Gottes Attribute

Inhaltsverzeichnis

Gott und seine Attribute

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Lektionen in der Islamischen Doktrin - Buch I

Frei übersetzt unter Aufsicht von Dr. Mohammad Razavi Rad - übersetzt von A. Malik

L2 - Der Mensch verlangt nach Gott

Außerhalb des komplizierten Systems des Körpers hat der Mensch viele und bedeutende Dimensionen, die nicht an seine physischen Mechanismen gefesselt sind. Um diese Aspekte und Ebenen zu entdecken, die über die körperliche Struktur hinausgehen, muss man sich in die inneren, spirituellen Strukturen hinein suchen, zusammen mit den delikaten und veredelten Manifestationen seiner Gefühle und Instinkte und die weiten Horizonte seiner ausgedehnten Natur wahrnehmen.

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Eine Serie von besonderen Arten der Wahrnehmung existiert im Menschen, die in ihm selbst wurzeln und deren Auftauchen, emporkommend aus dem Gewebe menschlicher Natur, keinem externen Faktor zu verdanken sind. Unter diesen Wahrnehmungen gibt es den Sinn für das Bekenntnis zur Gerechtigkeit, zur Aufrichtigkeit, und zur Ehrlichkeit. Bevor der Mensch in den Bereich der Wissenschaft und Erkenntnis mit all seinen Belangen eintritt, ist er in der Lage, mithilfe dieser immanenten Wahrnehmungen gewisse Wirklichkeiten zu erspüren. Aber nach dem Eintreten in die Welt der Wissenschaft und Philosophie und nachdem er seinen Kopf mit diversen Beweisen und Deduktionen gefüllt hat, kann er seine eigene natürliche Vorstellung vergessen oder sie anzuzweifeln beginnen. Dies ist auch der Grund, weshalb er über diese ihm eigene Natur hinausgeht und sich von einer Überzeugung abgrenzen kann, während in ihm Meinungsverschiedenheiten zu entstehen beginnen.

Die Inklination zur Religion und der Glaube an Gott zeigen sich in ihren frühen Stadien durch instinktive Motive und immanente Wahrnehmungen, aber sie entwickeln und formen sich mit Hilfe der Ratio und dem Denken. Die Wurzel dieses innewohnenden Gefühls ist als Disposition des Menschen so tief verankert und gleichzeitig so klar und evident, dass eine Person an sich selbst feststellen kann, wie sie mit der Gesamtheit des Seins in eine bestimmte Richtung geht, sobald sie ihren Verstand und Geist von religiösen und antireligiösen Konzepten säubert und sich dann selbst betrachtet, sowie auf die existierende Welt um sich herum schaut. Ohne ein Verlangen oder einen Willen auf ihrer Seite, beginnt sie ihr Leben zu einem bestimmten Zeitpunkt und, wieder ohne es zu wollen, gelangt sie zu einem anderen Punkt, einen, den sie nicht kennt. Diese Realität kann in allen Kreaturen beobachtet werden. Wenn ein Mensch mit klarem Verstand sich in der Natur umschaut, wird er die Existenz einer großen Kraft fühlen, die ihn und die ganze Welt um ihn herum umgibt. In seinem eigenen Sein, das ein Bruchteil der ganzen Welt ausmacht, wird er Wissen, Kraft und den Willen zu existieren erkennen und er wird sich selbst fragen, wie Wissen, Kraft und Willen nicht auch im Ganzen sein können. Es ist die ausbalancierte Ordnung und Bewegung der Welt, die den Menschen dazu bringt, die Existenz eines universellen Intellektes, der über die zu akzeptieren. Eines Intellekts, der über die Welt der Natur hinaus geht, dennoch diese erschafft und befehligt; solange das nicht akzeptiert wird, lässt sich die Ordnung dieser Welt nicht erklären. Jeder, der seine eigene Position in dieser Welt einschätzen kann, wird erahnen können, dass es da eine Macht gibt, die ihn erschafft, ihn hervorbringt und in ihm Bewegung inspiriert und die ihn dann auch wieder verschwinden lässt, ohne ihn selbst dabei um Erlaubnis zu fragen, noch Assistenz in diesen Dingen zu verlangen.

Der Führer und Märtyrer, Husayn, Sohn Alis (Möge der Frieden mit ihnen beiden sein) äußerte in seinen persönlichem Bittgebet zu Gott: „Wie ist es möglich, Deine Existenz von einer Sache abzuleiten, wenn ihr Sein doch abhängig von Dir ist? Warum besitzt Du nicht die Manifestation, die Alles-was-Du-nicht-bist besitzt, dass sie Dich evident machen? Warst Du denn je vor dem inneren Auge verborgen, als das Du Beweise bräuchtest als Führung zu Dir? Wann warst Du uns denn jemals fern, als das Deine Spuren und Zeichen uns Dir näher brächten? Blind ist das Auge, welches nicht sieht, dass Du es bist, der es sieht und beschützt! Oh Gott, Du, der Du Dich uns gezeigt hast mit Deiner Pracht, Wie kannst Du verborgen sein, wo Du doch manifestiert und evident bist? Wie könntest Du fremd sein, wo Du doch durch Deine nicht endende Manifestierung über Deine Diener wachst?“ (Du ́a-yi ́Arafa in „Mafatih Al-Janan“)

Nirgends und zu keiner Zeit wurde ein Ding ohne einen Erschaffer geschaffen, noch wurde ohne einen Schaffenden irgendetwas je geschafft. Die Suche nach der Verbindung zwischen Ursache und Wirkung erwächst aus dem Instinkt eines Menschen: Das Bewusstsein um die Kausalität kann von niemandem genommen werden. Ebenso kann das religiöse Sentiment, die Suche nach dem Schöpfer von niemandem genommen werden. Sogar ein Kind ohne jegliche Erfahrung von der Welt wird, wenn es ein Geräusch hört oder eine Bewegung bemerkt, instinktiv in die Richtung schauen, wo das Geräusch seinen oder die Bewegung ihren Ursprung hat.

Praktische Erfahrung und Wissen basieren auf der Akzeptanz der Ursache einer Wirkung. Die Norm der Kausalität ist faktisch eine absolute, die keine Ausnahmen erlaubt. Geologie, Physik, Chemie, Soziologie, Ökonomie - in diesen und anderen Bereichen der Wissenschaften dient die Forschung dem Zweck, das Prinzip der Ursache und Wirkung zu spezifizieren und die Faktoren und die Beziehungen die damit zusammenhängen zu erkennen. Kurz, es ist klar, dass Wissenschaft und Erkenntnis nichts anderes sind als die Suche nach den Ursachen. Jeglicher Progress und Fortschritt in menschlichen Belangen ist das Ergebnis von Untersuchungen der Ursprünge der Phänomene, ausgeführt von Gelehrten.

Wäre es uns möglich, in irgendeiner Ecke des Universums auch nur ein Zeichen in einer einzigen Sache von absolutem Selbst-Ursprung oder Kreativität zu finden, wir wären berechtigt, diese Angelegenheit auf die komplette Architektur des Seins auszuweiten. Natürlich ist es nicht notwendig, dass sich uns das Gesetz der Kausalität immer in uns bekannten Manifestationen zeigt. Die Vielfalt und Multiplizierung der Ursachen ist zuweilen so groß, dass der Untersuchende, der sich nur mit einem Phänomen beschäftigt, sich nicht in der Lage sieht, allen Ursachen auf den Grund zu gehen. So ist in allen Dingen, welche die Menschheit betreffen, seien sie allgemeiner oder spezieller Natur, seien sie aus der Vergangenheit oder der Zukunft, seien es die Belange eines Individuums oder einer ganzen Gesellschaft, kein einziger Punkt zu finden, der zufällig wäre. Es ist nicht nur eine bestimmte Ordnung in der Schöpfung eines jeden Phänomens gegeben; es ist zu beobachten, dass jede Beziehung eines Phänomens zu einem anderen Phänomen, sowie das Phänomen in Beziehung zu seiner Umwelt, in denen es existiert, einer fein kalkulierten Ordnung unterliegt. So operieren zum Beispiel bei dem Heranwachsen eines Baumes die Gesetze des Himmels und der Erde in perfekter Harmonie mit der Struktur seiner Wurzeln und Äste. Es gibt auch die Beziehung des Tieres zum Baum, der durch diesen Nahrung erhält. Wie könnte der Zufall der Ursprung solch geordneter Beziehungen sein?

Wenn sich auf einer bestimmten Ebene ein Phänomen in der Struktur von etwas Seienden formen würde, unbewusst und zufällig, so wäre dies eine exzellente Basis für das Verschwinden und der Zerstörung dieser Welt. Weil schon der geringfügigste Bruch im Gleichgewicht der Elemente und die kleinste Disharmonie in den strahlenden Gesetzen des Universums ausreichen würden, damit die Dinge ihre Verbindungen verlören und die himmlischen Objekte würden kollidieren, was die Zerstörung der Welt zur Folge hätte.

Wenn der Ursprung der Welt auf Zufall basieren würde, warum basieren dann sogar die Theorien der Materialisten auf einem Plan, einem geordnetem Gefüge, der Abwesenheit von Wahrscheinlichkeit? Wenn die ganze Welt nur zufällig und das Ergebnis einer Wahrscheinlichkeit ist, was ist nicht auf der Basis der Wahrscheinlichkeit entstanden? Wenn etwas Existentes nicht durch die Wirkung der Wahrscheinlichkeit „seiend“ wurde, was sind dann die entscheidenden Merkmale bzw. Charakteristika und können sie auf die vielen und variationsreichen Phänomene des Universums angewendet werden?

Da der Zufall sich zur Ordnung und Harmonie gegensätzlich verhält, folgt daraus, dass alles, was nur teilweise Planung, Design und Kalkulation aufzeigt, unharmonisch und unterbrochen sein müsste. Dies, weil das Konzept von Planung, Design und Kalkulation im Gegensatz zum Zufall stehen.

Anzunehmen, dass der Zufall die Infrastruktur und das tragende Prinzip sei, unterliegt keinem logischen oder wissenschaftlichen Beweis, es kann daher nicht als definitive Lösung für die Geometrie und Struktur des Seins akzeptiert werden.

Wenn die experimentelle Wissenschaft demonstriert, dass die Elemente und natürlichen Kräfte nicht unabhängigen Einfluss haben können und keine eigene Kreativität besitzen; wenn all unsere Erfahrungen, unser sensorisches Empfindungsvermögen und unsere rationalen Deduktionen auf die Folgerung hinweisen, dass nichts in der Natur ohne Grund und Ursache geschieht, dass alle Phänomene auf einem etablierten System beruhen und speziellen Gesetzen folgen; wenn all dies der Fall ist, erstaunt es, wie manche Menschen wissenschaftlich fundierten Prinzipien den Rücken kehren und die Existenz eines Schöpfers verneinen.

Bildung und umweltbedingte Faktoren liefern die Ursachen, die entweder verhindern, dass die angeborenen Wahrnehmungen des Menschen zum Vorschein kommen, oder aber sie verstärken diese noch. Was immer aus der Quelle des Instinktes erscheint ähnelt der Ordnung, dem Muster der Natur. Jene, denen es vergönnt ist dem ursprünglichen Kurs ihrer eigenen Schöpfung frei zu folgen, ohne durch Gewohnheit eingesperrt zu sein, und deren innere Natur nicht durch Worte und Ausdrücke verfärbt wurde, sind eher in der Lage, den Ruf in ihrem Innern zu vernehmen. Sie können zwischen guten und schlechten Taten unterscheiden, zwischen wahrem und falschem Glauben. Irrglaube, welcher tatsächlich ein Abdriften von der wahren Natur ist, wird selten bei solchen Menschen gesehen. Wenn ihnen jemand erzählt, dass die Welt keine innere Ordnung besitzt und dass sie einem Zufall entspringen und diese Person diese Inhalte auch noch in philosophischer Wortgewandtheit ausschmückt, so hat es auf solche Leute keinen Effekt. Sie lehnen diese Theorien durch das Wirken ihrer eigenen Natur ab.

Jene, die in den Netzen der Wissenschaft gefangen sind, können viel eher durch die betörende Terminologie der Skepsis verwirrt werden. Das limitierte Wissen, welches Arroganz im Menschen initiiert, ist wie ein buntes Glass, welches vor den Augen des Intellekts und der wahren Natur platziert ist. Wer etwas Wissen besitzt, wird dieses durch die Blende seines Erlernten verfärbt betrachten. Er stellt sich die gesamte Realität durch die schmale Öffnung dieser Blende vor und seine Sinne und sein Intellekt sind der Farbe verfallen. Natürlich sagt niemand, dass der Mensch aufhören sollte, sich zu entwickeln, nur um seinen Intellekt vor Illusion zu beschützen. Aber er sollte nicht bei dem Wissen limitiert bleiben, dass er hat, noch über seine begrenzte Einsicht stolz sein. Statt ihr Lernen und ihre Kenntnisse zur Leiter zu transformieren, die es zu erklimmen gilt, um höhere Wissensgrade zu erreichen, bleiben die meisten Menschen stehen und sind gefangen in den vier Wänden ihrer festgefahrenen Konzepte und Termini.

Die ursprüngliche Natur des Menschen rennt zu ihrem Helfer, sobald sie Gefahr spürt. Wenn eine Person schwere Zeiten mit übergroßen Problemen durchlebt, wenn sie allerlei Entbehrungen ausgesetzt ist, gleich einem Strohhalm hin und her geworfen wird und ihr Tod nur noch einen kleinen Schritt von ihr entfernt ist - dann führt sie ein inneres Etwas zu einer nichtmateriellen Quelle der Unterstützung. Sie sucht Hilfe bei jenem, dessen Kraft alle Kraft übersteigt, und sie versteht, dass es diese mitfühlende und allmächtige Existenz ist, die ihr beistehen kann und sie mit außerordentlicher Stärke zu beschützen vermag. Aufgrund ihrer Wahrnehmung sucht sie mit aller Kraft nach der Hilfe der allerheiligsten Existenz, um vor Gefahr bewahrt zu werden und aufgrund des Allerheiligsten in ihrem Herzens, erspürt sie die Macht und Stärke dieser Existenz.

Einmal wurde Imam Jaafar Sadiq (Friede sei mit ihm) nach der Leitung zum Herrn gefragt, denn der Fragende war durch die Reden der Polemiker verwirrt worden. Der Imam fragte daraufhin zurück: „Bist du jemals mit dem Schiff verreist?“ Er antwortete: „Ja.“ Der Imam: „Ist es je passiert, dass euer Schiff ein Leck hatte und niemand da war, der dich vor dem Ertrinken in den Wellen des Ozeans bewahren konnte?“ Er erwiderte: „Ja.“ Der Imam: „In diesem gefährlichen Moment und in diesem Zustand der Verzweiflung, hattest du da das Gefühl, dass eine unendliche und allmächtige Kraft dich vielleicht vor diesem schrecklichen Schicksal retten könnte?“ Er sagte: „Ja, so war es tatsächlich.“ Der Imam: „Es ist Gott, der Allmächtige, der die Quelle des Vertrauens ist, zu dem die Menschen mit Hoffnung schauen, wenn alle Türen verschlossen sind.“ (aus „Bihar Al-Anwar“)

Sogar rebellische und materialistische Menschen in einflussreichen Positionen, die sich der Macht Gottes nicht bewusst sind, da sie sich selbst als Herrschende kennen, verändern sich, sobald sie in die Falle der Niederlage und Zerstörung tappen. Sie vergessen die Leugnung Gottes, die sie durch ihre Umwelt und der materialistischen Schule gelehrt bekamen und wenden sich von ganzem Herzen dem Ursprung allen Seins und der Quelle aller Stärke zu. Die Geschichte weist auf zahlreiche Beispiele von Menschen hin, die Opfer schwerer Umstände wurden, so dass sich der Staub der Verschmutzung plötzlich von ihrer wahren Natur löste und aus tiefster Seele wandten sie sich an ihren Schöpfer. Zusätzlich zu den inneren Ressourcen, die dem Menschen eigen sind und ihm dabei helfen die Realität zu entdecken, so dass er frei von allen mentalen Konstrukten und Zwängen den Pfad seiner ursprünglichen Natur beschreiten kann, ist auch das äußere Einwirken notwendig, um dem Menschen den Weg zu zeigen und seine ursprüngliche Natur zu stärken. Es ist eine Führung, die rebellische Qualitäten reformiert und den Intellekt und die ursprüngliche, unverfälschte Natur vor Perversion und dem Gehorchen falscher Götter beschützt.

Die Propheten wurden gesandt, um den Menschen die subtile Wahrnehmung ihrer eigentlichen Natur bewusst zu machen, um ihre von Gott geschenkten Inklinationen zu ermöglichen, den richtigen Weg einzuschlagen und um den erhabenen Zielen Flügel zu verleihen. Der Führer der Gläubigen, Ali Ibn Abi Talib (Friede sei mit ihm), sagte dazu: „Gott sandte seine Boten unter die Menschen, so dass sie diese (Gesandten) nach dem Bund fragen, um sich durch sie an die vergessenen Gnaden ihres Gottes erinnern zu können, durch sie ermahnt zu werden, durch sie versteckte Weisheit zu erlangen und damit ihnen durch sie die Zeichen von Gottes Macht gewahr werden.“ („Nahj al.Balagha“ (Ed. Subhi Salih))

Solche Leitung und Ermahnung impliziert nicht in geringster Weise die Auslöschung des kreativen Willens oder die Entziehung seiner Freiheit und seiner Fähigkeit zu denken und zu wählen. Diese Leitung ist vielmehr eine Art Assistenz bei der Entwicklung der positiven Inklinationen und Instinkte. Durch Leitung und Ermahnung wird der Mensch von seinen Ketten befreit und in die Lage versetzt, von allen Dimensionen seiner ursprünglichen Natur zu profitieren und mit seinem gesamten Sein zu wachsen.

Der Koran sagt: „(...) und er (der Prophet) nimmt hinweg von ihnen ihre Last und die Fesseln, die auf ihnen lagen - die also an ihn glauben und ihn stärken und ihm helfen und dem Licht folgen, das mit ihm hinab gesandt ward, die sollen Erfolg haben.“ (Vgl. Koran: Sure 7, Vers 157),

„Oh, die ihr glaubt, antwortet Gott und dem Gesandten, wenn er euch ruft, auf dass Er euch Leben gebe (...).“ (Vgl. Koran: Sure 8, Vers 24), „Oh ihr Menschen!

„Nunmehr ist eine Ermahnung zu euch gekommen von eurem Herrn und eine Heilung für das, was in den Herzen sein mag (...).“ (Vgl. Koran: Sure 10, Vers 57)

Die ersten Menschen, die dem Ruf der Propheten folgten, sind Menschen mit reinen Herzen und erleuchtetem Bewusstsein gewesen. Die Reihen jener, die gegen sie arbeiteten, bestanden aus Menschen, die ihrer illusionären Macht und ihrem Reichtum vertrauten, oder sie waren auf ihr angesammeltes Wissen derart stolz und von ihrem verfärbten intellektuellen Fähigkeiten so stark eingenommen, dass sie nicht in der Lage waren, ihre grundlose Arroganz abzulegen. Dies hielt sie davon ab, ihre inneren Kapazitäten und Potentiale zum blühen zu bringen.

Ein Gelehrter beschrieb es so: „Auch in spirituellen Dingen greift das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Wenn es die Nachfrage nach Religion in der Natur des Menschen nicht gäbe, würde das Angebot seitens der Propheten vergeudet sein. Wir sehen jedoch, dass das von den Propheten offerierte seine Kunden fand. Ihre fruchtbare, klare und authentische Vision hat zahlreiche Anhänger und Unterstützer gefunden. Dadurch zeigt sich, dass die Nachfrage für Religion im Menschen in seinem innersten Bewusstsein besteht.“

Fakt ist, das Fundament aller Predigten der Propheten war der Ruf zum Monotheismus, nicht zum Beweis für die Existenz Gottes. Sie negierten den Wert der Götzen, der Sonne, des Mondes und der Sterne als anbetungswürdige Objekte, so dass der innere und natürliche Durst der Menschen nach Anbetung in die Richtung gelenkt werde, die es ihnen ermöglichte, alle Ziele und Werte in dem wahren Objekt der Anbetung zu suchen. Ihre Herzen sollten mit endloser Perfektion verbunden werden, und mit diesem immer wieder herabgekommenen Glauben sollten sie ständig zur Quelle aller Werte und Tugenden vorwärts schreiten, um endlich ihr Ziel zu erreichen. Alle Variationen des Polytheismus und des Irrglaubens - vom primitiven Götzenkult über die fortgeschrittene Form, dem Materialismus - sind das Ergebnis der Abwendung von der ursprünglichen Natur. Der Progress von Wissen im Kontext von religiöser Erfahrung, der überall auf der Welt vonstatten geht, hat Entdeckungen zur Folge, die es erlauben, gewisse Schlüsse zu ziehen.

Basierend auf Daten, die von Soziologen, Archäologen sowie Anthropologen gesammelt wurden, analysiert die Geschichte der Religionen heute den religiösen Instinkt zusammen mit den Institutionen, Glaubensformen, Sitten und den Faktoren, welche die Gesellschaft formen, auf einer neuen Weise, die sich von früheren Erklärungen unterscheidet. Der religiöse Instinkt zieht sich wie ein roter Faden durch das Denken verschiedener Schulen und findet ständig neuen Zulauf, mit dem Effekt, dass Religion eine primäre, natürliche und stabile Komponente des menschlichen Geistes ist.

Um 1920 war der deutsche Philosoph Rudolf Otto in der Lage zu beweisen, dass parallel zu den intellektuellen und ethischen Elementen im Menschen ebenfalls ein superrationales Element zu finden ist, welches das religiöse Empfinden konstituiert. Gott betreffende Attribute wie Macht, Größe und Transzendenz dienen dem Zweck der Betonung, dass diese Heiligkeit auf kein anderes Konzept reduziert werden kann. Es handelt sich hierbei um eine unabhängige Kategorie, die nicht aus einer anderen folgt, und sie ist auch nicht mit irgendeinem anderen Konzept in ihrem Wesen vergleichbar.

Eine der Besonderheiten der heutigen Zeit ist die Suche nach der vierten Dimension in der Welt der Natur, die man „Zeit“ nennt. Wie die anderen Dimensionen ist auch die Zeit vermischt mit Körpern und darum existiert kein Körper in dieser Welt losgelöst von der Zeit, welche aus Bewegung und Veränderung hervorkommt.

Es ist außerdem charakteristisch für unsere Epoche, dass die Gelehrten und Forscher zu der Entdeckung einer „Vierten Dimension des menschlichen Geistes“ gekommen sind: Dem religiöse Empfinden.

(Fußnote: Es gibt in dieser Angelegenheit eine klare Referenz durch eine Überlieferung von Imam Sajjad (Friede sei mit ihm): „Rein und erhoben bist Du, oh Herr, der Du das Gewicht der Erde kennst! Rein und erhoben bist Du, oh Herr, der das Gewicht der Dunkelheit und des Lichts kennt! Rein und erhoben bist Du, oh Herr, der Du das Gewicht des Schattens und der Luft kennst.“, „Sahifa-yi Saniya“, Gebet 55)

Die anderen drei Dimensionen oder Gefühlsbereiche des menschlichen Geistes bestehen aus dem Sinn für Neugierde, dem Sinn für Tugend und dem Sinn für Ästhetik. Der religiöse Sinn oder das Konzept für das Heilige ist die vierte Dimension und die grundlegendste von allen. Jeder hat eine innewohnende Hingezogenheit zu dem, was über das Natürliche hinausgeht, separat und unabhängig von den anderen drei Sinnen. Mit der „Entdeckung“ des religiösen Empfindens, stürzte das dreidimensionale Gefängnis des Geistes ein und es wurde bewiesen, dass die religiösen Neigungen des Menschen selbstständig in seinem Sein wurzeln. Diese Neigungen traten sogar in jenen Zeiten zutage, als Menschen noch in Höhlen und Wäldern lebten.

Trotz des Vorrangs, der Autonomie und der Effektivität der drei genannten Sinne und der Rolle, die sie beim Hervorbringen von Wissenschaft, Ethik und Kunst spielten, war es doch der religiöse Sinn, welches das Fundament für die Aktivität dieser drei Sinne war. Er half ihnen auf ihrem Pfad fortzuschreiten und die Geheimnisse der geschaffenen Welt zu entdecken.

Aus der Sicht eines Gläubigen ist die Welt auf der Basis von Gesetzen und einem präzisen wohl kalkulierten Plan kreiert. Dieser Glaube an einen bestimmenden, weisen Gott stimuliert den Sinn der Neugierde, suchend nach den Gesetzmäßigkeiten und Mysterien der Natur, die auf einer Kette von Ursachen und Wirkungen basieren. Die Rolle, welche der religiöse Sinn bei der Entwicklung und der Veredelung der menschlichen Qualitäten spielt, bei der Modifizierung seiner Instinkte und bei der Bereicherung seines Sinns für Moral und Tugend, ist unleugbar. Jene, die dem Diktat der Religion folgen, halten die Kontrolle ihrer Instinkte und das Aneignen von außergewöhnlichen sowie noblen Eigenschaften für eine der wichtigsten Pflichten.

Religiöses Gedankengut war in der Geschichte seit jeher mit dem Kultivieren des ästhetischen Sinns verwoben. Der primitive Mensch hat die kreativsten Kunstarbeiten zur Glorifizierung seiner Götter geschaffen. Die bemerkenswerten Tempel Chinas, die großen Pyramiden Ägyptens, die erstaunlichen Statuen Mexikos, die feine Architektur des islamischen Ostens - sie alle reichen zurück auf den religiösen Sinn.

Psychologen glauben, dass es eine Verbindung zwischen den Krisen der Pubertät und dem plötzlichen Auftauchen von religiösem Empfinden gibt. In diesem Lebensabschnitt nimmt der religiöse Sinn selbst bei Menschen, die vorher keine Stellung zu religiösen Themen bezogen haben, auf spezifische Weise an Bedeutung zu. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die inneren Rufe sich derart manifestieren, dass keine Behinderung ihren Weg nachhaltig versperren kann. Bestimmte Faktoren, wie gegensätzliche Propaganda, können das Wachstum und die Entwicklung von internem Gefühl und korrektem Gedankengut verringern, auch wenn solch negativer Einfluss nicht die komplette Entwurzelung der natürlichen Tendenzen zur Folge haben muss. Denn wenn diese Hindernisse beseitigt werden, nehmen die Instinkte wieder ihre Aktivität auf und zeigen sich wieder mittels der immanenten, kreativen Anstrengungen.

Wir wissen, dass mehr als ein halbes Jahrhundert seit der kommunistischen Revolution in der Sowjetunion vergangen sind, aber die Wurzeln der Religion bestehen nach wie vor tief in den Seelen der sowjetischen Menschen. Trotz der Bemühungen der Regierenden, über einen langen Zeitabschnitt hinweg die Religion zu entwerten, war es ihnen nicht möglich, den religiösen Sinn aus dem Bewusstsein der Massen zu entfernen.

Die Existenz von materialistischen Ideen in der Welt steht daher nicht im Widerspruch zu dem Fakt, dass der Glaube an Gott für den Menschen etwas Natürliches ist. Wenn eine Denkschule den Pfad der ursprünglichen Natur verlässt, sich selbst damit zu einer Ausnahme machend, sowohl in heutigen als auch in vergangenen Zeiten, kann dies dennoch nicht widerlegen, dass der Glaube an Gott für den Menschen etwas Natürliches ist. Ausnahmen existieren in allen Sphären. Was die Geschichte zeigt ist, dass die materialistische Schule im sechsten und siebten Jahrhundert vor Christi Geburt gegründet wurde.

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