rosenbett zu schlafen, habe ich nun nicht einmal ein Kopfkissen, auf das ich mein Haupt legen könnte! Anstatt, wie ich es gewöhnt war, Pferde mit samtenen Decken zu reiten, wäre ich jetzt glücklich, einen Esel mein zu nennen! Wenn ich ferner bedenke, in welchem Luxus von reichen Gewändern, von zahllosen Dienern, Marmorbädern und Kaffeetassen, kurz, wie ich in allem schwelgte, was ein Menschenherz nur wünschen kann, um mich jetzt als Bettler zu sehen, da werdet Ihr begreifen, was auch immer Ihr dabei fühlen mögt, daß bittere Kümmernisse an mir nagen und mein Herz zu allem eher aufgelegt ist als zum Lachen!«

»Ach diese Türken, diese schwerfälligen Büffelochsen von Türken!« brüllte der Botschafter noch immer vor Lachen. »Gelobt sei Allah! ich sehe sie, ihre langen Bärte, die großen Turbane auf den leeren Schädeln, die alles glauben, was ihnen der verschlagene persische Tollkopf vorflunkert, leibhaftig vor mir! – Weiß Gott, sie hätten den Schwindel noch weiter geglaubt, hätte sie nicht ein gleicher Tollkopf aufgeklärt!«

»Doch was habe eigentlich ich mit der ganzen Sache zu schaffen?« fragte er plötzlich. »Ich bin weder Euer Vater, noch Euer Onkel, der sich in die Zwistigkeiten mit den Verwandten Eurer Frau einmischen könnte! Bin auch kein Kadi und kein Mufti, um den Streit zwischen Euch und Eurer Frau zu entscheiden!«

»Nein,« antwortete ich, »aber hier seid Ihr mein Schutz und der Stellvertreter von Gottes Reichsverweser auf Erden! Ihr könnt ein Auge darauf haben, daß mir Gerechtigkeit in diesem Lande widerfahre, daß ein armer, freundloser Fremdling nicht unterdrückt werde!«

»O, Ihr möchtet wohl wieder in den Besitz Eurer Frau gelangen«, fragte er, »und Gefahr laufen, ermordet zu werden? Was nützte es Euch, alle Reichtümer wiederzuerlangen, um am nächsten Tage tot im Bette gefunden zu werden? Nein, nein, leiht mir Euer Ohr und hört auf weisen Rat. Werft Eure türkischen Kleider weg, seid wieder ein Perser! Als solchem werde ich mich Eurer erinnern und sehen, was sich für Euch tun läßt. Eure Geschichte hat mich interessiert, Eure Manieren sind angenehm, Euer Witz unterhaltend. Aber glaubt mir, es gibt noch weit wichtigere Dinge in der Welt zu tun, als den lieben langen Tag die Wasserpfeife zu rauchen, und weit höhere Lebenszwecke, als auf einem Rosenbette zu schlafen und auf einem fetten Gaul zu reiten! Nehmt Wohnung hier und betrachtet Euch vorderhand als zu meinem Gefolge gehörig. Sollte mich aber die Lust zu lachen anwandeln, so mögt Ihr kommen und mir nochmals Eure Geschichte erzählen.«

Hierauf trat ich auf ihn zu, küßte zum Zeichen meiner Dankbarkeit seine Knie und zog mich zurück, ohne eigentlich zu wissen, wie ich mich angesichts dieser unsicheren Lebenslage verhalten sollte.

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