Gott und die Welt

Gott und die Welt

 Ayatollah Beheschti

Gottesbeweis im Heiligen Qur´an

Viele Verse des Heiligen  Qur´an lassen den Schluss zu, dass es für die Menschen zur Zeit seiner Offenbarung keine Zweifel über die Existenz Gottes gab. Selbst für die Götzendiener unter den Arabern der damaligen Zeit stellte die Existenz des Schöpfers eine unumstrittene Tatsache dar.

Und wenn du sie fragst:

„Und wenn du sie fragst: Wer hat die Himmel und die Erde erschaffen und euch die Sonne und den Mond dienstbar gemacht? - dann werden sie gewiss sagen: Allah. Wie zeitig lassen sie sich denn abwenden!“ (Heiliger Qur´an 29:61)

„Und wenn du sie fragst: Wer sendet Wasser vom Himmel nieder und er hat damit die Erde belebt nach ihrem Tod? – dann werden sie gewiss sagen: Allah. Sprich: Die Dankpreisung ist Allahs. Jedoch die meisten von ihnen begreifen es nicht.“ (Heiliger Qur´an 29, 63)

An anderen Stellen des Heiligen  Qur´an erfahren wir über das Verhältnis der damaligen Polytheisten zur Existenz Gottes:

„Sie verehren unter Ausschluss Allahs das, was ihnen weder schaden noch nützen kann; und sie sagen: Diese dort sind unsere Fürsprecher bei Allah. Sprich: Wollt ihr Allah von etwas Nachricht geben, was Ihm in den Himmeln oder auf der Erde unbekannt ist? Gepriesen ist Er, und hoch Erhaben ist Er über das, was sie Ihm beigesellen!“ (Heiliger Qur´an 10:18)

Der Glaube an Götzen als Mittler zwischen Mensch und Gott setzte den Glauben an die Existenz eines schöpferischen Gottes voraus.

Kann es überhaupt Zweifel an der Existenz Gottes geben?

In der Sure “Ibrahim (Abraham)[1]“, Vers 10 wird die Frage aufgeworfen. „....Existiert etwa ein Zweifel über Allah, den Urheber [fatir] der Himmel und der Erde?“

Einige Gelehrte wollen diesem Vers entnehmen, dass der Heilige Qur´an jeden Zweifel über die Existenz Gottes für unbegründet hält. Die Existenz der schöpferischen Weisheit offenbare sich allen denjenigen, die sich Seiner Schöpfung in den Himmeln und auf Erden öffnen, so eindeutig, dass es keinerlei Beweise bedürfe. Aber nicht alle Qur´an-Interpreten wollen sich mit dieser Auslegung zufrieden geben. Sehen wir, was dem vorgenannten Vers voraus geht und was ihm folgt:

„Ist nicht zu euch die Kunde von jenen gekommen, die vor euch waren – von dem Volk Noahs, den Ad und Thamud – und denjenigen von denen nach ihnen? Niemand kennt sie außer Allah. Ihre Gesandten sind mit dem Deutlichen bei ihnen eingetroffen, jedoch sie hielten ihnen die Hände vor den Mund und sagten: Wir glauben nicht an das, womit ihr gesandt worden seid, und wir befinden uns wahrlich in bedenklichem Zweifel über das, wozu ihr uns aufruft. Ihre Gesandten sagten: Existiert etwa ein Zweifel über Allah, den Urheber der Himmel und der Erde? Er ruft euch, damit Er euch eure Sünden vergebe und Er gewährt euch Aufschub bis zu einer bestimmten Frist. Sie sagten: Ihr seid nur Menschenwesen wie wir; ihr wollt uns von dem abhalten, was unsere Väter zu verehren pflegten. Dann kommt zu uns mit einem verdeutlichten Beweis.    Ihre Gesandten sagten zu ihnen: Wir sind nur Menschenwesen wie ihr, jedoch Allah erweist Gnade wem von Seinen Dienern Er will. Und wir besitzen keine Macht dazu, zu euch mit einem Beweis zu kommen, es sei denn mit Erlaubnis Allahs. Und auf Allah sollen die Überzeugten vertrauen.“

(Heiliger Qur´an 14:9-11)

Die Zeitgenossen Noahs, der Stämme Ad und Thamud und weiterer nach ihnen stritten sich mit dem Propheten, die ihnen Gott zu ihrer Rettung geschickt hatte, über den Inhalt ihrer Botschaft. Ganz offen gaben sie ihnen zu verstehen, dass sie ihnen nicht glaubten. War der Inhalt der Botschaft als solcher schon gleich der eigentliche Beweis für die Existenz Gottes oder glaubten diese Götzenanbeter wie die Zeitgenossen Prophet Muhammads (s.)[2] zwar an den schöpferischen Ursprung, gesellten ihm allerdings Götzen als Fürsprecher bei?

Allama Tabatabai[3] vertritt in seinem Qur´an-Kommentar „Al-Mizan“ den Standpunkt, dass es sich beim Streit der Völker mit ihren Propheten um Themen wie Einheit, Prophetentum und Jüngstes Gericht handelte, aber niemals die eigentliche Existenz Gottes zur Diskussion stand. Auch die Kommentatoren Tabarsi[4], Sayyid Qutb[5] usw. sind der Ansicht, dass Themen wie die Einheit Gottes, Gottes Einfluss auf das Weltgeschehen, das Prophetentum, die Belohnung und Bestrafung Gottes auf Erden und nach dem Tode usw. in Frage gestellt wurden, nicht aber die Existenz Gottes.

Und dennoch lautet der genaue Wortlaut der Frage der Propheten an ihre Völker:

„...Existiert etwa ein Zweifel über Allah, den Urheber [fatir] der Himmel und der Erde?“ (Heiliger Qur´an 14:10)

Aber bezieht sich die Frage nicht zunächst einmal auf den Zweifel über die Existenz Gottes. Besonders, wenn wir das Attribut Gottes “Urheber“ [fatir] berücksichtigen, wird deutlich, dass es sich hier um die Existenz des Ursprungs handelt, weniger um die Einheit Gottes; denn das Attribut “Urheber“ bedeutet der aus dem “Nicht-Sein“ das “Sein-Schaffende“.

Allama Tabatabai wertet dieses Attribut als Beweis, für die Richtigkeit seiner Interpretation. Er sagt, gerade weil das Wort “Urheber“ [fatir] und nicht “Schöpfer“ [chaliq] gewählt worden ist, bezieht sich dieser Vers nicht auf die eigentliche Existenz Gottes, sondern auf die Einheit Gottes; denn über die Existenz Gottes gab es auch unter den götzenanbetenden Arabern keine Zweifel, sie leugneten nur die Einheit ab. Deshalb auch “Urheber der Himmel und Erde“ und nicht “Schöpfer der Himmel und Erde“.

Meiner Meinung nach steht die im Qur´an gewählte Wortwahl in direktem Bezug zur Frage nach der Existenz Gottes. Selbst wenn wir annehmen, dass alle arabischen Götzendiener zur Zeit Prophet Muhammads (s.) von der Existenz Gottes überzeugt waren, können wir nicht daraus auf andere Völker zu anderen Zeiten schließen, wo doch gerade der vorausgegangene Vers von anderen Stämmen wie die der Ad und Thamud spricht.

Ist es überhaupt möglich, dass „der Urheber der Himmel und Erde“ als Argument dient, Zweifel über die Einheit Gottes zu beseitigen, aber kein Argument für die Existenz Gottes ist? Sicher bezieht sich dieser Vers auch auf die eigentliche Existenz Gottes. Und es ist nicht richtig zu behaupten, dass der Qur´an in diesem Vers jede Art Zweifel über die Existenz Gottes als Zweifel an etwas Offenkundigem abtut, denn der Vers weist gerade durch die Wahl des Attributs “Urheber“ auf das berühmte Argument zur Beweisführung Gottes und will weniger zum Ausdruck bringen, dass die Existenz Gottes etwas Offenkundiges, das heißt kein Gegenstand der Argumentation ist. Außerdem geht aus anderen Qur´an-Versen hervor, dass die heilige Schrift Zweifel über die Existenz Gottes nicht unberücksichtigt lässt.

Die Sure “At-Tur“[6] wurde noch vor der Auswanderung (Hidschra) in Mekka offenbart. Sie beschäftigt sich gleich zu Beginn (Verse 1 bis 28) mit der Frage nach dem Leben nach dem Tode und mit den Menschen, die nicht an das Jüngste Gericht glauben. In den darauffolgenden Versen 29 bis 34 werden Fragen über den Auftrag Prophet Muhammads (s.) und das Ende des Prophetentums behandelt. Im Anschluss daran weitet sich die Abhandlung auf mögliche Zweifel des Menschen über die Existenz Gottes aus:

„Oder sind sie durch nichts erschaffen, oder sind sie gar selbst die Schöpfer?    Oder schufen sie die Himmel und die Erde? Nein, aber sie haben keine Gewissheit.“

(Heiliger Qur´an 52:35-36)

In den folgenden Versen wird die Frage aufgeworfen, ob der Mensch aufgrund der Gnadenfülle Gottes ins Leben gerufen wurde oder ob alles in seiner Hand liegt. Im Vers 43 schließlich wird die Existenz eines Gottes außer dem Schöpfer behandelt:

„Oder haben sie einen (anderen) Gott statt Allah? Hoch Erhaben ist Allah über all das, was sie (Ihm) beigesellen.“

(Heiliger Qur´an 52:43)

Ab Vers 35 wird der Mensch mit vielen Fragen konfrontiert. Seine gottgegebene Fähigkeit zur Logik soll wachgerufen werden und ihn selbst zur Existenz Gottes hinführen:

bulletIst es überhaupt möglich, dass die Menschen ohne einen Schöpfer in Erscheinung getreten sind?
bulletIst es möglich, dass der Mensch sich selbst geschaffen hat?
bulletWenn der Mensch selbst sein eigener Schöpfer ist, wie verhält es sich mit Phänomenen wie Himmel und Erde, die es schon vor ihm gab?

Zur ersten Frage würde die Antwort “nein“ lauten. Denn wenn die Menschen in „Erscheinung getretene Wesen“ darstellen, dann müssen sie zweifellos auch einen Schöpfer haben.

Weiter würde die Antwort heißen: Wenn der Mensch selbst geschaffen ist, kann er sich selbst niemals geschaffen haben. Nicht nur der Mensch, auch kein anderes Wesen kann sein eigener Schöpfer sein. Denn ein Phänomen, das seine Existenz aus sich selbst heraus hat, hat immer schon existiert und wird auch weiterhin bestehen; es ist dann nicht mehr ein „in Erscheinung tretendes Wesen“, von dem wir sagen könnten, dass es sowohl Phänomen als auch Schöpfer ist.

Auf die letzte Frage würde der gesunde Menschenverstand folgendermaßen antworten: Der Mensch, der von Natur aus kreative Fähigkeiten besitzt, wunderschöne Gemälde und Plastiken schaffen, Flugzeuge, Raketen und elektronische Gehirne entwerfen kann, ist sich trotz all seiner Kapazitäten voll bewusst, dass er an der Erschaffung der Himmel und Erde nicht mitgewirkt hat. Ist es dann nicht umso erstaunlicher, wenn der Mensch trotz seiner begrenzten Kräfte sich plötzlich selbst zur Gottheit erklärt und von sich behauptet: „Wenn es auf dieser Welt irgendeinen Schöpfer geben sollte, dann nur ihn - den Menschen.“

[1] Die 14. Sure des Heiligen Qur´an

[2] Abkürzung für „sallalahu alaihi wa alihi wa-sallam“: „Allahs Segnungen und Gruß seien mit ihm und seiner Familie“. Sie wird verwendet für den Propheten Muhammad (s.).

[3] Allama Sayyid Muhammad Husain Tabatabai (1892-1981) war einer der größten islamischen Gelehrten des Islam im 20. Jh. n.Chr. und vor allem bekannt für sein Lebenswerk al-Mizan. Einige seiner Schriften sind im Verlag m-haditec erschienen.

[4] Fadhl ibn Hasan al-Tabarsi, besser bekannt als Scheich Tabarsi, war im 12. Jh. ein islamischer Gelehrter im persischsprachigen Raum.

[5] Sayyid Qutb (1906-1966) war ein Denker der damaligen ägyptischen Muslimbruderschaft.

[6] Die 52. Sure des Heiligen Qur´an

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