Schuhe ausziehen

Lasst uns unsere Schuhe ausziehen - um den Hass zu überwinden

Dr. Yavuz Özoguz

 

Inhaltsverzeichnis

Das westliche Herrenmenschendilemma

Vom 23. April 2009

So lange die Westliche Welt auf niemanden gestoßen ist, der Gerechtigkeit und Logik einforderte, konnte sie den Geist ihrer Herrenmenschenpolitik ungehindert ausweiten. Jetzt aber stellen einige Staatsoberhäupter unbequeme Fragen, und die Westliche Welt hat nur eine Antwort: „Das darf man nicht fragen.

Der Begriff “Herrenmensch“ wird oft den Nazis zugeordnet, ist aber in seiner praktischen Wirklichkeit viel älter. Der gesamte Kolonialismus und Neokolonialismus fußt letztendlich auf diesem Gedanken. Kernmerkmal jenes Gedankenguts ist neben dem rassistischen Ansatz die Vorstellung, dass das, was dem Herrenmenschen zusteht, nicht automatisch auch jedem anderen zusteht oder es eben keine Gleichheit vor dem Gesetz gibt. Der Herrenmenschengedanke ist ein ungerechter und unmenschlicher Gedanke. Er bleibt auch dann ungerecht und unmenschlich, wenn die gleichen Prinzipien unter dem Namen “Freiheit und Demokratie“ angewandt werden, was an einigen Beispielen belegt werden kann.

Im Prinzip ist sich alle Welt darüber einig, dass Folter unmenschlich ist und daher verboten und geächtet gehört. Folterer, die überführt werden, müssen bestraft werden. Die Westliche Welt hat sich Jahrzehntelang als Vorreiter jenes Gedankens versucht zu etablieren. Doch dann kam George Bush an die oberste Macht in der Westlichen Welt. Das gesamte Antifolterkartenhaus der Westlichen Welt ist innerhalb weniger Jahre zusammengebrochen. Mit dem neuen US-Präsidenten Obama sollte ein “Neuanfang“ gemacht werden. Dieser hat auch offen zugegeben, dass unter seinem Amtsvorgänger Folter begangen wurde, aber gleichzeitig allen Folterern Amnestie versprochen. Nahezug die gesamte Elite der Westlichen Welt hat das begrüßt. Die Schlussfolgerung ist, dass der Herrenmensch offenbar ungestraft foltern darf. Die Zustimmung aller Westlichen Regierungschefs hat auch eine nicht ganz uneigennützige Komponente: Würde man z.B. Bush wegen Folter und Mord verurteilen und bestrafen, kämen zahlreiche Westliche Politiker wegen Beihilfe zu Folter und Mord in Bedrängnis. Und der Gedanke, von einem Regierungschef regiert zu werden, der Beihilfe zu tausendfacher Folter und Millionenfachem Mord begangen haben könnte, bereitet auch einigen Bürgern der westlichen Staaten ein gewisses Unbehagen, selbst wenn es Politikern kaum Kopfzerbrechen bereitet.

Beispiel “freie Meinungsäußerung“: Die Westliche Welt rühmt sich damit, dass man hier mehr oder weniger alles sagen darf. Man darf Gott anzweifeln, die Propheten verunglimpfen, der Heiligen Maria Schändlichkeiten vorwerfen, sämtliche religiösen Inhalte für unwahr erklären, Geschichtliche Fakten anzweifeln oder gar leugnen usw. usf.. Der Herrenmensch darf das, wenn es um Indianer oder schwarze Sklaven in den USA geht. Er darf sogar nahezu jeglichem Land der Erde das Existenzrecht abstreiten und Bürgerrechte auf dem Mond verlangen. Es spielt keine Rolle, ob seine Meinung der Wahrheit entspricht oder nicht, ob andere sich beleidigt fühlen oder nicht, ob er Fakten auf den Kopf dreht oder nicht, im Rahmen der Meinungsfreiheit darf er fast alles; aber eben nur fast. Denn sobald eines der Kernthemen westlicher Weltherrschaftsäulen, z.B. das Ausmaß des Holocaust, angezweifelt werden würde, selbst wenn es wissenschaftlich begründet und in einem wissenschaftlichen Rahmen erfolgen würde, müsste der öffentliche Zweifler mit juristischen Konsequenzen rechnen (zumindest in einigen Ländern). Das hat nichts mit Gerechtigkeit oder Logik zu tun, sondern ausschließlich mit einer Gewaltherrschaftsmentalität. Und wenn er die Gründunggeschichte Israels für ein doppeltes Verbrechen hält (erst werden Juden aus Europa vertrieben und dann Palästinenser aus Palästina), dann bekommt er die gesamte Macht moderner Inquisition zu spüren. Israel darf in der Westlichen Welt nicht ernsthaft kritisiert werden, unabhängig vom Ausmaß der Verbrechen, die begangen werden.

Diese Doppelmoral wird insbesondere in der Gründungsgeschichte Israels deutlich: Man kann viel über die Entstehung Israels lesen, aber Tatsache ist, dass es jenen Staat vor seiner Gründung Vorort nicht gab. Das Gebiet hieß Palästina und war von Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen bewohnt. Nach den Weltkriegen war es besetztes Gebiet von Herrenmenschen, von westlichen Besatzern! An dieser Tatsache führt kein Weg vorbei. Und Tatsache ist, dass jene Besatzer, das von ihnen besetzte Land einer Gruppe von Menschen geschenkt haben (sogar schriftlich dokumentiert), die in großen Teilen zuvor dort gar nicht gelebt haben, sondern Opfer eines Herrenmenschenwahns in einem ganz anderen Teil der Erde geworden waren. Entweder war es Unrecht, dass man ein besetztes Land verschenkt, oder aber es war rechtens. Wenn es rechtens war, dann wäre es eine Einladung an jeden Eroberer, Land zu besetzen und es an andere zu verschenken. Wenn es Unrecht war, dann müssen diejenigen, denen Unrecht geschehen ist, entschädigt werden. Stattdessen werden sie seit 60 Jahren mit Zustimmung der Westlichen Welt drangsaliert. Dieser Widerspruch sägt an der Glaubwürdigkeit der gesamten Westlichen Welt, und “gefährlich“ wird es, wenn jener Widerspruch ausgesprochen wird. So wird jeder, der es ausspricht, mit allen medialen Mitteln mundtot für die Hofberichterstattung gemacht.

Beispiel UN-Sicherheitsrat: Der UN-Sicherheitsrat soll eine Art Weltrepräsentanz zur Lösung von Konflikten darstellen. Tatsächlich aber gibt es darin einige Sonderrechte für einige wenige Staaten. Fünf Staaten haben sich selbst das Recht gegeben, niemals für irgendein Unrecht, dass sie begehen, verurteilt werden zu können! Was hat das mit Gerechtigkeit zu tun? Was hat das mit Freiheit und Demokratie zu tun? Was hat das mit Logik zu tun? Ist das nicht der reinste Geist einer Herrenmenschenideologie? Sobald das aber jemand im weltöffentlichen Rahmen fragt, bekommt er die Wut der Herrenmenschen zu spüren.

Beispiel Atomkraft: Einige wenige Länder wollen das Monopol auf Atomwaffen für sich behalten; darunter ausgerechnet das Land, das als einziges Atomwaffen gegen Menschen eingesetzt hat! Dafür wollen sie anderen Ländern sogar verbieten, Atomenergie zu friedlichen Zwecken zu nutzen. Aber ihr Verbot gilt nicht gegen alle Staaten. Gehört ein Staat zu den Vertretern des Herrenmenschengedankens, dann darf er unkontrolliert Atomwaffen haben, wie er will. Kritisiert aber ein Staat die Herrenmenschenideologie, dann darf er nicht einmal unter Kontrollen die eigene friedliche Wissenschaft umsetzen. Und die Medienmacht drischt auf jenen Staat ein, so laut es möglich ist. Glaubt man ernsthaft auf solch einem Weg Frieden zu bewirken?

Beispiel Weltwirtschaftssystem: Einige wenige Länder der Westlichen Welt haben sich das Recht auserkoren, die “Weltleitwährung“ zu stellen und ihr eigenes Konto nach belieben und auf Kosten vieler armen Ländern der Welt zu überziehen. Mit ihrem unmenschlichen Zinssystem führen sie zudem das eigene System in dem Abgrund, worunter die Armen am meisten leiden. Aber nur wenige Herrenmenschenvölker dürfen ihre Konten nach belieben überziehen, da sie selbst bestimmen, wer das Geld drucken darf und wer nicht. Wollen andere Länder auch ihre Konten überziehen, werden sie stranguliert. Was hat das mit Gerechtigkeit zu tun? Was hat das mit Demokratie zu tun?

Jahrzehntelang dämmerte die Welt vor sich hin in diesem Wahn der Unmenschlichkeit. Seit 30 Jahren aber gibt es ein sichtbares System in dieser Welt, dass obige Missstände öffentlich anprangert und Fragen stellt. Man hat jenes System mit einem grausamen Krieg überzogen. Man hat Saddam Giftgas zur Verfügung gestellt, damit er es gegen den Iran einsetzt. Man hat ein iranisches Passagierflugzeug abgeschossen, Sanktionen über Sanktionen verhängt. Man hat nahezu sämtliche Nachbarländer besetzt und Soldaten gegen den Iran in Stellung gebracht. Man droht dem Iran tagtäglich mit Angriffen, obwohl die Islamische Republik Iran seit ihrer Gründung noch nie ein Land angegriffen hat! Selbst der Einsatz von Atomwaffen gegen den Iran wird öffentlich und ohne Aufschrei der westlichen Bürger diskutiert. Aber glaubt man ernsthaft den unlogischen und unmenschlichen Herrenmenschengedanken für alle Zeit gegen die Mehrheit der Weltbürger gewaltsam aufrecht erhalten zu können?

Die Westliche Welt und die obersten Herrscher rühmen sich stets damit, Vertreter einer jüdisch-christlichen Kultur zu sein. Was hat das Herrenmenschendenken mit dem Judentum oder dem Christentum zu tun? Welcher Gott welcher Religion erlaubt es, so zu verfahren? Wie kann man das Judentum in Geiselhaft nehmen, um anderen Menschen ihre Heimat zu rauben? Was hat es mit christlicher Nächstenliebe zu tun, dass man sich selbst Rechte gewährt, die man dem Rest der Welt nicht gewährt?

Das westliche Herrenmenschendenken ist in eine Sackgasse geraten, aus der es kein Entkommen gibt, ohne das Herrenmenschendenken aufzugeben. Das westliche Herrenmenschendilemma besteht heute darin, dass es inzwischen nicht nur der unterdrückten Völkern schadet, sondern auch selbstzerstörerisch wirkt. Und es gibt nur einen einzigen Ausweg aus dem Dilemma: Gerechtigkeit.

Die Westliche Welt hat einen technologischen Vorsprung, der gleichzeitig in einen enormen moralischen Rückstand geführt hat. Dabei könnte die Kombination von materiellen wie spirituellen Werten zu einer Vorbildfunktion werden. Das setzt aber voraus, dass das westliche Herrenmenschendenken durch ein Gedankegut der Gleichberechtigung ersetzt wird.

Kernland jenes moralischen Weltkonfliktes zwischen Arm und Reich, zwischen Westlicher Welt und der restlichen Welt, zwischen moralischen Werten und Gewaltherrschaft, zwischen Unterdrückern und Unterdrückten, zwischen Besatzern und Besetzten, ist Israel! In Israel haben einheimische Nichtjuden geringere Rechte als ausländische Juden. Israel besetzt seit über einem halben Jahrhundert fremdes Land und hat viele Kriege des letzten Jahrhunderts geführt. Die gesamte Westliche Welt unterstützt Israel finanziell und mit Waffen. Genau hier, in Jerusalem, im Haus des Friedens, wie die Stadt heißt, entscheidet sich, ob es eine Welt von gleichberechtigten Bürgern geben wird oder von Herrenmenschen und Untermenschen. Genau hier entscheidet sich, ob Juden, Christen und Muslime gleichberechtigte Bürger eines Staates sein können, hüben wie drüben, oder ob die einen über die anderen herrschen dürfen. Auf der letzten Antirassismuskonferenz wurde jener Kernkonflikt deutlich. Während die Westliche Welt gegen die Kritik an Israel protestiert hat, hat die überwiegende Mehrheit der Welt applaudiert! Und man löst das Dilemma nicht damit, indem man einfach allen Staaten, die applaudiert haben, verachtet, was wiederum den Herrenmenschengedanken entspräche.

Es ist die Westliche Welt selbst, die jenes Dilemma für sich lösen muss. Sie wird es aber nicht dadurch lösen, dass es auf gestellte kritische Fragen antwortet, dass man jene Frage nicht stellen dürfe. Auch das wäre wiederum der Gedanke der Inquisition bzw. des Herrenmenschen. Vielmehr bedarf es sachlicher und vernünftiger Antworten, die gemeinsam durch Menschen erarbeitet werden, denen mehr am Wohl der Menschheit und der eigenen Kinder liegen, als am eigenen Wohl. Und solchen Menschen Gehör zu schenken ist ebenfalls eine anzustrebende Entwicklung, welche die Westliche Welt in sich lösen muss; gemeinsam mit Juden, Christen und Muslimen!

Die Zeit der Vorherrschaft des Herrenmenschen ist vorbei. Die Zukunft gehört denjenigen, die in der Kooperation den Samen des Baumes zur Wir-Verwirklichung säen und sich dafür einsetzen, unabhängig davon, ob sie selbst die Früchte des Baumes noch miterleben oder die Früchte späteren Generationen hinterlassen werden.

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