Nachwort des Übersetzers
Persien, das einst durch seine Philosophen, seine Dichter,
seine Baumeister sowie durch sein hochstehendes Kunstgewerbe
die weithintragende Pflanzstätte kultureller Entwicklung für
den ganzen Orient bedeutete, das vermöge seiner Lage niemals
das banalisierte Allgemeingut der Globtrotter werden konnte,
ist unserem Verständnisse durch eine Reihe vorzüglicher
Reisebeschreibungen näher gerückt worden. Ein Gesamtbild
persischen Lebens und Denkens vermögen diese jedoch nicht zu
geben. Diese Aufgabe erfüllt der Sittenroman »The Adventures
of Hajji Baba of Ispahan« von James Morier. Wie neue Auflagen
beweisen, wird dies einst auch ins Deutsche übertragene, doch
wieder in Vergessenheit geratene Buch noch heute in England
sehr geschätzt.
Unter dem Einfluß der von Deutschland ausgegangenen, zu
Beginn des neunzehnten Jahrhunderts in England entstandenen
romantischen Bewegung mag sich Morier entschlossen haben,
seine reichen Kenntnisse persischen Lebens anstatt als
trockene Reisebeschreibung in der unterhaltenden Form des
Romans niederzulegen. Im Haupthelden, dem schmucken
Barbierssohne Hadschi, führt uns Morier den
Durchschnittsperser vor. Der von Haus aus begabte und witzige
Hadschi ist das Resultat seiner Erziehung, seiner jeweiligen
Umgebung, der schädlichen Einflüsse des jeder
Selbstverantwortung entbehrenden Islams sowie der
absolutistischen Regierungsform. Wie in einem perspektivisch
richtig angelegten Gemälde gruppieren sich alle Stände
Persiens um den Haupthelden. Der Autor läßt sie lebenswahr in
logisch entwickelter Reihenfolge in den verschiedenen
Abenteuern auftreten. Vom Herrscher an bis zum gewandten
Emporkömmling verfolgen alle rein persönliche Interessen. Das
auf einer ruhmreichen Vergangenheit fußende persische
Selbstgefühl und Selbstgenügen ließ sie vergessen, daß zur
gedeihlichen Weiterentwicklung eines Landes, zur Erhaltung
eines Staates selbstlose Ideale unerläßlich sind.
Da der Orientale an allem Hergebrachten zäher festhält als
der fortschreitende, fast pietätlos neuerungssüchtige
Westeuropäer, so ist nach Aussage aller, die Persien kennen,
»Hadschi Baba« als Gesamtbild noch heute eine getreue
Wiedergabe persischer Zustände und Denkweise.
Morier besitzt das Geheimnis, die Phantasie des Lesers
niemals durch allzu breite Details zu ermüden. Seine mit
wenigen Strichen skizzierten Typen sind dem Leben abgelauschte
Gestalten. Ein paar äußerst sparsam eingestreute
landschaftliche Bilder versetzen den Leser wirklich in das
Land der Sonne, gönnen jedoch seiner Einbildungskraft
Spielraum genug, die orientalische Szenerie mit eigenen Farben
bunter auszuschmücken. Der knappe Stil, die genaue Kenntnis
und liebevoll gewissenhafte Wiedergabe persischer Sitten und
Gebräuche, das Fehlen jeglicher Sentimentalität verleihen dem
Buche absoluten Wert.
Morier, der zweimal als Mitglied der englischen
Gesandtschaft in Teheran tätig gewesen war, der besonders in
der bevorzugten Stellung eines Vertreters der britischen
Großmacht viele Freundlichkeiten im Lande genossen hatte, ließ
in der berechtigten Furcht, des schwärzesten Undankes und der
Indiskretion geziehen zu werden, sein Buch zuerst unter einem
Pseudonym erscheinen. »Hadschi« rief in der Tat, wie ein
Schlüsselroman, die allgemeine Entrüstung hervor, da sich
viele Perser in dem Buche kenntlich gezeichnet sahen. Erst ein
nachhaltiger Erfolg des Romans in England bewog den
einstweilen aus der diplomatischen Laufbahn ausgeschiedenen
Autor sich zu seiner geistigen Vaterschaft zu bekennen.
Walter Scott stellt den Witz Moriers dem eines Le Sage an
die Seite, erkennt ihm die heiterkeitserregende Macht eines
Fielding zu. Trotz dieses Lobes seines berühmten Landsmannes
erinnert Moriers Witz, sein Talent, überall das Komische zu
sehen, weit mehr an französischen »esprit« als an englischen »humor«.
In der Tat war auch der Autor, wie man seiner kurzen
Biographie entnehmen wird, durchaus kein waschechter
Engländer, sondern entstammte dem Zweige einer
Hugenottenfamilie, die Frankreich nach dem Edikt von Nantes
verlassen hatte, in der Levante ihr Glück versuchte und dort
die englische Staatsangehörigkeit erwarb.
Nach dem in früheren Zeiten befolgten Prinzip der
britischen Regierung, sowohl Konsulats- wie Dragomanatsposten
im Oriente mit ihren in der Levante geborenen, doch nach
englischem Muster herangebildeten, nicht reinblütigen
Untertanen zu besetzen, erlangte Moriers Vater Isaac die
angesehene Stellung eines englischen Generalkonsuls in
Konstantinopel. Im Jahre 1775 verheiratete er sich mit Klara
van Lenep, der Tochter des holländischen Konsuls in Smyrna,
deren Schönheit uns Meister Romnays Pinsel bis auf den
heutigen Tag erhalten hat. James Morier, geb. 1780, der zweite
Sohn dieses Paares, studierte in Harrow und kehrte dann ins
Vaterhaus zurück. Er wurde der englischen Gesandtschaft in
Teheran zugeteilt, verweilte dort als Sekretär bis zum Jahre
1809, um abermals vom Jahre 1810-1815 als Vertreter der
britischen Großmacht in Persien tätig zu sein. Seine ersten
Reiseeindrücke legte er als Reisebeschreibungen nieder, die
sich alsbald der größten Beliebtheit erfreuten. Später widmete
er sich in England ausschließlich der Schriftstellerei,
veröffentlichte verschiedene, meist das Leben im Orient
beschreibende Romane. Er starb 1849 zu Brighton, nachdem er
sich durch sein Haupt- und Meisterwerk »Hadschi Baba« einen
dauernden, ehrenvollen Platz unter den englischen Novellisten
errungen hatte.
Diese kurze Biographie gibt den Schlüssel zur eigenartigen
Entwicklung von Moriers starker künstlerischer Begabung. Für
den im Orient geborenen Autor bedeutete die damals von jedem
europäischen Einfluß abgeschlossene Eigenart Persiens nichts
wesentlich Neues, sondern nur eine Steigerung der schon im
frühen Kindesalter empfangenen Eindrücke orientalischen Lebens
am Goldenen Horn. Da jedes im babylonischen Sprachengewirre
Konstantinopels aufgewachsene Kind mühelos Französisch,
Englisch und Italienisch, sowie Türkisch und Griechisch
erlernt, so wurde es Morier vermutlich ein leichtes, sich auch
das Persische so weit anzueignen, um der breiten Volksmasse
näher zu treten und später in seinem Romane wohlverstandene
Stellen aus Hafis und Saadi anzubringen.
Für Morier, der die Eigenart des Orients mit der
Muttermilch eingesogen, der jedoch im Vaterhause und in Harrow
in englischem Geiste erzogen wurde, traten die grellen
Gegensätze zwischen westeuropäischer und persischer Kultur so
scharf und bewußt hervor, daß er in voller Objektivität über
beiden stand.
Das günstige Zusammentreffen der Rassenmischung, ein
ungewöhnlicher Entwicklungsgang, dichterische Beobachtungsgabe
und gewissenhaft verwertete langjährige Kenntnisse des Landes
allein machen ein Buch, wie vorliegt, möglich; nur diesen
Umständen verdankt es seinen eigenartigen Reiz und seinen
kulturhistorischen Wert.
Bei der Übertragung des Buches schien es angezeigt,
einzelne, dem Leser unserer Zeit fernliegende Kapitel
wegzulassen, die frühere kurdische und armenische Verhältnisse
schildern, doch den eigentlichen Gang der Handlung nicht
beeinflussen.
Tutzing, September 1912.