Zweiundsiebzigstes Kapitel - Hadschi beschreibt den
Empfang eines fränkischen Botschafters bei Hofe
Sein Chef wurde aufs huldvollste vom Schah empfangen. Der
Herrscher zeigte sich von den flinken Antworten, die er auf
seine Fragen über die europäischen Nationen erhielt, aufs
äußerste befriedigt. Es wäre überhaupt unmöglich gewesen,
einen Mann zu finden, der die Stellung, mit der er betraut
war, besser hätte ausfüllen können als der Mirza. Auf jede
Frage, die der Schah ihm stellte, hielt er die prompteste
Antwort in Bereitschaft. Ihn verwirrte weder die eigene
Unwissenheit, noch vermochte irgendein Hindernis den
gewaltigen Strom seiner Rede einzudämmen.
Die Worte »nemi danem« (ich weiß es nicht), die jedes
Herrscherohr wie eine Sünde berühren, kamen niemals über seine
Lippen. Er sprach von allen Dingen mit einer Sicherheit, daß
seine Zuhörer, was auch immer er sagte, für bare Münze nahmen.
Kam er jedoch auf das Kapitel der Europäer zu sprechen, so
mußte jedermann annehmen, er sei unter ihnen geboren und
erzogen worden.
Da man wußte, daß ich von ihm als findiger Kundschafter und
in Bezug auf die Erforschung europäischer Verhältnisse benutzt
worden war, auch bei der Niederschrift ihrer Geschichte
mitgeholfen hatte, so erfreute ich mich demzufolge des Rufes,
über Europas Bewohner in allen Stücken Bescheid zu wissen.
Obgleich sich meine Dreistigkeit mit der meines Chefs gar
nicht vergleichen ließ, ich aber trotzdem zuwege brachte, alle
mir gestellten Fragen leidlich schnell zu beantworten, so hieß
es dabei, um meinem Chef keine Blöße zu geben, die größte
Vorsicht zu beobachten. Ich verbrachte deshalb meine Tage in
der zwiefachen Angst, entweder selbst als Dummkopf zu gelten
oder meine übergroße Weisheit mit abgeschnittenen Ohren zu
büßen. Da keiner der Perser uns zu widersprechen vermochte, so
horchten alle auf uns wie auf ein Orakel, und wir waren somit
ein schlagendes Beispiel, wie richtig der Poet Al Miei sagt: »Daß
im Lande der Stummen ein Laut, und wäre es nur die Stimme
eines Esels, Harmonie genannt würde.«
Der Empfang des englischen ›Iltschi‹ (Botschafters,
Gesandten), der wenige Tage vor uns in Teheran eintraf, war so
glänzend verlaufen, wie es nur ein ungläubiger Hund vom
Stellvertreter unseres gesegneten Propheten erwarten konnte.
In der Tat nahm die Stadt beinahe Ärgernis an diesen
Ehrenbezeugungen. Einige der allereifrigsten Mollas erklärten
sogar, daß wir uns durch diese Auszeichnung eines Giaurs fast
zu Mitschuldigen seines Unglaubens machten und auf unsere
ewige Verdammnis hinarbeiteten.
Während der Reise des ›Iltschis‹ hatte man an verschiedenen
Stationen Ochsen zu Füßen seiner Pferde geschlachtet, in
vielen Dörfern die Straße mit Kandiszucker bestreut, sogar
gestattet, am Tage seiner Ankunft in seinem Zuge die Trompeten
zu blasen, lauter Ehrungen, die außer unseren Prinzen
eigentlich niemand beanspruchen konnte.
Ferner versäumte man nicht, ihm jede geziemende
Aufmerksamkeit der Gastfreundschaft zu erweisen. Das Haus,
welches man dem Botschafter anwies, ward einem Khan
weggenommen, und was darin an Möbeln fehlte, wurde von den
Nachbarn geholt und hineingestellt. Ein andrer mußte seinen
Garten, den man mit dem Hause des ›Iltschis‹ verband,
hergeben. Der Oberschatzmeister erhielt den Befehl, die
Fremden, solange diese es wünschten, auf seine eigenen Kosten
zu füttern; bei verschiedenen Höflingen und Hofbediensteten
raffte man die nötigen Gewänder und Schals zusammen, aus denen
die bei solchen Anlässen üblichen Ehrenkleider angefertigt
wurden.
Überdies wurde den Prinzen und Edlen unter Androhung des
königlichen Zornes eingeschärft, dem Botschafter Geschenke zu
machen, und nebenbei der allgemeine Befehl ausgegeben, daß man
den Fremden, als Gästen des Schahs, nur die allerangenehmsten
Dinge sagen dürfe.
Nach allen diesen königlichen Aufmerksamkeiten sollte man
meinen, die Ungläubigen hätten wirklich allen Grund gehabt,
mit ihrem Lose zufrieden zu sein. Ganz im Gegenteil, denn
schon bei der ersten Verhandlung über die verschiedenen Punkte
der Etikette machten sie ganz unendliche Schwierigkeiten. Der
›Iltschi‹ entpuppte sich als der starrköpfigste aller
Sterblichen. Erstens wollte er um keinen Preis bei der Audienz
vor dem Schah auf dem Boden sitzen, sondern bestand darauf,
einen Stuhl zu bekommen. Dieser aber durfte nicht zu weit vom
Throne entfernt gestellt werden. Zweitens weigerte er sich,
ohne Schuhe auf dem Pflaster zu gehen, ließ sich aber durch
nichts bewegen, unsere roten Tuchsocken anzuziehen. Drittens
gab er, was die Hüte anbelangte, trotz unserer dringenden
Versicherungen, wie höchst unschicklich es sei, den Kopf zu
entblößen, die Absicht kund, seinen Hut, wenn er dem Schah
seine Verbeugung mache, abnehmen zu wollen. Der heftigste
Streit entspann sich jedoch im Punkte des Anzuges. Es wurde
ihm angedeutet, daß man ihm und seinem Gefolge, wenn sie vor
dem Schah erschienen, passende Kleider schicken wolle, um ihre
jetzt so unanständig wenig bedeckten Körper gebührlich zu
verhüllen; ein Vorschlag, den er sofort mit dem bittersten
Hohne zurückwies. Er erklärte, vor dem Schah im gleichen
Anzüge erscheinen zu wollen, den er vor seinem Könige trüge.
Da aber keiner der Perser je an einem fränkischen Königshofe
gewesen war, so konnte niemand sagen, welcher Anzug sich für
diese Gelegenheit schicke, und wir hätten es uns auch gefallen
lassen müssen, wenn der ›Iltschi‹ in seinem Nachthemde und
seiner Schlafmütze erschienen wäre. Als die Schwierigkeiten
ganz unüberwindlich schienen, besann ich mich nach einigem
Nachdenken darauf, daß sich unter den Gemälden im Palaste der
vierzig Säulen zu Ispahan auch Porträts von mehreren Europäern
befänden, die seinerzeit an den Hof des großen Abbas geströmt
und sich in der Stadt selbst niedergelassen hatten. Besonders
ein Gemälde, das den Schah Abbas darstellt und auf dem auch
ein Fremder abgebildet ist, dessen Tracht ohne Zweifel die
einzig schickliche schien, um vor einem gekrönten Haupte zu
erscheinen, war mir in Erinnerung geblieben. Diese Idee teilte
ich sofort meinem Herrn mit, und dieser erwähnte sie beim
Großwesir, der augenblicklich befahl, eine Kopie des Bildes
vom besten Künstler in Ispahan anfertigen zu lassen und diese
unverzüglich nach Teheran zu senden.
Gleich nach seiner Ankunft wurde das Gemälde im
allerhöchsten Auftrage dem ›Iltschi‹ feierlich mit dem
deutlichen Winke überreicht, daß sich der Schah damit begnügen
wolle, ihn im gleichen Anzuge zu empfangen, den er vor seinem
Könige trüge; man übersende ihm anbei ein Vorbild und erwarte,
daß sowohl er wie sein Gefolge sich streng daran halten.
Über den Kaminen prangen vier mächtige Wandbilder, in dem
Geschmacke jener Zeit gemalt, in der die Gegenstände ihrer
Vorwürfe noch zur lebenden Welt gerechnet wurden. Da sitzt
Schah Abbas beim fröhlichen Mahle, tafelnd, pokulierend,
umgeben von Verwandten, Hofleuten, den Gesandten der damaligen
Zeit, vom türkischen an bis zum Großmogul. Jede Figur ist ein
Porträt, jede Stellung bedeutsam, das Kostüm von historischer
Treue. (Brugsch, Persische Reise.)]
würden. Das unbändige Gelächter, welches das Bild nebst dem
Winke bei den Ungläubigen hervorrief, läßt sich gar nicht
beschreiben. Sie fragten, ob wir sie wohl für Affen hielten,
weil wir sie bäten, als solche zu erscheinen, und beharrten in
so starrköpfigem Eigensinne auf dem Entschlüsse, die Tracht,
die bei ihnen Sitte wäre, beizubehalten, daß man ihnen
schließlich ihren Willen ließ.
Die Vorstellung beim Schah ging besser vorüber, als man von
einem so rohen und ungebildeten Volke erwarten konnte. Wir
staunten über das Benehmen dieser so wenig an die guten Formen
der Welt gewöhnten Leute, die sich unter schwierigen
Verhältnissen weder eine häßliche noch anstößige Handlung
zuschulden kommen ließen.
Der König saß auf seinem goldenen Throne in so kostbaren,
das Auge blendenden Gewändern, daß selbst seine Untertanen
hingerissen ausriefen: »Dschemschid? Darab oder Nurschivan,
wer waren die, daß sie in einem Atem mit ihm erwähnt werden
sollten?«
Zur Rechten und zur Linken des Thrones befanden sich die
königlichen Prinzen, weit schöner noch als die Juwelen, die
den Vater umstrahlten. In einiger Entfernung standen die drei
Staatswesire, die Hüter der Weisheit und des guten Rats. In
einer Reihe, den Rücken gegen die Wand gekehrt, waren, gleich
Engeln, welche die Planeten des gestirnten Himmels stützen,
die schwarzäugigen, königlichen Edelknaben, die einzelnen
Kroninsignien in den Händen, aufgestellt. In der Mitte standen
die Franken, die mit ihren unverhüllten Beinen, ihren
straffanliegenden, haarscharf ausgeschnittenen Röcken, den
glattrasierten und bartlosen Lippen, im Vergleiche mit den
herrlichen, in faltenreiche, bauschige Gewänder gehüllten
Persönlichkeiten, die sie umgaben, an Vögel in der Mauser oder
kranke Affen, kurz, an alles eher als an menschliche Kreaturen
erinnerten. Jedoch ihrem Benehmen und ihren Mienen nach zu
schließen, hätte man beinahe annehmen können, daß sie ebenso
tugendhaft und unbefleckt wie wir seien.
Die Rede des ›Iltschis‹ bei dieser Gelegenheit entsprach
ganz dem Charakter des Volkes, das er vertrat, das heißt, sie
klang so nüchtern und ungeschliffen, sagte nicht mehr und
nicht weniger als die Wahrheit, gerade als spräche ein
Kameltreiber mit einem Eseltreiber. Auch lediglich der
Schlauheit des Dolmetschers war es zu verdanken, sonst wäre
unser Schah weder mit seinem Titel »König der Könige«, noch
als »Kibleh des Weltalls« angeredet worden.
Ich müßte die Feder der Ewigkeit ergreifen, wollte ich nur
den Versuch wagen, den grenzenlosen Unterschied zu
beschreiben, der zwischen den Gebräuchen und Gefühlen dieses
ungläubigen und unseres rechtgläubigen Volkes zutage trat.
Einige unserer Weisen waren bemüht, ihn auf philosophischer
Grundlage zu erklären, schrieben das meiste dem Klima jener
düsteren, wasserreichen und sonnenarmen Regionen zu, in
welchen sie geboren und auferzogen waren, und sagten ferner:
wie können Menschen, die umgeben von Wasser leben und niemals
die Wärme der Sonne fühlen, wie jene sein, die nie einen Tag
verbringen, ohne den vollsten Glanz ihrer Strahlen zu
genießen, und die nicht einmal wissen, was das Meer ist? Aber
die Schriftgelehrten erklärten die Frage in einer weit
befriedigenderen Weise, indem sie behaupteten: sie verdanken
es ihrem Unglauben, daß ihr Schicksal schon in diesem Leben
verflucht ist. Könnten sich aber der Botschafter, sein Gefolge
und sein ganzes Volk entschließen, den wahren Glauben
anzunehmen und sich zu richtigen Muselmännern zu bekehren, so
würden sie alsogleich, wie wir selbst, von jeder Besteckung
rein gewaschen werden, ja, sie hätten sogar einige Aussicht,
in der künftigen Welt mit den Kindern des Islams zusammen im
gleichen himmlischen Stockwerke zu wohnen.