Die Unbekanntheit (Erzähler: Mostafa Harandi)
Er kam noch vor dem Gebetsruf (Azan) zurück, wobei er die
Leiche eines Märtyrers auf seinem Rücken trug. Völlig
entkräftet, das konnte man deutlich seinem Gesicht ansehen. Er
bekam Urlaub und fuhr dann mit dem Leichnam des Märtyrers
Richtung Teheran, erschöpft aber fröhlich zugleich. Dabei
erzählte er: „Vor einem Monat mussten wir in den Höhen von
Bazideraz einen Einsatz durchführen. Nach Abschluss dieses
Einsatzes war nur der Leichnam dieses einen Märtyrers dort
zurückgeblieben und wir konnten mit Hilfe Gottes, nachdem das
Gebiet ruhiger wurde, diesen zurückbringen.“
Die Nachricht verbreitete sich sehr schnell in Teheran und
alle warteten auf die Ankunft Ibrahims. Am darauf folgenden
Tag fand am Khorassan-Platz die Beerdigung statt. Wir hatten
uns vorgenommen noch eine Zeit lang in Teheran zu bleiben,
aber wir wurden benachrichtigt, dass ein neuer Einsatz geplant
sei und dass die Abfahrt von der Moschee aus erfolgen soll.
***
Nachdem das Gebet verrichtet worden war, standen wir mit
Ibrahim und einigen anderen Freunden vor der Moschee und
unterhielten uns. Währenddessen trat ein älterer Mann zu uns.
Es war der Vater des Märtyrers, dessen Leichnam Ibrahim aus
dem Gebirge zurückgebracht hatte. Wir grüßten ihn und er
grüßte zurück. Er war etwas unsicher und tat sich mit unserer
Gruppe, die nur aus jungen Leuten bestand, ein wenig schwer.
Plötzlich brach er sein Schweigen und sagte: “Herr Ibrahim,
ich danke dir sehr für deine Mühe um meinen Sohn!“, er zögerte
und fuhr dann fort: „Aber mein Sohn ist ärgerlich über Sie!“
Ibrahims Lächeln verschwand und seine Augen wurden rund vor
Verwunderung. Er fragte: „Warum denn?“
Der alte Mann schien jede Sekunde in Tränen ausbrechen zu
wollen. Mit feuchten Augen und zitternder müder Stimme
erwiderte er: “Gestern Nacht habe ich meinen Sohn im Traum
gesehen. Er sagte zu mir: „In der Zeit, wo wir unbekannt auf
dem Schlachtfeld lagen, besuchte uns jede Nacht die Mutter der
Sadats, Hazrate Zahra (a.). Aber jetzt nicht mehr!“ Mein Sohn
sagte, dass die unbekannten Märtyrer Gäste von Hazrat Sadighe
seien!“. Der Mann schwieg. Ich schaute in Ibrahims Richtung
und konnte seine Tränen sehen. Ich wusste woran er dachte. Er
hatte das gefunden, was ihm fehlte: „die Unbekanntheit!“
***
Nach diesem Geschehen änderte sich Ibrahims Sicht
hinsichtlich des Krieges und der Märtyrer. Er sagte: „Ich habe
keinen Zweifel mehr das unsere Märtyrer den gleichen Grad
haben wie die Gefährten des Propheten (a.) und von Imam Ali
(a.) und dass sie eine sehr hohe Stellung bei Gott haben.“
Auch hörte ich von ihm: „Wenn jemand den Wunsch hegt an der
Seite Imam Husain (a.) in Kerbela gekämpft zu haben, der
sollte wissen, dass die Zeit der Prüfung gekommen ist.“
Ibrahim war davon überzeugt, dass dieser Heilige
Verteidigungskrieg eine Gelegenheit war Glückseligkeit und
menschliche Vervollkommnung zu erzielen. Aus diesem Grund
redete er, egal wo er war, von den Märtyrern und lobte die
Soldaten und ihre Beteiligung am Krieg. Seine Moral und sein
Verhalten änderte sich Tag für Tag und er wurde immer
spiritueller.
Im Andarzguh-Stützpunkt schlief er meistens die ersten
zwei, drei Nachtstunden, stand dann aber auf und ging hinaus!
Zur Gebetszeit kam er zurück und weckte seine Kameraden zum
Morgengebet. Ich fragte mich, warum er nachts nicht hier blieb
und wo er hinging!?
Als ich ihm in einer dieser Nächte nachging, fand ich
heraus, dass er zum Schlafen in die Küche ging. Ein älterer
Mann sagte mir, dass die Leute, die die Nacht in der Küche
verbringen, immer ihre Nachtgebete dort verrichten. Deshalb
also ging Ibrahim dorthin. Wenn er aber bei seinen Kameraden
seine Nachtgebete durchführen würde, würden sie es bemerken.
Ibrahims Verhalten in dieser letzten Zeit erinnerte mich an
eine Überlieferung von Imam Ali (a.) an Nufe Bokali: „Meine
Anhänger sind die Betenden in der Nacht und die Löwen am Tag.“