Gott und die Welt

Gott und die Welt

 Ayatollah Beheschti

Das Dasein

Schauen Sie auf ein Glas vor Ihnen auf dem Tisch! Wenn ich Sie nun frage, ob sich in dem Glas Wasser befindet, sehen Sie in das Glas hinein und überzeugen sich darüber, ob Wasser darin ist oder nicht. Nun frage ich Sie, ob der Ofen brennt. Sie werden wieder in dem Ofen nachschauen und mir mit Gewissheit antworten können, dass darin Feuer ist. In beiden Fällen haben Sie eine subjektive Erkenntnis zum Ausdruck gebracht. Sie haben bewusst das Wort “in“ und nicht etwa “über“ oder “neben“ gewählt. Die Bezeichnungen “Glas“ und “Ofen“ wurden von ihnen bewusst zur Unterscheidung von anderen Gegenständen gebracht; ebenso verhält es sich mit den Wörtern “Wasser“ und “Feuer“.

Wie steht es nun mit den Wörtern “sein“ oder “nicht sein“ im Sinne von “existieren“ oder “nicht existieren“? Beinhaltet das Wort wie die anderen oben genannten Wörter eine ihm eigene Bedeutung? Wenn ja, was für eine, die in den oben genannten Antwortsätzen sowohl auf “Wasser“ als auch auf “Feuer“ zutrifft. Wurde in den beiden Fällen rein aus formalen Gründen (wegen der Gemeinsamkeit im Wortlaut) vom Wort “sein“ Gebrauch gemacht, oder wird in beiden Fällen gemeinsamer Wesensinhalt zum Ausdruck gebracht? Hierzu ein Beispiel:

Wenn zwei beliebige Personen denselben Vornamen tragen, sprechen wir von einer “Gemeinsamkeit im Wortlaut“. Der Vorname “Hasan“ z.B. hat keine Bedeutung in Bezug auf die Personen, die so heißen. Wir können über den Namen keine Rückschlüsse auf die Personen ziehen, der Name drückt keinerlei Gemeinsamkeiten der Namensträger aus. Den Aussagen “der Schnee ist weiß“ und “die Kreide ist weiß“ ist aber mehr als nur der Wortlaut gemeinsam. Der Schnee und die Kreide sind von gleicher Farbe: “Weiß“ steht für eine “Gemeinsamkeit im Inhalt“. Wir haben eine bestimmte Vorstellung von dem Begriff “weiß“, den wir, wenn er zutrifft, beliebig oft einsetzen können.

Ebenso verhält es sich mit dem Wort “Sein“. Wir können es sowohl in der Aussage über das Wasser im Glas als auch in der über das Feuer im Ofen anwenden. Wir haben eine ganz bestimmte Vorstellung, wenn wir das Wort “Sein“ gebrauchen. Aber was ist diese Vorstellung genau und wie ist sie zustande gekommen?

Genau an diesem Punkt setzt die Existenzphilosophie an. Auch in anderen Sprachen gibt es ein entsprechendes Wort für “Sein“, das jener gleichen objektiven Tatsache zugrunde liegt. Das Wort “Sein“ hat in jedem Fall nur eine ganz spezielle Bedeutung, die sich gleichermaßen auf Wasser als auch auf Feuer bezieht. Durch “Sein“ wird also ein gemeinsamer Wesensinhalt zum Ausdruck gebracht.

Darüberhinaus sagt der Gelehrte Sadr al-Muta'allihin: „Um die einzigartige, allumfassende Bedeutung des Wortes “Sein“ zu erfassen, ist es nicht notwendig, einen komplizierten Weg der Existenzphilosophie einzuschlagen. Jeder Mensch mit gesundem Menschenverstand wird zugeben, dass er bei seiner ersten Begegnung mit der objektiven Welt zuallererst mit dem “Sein“ schlechthin vertraut wurde. Erst dann setzte in ihm die Kenntnis über das “was“ und die Beschaffenheit der Objekte ein. Auch wenn wir aus weiter Entfernung ein Objekt sehen, dann haben wir über das “Sein“ bzw. dessen Realität keine Zweifel, selbst wenn wir nicht genau wissen, worum es sich bei dem Objekt handelt.“

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