Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Dreiundsiebzigstes Kapitel - Hadschi erwirbt sich die Gunst des Großwesirs

Alle vorhin erwähnten Vorgänge erwiesen sich als äußerst günstig für mein Vorwärtskommen. Dank der Kenntnisse, die man mir hinsichtlich der europäischen Verhältnisse zutraute, fand ich häufige Verwendung bei Geschäften, welche die in Persien lebenden Franken angingen; ein Umstand, der mir oftmals die Gelegenheit verschaffte, mit dem Großwesir, den sonstigen Ministern und den einflußreichen Leuten zusammenzukommen.

Mirza Firus, der nicht über Reichtümer verfügte und das Gehalt seiner auswärtigen Stellung, sobald er nach Teheran zurückkehrte, verlor, sich somit nicht länger in der Lage befand, mich zu unterstützen, war ganz glücklich, zu sehen, daß ich selbst imstande sei, mir den Weg zu meinem Auskommen zu bahnen.

Er unterließ niemals, meine guten Eigenschaften zu rühmen, und ergriff allezeit jede Gelegenheit, meine Fähigkeiten lobend hervorzuheben.

Ich war auch nicht faul, seine Bemühungen zu unterstützen, indem ich jeden und alle, Gläubige und Ungläubige, zur Förderung meiner ehrgeizigen Pläne in Bewegung setzte, und es kam mir vor, als flüsterte mir das Schicksal, ohne dessen Beistand alle Bestrebungen vergeblich sind, zu, daß auch für mich das in der Welt Herumgestoßenwerden ein Ende hätte.

Der Mann, der in Persien vermöge seines scharfen Verstandes, seines Taktes und seiner Schlagfertigkeit den meisten Einfluß auf den Schah besaß, war zweifellos der Großwesir. Er hatte seine hohe Stellung, in deren Genuß er sich nahezu seit Anbeginn der gegenwärtigen, langen Regierung befand, so mit allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten Persiens zu verquicken gewußt, daß das Land seiner Führung ebenso nötig bedurfte als des Auf- und Niederganges der Sonne. Seine Gunst zu erringen, ward nun das Hauptziel meiner Bestrebungen. Da ich anfangs nie versäumte, ihm täglich stehend bei seinem Lever aufzuwarten, sein Interesse vornehmlich auf die mit Europa zusammenhängenden Geschäfte gerichtet war, er auch niemals verfehlte, mir bei jeder Begegnung einige diesbezügliche Fragen zu stellen, so führte dies schließlich dazu, mich mit den Meldungen an den englischen Botschafter zu betrauen, dessen Antworten ich stets mit einigen dick aufgetragenen Schmeicheleien, die seiner Fähigkeit als hervorragendem Staatsmanne schmeichelten, auszuschmücken wußte. Indem ich das beste Einvernehmen zwischen den Parteien herstellte, ward ich gar bald der erklärte Günstling beider.

Geschenke zu erhalten, war die größte Hauptleidenschaft des Großwesirs. Diese ward jetzt bei allen Verhandlungen mit dem Engländer meine Kibleh (Richtung). Wie dem ›Iltschi‹ etwas abzuluchsen sei, was dem Wesir willkommen und mir dienlich sein konnte, beschäftigte unablässig meinen Scharfsinn Tag und Nacht.

Wurden die herkömmlichen offiziellen Geschenke ausgetauscht, so konnte ich bei diesen Anlässen freilich nicht hoffen, mein Ansehen zu vermehren. Nachdem es mir aber trotzdem gelungen war, ein oder zweimal geschickt dazu beizutragen, daß die Wagschale sich dennoch zugunsten meiner eigenen Landsleute neigte, so betrachtete mich der Großwesir von diesem Augenblicke an wohlwollenden Auges. Zwischen beiden Ländern sollte ein Vertrag geschlossen werden, demzufolge der Schah meinen Chef zu einem seiner Bevollmächtigten ernannte. Obgleich ein so unbedeutender Mensch, wie ich es war, niemals in dieser wichtigen Angelegenheit eine Verwendung erwarten durfte, so schlich ich trotzdem unermüdlich, wie ein Hund, der bei einem Mahle einen Knochen zu erschnappen hofft, spähend um die Unterhändler herum und witterte da und dort so bestimmte Fahrten, daß ich fast mit Sicherheit annahm, auch mir müßte irgendein Wild ins Garn gehen.

Endlich eines Morgens, nach einer langen Sitzung der Unterhändler, wurde ich aufgefordert, dem Großwesir in seinem Enderun selbst, einem Orte, zu dem sonst nur seine allervertrautesten Freunde Zutritt erhielten, aufzuwarten. Ich fand ihn ganz allein und noch in seinem mit vielen weichen Kissen aufgepolsterten Bette liegen.

»Hadschi,« sagte er in vertraulichem Tone, »tretet näher, setzt Euch dicht zu mir; ich habe Euch etwas höchst Wichtiges mitzuteilen.«

Bei der hohen Ehre wurde mir ganz schwindelig, da sein Befehl aber Gesetz war, so kniete ich demütig gehorsam neben seinem Lager nieder. Ohne alle Umschweife erzählte er mir, in welch peinlicher Lage er sich befände, da der englische Botschafter einige Forderungen gestellt hätte, die unmöglich erfüllt werden könnten, und erklärt habe, im Falle ihrer Verweigerung unverzüglich Teheran verlassen zu müssen. »Nun,« fuhr er fort, »trotzdem mir der Schah gedroht, mit meinem Kopf dafür haften zu müssen, daß der ›Iltschi‹ Teheran nicht im Unmute verläßt, so bin dennoch nicht nur ich, sondern auch die anderen Mitbevollmächtigten fest davon überzeugt, daß Seine Majestät Englands Forderungen niemals bewilligen wird. Was ist da zu tun?«

»Könnte man den ›Iltschi‹ nicht bestechen?« antwortete ich so harmlos, als meinte ich ganz was anderes. »Er sich bestechen lassen?« rief der Großwesir; »erstens woher sollte die Bestechung kommen? zweitens sind diese Engländer so große Narren, daß sie nicht einmal wissen, was Bestechung ist! Doch leiht mir Euer Ohr. Wir sind keine Narren, mögen sie sein was auch immer. Der ›Iltschi‹ beharrt auf seinem Standpunkte; Ihr aber kennt mich genug, um zu wissen, daß, wenn ich einmal etwas in die Hand nehme, mich nichts abhalten kann, es zu Ende zu führen. Ihr müßt jetzt hingehen und mit ihm reden. Seid Ihr nicht sein Freund? Ihr könnt sagen, Ihr wäret auch der meine; Ihr vermögt ihm auch manches zuzuraunen, was ich nicht vermag, versteht Ihr wohl?«

Ich küßte hierauf mit größter Inbrunst seine Hand, führte sie an meine Stirne und rief: »Bei meinem Haupte und bei meinen Augen, ich will hingehen und, Inschallah, so es Gott gefällt, nicht ohne weißes Gesicht zurückkehren!«

Nachdem ich entlassen war, machte ich mich auf den Weg zum Botschafter, erfüllt von glückverheißenden Aussichten.

Was ich dort sagte und anstellte, um den Engländer zur Annahme der Bedingungen des Großwesirs zu bewegen, will ich gar nicht erzählen, nur mit zwei Worten sagen, daß ich bei meiner Rückkehr einen ganzen Sack voll Gold, gutes, blankes bares Gold, in der Hand trug, das nur ein Vorläufer alles dessen sein sollte, was nachkäme; ich hatte mir jedoch noch überdies das bindende Versprechen geben lassen, daß, im Falle die Geschäfte zur vollsten Zufriedenheit des Botschafters abgeschlossen wären, alsogleich vom Finger Englands ein Ring mit einem großen Diamanten, als Symbol ewiger Freundschaft zwischen den Bevollmächtigten beider Staaten, an den Finger Persiens gesteckt würde.

Der Wesir war so erstaunt, als er mich den Sack hinstellen sah, daß er zuerst diesen, dann wieder mich sprachlos anstarrte, um hierauf in desto größeren Jubel auszubrechen und zu rufen: »Hadschi, ich betrachte Euch von nun an als zu mir gehörig! Ihr werdet nicht zu lange ohne Mütze auf Eurem Kopfe bleiben! Macht eine ›Aerz‹ (Eingabe), mich aber laßt dafür sorgen, daß sie bewilligt wird!«

Daraufhin versicherte ich ihm auf tausendfache Weise, meine Treue und meinen Eifer verdoppeln zu wollen, wies jede Belohnung, außer der Gunst, ihm jederzeit aufwarten zu dürfen, zurück, machte ein so demütiges Gesicht und sprach in so uneigennütziger Weise, daß, wenn der Wesir je einem Perser Glauben schenkte, ich mir schmeicheln konnte, ich hätte ihn zu überzeugen gewußt.

Er aber, der den Wert solcher Reden um ein gut Teil besser einzuschätzen wußte als ich, sagte: »Werft nicht so leichtsinnig mit Euren Worten herum. Gerade wie Ihr jetzt, stand auch ich einst in der Welt da, drehte meinen Kopf nach allen Seiten in der Runde um und um, und hielt Umschau nach einem Lebensunterhalte; ich weiß darum den Dienst, den Ihr mir erwiesen habt, nach Gebühr zu schätzen. Schreitet auf dem Pfade, der vor Euch liegt, tapfer weiter. Für Euren Scharfsinn sind die Franken ganz das geeignete Material. Ihr habt meine Zustimmung, sie zu bearbeiten. Sie brauchen uns und haben Geld in Hülle und Fülle; mehr zu sagen, wäre unnütz. Das Volk von Iran gleicht der persischen Scholle, beide bedürfen, sollen sie gute Früchte tragen, des reichlichsten ›Rischwähs‹. [Fußnote]

»Die Franken sprechen im öffentlichen Leben von Gefühlen, die uns fremd sind, wenn sie behaupten, keinen anderen Vorteil im Auge zu haben als den ihres Landes. Das sind Worte, die für uns gar keinen Sinn haben; denn sobald ich sterbe oder der Schah nicht mehr ist, wird wahrscheinlich alles, was wir für Persiens Wohlfahrt taten, zerstört werden. Ruiniert jedoch sein Nachfolger das Land, um sich selbst zu bereichern, so muß die ganze Arbeit der Verbesserung und Befestigung von neuem begonnen werden. Gewisse Privilegien und Genüsse sind das rechtmäßige Erbteil der Schahs von Persien; im Namen Allahs, laßt sie dies besitzen! Doch auch den Wesiren wurde ein Teil davon zuerkannt; warum sollten sie dies Erbteil verschmähen? Jedenfalls wäre es nicht zum Wohle des Landes; denn nicht ein Mensch im ganzen Reiche verstünde den Sinn des Wortes ›Wohl‹ und noch viel weniger, daß man daran arbeiten müsse.«

Diese Rede kam meinem Verständnisse erheblich zu Hilfe. Mir war, als fiele ein Vorhang, der bisher meine Begriffe verdunkelt hatte; ich entdeckte neue Aussichten, mein Blick umfaßte neue Gebiete mannigfachen Gewinnes. Die Worte: »Die Franken sind das gegebene Material für Euren Scharfsinn« klangen mir im Ohre; mein Erfindungsgeist begann bereits heftig zu arbeiten.

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