Achtundsechzigstes Kapitel - Hadschi erwirbt sich einen
hochgestellten Freund
Eingezogener Erkundigungen zufolge erfuhr ich, man habe dem
Botschafter eine Residenz in Skutari [Fußnote] angewiesen. Ich
gedachte, mich eilends in einer Barke dorthin zu begeben, und
hatte glücklicherweise auf meiner Fahrt Zeit genug vor mir,
meinen Fall zu Faden zu schlagen, um ihn sodann in eine ebenso
klare wie überzeugende Anklage zusammenzufassen.
Nachdem ich gelandet war, erkundigte ich mich, wo der
Botschafter wohne? Die Zugänge seines Hauses wimmelten von
geschäftiger Dienerschaft, deren Zungenfertigkeit und lebhafte
Gebärden mich nur zu sehr an meine Heimat erinnerten, die so
grundverschieden ist von dem Lande, wo ich jetzt weilte.
An meiner Art zu reden merkten alle, daß ich trotz meiner
türkischen Verkleidung einer der Ihren sein müsse, und
versprachen mir deshalb ohne Zögern mich alsogleich ihrem
Herrn vorzuführen.
Vorher jedoch versuchte ich, um einen kleinen Einblick in
das Wesen des Botschafters zu gewinnen, mich mit einem seiner
Kammerdiener in ein Gespräch einzulassen, bekam auch auf
alles, was ich zu wissen wünschte, anstandslos offene und
rückhaltslose Aufschlüsse, denen ich folgendes entnahm. Der
Botschafter, Mirza Firus mit Namen, war von Geburt Schiraser,
aus sehr geachteter, wenn auch nicht vornehmerer Familie,
seine Mutter ausgenommen, eine Schwester eines früheren
mächtigen Großwesirs, durch dessen Einfluß der Schah auf den
Thron kam. Der Mirza selbst heiratete seine Base, die Tochter
besagten Wesirs, und kam infolgedessen, nachdem er vorher mit
manchem Mißgeschicke zu kämpfen hatte, in den Dienst der
Regierung, der ihn veranlaßte, verschiedene Länder zu
bereisen. Diesem Umstande verdankte er auch, daß ihn der Schah
auserkor, seine Geschäfte bei der Hohen Pforte zu vertreten.
»Der Mirza ist ein Mann von lebhaftem und durchdringendem
Verstande,« sagte mein Berichterstatter, »leicht zu erzürnen,
aber ebensoleicht wieder zu besänftigen. Milder und
versöhnlicher Natur, wennschon er sich in der ersten Aufregung
nicht selten zu Gewalttätigkeiten hinreißen läßt. Im Besitze
einer geradezu überwältigenden Redegewandtheit weiß er sich
aus allen Schwierigkeiten, in die ihn voreilige Worte recht
häufig verwickeln, mit der größten Sicherheit wieder glatt
herauszuziehen. Gegen seine Diener und sein Gefolge zeigt er
sich gewöhnlich gütig, hin und wieder auch hart. Bisweilen
gestattet er ihnen, zu sagen und zu tun, was ihnen beliebt, zu
anderen Zeiten stößt er sie durch schneidende Kälte zurück. Im
ganzen aber ist er leicht zugänglich, angenehm im Verkehr, von
bestrickender Liebenswürdigkeit, heiter und gesellig
veranlagt.«
So war der Mann geartet, dem ich vorgeführt werden sollte.
Da er nach persischer Gepflogenheit in einer Ecke saß,
vermochte ich seine Größe nicht zu beurteilen, doch schien mir
sein Oberkörper außerordentlich schön zu sein. Der Kopf saß
gut auf den Schultern, die eine sanft gebogene Linie mit dem
Nacken verband, während die enganliegende Kleidung die
ungewöhnliche Wölbung seiner Brust zur Geltung brachte. Sein
Gesicht wies eine feingebogene Adlernase und große, funkelnde
Augen auf, während sein wunderschöner, mit ausgesucht weißen
Zähnen geschmückter Mund von einem Barte beschattet wurde, der
den Neid jedes Beschauers erregen mußte. Kurz, unter meinen
Landsleuten war mir nie ein schönerer Mann vorgekommen, und
besser als er konnte keiner sein Land repräsentieren. Nachdem
wir uns als getreue Muselmanner begrüßt hatten, sagte er zu
mir:
»Seid Ihr ein Irani (Perser)?«
»Zu dienen, ja.«
»Warum äußerlich ein Osmanli?« fragte er; »Allah sei Dank,
wir haben einen König und ein Land, dessen wir uns nicht zu
schämen brauchen.«
»Ja,« antwortete ich, »Eure Bemerkung ist sehr wahr, und
seitdem ich das Gebaren eines Türken annahm, bin ich auch
weniger als ein Hund geworden. Meine Tage flossen in
Bitterkeit dahin, und meine Leber ist zu Wasser geschmolzen,
nachdem ich mich mit dem verhaßten Volke durch eine Heirat
verband. Meine einzige Zuflucht ist in Gott und Euch!«
»Wie kommt das?« fragte er. »Sprecht! ist ein Kind Irans,
denn ein solches müßt Ihr Eurer Sprache nach sein, von einem
Türken übertölpelt worden? Das wäre in der Tat höchst
wunderbar! Wir kommen so weit her, um sie unseren Abscheu
kosten zu lassen, nicht aber, um den ihrigen zu verschlucken!«
Daraufhin erzählte ich ihm meine Abenteuer von Anfang bis
zu Ende. Im Laufe meiner Schilderungen sah ich deutlich, wie
ungeheuer sein Interesse wuchs. Als ich jedoch auf meine
Heiratsgeschichte zu sprechen kam, schien ihn diese in so
hohem Maße zu belustigen, daß er über den Vertrag mit meiner
Frau in schallendes Gelächter ausbrach.
Alles, was ich ihm von meiner verflossenen Pracht, der
Ehrerbietung, die man mir gezollt hatte, erzählte, auch die
genaue Beschreibung, die ich vom glänzenden Gastmahle entwarf,
vernahm er mit wahrem Entzücken. Und je eingehender ich mich
über die Hinterlist ausließ, die ich diesen Kühen von Türken
gegenüber (wie er sie nannte) angewendet hatte, desto wärmere
Teilnahme zeigte er für meine Erzählung, die er fortwährend
mit Ausrufen unterbrach, als: »Ei, brav gemacht, mein
Ispahaner! O Ihr Bankrottierer! Bei Allah, da habt Ihr recht
getan! Ach, wäre ich dagewesen, ich hätte es auch nicht besser
machen können!«
Doch als ich ihm erzählte, auf welch perfide Art mir meine
neiderfüllten Landsleute mitgespielt, ihm die Schlußszene in
meinem Hause und das mörderische Gezeter meiner Frauen
beschrieb, ihm endlich in Worten, Haltung und Gebärde meinen
Abzug vorspielte, da steigerte sich seine Heiterkeit ins
Grenzenlose, und anstatt des tiefen Mitgefühles, auf das ich
gerechnet hatte, wälzte er sich auf seinem Sofa in so wilden
Lachkrämpfen, daß ich buchstäblich fürchtete, die Stirnadern
möchten ihm platzen.
»Aber bitte, o mein Aga!« rief ich, »bedenkt gefälligst, in
welcher Lage ich mich augenblicklich befinde! Anstatt auf
einem Rosenbett zu schlafen, habe ich nun nicht einmal ein
Kopfkissen, auf das ich mein Haupt legen könnte! Anstatt, wie
ich es gewöhnt war, Pferde mit samtenen Decken zu reiten, wäre
ich jetzt glücklich, einen Esel mein zu nennen! Wenn ich
ferner bedenke, in welchem Luxus von reichen Gewändern, von
zahllosen Dienern, Marmorbädern und Kaffeetassen, kurz, wie
ich in allem schwelgte, was ein Menschenherz nur wünschen
kann, um mich jetzt als Bettler zu sehen, da werdet Ihr
begreifen, was auch immer Ihr dabei fühlen mögt, daß bittere
Kümmernisse an mir nagen und mein Herz zu allem eher aufgelegt
ist als zum Lachen!«
»Ach diese Türken, diese schwerfälligen Büffelochsen von
Türken!« brüllte der Botschafter noch immer vor Lachen.
»Gelobt sei Allah! ich sehe sie, ihre langen Bärte, die großen
Turbane auf den leeren Schädeln, die alles glauben, was ihnen
der verschlagene persische Tollkopf vorflunkert, leibhaftig
vor mir! – Weiß Gott, sie hätten den Schwindel noch weiter
geglaubt, hätte sie nicht ein gleicher Tollkopf aufgeklärt!«
»Doch was habe eigentlich ich mit der ganzen Sache zu
schaffen?« fragte er plötzlich. »Ich bin weder Euer Vater,
noch Euer Onkel, der sich in die Zwistigkeiten mit den
Verwandten Eurer Frau einmischen könnte! Bin auch kein Kadi
und kein Mufti, um den Streit zwischen Euch und Eurer Frau zu
entscheiden!«
»Nein,« antwortete ich, »aber hier seid Ihr mein Schutz und
der Stellvertreter von Gottes Reichsverweser auf Erden! Ihr
könnt ein Auge darauf haben, daß mir Gerechtigkeit in diesem
Lande widerfahre, daß ein armer, freundloser Fremdling nicht
unterdrückt werde!«
»O, Ihr möchtet wohl wieder in den Besitz Eurer Frau
gelangen«, fragte er, »und Gefahr laufen, ermordet zu werden?
Was nützte es Euch, alle Reichtümer wiederzuerlangen, um am
nächsten Tage tot im Bette gefunden zu werden? Nein, nein,
leiht mir Euer Ohr und hört auf weisen Rat. Werft Eure
türkischen Kleider weg, seid wieder ein Perser! Als solchem
werde ich mich Eurer erinnern und sehen, was sich für Euch tun
läßt. Eure Geschichte hat mich interessiert, Eure Manieren
sind angenehm, Euer Witz unterhaltend. Aber glaubt mir, es
gibt noch weit wichtigere Dinge in der Welt zu tun, als den
lieben langen Tag die Wasserpfeife zu rauchen, und weit höhere
Lebenszwecke, als auf einem Rosenbette zu schlafen und auf
einem fetten Gaul zu reiten! Nehmt Wohnung hier und betrachtet
Euch vorderhand als zu meinem Gefolge gehörig. Sollte mich
aber die Lust zu lachen anwandeln, so mögt Ihr kommen und mir
nochmals Eure Geschichte erzählen.«
Hierauf trat ich auf ihn zu, küßte zum Zeichen meiner
Dankbarkeit seine Knie und zog mich zurück, ohne eigentlich zu
wissen, wie ich mich angesichts dieser unsicheren Lebenslage
verhalten sollte.