Schuhe ausziehen

Lasst uns unsere Schuhe ausziehen - um den Hass zu überwinden

Dr. Yavuz Özoguz

 

Inhaltsverzeichnis

Ein Tsunami voller Hoffnung

Veröffentlicht am 30.12.2004 kurz nach dem verheerenden Tsunami in Südostasien.

Geschockt und überwältigt von einer Naturkatastrophe unglaublichen Ausmaßes verfolgen wir seit Tagen die Ereignisse über den Bildschirm, und sind nicht in der Lage, die Tragödie halbwegs zu fassen: 100.000 Menschen und wahrscheinlich noch viel mehr, ausgelöscht durch ein Ereignis, dessen Ursache nur wenige Sekunden gedauert hat. Ein Erdbeben so stark, wie wir es nicht kannten, löste eine Flutwelle aus mit einer Wucht, wie wir es nicht kannten, und ließ so viele Menschenleben enden. Millionen von Angehörigen haben ihre Nächsten verloren, und so viele Länder sind gleichzeitig betroffen. Selbst Deutschland rechnet mit 1000 eigenen toten Bürgern, die ihren Urlaub dort verbracht hatten. Zehntausende Verwandte allein in Deutschland haben unvorbereitet einen Schicksalsschlag erlitten. In der ganzen Welt sind Millionen und Abermillionen direkt oder indirekt betroffen! Und die Flutwelle traf alle; sie kennt keine Unterschiede, weder in der Hautfarbe, noch Herkunft, noch Religion - alle waren und sind betroffen!

Wo war die hoch entwickelte Technik der Satelliten, die jede Bewegung jedes einzelnen Soldaten im Irak aufzeichnen kann, als es um die Warnung von Millionen ging? Sie behaupten doch, die Zigarette im Mund eines Soldaten vom Himmel aus beobachten zu können. Warum haben sie eine Flutwelle solchen Ausmaßes übersehen?

Wo war die Wissenschaft, die den Menschen den Eindruck zu vermitteln versucht, als wenn alles zumindest halbwegs berechenbar wäre. Die haben doch erst vor wenigen Wochen lautstark verkündet, dass die Erdachse sich erst in zahntausenden von Jahren kaum messbar und ohne jegliche Auswirkung neigen würde, und jetzt hat ein einziges Erdbeben ihre ganze Rechnung über den Haufen geworfen und die Erdachse hat sich gleich um einige Zentimeter geneigt.

Wo sind die weltweiten Militärs, die innerhalb weniger Stunden ein ganzes Land ins Mittelalter bombardieren können, wenn es darum geht, Menschen zu schützen? Die verfügen doch über so viele Transportgerätschaften, dass sie Hunderttausende innerhalb von Stunden evakuieren könnten, warum können sie es jetzt nicht?

Wo ist die Spendenbereitschaft der reichen Staaten, wenn es um eine Katastrophe solchen Ausmaßes geht? Ja, Deutschland spendet immerhin 20 Mio. €. Das ist nicht einmal so viel, wie beim letzten deutschen U-Boot-Geschenk an Israel “gespendet“ wurde. Und viele noch reichere Länder haben viel weniger getan.

Und während die Nachrichtensender tagaus, tagein vom stündlich größeren Ausmaß der Katastrophe berichten, explodieren an vielen anderen Orten der Welt weiterhin Bomben, werden Länder weiterhin ausgeraubt, Menschen unterdrückt, Ressourcen geplündert, und es wird alles getan, um Gottes Licht auf Erden auszulöschen.

Aber ist die Katastrophe wirklich ohne Licht? Ist das Ereignis nicht doch möglicherweise voller Hoffnung, welche in den Medien nur noch nicht im gebührenden Maß herüberkommt?

Während die Spendebereitschaft der Staaten begrenzt ist, ist die Spendenbereitschaft der Bürger sehr groß! Innerhalb kürzester Zeit haben die Hilfsorganisationen ihre Spendenkonten bereit gestellt, und gutherzige Bürger haben das Zigfache von dem eingezahlt, was mehrere Staaten zusammen bereit stellen werden. Viele Bundesbürger wollen auf ihre Silvesterknaller verzichten, um zu helfen. Und in vielen ärmeren Ländern wird noch mehr gespendet! In der Region selbst ist eine kaum vorstellbare Welle an Hilfsbereitschaft der Bürger angelaufen, die selbst über wenig verfügen. Die Geretteten werden alle durch die Hilfe der einheimischen Bevölkerungen mit dem Lebensnotwendigen versorgt! Gegeneinander verfeindete Gruppen und Militärs haben einen Waffenstillstand verkündet, um in den betroffenen Gebieten helfen zu können. Und fast alle Hilfsmaßnahmen erfolgen unabhängig von Hautfarbe, Herkunft und Religion. Ist nicht allen das schon ein Hoffnungsschimmer?

Die gesamte Menschheit wurde auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen, dass die bisher uneingeschränkte Technikgläubigkeit und Wissenschaftshörigkeit nicht in der Lage ist, die Probleme der Menschheit zu lösen! Alle Welt hat innerhalb von nur wenigen Stunden miterlebt, dass selbst die gesamte Kriegsmaschinerie des so genannten mächtigsten Mannes der Welt hilflos und geradezu mickrig ist, im Vergleich zu der Macht und Kraft, die darüber bestimmt, wann die Zeit eines Menschen abgelaufen ist und wann ein kleines Baby wie ein Wunder auf einer Luftmatratze ohne herunterzufallen, überleben kann, wenn dessen Zeit noch nicht gekommen ist. Und alle Menschen haben erlebt, dass das Schicksal der Menschheit in der Hand einer Kraft und Macht ist, die alles Menschenbekannte bei weitem übersteigt!

Alle Menschen haben einmal mehr die Chance erhalten, intensiver als sonst über das Dasein nachzudenken! In einer Zeit ohne jegliche Würde und Respekt haben die Menschen einmal mehr die Gelegenheit erhalten, sich an diese Begriffe zu erinnern. Es ist erst ein Jahr her, als Zehntausende in der Stadt Bam nach einer Naturkatastrophe würdevoll bestattet wurden. Jetzt können die Menschen einmal mehr sehen, was Würde im Leben und im Sterben bedeutet, und wer wie mit seinen Verstorbenen umgeht.

Es war sicherlich nicht die letzte Naturkatastrophe, und es ist sicherlich nicht fern anzunehmen, dass die nächste Naturkatastrophe gar nicht lange auf sich warten lassen wird. Aber besteht nicht darin auch die Hoffnung der Religionen? Warten nicht alle Religionen auf den Erlöser, der sie von diesem Unheil befreien wird? Ja, die Juden warten immer noch auf ihren Messias, auch wenn viele das Gegenteil in ihrem Leben umsetzen. Auch die Christenheit wartet auf die Rückkehr Jesu, auch wenn viele Geistliche diese Erwartung schon lange nicht mehr vermitteln und viele Gläubige das vergessen haben. Und der Islam lehrt ebenfalls die erwartungsvolle Hoffnung auf das Erscheinen des Erlösers, auch wenn viele Muslime es nicht ernst genug nehmen. Sind nicht solche Ereignisse die große Chance, sich der eigenen Religion, des eigenen Glaubens zu besinnen, um gleichzeitig zu erkennen, dass die gemeinsamen Erwartungen ein Weg zur Einheit und Meilenstein auf dem Weg zum Frieden sein können?

So dramatisch die Auswirkungen dieser Naturkatastrophe auch sind, so groß ist die Hoffnung, die in ihr steckt. Die Flutwelle brachte nicht nur Tod und Zerstörung, sondern auch Leben und Neuaufbau. Sie brachte nicht nur Verzweiflung und Hilflosigkeit, sondern auch Hoffnung und Hilfsbereitschaft. Und nicht zuletzt brachte sie so viele gemeinsame Gebete in so vielen verschiedenen Sprachen aus so vielen Herzen und Mündern, wie selten zuvor; von Menschen, die gemeinsam beten, ohne es zu wissen! Ist nicht diese Einheit der Menschheit allein bereits ein großer Hoffnungsschimmer?

Diese Flutwelle war eine Flutwelle für die Seelen der Menschen. Die durch eine extreme materielle Unterwerfung verdunkelten Herzen können durch diese Flutwelle gereinigt werden. Die materiellen Schäden werden – so Gott will - in wenigen Jahren kaum noch zu erkennen sein. Die seelischen Schäden der Betroffenen können durch den aufrichtigen Einsatz der weniger Betroffenen überwunden oder zumindest gemildert werden.

Und die Menschheit hat einmal mehr die Gelegenheit erhalten, sich ihrer Schöpfung und ihres Schöpfers bewusst zu werden. Die Zeichen der Zeit werden jeden Tag deutlicher als je zuvor. Wer das erkennt, kann diese Flutwolle zur Reinigung nutzen, um sich auf die nächste Flutwelle noch besser vorzubereiten. Wer es verleugnet, wird nicht erst bei der nächsten Flutwelle gefährdet sein, denn seine Seele ist bereits jetzt am Ertrinken, selbst wenn er von der Flutwelle gar nicht betroffen ist.

Möge Gott, die Quelle aller Liebe und Hoffnung, unsere Herzen mit diesem Ereignis bereichern, so dass unsere Hoffnung auf eine Zeit wächst, in der Gerechtigkeit, Freiheit und Spiritualität auf Basis von Wahrhaftigkeit die Menschheit überschwemmen wird, und dass unsere Liebe zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit aus einem überquellenden Herzen die Menschen um uns herum erreichen kann.

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