Mahomet

Mahomet
Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire

Siehe: Mahomet der Prophet

Übersetzt von Johann Wolfgang von Goethe

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Zweiter Aufzug - Sechster Auftritt

Mahomet. Omar.

Omar

Zeige sie,
Wenn wir nicht fallen sollen. Deiner Feinde
Geheimnisse sind mir verkauft, es steht
Die Hälfte des Senates gegen dich. Sie haben
Dich heimlich angeklagt und dich verdammt,
Und des Gerichtes heil'ge Scheu verbirgt
Den Meuchelmord, auf den man sinnet. Morgen,
Gleich wenn der Stillstand endet, soll Sopir
Und seine blut'ge Rache triumphieren.

Mahomet

Ereilen soll sie meine Rache! Fühlen
Soll dieses widerspenst'ge Volk die Wut
Des Manns der zu verfolgen weiß. Sopir
Soll untergehn.

Omar

Wenn dieses starre Haupt
Zu deinen Füßen liegt, ist alles dein,
Die andern beugen sich; doch säume nicht!

Mahomet

Ich muß den Zorn in meiner Brust verhalten,
Die Hand verbergen, die den Streich vollbringt,
Von mir des Pöbels Auge klug hinweg
Nach einem andern lenken.

Omar

Achtest du
Den Pöbel?

Mahomet

Nein, doch muß er uns verehren.
Drum brauch' ich einen Arm, der mir gehorcht;
Die Frucht sei unser und er trag' die Schuld.

Omar

Der Arm ist schon gefunden! Niemand ist
Zu solcher Tat geschickter als Seide.

Mahomet

Du glaubst?

Omar

Er wohnt als Geisel bei Sopiren;
Er nahet sich ihm frei und findet leicht
Den Augenblick die Rache zu vollbringen,
Und sein beschränkter Sinn macht ihn geschickt.
Die andern, die sich deiner Gunst erfreun,
Sind eifrig, aber klug. Erfahrung lehrte
Sie deinen Vorteil und den eignen kennen;
Auf bloßen Glauben wagte keiner leicht
Die Schreckenstat, die ihn verderben kann.
Ein einfaches Gemüt bedarf's, das mutig blind
In seine Sklaverei verliebt sei. Nur
Die Jugend ist die Zeit der vollen Täuschung.
Seide hegt die Glut des Aberglaubens
In seinem Busen; anzufachen ist
Sie leicht.

Mahomet

Seiden wählst du?

Omar

Ja, den schlag' ich vor,
Des kühnen Feindes unbezähmten Sohn,
Der mit verbotnen Flammen dich verletzt.

Mahomet

Er sei verwünscht! Nenn' ihn vor mir nicht mehr!
Die Asche meines Sohnes ruft um Rache.
Gefahr häuft auf Gefahr sich jede Stunde,
Und Leidenschaften wüten in der Brust;
Mich ziehet eine holde Schönheit an,
Ihr Vater ist mein unversöhnter Feind.
Abgründe liegen um mich her, ich schreite
Hindurch nach einem Thron! und ein Altar,
Dem neuen Gott errichtet, soll sogleich
Von unerhörten Opfern gräßlich bluten.
Sopir muß untergehn, so auch sein Sohn!
Mein Vorteil will's, mein Haß und meine Liebe.
Sie reißen mich gewaltig mit sich hin.
Die Religion verlangt es die wir bringen,
Und die Notwendigkeit, sie fordert's mit Gewalt.

 

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