Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

Zum Inhaltsverzeichnis

2. Meine Studentenjahre

Alexander von Humboldt.

Von meinem ersten Besuche an war ich ein stets willkommener Gast in dem Hause Alexander von Humboldts, denn bis zu seinem Hinscheiden ward mir das beneidenswerte Glück zu teil, den großen Gelehrten in jeder Woche des öfteren sehen und sprechen zu können und durch seine guten Ratschläge und seine belehrenden Unterhaltungen einen reichen Gewinn davon zu tragen. Meine anfängliche Schüchternheit, dem Heros und Nestor der Wissenschaft gegenüber zu stehen, wich nach und nach einer mutigen, wenn auch ehrfurchtsvollen Stimmung und ich durfte mir erlauben, mein offenes und ehrliches Urteil über neu erschienene Werke und Arbeiten ägyptologischen Inhaltes auszusprechen.

Mit Aufmerksamkeit folgte der liebenswürdige Greis meinen Auseinandersetzungen und ein seines Lächeln umspielte seine Lippen, wenn die Gelegenheit sich darbot, daß eine gelehrte Persönlichkeit irgend eine wissenschaftliche Dummheit begangen hatte. Alles Unwissenschaftliche, Oberflächliche, Unkritische war ihm auf das äußerste zuwider und er konnte nicht genug scharfe Bitterkeiten erfinden, um ein gewisses Gelehrtentum zu kennzeichnen. Er verfolgte alle wissenschaftlichen und litterarischen Erscheinungen von einiger Bedeutung, nicht bloß Werke naturwissenschaftlichen Inhalts, las ganze Bücher und Abhandlungen, machte eigenhändige Noten dazu am Rande oder auf dem Umschlagdeckel, beantwortete die zahlreich eingehenden Briefe auf der Stelle, empfing um die Mittagszeit die angemeldeten Besuche, fuhr gegen 4 Uhr zur königlichen Tafel nach Sanssouci, Charlottenburg oder in Berlin, um an der Seite seines königlichen Freundes, des edlen und unglücklichen Königs Friedrich Wilhelm IV., die zugemessene Zeit in lebhaftester Unterhaltung allzu schnell fliehen zu sehen, und schließlich gegen 7 Uhr zurückzukehren und vor seinem kleinen Arbeitstische am Fenster bis gegen 3 Uhr morgens an seinem Kosmos zu schreiben. Er geizte mit seiner Zeit und bedauerte jeden verlorenen Augenblick. Empfänglich für die Eindrücke der Natur, deren Spuren er bis zu den fernsten Räumen des unermeßlichen Weltalls verfolgte, erschien ihm das Theater oder das Konzert als ein Vergnügen zweifelhafter Art. Er hielt sich fern davon und nur eine besondere Einladung des Hofes konnte ihn veranlassen, seinen Widerwillen aufzugeben und in der Königsloge zu erscheinen. Die darstellenden Künste der Bildhauerei und der Malerei schätzte er außerordentlich und hielt es für seine Pflicht, junge aufstrebende Künstler nach Kräften zu unterstützen und vor allem als beredter Mäcen sie dem Wohlwollen seines königlichen Herrn zu empfehlen. Nach dieser Richtung hin war er ein rettender Engel für alle, denen ein grausames Schicksal den Weg zur weiteren Entfaltung ihres Talentes auf allen Gebieten des Wissens und Könnens versagte, und ein paar Zeilen seiner Hand glichen einer Zauberformel, welche die verschlossensten Zugänge öffnete.

Nur mit der Geistlichkeit hatte er es gründlich verdorben. Während er über »die Schwarzen« sich seine eigene Meinung gebildet hatte, war er bei diesen als verstockter Atheist verrufen, der in seinem Kosmos nicht ein einziges Mal des Namens Gottes gedacht habe. Der große Naturforscher rächte sich dafür durch das Salz seines Witzes, das er stets an die richtige Stelle zu streuen verstand.

Nicht treffender konnte Alexander v. Humboldts eigenartiges Wesen geschildert werden als mit den folgenden Worten eines französischen Schriftstellers, welche die Beschreibung des fesselnden Reizes seiner Unterhaltung beschließen. »Hat man ihn gehört, wie er die Menschen und die Dinge vorüberziehen läßt, so muß man es sich sofort vergegenwärtigen, daß der berühmte und schalkhafte Gelehrte im Grunde genommen die edelste Natur war, die jemals gefunden werden könnte, der hochherzigste, uneigennützigste und erhabenste Charakter; daß sein Leben nur ein beständiges Opfer der Liebe für die Wissenschaft darstellte; daß in Berlin, wo er sich des vollsten Vertrauens seines Königs erfreute, dessen Kammerherr er war, ohne je etwas anderes sein zu wollen, er seinen Einfluß in edelster Weise zu Gunsten der Litteratur, der Wissenschaften und der Künste zur Geltung brachte, mit einem Worte sei es gesagt, daß er das Geheimnis besaß, nach allen Richtungen hin viel Gutes zu thun und allgemein geliebt zu werden, trotzdem er sich dabei über alle Welt lustig machte.«

Humboldt zeigte sich als bitterster Feind großsprecherischer Ignoranz und heuchlerischer Gesinnung, die im Trüben fischt und in unwürdiger Liebedienerei den Großen der Erde schmeichelt, um ihre egoistischen Zwecke, wenn auch auf langen Umwegen, zu erreichen. Wahrheit und Recht glänzten als sein Ehrenschild und das Ringen und Streben nach Vollkommenheit auf der Kampfesstätte des Wissens erhielt den damals Achtzigjährigen in jugendlicher Frische und Munterkeit. Sittenanmut und edle Anschauungen erschienen ihm als das erste Erfordernis eines Mannes von Ehre. Die kleinen Schwächen im menschlichen Wesen übersah er gern und betrachtete sie als vorübergehende Schatten über den hellen Spiegel eines durch Geist und Wissen bevorzugten Menschen.

Die Zeiten, in denen Humboldt die vier Bände seines Kosmos niederschrieb, um am Schlusse des letzten von der Welt Abschied zu nehmen, waren nicht dazu angethan, ihn mit frohen Hoffnungen für die Zukunft zu erfüllen. Menschen und Dinge lieferten ihm häufig den Stoff dazu, sich in bitteren und beißenden Bemerkungen zu ergehen und in Briefen und Worten seinen Freunden gegenüber sein beschwertes Herz auszuschütten, denn, wie er sich einmal äußerte, seinen wirklichen Freunden sei man allein die offene Wahrheit zu sagen schuldig. An dieser Äußerung ist von verschiedener Seite her gedreht und gedeutelt worden, aber sie hatte nur den einen Sinn, den er ihr unterlegte und zwar mit vollstem Rechte. Denn sie setzte selbstverständlich die diskrete Verschwiegenheit derer voraus, die er als seine aufrichtigen Freunde betrachten zu dürfen glaubte. Hätte er voraussehen können, daß seine intimsten Gespräche und Mitteilungen einst von unberufener Seite aus der Öffentlichkeit übergeben werden würden, und zwar unmittelbar nach seinem Hinscheiden, er würde sich wahrlich gehütet haben, auch nur einen Fuß über die Schwelle des Hauses Varnhagens von Ense zu setzen, der mit Wohlbehagen sämtliche Humboldtiana in sein Tagebuch einzeichnete und förmlich Register darüber hielt. Der greise Verfasser des Kosmos, den die Franzosen seines französischen Stiles und seiner geistigen Verwandtschaft halber als ihren Landsmann uns Deutschen streitig machten, hielt unsere kraftvolle reiche deutsche Muttersprache in höchsten Ehren, und alle seine Bemühungen bei der Ausarbeitung seines unsterblichen Werkes waren darauf gerichtet, in edelster Form und tadelloser Vollkommenheit des Ausdruckes seine Gedanken in Worte zu kleiden, leider, wie er es selber bezeugte, oft zu armen, um die einzelnen Teile des Naturgemäldes nach ihren Erscheinungsformen und Eindrücken mit der gewünschten sprachlichen Vollendung zu malen. Varnhagen von Ense, ein Mann von Geschmack in der Beherrschung des deutschen Sprachgeistes, wurde häufig als Ratgeber in schwierigen Fällen angerufen, um den entscheidenden Ausschlag in der Wahl eines Ausdruckes zu geben, gerade wie Professor Dr. Buschmann, damals Bibliothekar an der königl. Bibliothek, »mein Pedant«, wie Humboldt ihn nannte, die Aufgabe erfüllte, gegen ein Jahrgehalt die Revision der gedruckten Blätter des Kosmos zu übernehmen. Es war natürlich, daß langjährige freundschaftliche Beziehungen zu Varnhagen für Humboldt als ein Grund mehr erschienen, mit seinem gelegentlichen Unmut nicht hinter dem Berge zu halten und frei von der Leber zu erzählen, was nur von dem verschwiegenen Freunde allein gehört zu werden bestimmt war.

Ich will an einem einzigen Beispiele die Fälschung nachweisen, deren sich die unverschämte Herausgeberin der Varnhagenschen Tagebücher schuldig gemacht hat, als sie nach einer angeblichen Mitteilung Alexander von Humboldts dem Könige Friedrich Wilhelm IV. das geflügelte Wort »der Racker von Staat« in den Mund legte. Thatsächlich gehört die Erfindung dieser Äußerung einem Bauer an, der sie bei folgender Gelegenheit seinem Könige und Herrn mit offenster Freimütigkeit entgegenrief. Der Herrscher kehrte an einem Vormittage von einer Spazierfahrt nach seinen Gemächern in Sanssouci zurück, als bei der Einfahrt sich ein Bäuerlein mit einem in der Hand hochgehaltenen Bittgesuch in Briefgestalt entgegenstellte. Der König fragte nach seinem Begehr. Es handelte sich um die erbetene Aufhebung einer Verordnung, wonach eine Straße mitten durch das Feld des Bauern angelegt werden sollte. Als ihm alle Klagen und Schreibereien nichts halfen, wandte er sich an die allerhöchste Stelle. In gewohnter jovialer Weise erwiderte der König: »Ja, lieber Freund, da kann ich nichts machen, denn die ganze Sache geht den Staat an.« Verlegen kratzte sich der gute Mann ins Haar und seinem Munde entflogen die Worte: »Ja, Majestät, wenn dieser Racker von Staat nicht wäre!«

Unter hellem Lachen erzählte der König diese kleine Geschichte den gerade anwesenden Personen seines Hofes, unter denen sich Alexander von Humboldt befand, und wiederholte mehrmals »Nein, dieser Racker von Staat! Es ist zu köstlich!« Man begreift nach dieser Probe, in welcher Weise von der geldsüchtigen Herausgeberin der Tagebücher die natürlichsten Dinge von der Welt entstellt wurden, um einen kitzelnden Reiz auf den ferner stehenden Leser auszuüben.

Es würde mir mein Lebtag nicht einfallen, die zahlreichen, meist spaßhaften oder spöttischen Bemerkungen des großen Gelehrten, wie sie mir noch heute in lebhafter Erinnerung sind, dem Drucke zu übergeben, denn sie waren vom Augenblick eingegeben und in dem Vertrauen zu mir geäußert, daß ich sie eben für mich behielte, am allerwenigsten der Öffentlichkeit überlieferte. Die Zeitgeschichte würde dadurch nichts gewinnen und mir selber der gerechte Vorwurf erwachsen, zu den indiskreten Personen zu gehören.

Viel lehrreicher und unterhaltender war es für mich, aus dem beredten Munde des greisen Fürsten der Wissenschaft von dem Gange seiner eigenen Studien und seinen Beziehungen zu den großen Zeitgenossen während seines langen, an Erfahrungen und Arbeiten reichen Lebens zu hören. Er erinnerte sich z.B. mit Vergnügen der Zeit, in welcher er in seinen jungen Jahren die große Handelsschule in Frankfurt a. M. besuchte und statt der Beschäftigung mit den Finanzen seine erste Abhandlung »über die Basalte am Rhein« anno 1790 niedergeschrieben hatte. Sie habe ihm das Glück verschafft, ohne Examen zum Bergassessor ernannt zu werden. Später sei er in die Nähe von Berlin, das er früher gehaßt habe, versetzt worden, um in den Rüdersdorfer Kalkbergen, die er genau kenne, seine bergmännische Thätigkeit auszuüben. Er gehöre überhaupt zu den Menschen, denen das Glück hold gewesen sei, denn niemals habe er eine sonst vorgeschriebene Prüfung bestanden und sei dennoch von Stufe zu Stufe befördert worden.

Unsern großen Dichter Schiller, mit dem er einige Male in Berührung gekommen sei, schilderte er mir als eine einfache, schlichte und prosaische Erscheinung, die keinen besonderen Eindruck als geistreicher Mann auf ihn gemacht habe. Desto geistreicher sei dagegen Frau von Wolzogen gewesen. Schiller habe sich zu allem hergegeben. Einmal, so erinnere er sich, habe er in Rudolstadt die Zauberflöte ohne Musik aufführen lassen und dabei als Schauspieler mitgewirkt. Es habe einen lächerlichen Eindruck auf ihn gemacht.

Bis zum Tode des großen Gelehrten hin, der in seinem Hause in Berlin am 6. Mai 1859 erfolgte, war mir seine volle Gunst beschieden und Hunderte wertvoller Briefe an mich, von meinen Studentenjahren an bis zu meinem Dasein als Privatdozent an der Berliner Universität, bezeugen die Achtung und Freundschaft, deren ich mich seinerseits in steter Zunahme der Herzlichkeit der Ausdrücke zu erfreuen hatte. Er war der gute Genius, der wie ein sorgender Vater über mich wachte, meine Schritte leitete, mir das Wohlwollen des gütigen Königs sicherte, meine ersten Reisen nach Paris, Leyden, Turin und Ägypten durch seine Vermittelung an allerhöchster Stelle ermöglichte und durch die kräftigsten Empfehlungsbriefe meinen Eintritt in die Fremde erleichterte. Der Name Alexander v. Humboldt hatte die Wirkung eines Zauberstabes, denn er öffnete mir Thür und Thor, wohin ich auch meine Schritte richtete, und verschaffte mir die Ehre, noch als Student von den berühmtesten und höchststehenden Männern als einer ihresgleichen empfangen und behandelt zu werden. Ich fühlte es wohl, daß meine bescheidene Arbeit über die demotische Grammatik niemals und am allerwenigsten in so früher Jugend eine so ungewöhnliche Teilnahme auf mich gelenkt hätte, wenn nicht die Briefe des Unvergleichlichen mir die Bahn zu allem Schönen und Guten auf den Höhen der Menschheit geebnet hätten. Selbst im fernsten Auslande wurden mir von seiner Hand schriftliche Antworten und Nachrichten zu teil, die mich lobten und ermunterten und über die ägyptischen Ereignisse in der Heimat in Kenntnis setzten.

Meine erste Reise nach Paris, die ich als Studiosus und auf Kosten des Königs Friedrich Wil helm IV. antrat, gewährte mir die außerordentlichsten Eindrücke, wie sie die Weltstadt an der Seine noch heutigen Tages darbietet und die auf mich um so tiefer einwirken mußten, als ich niemals aus den vier Mauern meiner elterlichen Wohnung herausgetreten war, um in fremden Ländern und unter ausländischen Völkern einen länger dauernden Aufenthalt zu nehmen. Mir schlug das Herz, als ich das preußische Schwarz-Weiß auf den Grenzpfählen verschwinden sah, die Laute meiner deutschen Muttersprache nicht mehr hörte und ein französischer Sergeant de ville mit langem spitzen Knebelbart und dem schiefen Dreimaster auf dem Haupte nach meinem Passe-port verlangte. In den Restaurants an den Hauptstationen der Eisenbahn mit ihrem glänzenden, spiegelreichen Aufputz des Buffetts und der höflichen und gewandten Bedienung fiel mir der Gegensatz zwischen der französischen Eleganz und der deutschen Derbheit zum erstenmale in die Augen, aber dennoch suchte ich vergeblich nach einem deutschen belegten Butterbrote, um meinen bellenden Magen zu beschwichtigen. Nicht einmal den Ausdruck dafür bot mir mein Wörterbuch im Kopfe von den Zeiten meines französischen Gymnasialunterrichts her. Die guten Leute, welche zu mir in die dritte Wagenklasse einstiegen und deren Anzüge mir das Fremde nach einer anderen Richtung hin verrieten, redeten eine mir überhaupt unverständliche Zunge; von zehn Wörtern verstand ich nur eines, und ich bin überzeugt, auch dies war von mir falsch verstanden. Der und jener wandte sich mit irgend einer Bemerkung an mich und meine beständige Erwiderung ertönte als ein langgezogenes Oui! Ich war in Verzweiflung und malte mir mit allen Schrecken der Einbildung meinen Einzug in Paris und meine Vorstellung bei den berühmten Gelehrten des Instituts aus.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de