Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Zweiundsiebzigstes Kapitel - Hadschi beschreibt den Empfang eines fränkischen Botschafters bei Hofe

Sein Chef wurde aufs huldvollste vom Schah empfangen. Der Herrscher zeigte sich von den flinken Antworten, die er auf seine Fragen über die europäischen Nationen erhielt, aufs äußerste befriedigt. Es wäre überhaupt unmöglich gewesen, einen Mann zu finden, der die Stellung, mit der er betraut war, besser hätte ausfüllen können als der Mirza. Auf jede Frage, die der Schah ihm stellte, hielt er die prompteste Antwort in Bereitschaft. Ihn verwirrte weder die eigene Unwissenheit, noch vermochte irgendein Hindernis den gewaltigen Strom seiner Rede einzudämmen.

Die Worte »nemi danem« (ich weiß es nicht), die jedes Herrscherohr wie eine Sünde berühren, kamen niemals über seine Lippen. Er sprach von allen Dingen mit einer Sicherheit, daß seine Zuhörer, was auch immer er sagte, für bare Münze nahmen. Kam er jedoch auf das Kapitel der Europäer zu sprechen, so mußte jedermann annehmen, er sei unter ihnen geboren und erzogen worden.

Da man wußte, daß ich von ihm als findiger Kundschafter und in Bezug auf die Erforschung europäischer Verhältnisse benutzt worden war, auch bei der Niederschrift ihrer Geschichte mitgeholfen hatte, so erfreute ich mich demzufolge des Rufes, über Europas Bewohner in allen Stücken Bescheid zu wissen. Obgleich sich meine Dreistigkeit mit der meines Chefs gar nicht vergleichen ließ, ich aber trotzdem zuwege brachte, alle mir gestellten Fragen leidlich schnell zu beantworten, so hieß es dabei, um meinem Chef keine Blöße zu geben, die größte Vorsicht zu beobachten. Ich verbrachte deshalb meine Tage in der zwiefachen Angst, entweder selbst als Dummkopf zu gelten oder meine übergroße Weisheit mit abgeschnittenen Ohren zu büßen. Da keiner der Perser uns zu widersprechen vermochte, so horchten alle auf uns wie auf ein Orakel, und wir waren somit ein schlagendes Beispiel, wie richtig der Poet Al Miei sagt: »Daß im Lande der Stummen ein Laut, und wäre es nur die Stimme eines Esels, Harmonie genannt würde.«

Der Empfang des englischen ›Iltschi‹ (Botschafters, Gesandten), der wenige Tage vor uns in Teheran eintraf, war so glänzend verlaufen, wie es nur ein ungläubiger Hund vom Stellvertreter unseres gesegneten Propheten erwarten konnte. In der Tat nahm die Stadt beinahe Ärgernis an diesen Ehrenbezeugungen. Einige der allereifrigsten Mollas erklärten sogar, daß wir uns durch diese Auszeichnung eines Giaurs fast zu Mitschuldigen seines Unglaubens machten und auf unsere ewige Verdammnis hinarbeiteten.

Während der Reise des ›Iltschis‹ hatte man an verschiedenen Stationen Ochsen zu Füßen seiner Pferde geschlachtet, in vielen Dörfern die Straße mit Kandiszucker bestreut, sogar gestattet, am Tage seiner Ankunft in seinem Zuge die Trompeten zu blasen, lauter Ehrungen, die außer unseren Prinzen eigentlich niemand beanspruchen konnte.

Ferner versäumte man nicht, ihm jede geziemende Aufmerksamkeit der Gastfreundschaft zu erweisen. Das Haus, welches man dem Botschafter anwies, ward einem Khan weggenommen, und was darin an Möbeln fehlte, wurde von den Nachbarn geholt und hineingestellt. Ein andrer mußte seinen Garten, den man mit dem Hause des ›Iltschis‹ verband, hergeben. Der Oberschatzmeister erhielt den Befehl, die Fremden, solange diese es wünschten, auf seine eigenen Kosten zu füttern; bei verschiedenen Höflingen und Hofbediensteten raffte man die nötigen Gewänder und Schals zusammen, aus denen die bei solchen Anlässen üblichen Ehrenkleider angefertigt wurden.

Überdies wurde den Prinzen und Edlen unter Androhung des königlichen Zornes eingeschärft, dem Botschafter Geschenke zu machen, und nebenbei der allgemeine Befehl ausgegeben, daß man den Fremden, als Gästen des Schahs, nur die allerangenehmsten Dinge sagen dürfe.

Nach allen diesen königlichen Aufmerksamkeiten sollte man meinen, die Ungläubigen hätten wirklich allen Grund gehabt, mit ihrem Lose zufrieden zu sein. Ganz im Gegenteil, denn schon bei der ersten Verhandlung über die verschiedenen Punkte der Etikette machten sie ganz unendliche Schwierigkeiten. Der ›Iltschi‹ entpuppte sich als der starrköpfigste aller Sterblichen. Erstens wollte er um keinen Preis bei der Audienz vor dem Schah auf dem Boden sitzen, sondern bestand darauf, einen Stuhl zu bekommen. Dieser aber durfte nicht zu weit vom Throne entfernt gestellt werden. Zweitens weigerte er sich, ohne Schuhe auf dem Pflaster zu gehen, ließ sich aber durch nichts bewegen, unsere roten Tuchsocken anzuziehen. Drittens gab er, was die Hüte anbelangte, trotz unserer dringenden Versicherungen, wie höchst unschicklich es sei, den Kopf zu entblößen, die Absicht kund, seinen Hut, wenn er dem Schah seine Verbeugung mache, abnehmen zu wollen. Der heftigste Streit entspann sich jedoch im Punkte des Anzuges. Es wurde ihm angedeutet, daß man ihm und seinem Gefolge, wenn sie vor dem Schah erschienen, passende Kleider schicken wolle, um ihre jetzt so unanständig wenig bedeckten Körper gebührlich zu verhüllen; ein Vorschlag, den er sofort mit dem bittersten Hohne zurückwies. Er erklärte, vor dem Schah im gleichen Anzüge erscheinen zu wollen, den er vor seinem Könige trüge. Da aber keiner der Perser je an einem fränkischen Königshofe gewesen war, so konnte niemand sagen, welcher Anzug sich für diese Gelegenheit schicke, und wir hätten es uns auch gefallen lassen müssen, wenn der ›Iltschi‹ in seinem Nachthemde und seiner Schlafmütze erschienen wäre. Als die Schwierigkeiten ganz unüberwindlich schienen, besann ich mich nach einigem Nachdenken darauf, daß sich unter den Gemälden im Palaste der vierzig Säulen zu Ispahan auch Porträts von mehreren Europäern befänden, die seinerzeit an den Hof des großen Abbas geströmt und sich in der Stadt selbst niedergelassen hatten. Besonders ein Gemälde, das den Schah Abbas darstellt und auf dem auch ein Fremder abgebildet ist, dessen Tracht ohne Zweifel die einzig schickliche schien, um vor einem gekrönten Haupte zu erscheinen, war mir in Erinnerung geblieben. Diese Idee teilte ich sofort meinem Herrn mit, und dieser erwähnte sie beim Großwesir, der augenblicklich befahl, eine Kopie des Bildes vom besten Künstler in Ispahan anfertigen zu lassen und diese unverzüglich nach Teheran zu senden.

Gleich nach seiner Ankunft wurde das Gemälde im allerhöchsten Auftrage dem ›Iltschi‹ feierlich mit dem deutlichen Winke überreicht, daß sich der Schah damit begnügen wolle, ihn im gleichen Anzuge zu empfangen, den er vor seinem Könige trüge; man übersende ihm anbei ein Vorbild und erwarte, daß sowohl er wie sein Gefolge sich streng daran halten.

Über den Kaminen prangen vier mächtige Wandbilder, in dem Geschmacke jener Zeit gemalt, in der die Gegenstände ihrer Vorwürfe noch zur lebenden Welt gerechnet wurden. Da sitzt Schah Abbas beim fröhlichen Mahle, tafelnd, pokulierend, umgeben von Verwandten, Hofleuten, den Gesandten der damaligen Zeit, vom türkischen an bis zum Großmogul. Jede Figur ist ein Porträt, jede Stellung bedeutsam, das Kostüm von historischer Treue. (Brugsch, Persische Reise.)]

würden. Das unbändige Gelächter, welches das Bild nebst dem Winke bei den Ungläubigen hervorrief, läßt sich gar nicht beschreiben. Sie fragten, ob wir sie wohl für Affen hielten, weil wir sie bäten, als solche zu erscheinen, und beharrten in so starrköpfigem Eigensinne auf dem Entschlüsse, die Tracht, die bei ihnen Sitte wäre, beizubehalten, daß man ihnen schließlich ihren Willen ließ.

Die Vorstellung beim Schah ging besser vorüber, als man von einem so rohen und ungebildeten Volke erwarten konnte. Wir staunten über das Benehmen dieser so wenig an die guten Formen der Welt gewöhnten Leute, die sich unter schwierigen Verhältnissen weder eine häßliche noch anstößige Handlung zuschulden kommen ließen.

Der König saß auf seinem goldenen Throne in so kostbaren, das Auge blendenden Gewändern, daß selbst seine Untertanen hingerissen ausriefen: »Dschemschid? Darab oder Nurschivan, wer waren die, daß sie in einem Atem mit ihm erwähnt werden sollten?«

Zur Rechten und zur Linken des Thrones befanden sich die königlichen Prinzen, weit schöner noch als die Juwelen, die den Vater umstrahlten. In einiger Entfernung standen die drei Staatswesire, die Hüter der Weisheit und des guten Rats. In einer Reihe, den Rücken gegen die Wand gekehrt, waren, gleich Engeln, welche die Planeten des gestirnten Himmels stützen, die schwarzäugigen, königlichen Edelknaben, die einzelnen Kroninsignien in den Händen, aufgestellt. In der Mitte standen die Franken, die mit ihren unverhüllten Beinen, ihren straffanliegenden, haarscharf ausgeschnittenen Röcken, den glattrasierten und bartlosen Lippen, im Vergleiche mit den herrlichen, in faltenreiche, bauschige Gewänder gehüllten Persönlichkeiten, die sie umgaben, an Vögel in der Mauser oder kranke Affen, kurz, an alles eher als an menschliche Kreaturen erinnerten. Jedoch ihrem Benehmen und ihren Mienen nach zu schließen, hätte man beinahe annehmen können, daß sie ebenso tugendhaft und unbefleckt wie wir seien.

Die Rede des ›Iltschis‹ bei dieser Gelegenheit entsprach ganz dem Charakter des Volkes, das er vertrat, das heißt, sie klang so nüchtern und ungeschliffen, sagte nicht mehr und nicht weniger als die Wahrheit, gerade als spräche ein Kameltreiber mit einem Eseltreiber. Auch lediglich der Schlauheit des Dolmetschers war es zu verdanken, sonst wäre unser Schah weder mit seinem Titel »König der Könige«, noch als »Kibleh des Weltalls« angeredet worden.

Ich müßte die Feder der Ewigkeit ergreifen, wollte ich nur den Versuch wagen, den grenzenlosen Unterschied zu beschreiben, der zwischen den Gebräuchen und Gefühlen dieses ungläubigen und unseres rechtgläubigen Volkes zutage trat.

Einige unserer Weisen waren bemüht, ihn auf philosophischer Grundlage zu erklären, schrieben das meiste dem Klima jener düsteren, wasserreichen und sonnenarmen Regionen zu, in welchen sie geboren und auferzogen waren, und sagten ferner: wie können Menschen, die umgeben von Wasser leben und niemals die Wärme der Sonne fühlen, wie jene sein, die nie einen Tag verbringen, ohne den vollsten Glanz ihrer Strahlen zu genießen, und die nicht einmal wissen, was das Meer ist? Aber die Schriftgelehrten erklärten die Frage in einer weit befriedigenderen Weise, indem sie behaupteten: sie verdanken es ihrem Unglauben, daß ihr Schicksal schon in diesem Leben verflucht ist. Könnten sich aber der Botschafter, sein Gefolge und sein ganzes Volk entschließen, den wahren Glauben anzunehmen und sich zu richtigen Muselmännern zu bekehren, so würden sie alsogleich, wie wir selbst, von jeder Besteckung rein gewaschen werden, ja, sie hätten sogar einige Aussicht, in der künftigen Welt mit den Kindern des Islams zusammen im gleichen himmlischen Stockwerke zu wohnen.

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