3. Meine Reise nach Ägypten
Baron von Pentz.
Der alte Baron von Pentz hatte zu seiner Zeit, wie gesagt,
einen schweren Stand, um Preußens Ehre und Ruhm nach seiner
kräftigen Art zu verteidigen und zu schützen, besonders dem
harten Abbas gegenüber, der in der Person des Baron das
verkörperte Preußentum erkennen zu müssen glaubte. Er hegte
einen gründlichen Haß gegen ihn und liebte es, spitze
Redensarten fallen zu lassen, die von der anderen Seite her
nicht unerwidert blieben. Ich erinnere mich in dieser
Beziehung eines Vorfalles, als sei er erst gestern geschehen,
bei dem ich selber eine unglaublich klägliche Rolle gespielt
haben muß, da es sich um meine eigene Vorstellung bei Abbas I.
handelte.
Ich schicke voraus, daß der damalige Vizekönig fast niemals
länger als ein paar Tage in demselben Palaste zu weilen
pflegte, sondern jahraus jahrein planlos von einer Stelle zur
andern wanderte, um sein bärtiges Haupt zur nächtlichen Ruhe
niederzulegen. Er hatte eine Art von Reisefieber, wie man
behauptete lediglich aus Furcht, durch Mörderhand ums Leben zu
kommen. Thatsächlich war dies in dem Nilschlosse bei Benha der
Fall; zwei seiner Leibmameluken überfielen ihn dort und
erdrosselten ihn mit Hilfe einer umgelegten Schlinge. Da
niemand eine Ahnung davon besaß, an welchem Platze er
vielleicht schon in der nächsten Stunde weilen würde, so war
sein Reisen eigentlich eine Art täglicher Flucht, über deren
Richtung keiner eine genaue Auskunft zu geben vermochte. Für
die Generalkonsulate, die geschäftlich mit dem Vizekönig zu
verkehren hatten, blieb es stets eine schwere Aufgabe, sich
über sein augenblickliches Quartier zu vergewissern, und es
bedurfte aller Umsicht der eingeborenen konsularischen
Dolmetscher, um eine nur einigermaßen zuverlässige Angabe zu
erhalten. Ost mußte List gegen List gebraucht werden, wie sie
thatsächlich der alte Baron bei einer gebotenen Gelegenheit
mit vollem Erfolge in Anwendung brachte. Abbas hatte sich nach
seinem kleinen Schlosse von Meks, am wüsten Meeresufer in der
Nähe von Alexandrien, auf unbestimmte Zeit zurückgezogen.
Plötzlich fuhr ein schwerer Wagen vor das Portal, dessen
Insasse der preußische Vertreter war. »Wir bedauern Ew.
Excellenz melden zu müssen, daß Seine Hoheit bereits das
Schloß verlassen hat,« lispelte ein anwesender Beamter am
vizeköniglichen Hofe. – »Schadet nichts«, versetzte Herr von
Pentz, »ich habe mich darauf eingerichtet, mindestens eine
ganze Woche an dieser angenehmen Stelle zu bleiben. Habe meine
Betten einpacken lassen, auch für ausreichenden Proviant Sorge
getragen, – dabei wies er auf Kisten und Kasten in und am
Wagen, – und mir vorgenommen, durch Lektüre von Büchern die
Zeit zu vertreiben.« Der also förmlich belagerte Abbas I. sah
sich schließlich genötigt, gute Miene zum bösen Spiel zu
machen und der Baron erhielt den gewünschten Empfang.
Ich war kaum vierzehn Tage in Kairo und im Hause des
Generalkonsuls anwesend, als dieser eines Morgens unter
Frohlocken in mein Zimmer mit den Worten trat: »Ich habe ihn
glücklich abgefangen, er haust heute in der Abbasijeh. Sie
kommen mit, denn ich habe die Absicht Sie vorzustellen.« In
einer gemieteten Kutsche aus der Rokokozeit fuhren wir zum
Thore hinaus nach der Wüste, in der Richtung von Heliopolis,
wo sich der Vizekönig ein geschmackloses vielsenstriges Schloß
mit hellblauem Anstrich hatte aufführen lassen, das rings
herum von einer mächtigen hohen Mauer umgeben war. Es wurde
nach seinem Namen Abbasijeh getauft, später in eine Kaserne
umgewandelt und besteht noch heute als eine baufällige Ruine,
in deren Nähe sich nach der sogenannten Schlacht von Tell
el-Kebir und nach einem mit erstaunlicher Schnelligkeit
zurückgelegten Marsche die indischen Reiter der englischen
Armee aufgestellt hatten, um von den demütig sich verneigenden
Schechs von Kairo als Retter aus den Krallen Arabi Paschas
begrüßt zu werden.
Wir wurden vom Vizekönig empfangen, der mit seinem
umfangreichen Leibe die linke Ecke eines langen Divans an der
Fensterseite einnahm. Er trug die damals übliche arabische
Tracht und sein schwarzbärtiges Vollgesicht glänzte nichts
weniger als freundlich bei unserem Eintritt. In gebückter
Stellung, die Hände als Zeichen unterwürfiger Gehorsamkeit
über einander gelegt, stand ein junger Armenier Namens Nubar
Effendi in seiner Eigenschaft als Hofdragoman in angemessener
Entfernung von dem Allmächtigen und Gefürchteten, derselbe
Nubar, der später als Ministerpräsident einen so
hervorragenden Platz in der neuesten Geschichte der
ägyptischen Vizekönige einnehmen sollte und es nicht ungern
hörte, mit unserm Fürsten Bismarck verglichen zu werden. Abbas
I. war keiner europäischen Sprache kundig und liebte es, die
Unterhaltung auf türkisch zu führen, während Nubar die Aufgabe
hatte, das türkisch Gesprochene in das Französische oder
umgekehrt das Französische in das Türkische zu übertragen.
Wie schwer es ist, eine solche Aufgabe gewissenhaft zu
erfüllen, das kann ich selber auf Grund meiner eigenen
Erfahrungen als Dragoman im Dienste von Kaiser und Reich
bestätigen, als mir die Ehre zu teil ward, während meines
Aufenthaltes in Persien unserem Gesandten als Dolmetscher in
seinen Unterhaltungen mit dem Schah der iranischen Königreiche
zu dienen. Neben der Ruhe und Besonnenheit bedarf es der
schnellsten Auffassung und des gewandten richtigen Ausdruckes,
um jede Mitteilung sofort aus der einen Sprache in die andere
mit aller Schärfe zu übertragen, jedes Mißverständnis zu
vermeiden, nichts Eigenes hineinzulegen und nebenbei die
Höflichkeitsformeln in den Anreden und Wendungen ohne
Ülbertreibung dem orientalischen Geschmacke anzupassen. Ich
kann versichern, daß eine halbstündige Unterredung meine
Kräfte jedesmal auf das Äußerste angespannt hatte, so daß ich
nach der Rückkehr in meine Wohnung mich auf mein Bett werfen
mußte, um mich nur einigermaßen von der ausgestandenen Arbeit
zu erholen. Selbst die sprachkundigsten, gewandtesten und
geübtesten Dolmetscher sind nicht im stande, über eine halbe
Stunde hinaus das Maß ihrer Kräfte zu erproben. Sie tragen
dabei zum Schlusse ihre eigene Haut zu Markte, denn die Last
aller Verantwortlichkeit für Rede und Gegenrede ruht auf ihren
Schultern.
Doch um auf meine Erzählung zurückzukommen, so muß ich
erwähnen, daß sich infolge eines Zwischenfalles Nubar Effendi
in einer der schwierigsten Lagen befand. Kaum war ich dem
Vizekönig vorgestellt worden, so trat nuangemeldet der
englische Generalkonsul Murray, historisch bekannter als der
Urheber des persisch englischen Krieges, in das Audienzzimmer,
um von dem Vizekönig in auffallend liebenswürdiger Weise
bewillkommnet und eingeladen zu werden, an der Unterhaltung
teilzunehmen. Herr Murray besaß außerdem den Vorzug der
Kenntnis des Türkischen, so daß wir übrigens von dem Inhalt
der geführten Zwischengespräche in vollster Unkenntnis
blieben.
Ich sah, wie sich die Wangen des Barons röteten, ein
bedenkliches Zeichen von böser Vorbedeutung bei ihm. Er
verlangte mit fester Stimme, daß sich Herr Murray zu entfernen
habe, da er zuerst gekommen, offiziell angemeldet und
empfangen sei. Auf die ablehnende Antwort des Vizekönigs
entspann sich ein kaum glaublicher Wortkrieg, in welchem von
Seiten des Vizekönigs Preußen und seine Barone ziemlich
schlecht wegkamen. Den letzteren Trumpf spielte der aufs
höchste gereizte Baron mit dem bedenklichen Zuruf aus: »Jetzt
wissen Sie, was Preußen und ein Baron bedeutet. Ihnen aber
will ich sagen, was Sie sind: Der Nachkomme eines
mazedonischen Tabakshändlers!«
Bleich und zitternd stand Nubar da, Murray lächelte in
sonderbarer Weise, Abbas schleuderte die Pfeife von sich, daß
ein Funkenmeer über den kostbaren Teppich auf den Boden
flutete, sprang wie von der Tarantel gestochen von seinem
Sitze auf und verschwand schleunigst durch eine geöffnete Thür
aus dem Saale. Das war eine seltsame Audienz, wie ich sie
niemals mehr erleben möchte, aber ganz im Stile jener Zeit, in
welcher die seine türkische Artigkeit noch nicht ihre
gewinnenden Formen von heute im diplomatischen Verkehr
gewonnen hatte.
»Dem habe ich es einmal ordentlich gesagt«, schnaufte mein
hochverehrter Gastfreund, als er die letzte Treppenstufe
hinter sich hatte, »aber es war notwendig, ihm diese Lektion
in Gegenwart des englischen Kollegen zu erteilen.«
So viel ich mich erinnere, wurde einige Monate später Nubar
Effendi in Mission nach Berlin gesandt und bald darauf Baron
von Pentz von seinem Posten abberufen. Er nahm seinen
Abschied, siedelte nach Brandis, einem Rittergute in der Nähe
von Leipzig, über, wurde als Sohn von der Besitzerin
desselben, einer achtzigjährigen Tante, adoptiert und starb
bald darauf, nachdem er einen Familienprozeß verloren hatte,
der, wie ich glaube, sich über 100 Jahre in die Länge gezogen
und ihm sein ganzes Vermögen gekostet hatte. Er war ein durch
und durch ehrenwerter Charakter, ein Original, wenn man will,
aber im besten Sinne des Wortes, mit dem ich niemals in Streit
geraten bin, einmal weil es sich für mich, den jungen
gastfreundschaftlich aufgenommenen Mann, nicht schickte,
hauptsächlich aber darum, weil ich wußte, daß die höchsten
Tugenden des Menschen, Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit,
seine angeborenen Eigenschaften waren.
Auf seinen Adel bildete er sich nichts besonderes ein,
dennoch aber bedauerte er mir gegenüber eines Tages ganz
offen, daß wir uns leider nach unserem Tode nicht wiedersehen
würden, da auch im Himmel der Unterschied zwischen Adligen und
Bürgerlichen fortbestehen würde, weil für jene ein schönerer
Aufenthalt als für diese nach Gottes unerforschlichem Willen
reserviert sei.
Ich lachte hell auf und fragte nach den Beweisen seiner
Behauptung. Er setzte mir daraufhin es auseinander, daß schon
in der Bibel sich eine Andeutung des großen Unterschiedes
zwischen edlem und bürgerlichem Blute vorfände. Es stehe
nämlich geschrieben (1. Buch Mos. 6, 1 fl.), daß nach der
Vermehrung der Menschen auf Erden die Kinder Gottes nach den
Töchtern der Menschen sahen, wie sie schön waren und zu
Weibern nahmen, welche sie wollten. Das sei doch das älteste
Beispiel einer wirklichen Mesalliance zwischen dem Adel und
den Bürgerlichen und niemand in der Welt sei im stande, seine
Auslegung zu bestreiten, weil sie nur in diesem Sinne das
allein richtige Verständnis erhalte. Ich möge spotten, wie ich
wolle, er sei der Überzeugung, daß selbst das Blut des
Adligen, wenn unvermischt, sich von dem des Bürgerlichen durch
größere Reinheit ganz wesentlich auszeichne. Es sei das die
Bläue, von der so häufig die Rede sei. »Aber darum«, fügte er
hinzu, »bleiben wir immer die besten Freunde. Auch mir sind
die Töchter der Menschen, wenn sie jung, hübsch und gescheit
sind, eine angenehme Erscheinung und für den Anblick eines
heiteren und lustigen Mägdelein überlasse ich Ihnen hundert
Ramsesbilder, ein jedes von 4000 jährigem Alter.«
Seelensvergnügt rieb er sich dabei die Hände, als habe er
einen großen wissenschaftlichen Sieg über mich davon getragen.
Gott hab' ihn selig meinen lieben dahingeschiedenen Gönner,
der sich durch seine thatkräftige Unterstützung meiner ersten
Studien in Ägypten ein Denkmal dauernder Dankbarkeit in meinem
Herzen gesetzt hat.