I. Zur Einleitung
1. Der Schauplatz
1. Von alters her war, wie heutzutage, die arabische Wüste
der Tummelplatz unabhängiger Beduinenstämme. Mit freiem,
gesundem Sinn blickten diese in ihre einförmige Welt hinein,
deren höchster Reiz der Beutezug, deren geistiger Schatz die
Stammesüberlieferung war. Weder die Errungenschaften
geselliger Arbeit noch die Gaben schöner Muße waren ihnen
bekannt. Nur an den Rändern der Wüste wurde, in
Staatenbildungen, die oft von den Überfällen jener Beduinen zu
leiden hatten, eine höhere Stufe der Gesittung erreicht. So
war es im Süden, wo in christlicher Zeit unter abyssinischer
oder persischer Oberhoheit das alte Reich der Königin von Saba
fortbestand. Im Westen lagen an einer alten Handelsstraße
Mekka und Medina (Jathrib), und besonders Mekka mit seinem
Markte im Schutze eines Tempels war ein Mittelpunkt regen
Verkehrs. Im Norden endlich hatten sich zwei halbsouveräne
Staaten unter arabischen Fürsten gebildet: gegen Persien hin
das Reich der Lachmiden in Hira und gegen Byzanz der
Gassaniden Herrschaft in Syrien. Aber in Sprache und Poesie
stellte sich schon vor Mohammed einigermaßen die Einheit der
arabischen Nation dar. Die Dichter waren die Wissenden ihres
Volkes. Ihre Zaubersprüche galten zunächst den Stämmen als
Orakel. Doch ging ihre Wirkung wohl oft über den eigenen Stamm
hinaus.
2. Mohammed und seinen nächsten Nachfolgern, Abu Bekr,
Omar, Othman und Ali (622–661) ist es nun gelungen, die freien
Wüstensöhne zusammen mit den gesitteteren [10]Bewohnern der
Küstenstriche für ein gemeinsames Unternehmen zu begeistern.
Diesem Ereignis verdankt der Islam seine Weltstellung. Denn
Allah zeigte sich groß und für die Ihm sich Ergebenden
(Muslime) war die Welt gar klein. In kurzer Zeit wurde ganz
Persien erobert und verlor das oströmische Reich seine
schönsten Provinzen: Syrien und Ägypten.
Medina war der Sitz der ersten Chalifen oder Stellvertreter
des Propheten. Aber Mohammeds tapferer Schwiegersohn, Ali, und
dessen Söhne unterlagen Moawia, dem klugen Statthalter von
Syrien. Seit der Zeit besteht die Partei des Ali (Schiiten),
die unter mancherlei Wandlungen, bald unterworfen, bald an
einzelnen Stellen zur Herrschaft gelangt, ihr Wesen in der
Geschichte treibt, bis sie sich (1502) im persischen Reich
endgültig gegen den sunnitischen Islam abschließt.
In ihrem Kampfe gegen die weltliche Macht haben die
Schiiten sich aller möglichen Waffen, auch der Wissenschaft
bedient. Schon früh erscheint unter ihnen die Partei der
Kaisaniten, die dem Ali und seinen Erben eine übermenschliche
Geheimwissenschaft zuschreibt, ein Wissen, mit dessen Hilfe
der innere Sinn der göttlichen Offenbarung erst klar werde,
das aber auch von seinen Adepten nicht weniger Glauben und
unbedingten Gehorsam gegen die Träger solchen Wissens
erfordert als der Buchstabe des Korans. (Vgl. III, 2 § 1.)
3. Nach dem Siege Moawias, der Damaskus zur Hauptstadt des
muslimischen Reiches machte, lag die Bedeutung Medinas
hauptsächlich auf geistigem Gebiete. Es musste sich damit
begnügen, zum Teil unter jüdischen und christlichen
Einflüssen, die Wissenschaft des Gesetzes und der Tradition zu
pflegen. In Damaskus aber führten die Omajjaden (661–750) ihr
weltliches Regiment. Unter ihrer Herrschaft dehnte sich das
Reich vom atlantischen Meere bis über die Grenzen Indiens und
Turkestans aus, vom südlichen Meere bis an den Kaukasus und
vor die [11]Mauern von Konstantinopel. Damit war aber auch die
weiteste Ausdehnung erreicht.
Araber nahmen jetzt überall die führende Stellung ein. Sie
bildeten eine militärische Aristokratie und der schlagendste
Beweis für ihren Einfluss ist dies, dass unterworfene Völker
mit alter, überlegener Kultur die Sprache der Sieger annahmen.
Die arabische Sprache wurde die Sprache des Staates und der
Religion, der Poesie und der Wissenschaft. Während aber die
hohen Staats- und Militärämter vorzugsweise von Arabern
verwaltet wurden, blieb es zunächst Nichtarabern und
Mischlingen überlassen, Künste und Wissenschaften zu pflegen.
In Syrien ging man bei Christen in die Schule. Die
Hauptstätten geistiger Bildung aber wurden Basra und Kufa, in
denen Araber und Perser, Muslime, Christen, Juden und Magier
zusammenstießen. Dort, wo Handel und Gewerbe aufblühten, sind,
unter hellenistisch-christlichen und persischen Einflüssen
entstanden, die Anfänge weltlicher Wissenschaft im Islam zu
suchen.
4. Den Omajjaden folgten die Abbasiden (750–1258) nach.
Diese machten, um zur Herrschaft zu gelangen, dem Persertum
Konzessionen und benutzten religiös-politische Bewegungen. Nur
in dem ersten Jahrhundert ihrer Regierung (bis etwa 860)
mehrte oder hielt sich noch die Größe des Reiches, als dessen
Mittelpunkt Mansur, der zweite Herrscher dieses Hauses, im
Jahre 762 Bagdad gründete, eine Stadt, die bald an weltlichem
Glanze Damaskus und als Leuchte des Geistes Basra und Kufa
überstrahlte. Nur mit Konstantinopel war sie zu vergleichen.
In Bagdad, an dem Hofe Mansurs (754–775), Haruns (786–809),
Mamuns (813–833) u. s. w. fanden sich, besonders aus den
nordöstlichen Provinzen, Dichter und Gelehrte zusammen.
Mehrere Abbasiden liebten weltliche Bildung, sei es an sich
oder zur Ausschmückung ihres Hofes, und wenn sie oft auch den
Wert der Künstler und Gelehrten nicht erkannt haben mögen, so
wussten [12]doch diese die materiellen Güter ihrer Herren wohl
zu schätzen.
Wenigstens seit der Zeit Haruns bestand in Bagdad eine
Bibliothek und eine Gelehrtenanstalt. Schon unter Mansur,
besonders aber unter Mamun und seinen Nachfolgern, wurde dann
die wissenschaftliche Litteratur der Griechen, meistens durch
syrische Vermittelung, in die arabische Sprache übertragen.
Auch Kompendien und Erläuterungen dazu wurden verfasst.
Als diese gelehrte Arbeit ihren höchsten Aufschwung nahm,
war die Herrlichkeit des Reiches im Niedergang begriffen. Die
alten Stammesfehden, die unter den Omajjaden nie geruht
hatten, waren scheinbar einer festgefügten Einheit des Staates
gewichen. Aber es dauerten in verschärftem Maße andere
Streitigkeiten fort, theologische und metaphysische
Zänkereien, wie sie ähnlich den Verfall des oströmischen
Reiches begleiteten. Der Staatsdienst brauchte in der
orientalischen Despotie nur wenig befähigte Köpfe. Viele junge
Kräfte gingen im üppigen Genusse unter, andere verfielen auf
Wortkünstelei und Scheingelehrsamkeit. Zur Verteidigung des
Reiches dagegen zog man die frische Kraft weniger überbildeter
Völker heran: zuerst iranische oder iranisierte Chorasaner,
darauf Türken.
5. Immer deutlicher zeigte sich des Reiches Verfall. Die
Machtstellung des Türkenheeres, Aufstände städtischen Pöbels
und ländlicher Arbeiter, schiitische und ismaelitische
Umtriebe überall, dazu die Selbständigkeitsgelüste der
entfernten Provinzen waren entweder die Ursachen oder die
Symptome des Untergangs. Neben dem Chalifen, der zum
geistlichen Würdenträger herabsank, herrschten die Türken als
Hausmeier. Und an der Peripherie entstanden nach und nach
selbständige Staaten, bis zu einer ganz entsetzlichen
Kleinstaaterei. Die wichtigsten, mehr oder weniger
unabhängigen Herrscher waren im Westen, abgesehen von den
spanischen Omajjaden (vgl. VI, 1), die Aglabiden Nordafrikas,
die Tuluniden und Fatimiden Ägyptens und die [13]Hamdaniden
Syriens und Mesopotamiens; im Osten die Tahiriden und
Samaniden, allmählich von den Türken verdrängt. An den Höfen
dieser kleinen Dynastien sind in der nächsten Zeit (10. und
11. Jahrh.) die Dichter und Gelehrten zu finden. Mehr als
Bagdad machen sich auf kurze Zeit Haleb (Aleppo), der Sitz der
Hamdaniden, und auf längere Zeit Kairo, im Jahre 969 von den
Fatimiden erbaut, als Heimstätten geistiger Bestrebungen
geltend. Im Osten glänzt noch einen Augenblick der Hof des
Türken Machmud von Ghazna, der seit dem Jahre 999 Herr von
Chorasan war.
In diese Zeit der Kleinstaaterei und der Türkenwirtschaft
fällt auch die Gründung der muslimischen Universitäten. Im
Jahre 1065 wurde die erste in Bagdad errichtet. Seit der Zeit
besitzt der Orient die Wissenschaft nur in stereotypen
Auflagen. Der Lehrer hat gelehrt, was ihm von seinen Lehrern
überliefert worden, und jedes neue Buch enthält kaum einen
Satz, der nicht schon in älteren Büchern stände. Die
Wissenschaft ist gerettet. Aber die Gelehrten Transoxaniens,
die, der Überlieferung nach, als sie die Gründung der ersten
Madrasah erfuhren, eine Trauerfeier zu Ehren der Wissenschaft
veranstalteten, haben Recht behalten.1
Über die östlichen Länder des Islam brauste dann (13. Jahrh.)
der Mongolensturm dahin. Was der Türke übrig gelassen, raffte
dieser hinweg. Es blühte da keine Kultur wieder auf, die aus
sich heraus eine neue Kunst hervortrieb oder zu einer
Erneuerung der Wissenschaft die Anregung darbot.