Neunundsechzigstes Kapitel - Hadschi gewinnt das Vertrauen
des Botschafters
Der Dichter sagt:
»Die Not, Freund, ist ein starker Reitersmann,
Sie setzt dem schwachen Klepper die Sporen an,
So daß er leistet, was sonst er nicht leisten kann!«
Ich war schwer enttäuscht, mißmutig und gedemütigt. Alle
meine Hoffnungen, ein bequemes und vergnügliches Dasein führen
zu können, waren dahin. Abermals zwang mich die Notlage,
meinen Scharfsinn zu Hilfe zu nehmen, um mich vor Entbehrungen
zu schützen.
»Habe ich auch meine Häuslichkeit verloren,« sagte ich mir
zum Troste, »so habe ich doch einen Freund gefunden, dessen
gütigen Schutz ich nicht zurückweisen darf. Die gleiche
Schicksalsgewalt, die mich bisher Schritt für Schritt durch
die Irrgänge des Lebens leitete, wird mich wohl wieder einmal
bei der Hand nehmen und mir den richtigen Weg zeigen, der zu
meinem Glücke führt.«
Den freien Zutritt bei dem Botschafter bemühte ich mich
tunlichst auszunützen und war nicht wenig beglückt, das
Wohlgefallen, das er mir schon das erstemal so deutlich
gezeigt hatte, bei jeder neuen Unterredung stetig zunehmen zu
sehen. Er benützte mich nicht nur, um Erkundigungen für ihn
einzuziehen, sondern besprach gleichfalls rückhaltslos alle
Geschäfte seiner Regierung mit mir, und sonstige
Angelegenheiten, die mit seiner Mission zusammenhingen. Da
zeitlebens mein Augenmerk auf Erlangung meines persönlichen
Glückes gerichtet gewesen, so hatte sich mein Denken nur
selten mit öffentlichen Angelegenheiten befaßt. Von den
verschiedenen Völkern, die auf der Erde hausen, kannte ich
kaum andere als mein eigenes und das der Türken, wußte von
Chinesen, Kurden und Arabern kaum mehr als ihre Namen, hatte
allerdings schon etwas von den Afrikanern vernommen, da ich
einige Exemplare dieser Rasse, die in den verschiedenen
Häusern als Diener verwendet wurden, gesehen hatte. Von den
Franken waren es die Russen (wenn man sie dazu zählen will),
von denen man in Persien noch die meiste Kenntnis besaß, hatte
auch über die Inglis und Fransis schon einiges vernommen. Wie
erstaunt war ich, als ich nach Konstantinopel kam und sah, daß
es außer diesen erwähnten noch viele andere fränkische
Nationen gab; ich war jedoch stets zu sehr mit meinen eigenen
Angelegenheiten beschäftigt gewesen, um mir hierüber mehr als
die oberflächlichsten Kenntnisse zu erwerben.
Jetzt, da ich plötzlich im engsten Verkehre mit dem
Botschafter stand, nahmen nicht nur meine Ideen ganz neue
Richtungen, sondern auch meine Wißbegierde erwachte, als Dinge
verhandelt wurden, die nie zuvor mein Ohr erreicht hatten. Der
Botschafter selbst, dem es ungemein gelegen schien, in mir
einen Mann zu finden, der auf seine Anschauungen mit solchem
Verständnisse einging, schenkte mir mit der Zeit sein vollstes
Vertrauen. Eines Morgens, als er Briefe von seinem Hofe
erhalten hatte, ließ er mich zu sich rufen, sagte, er habe
vertraulich mit mir zu reden, und befahl demzufolge allen
übrigen, abzutreten.
Er hieß mich niedersetzen und flüsterte mir vorsichtig
leise zu: »Hadschi, ich wünschte schon lange mit Euch zu
reden. Unter uns gesagt, besitzt in meinem Gefolge, obwohl es
Perser sind, die mehr Witz haben als die ganze Welt
zusammengenommen, niemand die höhere Einsicht, die mir not
tut. Für die Angelegenheiten des ›Daulet‹ eignen sie sich
wirklich gar nicht, würden sogar auf die Geschäfte, um
derentwillen ich hierher gesandt wurde, eher hinderlich als
förderlich einwirken. Nun, gelobt sei Allah! Wie ich sehe,
seid Ihr keiner dieser Sorte, habt schon viel vom Weltgetriebe
gesehen und seid darum weit eher der Mann, dem etwas von der
Hand ginge, seid einer, der sein Spiel mit anderer Leute Bart
treiben und das Mark aus einer Sache heraussaugen kann, ohne
ihre Außenseite zu berühren. So einen brauche ich. Wollt Ihr
darum mir und dem Schah, dem König der Könige, Eure Hilfe
widmen, so wird nicht nur mein, sondern auch Euer Antlitz
gebührend weiß gewaschen; und so Segen auf unserem Geschicke
ruht, werden unsere Häupter die Wolken berühren.«
»Alles, was ich vermag,« antwortete ich, »steht zu Euren
Diensten. Ich bin Euer Sklave, Euer Diener und werde mein
eigenes Ohr in Eure Hand legen. Gebietet ganz über mich. Bei
meinem Haupt und meinen Augen! ich bin bereit.«
»Vielleicht habt Ihr von den Leuten darüber reden hören,«
fuhr er fort, »daß meine Sendung einzig und allein darin
bestünde, Sklavinnen für den Schah zu kaufen, sie im Tanze, in
der Musik und im Sticken unterrichten zu lassen, ferner
golddurchwirkte Brokate und andere Luxusgegenstände für den
königlichen Harem zu erstehen. Das ist selbstverständlich nur
ein Vorwand, um die Menge zu blenden. Um solch armseliger
Zwecke willen bin ich nicht Botschafter geworden nein! meine
Geschäfte sind von größter Bedeutsamkeit! Nicht ohne die
gewichtigsten Gründe wählt unser Schah, dessen Scharfsinn
alles wie ein Blitz durchdringt, die Männer für seine
Geschäfte aus. Er wählte mich, und das genügt. Doch jetzt hört
auf das, was ich Euch sagen werde.
»Erst vor wenig Monaten kam ein Botschafter aus Europa am
Tore des Reiches in Teheran an, der uns zu wissen tat, er sei
von einem gewissen Bunapurt, der sich selber Kaiser der
Französischen Nation nennt, gesandt, um dem Schah Geschenke
und einen Brief zu überbringen. Er überreichte weitgehende
Vollmachten, denen zufolge seine Worte und seine Handlungen
ebensoviel gälten, als hätte sein Herr gesprochen oder
gehandelt, versicherte gleichfalls, ermächtigt zu sein, einen
Vertrag abzuschließen. Er trat in der Tat mit einer
Überlegenheit auf, als wären alle anderen Nationen Kot unter
seinen Füßen und nicht einmal wert, genannt zu werden. Er
versprach, die Russen zu nötigen, uns ihre Eroberungen in
Georgien wieder herauszugeben, sowie den Schah in den Besitz
von Tiflis, Baku, Derbend, überhaupt in alles, was früher zu
Persien gehörte, wieder einzusetzen, behauptete ferner, Indien
für uns wiedererobern und die Engländer daraus vertreiben zu
wollen, kurz, tat, als sei er bereit, auf jede unserer
Forderungen einzugehen.
»Nun haben wir freilich schon früher etwas von den
Franzosen vernommen und wußten, daß sie gutes Tuch und reiche
Brokate fertigten. Daß sie aber alles das vermöchten, was ihr
Botschafter verkündete, das war uns völlig neu. Auch einiges
von ihrem Angriffe auf Ägypten, demzufolge Kaffee und Henna so
im Preise stiegen, war uns zu Ohren gekommen; einer unserer
alten Khane, aus der Familie der Sesis, erinnerte sich
gleichfalls, daß seinerzeit am Hofe des Schah Sultan Hussein
der Botschafter eines gewissen Louis von Frankreich zu sehen
war. Wie aber dieser Bunapurt Schah von Frankreich geworden
ist, das konnte sich kein Mensch m ganz Persien erklären.
Allerdings bestätigten armenische Kaufleute, die in aller
Herren Länder herumkommen: ihrem Wissen nach existiere eine
solche Persönlichkeit, die ein großer Unruhestifter sei,
wirklich; und auf Grund dessen, was diese sagten, sowie aus
anderen Rücksichten ließ sich der Schah gnädigst herbei, den
Botschafter zu empfangen. Ob jedoch seine uns vorgezeigten
Papiere, die in Zeichen geschrieben waren, die niemand bei uns
zu entziffern vermochte, echt oder falsch waren, ob diese auf
alles, was er sagte, Bezug hatten, wer konnte das sagen?
Jedenfalls wußten unsere Wesire, die großen und die kleinen,
von der ganzen Angelegenheit rein gar nichts. Selbst unserem
Schah, der (Allah möge ihn erhalten!) sonst alles weiß, was es
unter der Sonne gibt, fehlte jede Kenntnis darüber. Mit
Ausnahme eines gewissen Armeniers Chodia Obed, der in der
französischen Stadt Marsilia gewesen, wo er vier Wochen in ein
Gefängnis eingesperrt wurde, sowie eines Priesters dieser
Nation, eines gewissen Narses, der irgendwo in einem
Derwischkloster in jenen Ländern studiert hatte, war auch
niemand am Throne des Königs der Könige, der imstande gewesen
wäre, das Dunkel unserer Gehirnkammern notdürftig zu
erleuchten oder uns im geringsten darüber aufzuklären, ob
dieser Bunapurt und sein Stellvertreter Betrüger seien oder
nicht, ob sie gekommen waren, uns die Mützen von unseren
Köpfen zu nehmen oder uns mit dem ›Chälät‹ des Glückes zu
bekleiden. Jedoch unsere Zweifel sollten nicht lange währen,
denn als die englischen Ungläubigen, von denen einige, die
zwischen Persien und Indien Handel treiben und in Buscheher
wohnen, von der Ankunft des Franzosen hörten, schickten sie
alsogleich Boten, Briefe, selbst einen Agenten, um die
Aufnahme dieses Botschafters zu verhindern, und machten so
verzweifelte Anstrengungen, sein Glück zu vereiteln, daß wir
alsbald merkten, aus der gegenseitigen Eifersucht dieser
beiden ungläubigen Hunde ließe sich viel herausschlagen.
»›Bei meiner Krone,‹ rief der Schah, ›alles dieses verdanke
ich dem Aufstiege meiner guten Sterne. Ich sitze hier auf
meinem Throne, während die unreinen Hunde von Mittag und
Mitternacht, von Sonnenaufgang und Untergang kommen, mir
reiche Geschenke bringen, damit ich ihnen gestatte, am Fuße
meines Thrones zu fechten und zu streiten. Im Namen des
Propheten, laßt sie kommen!‹
»Als ich das kaiserliche Tor verließ, wurde ein Botschafter
der Engländer erwartet. Die soeben erhaltenen Briefe behandeln
aufs ausführlichste alle wegen seines bevorstehenden Empfanges
schwebenden Verhandlungen. Da der Schah davon unterrichtet
wurde, daß in Konstantinopel jede Nation in etlichen
Vertretern vorhanden sei, auch jede ihren Botschafter habe, so
kann er, bevor er mich gehört, unmöglich auf irgendeinen der
ihm unterbreiteten Vorschläge eingehen. Erachtete es doch die
Weisheit des Mittelpunktes des Weltalls für zweckmäßig, mich
hierher zu senden, um die für uns unerläßlichen Kenntnisse zu
sammeln, ferner jeden in Persien hinsichtlich der Engländer
und Franzosen bestehenden Zweifel endgültig zu lösen,
womöglich noch festzustellen, ob alles, was sie über sich
selber erzählen, wahr oder falsch ist.
»Hadschi,« sagte der Botschafter, »ich, der dieser
Angelegenheit nur als einzelner Mann gegenübersteht, habe
jetzt erst erkannt, daß sie fünfzig Männer vollauf
beschäftigen könnte, denn die Franken setzen sich aus vielen,
vielen Nationen zusammen. Kaum höre ich ein Schwein, beginnt
schon ein zweites zu grunzen, dann abermals ein anderes, und
wiederum ein weiteres, kurz, ich merke, daß es davon eine
ganze Herde gibt. Wie ich Euch schon früher sagte, sind
diejenigen, aus denen sich mein Gefolge zusammensetzt, nicht
die Leute, um mich bei meinen Nachforschungen zu unterstützen,
darum habe ich mein Auge auf Euch geworfen. Ich erwarte viel,
sehr viel von Euren Leistungen! Ihr müßt mit einigen
Ungläubigen bekannt werden. Sie können Euch, da Ihr Türkisch
sprecht, über vieles, was wir unbedingt erfahren müssen,
aufklären. Ferner will ich Euch, damit Ihr eine Richtschnur
habt, was wir alles ausfindig machen sollen, eine Abschrift
von des Schahs Verhaltungsbefehlen, die Ihr jedoch in das
geheimste Fach Eures Hirnkastens verschließen müßt, zukommen
lassen. Nun geht, setzt Euch, bis dies geschehen ist, in einen
stillen Winkel, wo Ihr lange und eingehend über den Plan, wie
Ihr vorgehen wollt, Eure Betrachtungen anstellen könnt.«
Hierauf entließ er mich; ich ging von ihm, erfüllt von
neuen Aussichten, auf meiner Lebensbahn vorwärts zu kommen.