Im Namen Allahs, des Erbarmers, des BarmherzigenDie 88. Konsultation – Weitere Argumente zur
Donnerstagstragödie
11.
Rabi-ul-Awwal 1330 (29.2.1912)
Verehrter [maulana] Scheich al-Islam, der
Friede sei mit
Dir und die Gnade
ALLAHs und Seine Barmherzigkeit.
Wer in der Lage ist, ein klares Urteil zu fällen, muss
offen zu der Wahrheit stehen und das Richtige verkünden. Es
gibt noch weitere Gründe, mit denen die
Rechtfertigungsversuche zurückgewiesen werden können. Diese
möchte ich Dir nun aufzeigen, damit Du Dir selbst ein Urteil
darüber bilden kannst.
Bei ihrer ersten Entgegnung sagtest Du: Vielleicht hat der
Gesandte Allahs (s.), als er sie angewiesen hatte, das
Tintenfass herbeizubringen, gar nicht wirklich vor, etwas
niederschreiben, sondern sie lediglich auf die Probe zu
stellen. Zusätzlich zu dem, was Du bereits angeführt hast,
möchte ich Folgendes ergänzen: Wie die
Überlieferung
deutlich
darstellt, hat sich diese Begebenheit in der Sterbestunde des
Propheten zugetragen. Es war keine Zeit, in der jemand auf die
Probe gestellt werden sollte, sondern eine Zeit des Mahnens
und Warnens, in der alle wichtigen Aufgaben verteilt und die
Umma umfassend beraten werden musste. Und derjenige, der im
Sterben lag, war weit davon entfernt, zu spaßen und zu
scherzen. Vielmehr war er ganz mit sich, seinen Aufgaben und
den Obliegenheiten seiner Angehörigen beschäftigt –
schließlich war er doch ein
Prophet!
Wenn ihn seine
Fehlerlosigkeit während seines ganzen Lebens daran gehindert hat, sie auf die Probe zu stellen, wie sollte
ein solches Verhalten in seiner Sterbestunde möglich sein?
Seine (s.) Worte:
„Steht auf (und geht)!“ weisen auf seine
Verärgerung über sie hin, nachdem es unter ihnen zu törichtem
Gerede, Geschrei und Streitereien gekommen war. Hätten
diejenigen, die ihm widersprachen, recht gehabt, dann hätte er
ihren Widerspruch gutgeheißen und seine Freude zum Ausdruck
gebracht. Wer aber mit den einzelnen Teilen der
Überlieferung
vertraut ist, besonders mit den Worten: „Der
Gesandte hat die
Kontrolle über seinen Verstand verloren“, der wird merken, wie
sie geahnt hatten, dass er im Begriff war, eine Anweisung zu
geben, die auf ihren Widerwillen gestoßen wäre. Deshalb haben
sie ihn mit dieser Unterstellung überrascht und es kam unter
ihnen – wie bekannt – in seinem Beisein zu törichtem Gerede,
Geschrei und Streit. Die Tatsache, dass
Ibn Abbas über diese Begebenheit geweint und sie als Schmach angesehen hat, ist
ein Beweis für die Unzulänglichkeit der ersten Entgegnung.
Jene, die das Verhalten
Umars rechtfertigen wollten,
sagten, er habe immer einen Sinn für die Einschätzung der
Belange des
Islams gehabt und sich von
ALLAH, dem Erhabenen,
inspirieren lassen. Diese Behauptung kann nicht akzeptiert
werden, weil sie darauf abzielt, in diesem Falle
Umar und
nicht dem
Propheten Recht zu geben. Zudem erweckt sie den
Anschein, als sei die Inspiration
Umars richtiger als die
Offenbarung, die der Wahrheitsliebende und Zuverlässige
(s.) von
sich gegeben hat.
Weiter wird behauptet,
Umar wollte aus Mitleid dem
Propheten Erleichterung verschaffen, da er sich doch
angesichts des ernsten Zustandes, in dem er sich befand, viel
zu sehr angestrengt hätte, wenn er die Schrift niedergelegt
hätte. Du weißt – möge
ALLAH durch Dich die Wahrheit siegen
lassen – dass der
Prophet sich nach dem Niederlegen jener
Schrift erleichtert gefühlt und ein ruhiges Gewissen bekommen
hätte, frohen Mutes und sicher gewesen wäre, dass seine
Umma
niemals in die Irre gehen würde. Sein Dasein ist so erhaben,
dass seine Anordnungen unverzüglich ausgeführt werden müssen,
ja, dass sein Wille heilig ist. Er wollte tatsächlich – das
schwöre ich bei meinem Vater und meiner Mutter – dass
Tintenfass und Blatt herbeigeholt werden. Nachdem die
Anweisung einmal ausgesprochen war, hatte niemand mehr das
Recht, diesen Auftrag zu verweigern und sich seinem Willen
entgegenzustellen.
„Und weder ein gläubiger Mann noch eine gläubige Frau
dürfen, wenn Allah und sein Gesandter eine Angelegenheit
entschieden haben, in ihrer Angelegenheit frei wählen. Wer
gegen Allah und seinen Gesandten widerspenstig ist, ist
offensichtlich abgeirrt.“ (Heiliger
Qur'an 33:36)
Dass sie seine „so unglaublich komplizierte“ Aufgabe
auszuführen nicht befolgt haben, und dass es, obwohl er
anwesend war, unter ihnen zu törichtem Gerede, Geschrei und
Streiterei gekommen ist, ist für ihn schwerwiegender und
härter gewesen, als jene Schrift nicht niederzulegen, die
seine
Umma vor dem Irrweg bewahren sollte. Wie ist es
möglich, dass der, der angeblich Mitleid mit ihm hatte und ihm
die Anstrengung der Niederlegung der Schrift ersparen wollte,
sich ihm mit den Worten entgegenstellte: „Er ist nicht mehr
ganz bei Sinnen“?
Weiter behaupten manche,
Umar habe es für das Beste
gehalten, Tintenfass und Blatt nicht herbeizubringen. Dies ist
die seltsamste, eigenartigste und merkwürdigste Sache der
Welt. Wie konnte man es nur für das Beste halten, diese beiden
Dinge nicht zu holen, wenn der
Prophet (s.) dies gerade
befohlen hatte? War
Umar eigentlich der Ansicht, dass das
Nichtbefolgen einer Anordnung des
Gesandten
ALLAHs das Beste
sei?
Und noch erstaunlicher ist ihre Behauptung,
Umar habe
befürchtet, der
Prophet könnte Anweisungen niederschreiben,
welche die
Menschen nicht erfüllen könnten und die dann wegen
der Nichterfüllung Strafe verdient hätten. Wie kann man diese
Befürchtung mit den Worten des
Propheten in Einklang bringen:
„Nach ihr werdet ihr nicht in die Irre gehen?“ Sind sie etwa
der Meinung,
Umar habe die Folgen besser gekannt als der
Prophet und er habe größere Sorge um die
Umma gezeigt und mehr
Mitleid mit ihr gehabt als der
Prophet (s.)? Was für ein
Unsinn!
Und weiter behaupteten sie,
Umar habe vielleicht Angst
davor gehabt, dass die
Heuchler die Richtigkeit der Schrift
anzweifeln würden, weil der
Prophet doch krank war, und dass
dies Anlass zu Zwietracht gegeben hätte. Du weißt –
ALLAH möge
durch Dich die
Wahrheit siegen lassen –, dass eine solche
Vermutung mit den Worten des
Propheten (s.):
„Ihr werdet
nicht in die Irre gehen“ unvereinbar ist. Es war
beabsichtigt, dass diese Schrift ihnen Schutz vor dem Irrweg
bieten sollte. Wie könnte sie da durch Verleumdungen der
Heuchler ein Anlass für Zwietracht sein? Wenn
Umar
befürchtete, die
Heuchler würden an der Richtigkeit dieser
Schrift zweifeln, weshalb weckte er dann selbst die Zweifel in
ihnen, indem er sich widersetzte, auflehnte und sagte: „Er ist
nicht mehr ganz bei Sinnen!“?
Was nun ihre Behauptung in Bezug auf die Auslegung von
Umars Worten angeht:
„Verlassen wir uns allein auf das
Buch
ALLAHs“, entsprechend den Worten des Erhabenen:
„... Wir haben
in der Schrift nichts übergangen“ und „Heute habe ich euch
eure Religion vervollständigt“, so ist sie zu widerlegen, denn
beide
Verse sagen weder etwas vom Schutz vor dem Irrweg, noch
garantieren sie den Menschen, dass sie den rechten Weg
beschreiten werden. Wie ist es sonst zu erklären, dass man
sich auf die beiden
Verse verlassen und dennoch die Schrift
missachtet hat? Wenn die Existenz des
Qur'ans eine Garantie
für den Schutz vor dem Irrweg gewesen wäre, dann hätte die
Umma auch nicht in die Irre und in die Uneinigkeit gehen
können, die nach wie vor besteht.
In ihrer letzten Entgegnung meinst Du,
Umar habe die Worte
des
Propheten nicht so verstanden, wie es im Folgenden
deutlich wird: Die Schrift wird ein Grund dafür sein, dass
jedes Individuum vor dem Irrweg bewahrt wird. Vielmehr habe er
sie so verstanden, dass die Schrift, wenn sie einmal
niedergelegt sei, ein Grund dafür sein werde, dass sie sich
niemals auf einen Irrtum einigen könnten. Und weiter sagtest
Du,
Umar habe gemeint, es sei unmöglich, dass sie jemals in
einem Irrtum miteinander übereinstimmen werden, gleichgültig,
ob die Schrift nun niedergelegt werde oder nicht. Deshalb
habe er damals eine ablehnende Haltung eingenommen.
Zu dem, was Du bereits erwähnt hast, füge ich hinzu, dass
Umar nicht in einem solchen Maße vom Verstehen entfernt war,
sondern dass ihm der Inhalt der
Überlieferung ebenso bekannt
war, wie allen anderen Menschen. Haben doch selbst die
Menschen vom Lande und auch die Beduinen eingesehen, dass jene
Schrift, wenn sie abgefasst worden wäre, jeden einzelnen
vollkommen vor dem Irrweg hätte bewahren können. Diese
Bedeutung der Überlieferung ist so offensichtlich, dass sie
allen
Menschen eingängig ist.
Umar wusste ganz genau, dass der
Gesandte (s.) keine Angst davor hatte, dass seine
Umma in
einem Irrtum übereinstimmen könnte, da er dessen Worte bereits
vernommen hatte: „Meine
Umma wird sich weder über einen
Irrtum, noch über ein Versehen einigen“, und: „Noch immer gibt
es Menschen in meiner
Umma, die das Recht verteidigen.“ Siehe
hierzu bitte die entsprechende
Überlieferung.
Und mit Sicherheit hat er die Worte des Erhabenen gehört:
„ALLAH hat denen von euch, die
glauben und die guten Werke
tun, versprochen, dass Er sie zu Nachfolgern auf der
Erde
bestellen wird, wie Er diejenigen, die vor ihnen lebten, zu
Nachfolgern bestellt hat; dass Er ihnen ihrer
Religion, die Er
mit Gefallen für sie festgelegt hat, zu einer angesehenen
Stellung verhelfen wird; und dass Er ihnen, nachdem sie in
Angst gelebt haben, statt, dessen Sicherheit gewähren wird.
Sie dienen Mir und gesellen Mir nichts bei ...“ (Heiliger
Qur'an 24:55)
Es gibt viele Textbelege aus dem
Qur'an und der
Sunna, die
eindeutig besagen, dass die
Umma als Ganzes sich nie über
einen Irrtum wird einigen können. Es ist nicht
nachvollziehbar,
Umar oder einem der anderen sei der Gedanke
gekommen, dass der
Prophet (s.)
als er nach Tintenfass und Blatt verlangte, befürchtete, seine
Umma würde sich über
einen Irrtum einigen. Es wird
Umar mehr gerecht, davon
auszugehen, dass er, wie auch die anderen, die Aussage des
Propheten richtig verstanden hat, und nicht so, dass sie in
Gegensatz zur
Sunna und den Bestimmungen des
Qur'ans stünde.
Die Verärgerung des
Propheten über seine Besucher, die an
seinen Worten „Steht auf (und geht)!“ abzulesen ist, beweist,
dass das, was sie unterlassen haben, eine
Pflich für sie
gewesen ist. Wenn die Ablehnung
Umars auf einem
Missverständnis begründet gewesen wäre, und das behaupten sie
ja, dann hätte der
Prophet seine Zweifel ausgeräumt und seine
Absicht ausdrücklich dargelegt. Schließlich stand es ja in
seiner Macht, sie von dem, was er von ihnen forderte, zu
überzeugen. Dann hätte er es nicht vorgezogen, sie wegzuschicken. Der unabweislichste Beweis für unsere
Darstellung ist jedoch die Tatsache, dass
Ibn Abbas weinte und
bekümmert war.
Um die Wahrheit zu sagen, gibt es für diese Schmach keine
Entschuldigung. Wenn, wie Du gesagt hast, sich dies
tatsächlich ereignet hat, wenn es ein Fehltritt war, der nun
einmal passiert ist, ein Versehen, das selten vorkam, dann ist
die Angelegenheit wahrlich von geringer Bedeutung, selbst wenn
sie ein Missgeschick für die ganze Epoche oder auch nur
vorübergehende Not bedeutet hätte. „Wir gehören Allah, und zu
ihm kehren wir zurück“ (Heiliger
Qur'an 2:165), und es gibt keine Macht noch Stärke
außer bei
ALLAH, dem Höchsten und Größten.
Der
Friede sei mit Dir.
Weiter zur
89. Konsultation – Erbitten weiterer Hinweise.