Die türkischen Kämpfe im Oktober 1915
Auf Gallipoli flauten die Angriffe der Engländer und
Franzosen im Oktober ganz bedeutend ab. Die Feinde nahmen
einen Teil ihrer australischen und kanadischen Truppen von den
Dardanellen, wo sie keine Siegeslorbeeren gepflückt hatten,
fort und schifften sie über Saloniki nach dem Balkan über.
Dafür holten sich die Engländer wieder mal in Indien durch
mohammedanische Stämme eine Schlappe. Es wurde aus Kalkutta am
11. Oktober gemeldet: »Ein abermaliges Grenzgefecht hat mit
9000 Mohmands stattgefunden. Die Kampffront erstreckte sich
auf acht englische Meilen. Die Artillerie eröffnete den Kampf.
Darauf rückte Infanterie und Kavallerie vor; ein verzweifelter
Kampf folgte. Der Feind versuchte, unsere beiden Flanken
aufzurollen, was durch die Kavallerie des rechten und die
Infanterie des linken Flügels vereitelt wurde.
Panzerautomobile deckten den Rückzug unserer Kavallerie. Der
Feind versuchte nicht, die Verfolgung aufzunehmen.« Wenn die
Engländer so gewunden meldeten, dann hatten sie bestimmt keine
Lorbeeren in dem Kampfe erworben.
Am 14. Oktober meldete das türkische Hauptquartier: »Ein
Teil unserer Flotte hat vor einigen Tagen in den Gewässern vor
Sebastopol die russischen Dampfer »Cadia« und »Ahestron«
versenkt. Ersterer hatte eine Zuckerladung an Bord, der
letztere Butter. – An der Dardanellenfront bei Anaforta
beschädigte unser Feuer am 13. Oktober ein feindliches
Flugzeug, das östlich Tuzlagöl niederstürzte und schließlich
von unserer Artillerie vernichtet wurde. Bei Ari Burnu
eröffnete der Feind ein zeitweise aussetzendes und
wirkungsloses Feuer gegen alle unsere Stellungen. Bei
Sedd-ul-Bahr zwang unsere Artillerie ein feindliches
Torpedoboot, das unseren linken Flügel von der Höhe des
Kerevizdere zu beschießen versuchte, aus der Meerenge zu
fliehen.«
Der Führer der ägyptischen Nationalisten, der sich auf der
Durchreise nach Amerika in Kopenhagen aufhielt, machte
aufsehenerregende Mitteilungen über die Lage in Armenien. Er
sagte unter anderem: »Das energische Einschreiten der Türkei
in Armenien ist nicht aus bloßer Lust an der Mißhandlung der
Armenier veranlaßt worden, sondern weil die Engländer dort
eine weitverzweigte Verschwörung angestiftet hatten, die alle
in der Türkei wohnenden Armenier in ihre Kreise zog und
bezweckte, einen allgemeinen Aufruhr in dem Augenblick zu
entfachen, wo die Flotte der Verbündeten die Durchfahrt durch
die Dardanellen erzwungen habe. Talaad Bei, dem die Schuld für
die Exekutionen zugeschrieben wird, sei einer der besten
Freunde und Beschützer der Armenier. Die Engländer hatten den
Aufruhr sehr sorgfältig vorbereitet und die Armenier mit
Waffen und Munition reich versehen. Zum Unglück für die
Armenier brach der Aufstand zu früh aus. Die Armenier
überfielen zahlreiche mohammedanische Dörfer und richteten ein
furchtbares Blutbad an. Ein Alttürke, der einer der Anführer
des Aufruhrs sein sollte, verriet der Regierung in
Konstantinopel den Plan. Durch die alsdann folgende
Untersuchung wurde festgestellt, daß die Engländer den größten
Aufruhr organisiert hatten, der bisher in der Geschichte der
Türkei vorgekommen ist. Eine große Anzahl Verschwörer wurde
verhaftet und bestraft, darunter der arabische Scheich Abdul
Kerun, der der Hauptleiter des Aufruhrs in Arabien war. Auch
hier, in Syrien und in Palästina, hatten die Engländer
ähnliche Verschwörungen eingeleitet. Bei Abdul Kerun wurden
große Mengen Waffen und Munition und viele kompromittierende
Schriftstücke gefunden, ferner 400 Pfund Sterling in Gold, die
für Bestechungen bestimmt waren. 21 Rädelsführer wurden
gehängt und über 100 zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die
amerikanischen Missionsstationen, die an der Küste liegen und
als Verbindungsglied zwischen Engländern und Arabern dienten,
wurden geschlossen und die Missionare in die Berge verwiesen.
Die Türkei handelte nur in der Notwehr, denn das Komplott
bedrohte das Bestehen des Landes. Das Geschrei über
Grausamkeiten in Armenien, das jetzt von England aus ertönte,
war nur auf politische Gründe zurückzuführen. Das Blut der
Armenier mußte über England selbst kommen. Die Türkei war
jederzeit bereit, die Schriftstücke vorzulegen, die die Schuld
Englands klar darlegten.«
Ueber einen russischen Angriffsversuch an der
Kaukasus-Front vom 15. Oktober wurde aus Erzerum gemeldet:
»Unter dem Schutze dichten Nebels griffen die Russen das
türkische Zentrum nördlich vom Flusse Arax an. Sie wurden aber
durch heftiges Maschinengewehrfeuer und durch Bomben sofort
zurückgeschlagen, wobei sie zahlreiche Tote und Verwundete,
eine Menge Waffen und anderes Material zurückließen. Ebenso
wurden die an einem anderen Punkte der Front gegen den
türkischen rechten Flügel mit überlegenen Kräften
durchgeführten Ueberfallsversuche russischer Kavallerie
zurückgewiesen. Eine russische Patrouille fiel in einen
Hinterhalt und verlor mehrere Tote, Verwundete und Gefangene.
Da die Russen jetzt einen Ueberfall der türkischen Truppen
fürchteten, befestigten sie schleunigst ihre Stellungen.
Russische Soldaten kamen zu den türkischen Vorposten und baten
um Brot und Tabak. Zwei russische Offiziere kamen zu den
türkischen Offizieren und ersuchten um neue Nachrichten. Als
sie von den Siegen der Bulgaren und von dem Mißerfolg der
englisch-französischen Offensive erfuhren, waren sie sehr
bestürzt. An dieser Front hatte der Winter bereits begonnen.«
Seit sich das militärische Interesse der Verbündeten auf
die Unterstützung Serbiens konzentrierte, war es an den
Dardanellen stiller geworden. Die Tätigkeit der Verbündeten
erschöpfte sich fast ganz in kurzen artilleristischen
Beschießungen der türkischen Stellungen. Dies war um so
auffälliger, als, wie von militärischer Seite erzählt wurde,
seit einiger Zeit manche Anzeichen erkennen ließen, daß die
Verbündeten zu einem letzten großen entscheidenden Angriff
ausholen wollten. Die Wendung der Dinge auf dem Balkan zwang
sie, diesen aufzuschieben. Daß sie ganz aufgehoben werden
sollte, war nicht anzunehmen. Die Entscheidung darüber sollte
auf dem serbischen Kriegstheater fallen. Bemerkenswert war,
daß auch die feindlichen Monitore, auf die die Engländer große
Hoffnung gesetzt hatten, ihre allerdings sehr wenig lohnende
Tätigkeit eingestellt hatten, vermutlich, um eine vorzeitige
Abnutzung der beiden 35,6-Zentimeter-Geschütze, die die
Bestückung jedes Monitors bildeten, zu vermeiden.
Selbstverständlich hatte das Abflauen der Tätigkeit des
Feindes keine Abschwächung der Wachsamkeit der Türken zur
Folge.
Der Eiserne Halbmond. Im türkischen Heere ist nach
deutschem Vorbilde eine Kriegsauszeichnung geschaffen worden,
die dem deutschen Eisernen Kreuz gleichkommt.
Der amtliche türkische Bericht vom 15 Oktober lautete: »An
der Dardanellenfront hat sich nichts von Bedeutung ereignet.
Bei Anaforta und Ari-Burnu beiderseits zeitweise aussetzendes
Gewehr- und Geschützfeuer und Bombenwerfen. Bei Sedd-ul-Bahr
verursachten von unserem rechten Flügel gegen die feindlichen
Schützengräben geschleuderte Bomben dort einen Brand. Unsere
Artillerie brachte die feindliche Artillerie, die unseren
linken Flügel beschoß, zum Stillschweigen. Eine einstündige
Feuersbrunst brach in einem feindlichen Lager bei Tekke Burnu
aus.«
Das Hauptquartier meldete weiter mit 16. Oktober: »An der
Kaukasus-Front warfen wir die Russen, die einen
Ueberraschungsangriff auf unsere Stellung versuchten, in der
Gegend westlich von Kentek zurück und fügten ihnen schwere
Verluste zu.«
Die Gesamtverluste der Engländer allein an den Dardanellen
betrugen nach Mitteilung der englischen Regierung bis zum 9.
Oktober 96 899 Mannschaften; an Offizieren wurden 1185
getötet, 2632 verwundet und 383 vermißt. Die Verluste der
Neuseeländer, Kanadier, Inder und anderer Hilfsvölker waren
hierin nicht mit einbegriffen. – Die Gesamtzahl der in England
internierten feindlichen Ausländer betrug zur gleichen Zeit 32
400. Nach Mitteilung des Ministers des Innern wurden in die
Heimat geschickt 8900. Von der Internierung befreit wurden
7233, darunter 2800 Deutsche.
Das türkische Hauptquartier meldete am 20. Oktober von der
Dardanellenfront: »Bei Anaforta beschoß unsere Artillerie
feindliche Truppen, welche Verschanzungen aufwarfen, und ein
Torpedoboot, welches Kiretsch-Tepe beschoß. Bei Ari Burnu
wurde in der Nacht zum 19. Oktober ein feindliches
Torpedoboot, welches unseren rechten und linken Flügel
wirkungslos beschoß, durch das Feuer unserer Artillerie vom
linken Flügel gezwungen, das Feuer einzustellen und sich
zurückzuziehen. Bei Sedd-ul-Bahr zeitweise aussetzendes
Artilleriefeuer und Bombenwerfen auf beiden Seiten.«
Bei Anaforta beschädigte am 23. Oktober die türkische
Artillerie schwer die feindlichen Gräben. Die Artillerie
beantwortete ferner das Feuer eines feindlichen Torpedobootes,
das die Umgebung von Djongbair beschoß, und traf es. Dichter
Rauch und eine Explosion wurden an Bord des erwähnten
Torpedobootes bemerkt, das in beschädigtem Zustande von
anderen Torpedobooten nach Imbros geschleppt wurde. Bei Ari
Burnu und Sedd-ul-Bahr beiderseits zeitweise aussetzendes
Geschütz- und Gewehrfeuer sowie Bombenwerfen.
Der Konstantinopeler Bericht des Hauptquartiers vom 24.
Oktober lautete: »An der Dardanellenfront ließen bei Anaforta
unsere Patrouillen feindliche Patrouillen in einen Hinterhalt
fallen, töteten einen Teil und trieben die übrigen in ihre
Gräben zurück. Unsere Artillerie zerstörte eine
Minenwerferstellung und eine vom Feinde wieder hergestellte
Barrikade, die erst kürzlich von uns in Trümmer gelegt worden
war. Bei Ari Burnu und Sedd-ul-Bahr dauert das gewöhnliche
Infanterie- und Artilleriefeuer und Bombenwerfen an. Ein
feindlicher Torpedobootzerstörer beschoß wirkungslos einige
Punkte.«
Das türkische Hauptquartier teilte am 29. Oktober mit: »Am
Vormittag des 27. Oktober griff eines unserer Unterseeboote im
westlichen Teile des Schwarzen Meeres die russische Flotte an
und torpedierte ein Linienschiff des Typs »Panteleimon«,
welches schwer beschädigt wurde. Die russische Flotte zog sich
darauf schleunigst nach Sebastopol zurück.« Die Schiffe vom
Typ »Panteleimon«, deren eines nach dem vorstehenden Bericht
torpediert und schwer beschädigt wurde, haben eine
Wasserverdrängung von 12 800 Tonnen und eine Schnelligkeit von
18 Seemeilen. Die »Panteleimon« selbst, die früher »Knjâs
Potemkin Tarischevski« hieß und den neuen Namen erhielt,
nachdem die Besatzung sich schwerer Meuterei schuldig gemacht
hatte, wurde nach türkischen, allerdings von der russischen
Admiralität als unrichtig bezeichneten Meldungen am 22. Mai
1915 vor dem Bosporus von einem türkischen Unterseeboot
versenkt.
Ein englischer Kriegsberichterstatter kritisierte in einer
Rede, die er in London hielt, die Führung der
Dardanellenoperationen durch die Verbündeten. Er glaubte
nicht, daß die Verbündeten aus ihren Stellungen an den
Dardanellen noch weiter vorrücken könnten. Es wäre Unsinn, zu
behaupten, daß die Verbündeten den Vormarsch des Feindes durch
Bulgarien nach der Türkei verhindern könnten. Das Publikum
solle sich nur nicht einbilden, daß England Serbien retten
könne, indem es einfach in Saloniki Truppen lande. Auch seien
die Karten der Verbündeten von der Halbinsel Gallipoli falsch
gewesen. Erst als man einige Karten von den Türken erbeutete,
konnte man die englischen richtigstellen. Der Angriff bei Achi
Baba sei ein vollständiges Fiasko gewesen. In England herrsche
ein durchaus unbegründeter Optimismus. Bei jedem neuen Kampfe
hätte sich die Stärke der Türken vergrößert. Ueber Serbien
sagte der Redner, daß die Verbündeten ihren Versprechungen
diesem Lande gegenüber nicht nachkommen könnten.
Am letzten Oktobertage wurde noch gemeldet: »Der
Hilfsminensucher »Hythe« ist in der Nacht vom 28. Oktober bei
Gallipoli infolge eines Zusammenstoßes mit einem anderen
Kriegsfahrzeug gesunken. Außer der Besatzung waren 250 Mann an
Bord. 100 Mann werden vermißt.«
An der Dardanellenfront versenkte die türkische Artillerie
am 31. Oktober das französische Unterseeboot »Turquoise«. Die
Türken machten die Besatzung – zwei Offiziere und 24 Mann – zu
Gefangenen.