4. Kampf um das Dasein
Die Heimkehr des reichen Mannes.
Die Pfirsichbäume standen in Ägypten in schönster Blüte und
der Rosenflor erfüllte die Luft mit seinem Dufte, als ich
gegen Ende des Monats Februar meine Rückkehr nach der Heimat
beschloß. Von meinem Schatze, in dessen Besitz ich durch die
ganz unerwartete Freigebigkeit eines orientalischen Fürsten
gekommen war, hatte ich nur wenig angegriffen, und ich
überlegte im stillen, in welcher Weise ich ihn nutzbringend am
besten verwerten könnte. Ich dachte sogar daran, mir ein Haus
in Berlin zu kaufen, um selber einmal den Wirt zu spielen und
mir ein festes Heim zu schaffen. Die Reisen wollte ich an den
Nagel hängen und in meinen vier Pfählen einzig und allein
meiner Wissenschaft und meiner Familie leben. Doch der Mensch
denkt und Gott lenkt, wie es der Leser getreulich später
erfahren soll, denn ich kaufte zwar ein Haus, aber mein
kleines Vermögen, das an dem Hause haftete, verlor ich bis zum
letzten Heller während meines dritten Aufenthaltes in Ägypten.
Auch meinen morgenländischen Gönner, Sajid Pascha, sah ich
zu meinem höchsten Bedauern dem Verfall seiner Finanzen
entgegeneilen. Als er am Anfang des Jahres 1863 das Zeitliche
segnete, hinterließ er dem Lande eine Schuldenlast von 600
Millionen Mark, nachdem er es schuldenfrei nach dem Tode
seines Vorgängers, des grausamen, aber sparsamen Abbas I.
übernommen hatte. Er hatte am Schlusse seiner Regierung viele
Enttäuschungen erleben müssen, als seine Lage sich von Tage zu
Tage bedenklicher gestaltete, und nicht die letzte war es, daß
die silbernen Knöpfe an den Uniformen seiner Soldaten und die
diamantenen Abzeichen seiner Offiziere, die auf seinen Befehl
in Gold umgesetzt werden sollten, sich als völlig wertlos
erwiesen. Die Knöpfe entpuppten sich bei näherer Prüfung als
versilbertes Messing, das ein französischer Fabrikant an
Stelle echten Silbers geliefert hatte, und die Diamanten waren
von ihren Trägern in Glas umgewandelt worden, nachdem sie die
echten Steine gegen hohe Preise verkauft hatten. Selbst die
kostbaren Stoffe, meist Stickereien auf Seide, die den
Kriegern und Pferden zum Schmucke dienten, wurden hergenommen,
um in bare Münze umgesetzt zu werden, aber niemand zahlte
angemessene Preise, da die vorhandene Masse ihren Wert von
vornherein herunterdrückte. Der Ruin war einmal da und
Anleihen, es waren die ersten ägyptischen, die auf den Markt
kamen, mußten aufgenommen werden, um die großen Löcher
zustopfen zu helfen.
Die letzten Nachrichten aus der Heimat waren nicht dazu
angethan, mich trotz meines eingebildeten Reichtums fröhlich
zu stimmen. König Fried rich Wilhelm IV. litt unter den Folgen
einer heimtückischen Krankheit, die sich allmählich bei ihm
entwickelt hatte und von der ich zu meinem Schrecken durch
eine Mitteilung A. von Humboldts die erste Kunde erhielt. Sie
waren an einen konsularischen Freund gerichtet, dem der greise
Gelehrte die folgenden Worte geschrieben hatte:
»Ich verdanke Ihrer zuvorkommenden Güte angenehme
Nachrichten von der Abreise unseres teuren gemeinschaftlichen
Freundes Dr. Br. nach Oberägypten, so wie einen überaus
liebenswürdigen geistreichen Brief des Pascha Mahommed Said.
Dieser Fürst weiß seine Sekretäre gut auszusuchen. In keiner
europäischen Kanzlei weiß man seiner und geschmackvoller zu
loben. Den Brief des Pascha habe ich teilweise dem Monarchen
vorlesen können. Es ist derselbe Seiner Majestät um so
angenehmer gewesen, als der König, aus großer Vorliebe für
Br., auch während des ernsteren Stadiums der Krankheit, mich
oft über ihn befragt hatte. Ich darf diesen Ausdruck meines
Dankes nicht schließen, ohne Ew. Wohlgeb. die fröhliche
Nachricht der auffallend fortschreitenden, wenngleich
langsamen Genesung des Königs, die wir seit der Übersiedlung
nach Charlottenburg, genauer seit 10 bis 12 Tagen (im
Physischen und auch im Gemütlichen, die Deutlichkeit der Rede
betreffend) verspüren. Schonung von allen Geschäften wird aber
gewiß noch 6–8 Monate lang notwendig bleiben.«
Meine im Anfang des Monats März 1858 erfolgte Rückkehr nach
Berlin hatte mich mit einem neuen Schreck erfüllt. In aller
Frühe des Morgens erwartete mich mein Vater auf dem
Schlesischen Bahnhofe, aber wie schnürte es mir das Herz
zusammen, als ich an Stelle des kräftigen schönen Mannes, wie
ich ihn wenige Monate vorher verlassen hatte, eine kranke,
elende Gestalt vor mir sah. die mich mit thränendem Auge
begrüßte. Auf meine hastige Frage, was vorgefallen sei, gab er
nur die eine Antwort: »Mein Sohn, entsetze Dich nicht! Dir
darf ich es sagen, daß ich nach drei Monaten diese Welt
verlassen muß.« Er hat leider allzu pünktlich Wort gehalten,
denn genau drei Monate nach meiner Heimkehr drückte ich ihm
die müden Augen zu. Er starb ein Opfer seines militärischen
Berufes, den er, ohne jede Schonung seines leidenden
Zustandes, fast bis zum letzten Atemzuge in getreuester
Pflichterfüllung ausübte. Meine eigene Familie bestand damals
außer meiner Frau aus drei Kindern: zwei Söhnen und einer
Tochter; durch den Tod meines Vaters fiel mir die Sorge für
die Erhaltung meiner verwitweten Mutter und meines um 15 Jahre
jüngeren Bruders zu, des einzigen, den ich besaß und der
heute, mit dem Range eines Bey bekleidet, eine ehrenvolle
Stellung als Konservator am vizeköniglichen Museum in Giseh
bekleidet.
Tiefe Bekümmernisse erfüllten mein Inneres, besonders bei
dem Gedanken an die nächste Zukunft und an die Pflichten, die
das Schicksal mir, dem jungen Ernährer einer sechsköpfigen
Familie, auferlegt hatte. Sie zu betäuben, nahm ich zu dem
besten Mittel meine Zuflucht, indem ich mich der Fortsetzung
meiner ägyptischen Arbeiten überließ und in den täglichen
Funden und Entdeckungen mit Hilfe des von mir auf meinen
beiden Reisen in Ägypten gesammelten Materials die wahre
Freude meines Daseins empfand. Mein Umgang beschränkte sich
auf wenige gleichgesinnte Altersgenossen, die den
verschiedensten Berufen angehörten und sich nach vollbrachter
Tagesarbeit regelmäßig einmal in der Woche zu einem munteren
Abendkränzchen vereinigten. Floß auch in den Adern der meisten
kein Berliner Blut, so gelangte dennoch der Berliner Witz zur
vollsten Geltung. Da nicht bloß »studierte Leute«, sondern
auch Künstler, namentlich Afinger, Blaeser, Hildebrandt,
Meyerheim u.a., und nicht zu vergessen der damalige
Sodawassererzeuger Marsch zu unserem Kreise gehörten, so
durfte er sich mit Recht einer gewissen Vielseitigkeit rühmen,
der es niemals an Stoff zu fesselnden oder munteren
Unterhaltungen gebrach.
Außerhalb dieses abgeschlossenen Zirkels waren es besonders
drei Persönlichkeiten, mit denen das Schicksal mich in
Berührung brachte und von denen die beiden ersten eine
fühlbare Wirkung auf mein späteres Schicksal ausübten. Ihre
Namen: Fürst Pückler-Muskau, Baron Jul. von Minutoli und
Lassalle habe ich nur anzuführen, um meine Zeit genossen an
die Bedeutung eines jeden einzelnen zu erinnern.
Der Fürst gehörte zu den bekanntesten Persönlichkeiten am
Hofe und in der vornehmen Berliner Gesellschaft, in der er
sich trotz seiner 73 Jahre mit beinahe jugendlicher Leichtig
keit bewegte und eine unwiderstehliche Anziehung ausübte. Sein
ganzes Wesen bis zum Ausdruck der Sprache hin ließ den
hochgebildeten Weltmann erraten, der Länder und Völker gesehen
und mit den Großen dieser Erde in vielfache Berührung gekommen
sein mußte. Und so war es in der That, denn seine Reise in
Ägypten und im Sudan zur Zeit des Vizekönigs Mehemmed Ali und
seine Wanderungen in Vorderasien, um nur an seine exotischen
Pilgerfahrten zu erinnern, verschafften ihm einen weit über
die Grenzen des Vaterlandes verbreiteten Ruf, nachdem er in
seinem fünfbändigen Werke:»Semilasso in Afrika« und in
ähnlichen Veröffentlichungen in der Mitte der dreißiger Jahre
sich als hervorragender Schriftsteller offenbart hatte. Die
Angriffe, welche die formgewandte Feder Fallmerayers in der
ersten Hälfte der vierziger Jahre gegen »Semilasso« und »den
Verstorbenen« richtete, berührten niemals den litterarischen
Wert der Schriften des, Fürsten; sie verurteilten nur seine
darin ausgesprochenen Ansichten über Mehemmed Ali und das
ägyptische Fellachentum, sowie seine Vorschläge, deutsche
Kolonien nach dem Nilthale zu senden. In letzterer Beziehung
stand der Fürst nicht allein da. Noch im Jahre 1868 war es
einem deutschen Schriftsteller, Hans Wachenhusen, vorbehalten,
den Vizekönig Ismael und seinen Minister Nubar für denselben
Vorschlag zu erwärmen, freilich ohne Erfolg, nachdem eine
Hauptbedingung dafür sich als unerfüllbar herausgestellt
hatte.
Der »alte Fürst«, wie er in Berlin genannt wurde, war eine
heitere, lebensfrohe Natur, die sich selbst durch die
natürlichen Einwirkungen des zunehmenden Alters nicht beirren
ließ. Berühmt durch seine erfolgreiche Thätigkeit auf dem
Gebiete der Gartenkunst, hatte er doch seine öde
Standesherrschaft Muskau in der Lausitz in einen herrlichen
Park umgewandelt, und allbekannt durch seine Küche und seinen
Feingeschmack, verlebte der Fürst die Wintermonate in Berlin,
die er regelmäßig im ersten Stockwerk des damals bestehenden
Hotels de Russie (hinter dem Kommandanturgebäude, in der Nähe
der Schloßbrücke) zu verbringen pflegte. Für den Sommer liebte
er es, seinen Aufenthalt im Schlosse Branitz bei Kottbus zu
nehmen, nachdem er Muskau an den Prinzen Friedrich der
Niederlande verkauft hatte. Schon am Anfang des Jahres 1857
war ich dem Fürsten durch ein Schreiben Alexander v. Humboldts
empfohlen worden. Der betreffende Brief, von dessen Inhalt ich
keine Kenntnis besaß, ist mir ganz vor kurzem und zu meiner
eigenen Überraschung durch seinen gegenwärtigen Besitzer,
Herrn Dr. Karpeles, abschriftlich mitgeteilt worden. Die auf
mich bezügliche Stelle in demselben: »Angenehm von Sitten, in
Frankreich und England geachtet, besitzt er ein seltenes
Talent »Deutsch« zu schreiben. Ihnen, Meister in dieser Kunst,
darf er von dieser Seite empfohlen werden,« lehrt aufs neue,
wie ein A. v. Humboldt zu loben verstand.
Nachdem ich die Ehre gehabt hatte, ihm vorgestellt worden
zu sein, erwachte seinerseits eine Zuneigung für meine Person,
die vielleicht mit unserer gemeinschaftlichen Sehnsucht nach
dem gelobten Lande Ägypten in Zusammenhang stand. Ich hatte
das Glück, sein ständiger Hausfreund zu sein, seine Besuche in
meinem bescheidenen Heim zu empfangen und an seinen Ausfahrten
teilzunehmen, bei denen er selber die Pferde mit sicherer Hand
zu führen pflegte. Seine Mittagsmahle im Hotel bestanden
regelmäßig aus einer Auswahl erlesenster Gerichte, wozu die
Besitzung Branitz das Geflügel, die Eier und die Butter
lieferte, und niemals ließ er sich es nehmen, die Salate von
anderen Händen bereiten zu lassen. Er führte dies Kunststück
selber aus und jedesmal, wenn ich auf einer Speisenkarte in
Berlin oder im Auslande »Salate du Prince Pueckler« las, ward
ich im Geiste nach dem Hotel de Russie versetzt.
Dem ehemaligen Reisenden im Orient war es angenehm, von
seinen Erinnerungen an Mehemmed Ali zu reden und sich seiner
Erfindungen während seiner Wanderungen zu rühmen. Dazu gehören
die sinnreiche Zusammenstellung eines kleinen Kochapparates
für flüssige und feste Speisen, den man thatsächlich bequem in
die Tasche stecken konnte und der allen Anforderungen genügte.
Eine zweite Erfindung bestand in einer Vorrichtung, um bei
einem Aufenthalte in der Wüste während der Nacht Löwen und –
Mücken von sich abzuwehren. Zu Nutz und Frommen aller
Afrikareisenden will ich das Geheimnis verraten. Es besteht
aus einem einfachen Sacke aus weißem Kattun, in den der
Reisende hineinkriecht. Er endet nach dem Kopfe zu in eine Art
von Haube aus Gazestoff, die am Scheitel durch eine Schnur
verschließbar ist. Man befestigt sie an einem in einen Baum
oder in die hölzernen Zeltstangen eingetriebenen Nagel. Den
Löwen verscheucht das Unheimliche des Anblickes, – man denke,
ein weißer Sack, der sich stellenweise bewegt, – und der
Mückenstachel ist unvermögend, durch den Stoff hindurch den
lebendigen Inhalt zu erreichen.
Die Gesellschaft beim Fürsten war stets auch in geistiger
Beziehung eine auserlesene und die Gegenstände der
Unterhaltung blieben allem Gewöhnlichen oder Unbedeutenden
fern. Das Salz der historischen Anekdote würzte sie und gab
ihr häufig einen pikanten Beigeschmack.
Nicht selten ereignete es sich, daß mein Pate, Fürst
Heinrich von Carolath, und sein Freund, der Dichter Geibel,
außer ihnen der bissig aufgeregte Zwerg meines Paten, sich im
Hotel zusammenfanden, um eine Partie Whist miteinander zu
spielen, wobei Gespräche über Tagesfragen die Pausen
auszufüllen pflegten. Vor allem war es der verschlimmerte
Gesundheitszustand unseres Königs, der den Stoff dazu lieferte
und Befürchtungen hervorrief, die man so gern als unnötig
bezeichnet hätte. Am 7. Oktober 1858 war Prinz Wilhelm von
Preußen zum Regenten ernannt und damit eine neue Ära der
Geschicke unseres Vaterlandes eingeleitet worden.
Mir selber wurde es klar, daß für mich selber eine neue
Zeit hereingebrochen war und daß ich alles aufzubieten hatte,
um auf eigenen Füßen stehen zu lernen. Auch die Tage A. von
Humboldts waren bereits gezählt. Wennschon der angehende
Neunziger seine alte Schaffenskraft sich erhielt und bis in
die späte Nacht hinein an der Vollendung seines Kosmos
arbeitete, so hatte sein vorgerücktes Alter, aber in gleichem
Maße die Leiden des königlichen Dulders auf Körper und Geist
des Urgreises ihre störenden Wirkungen ausgeübt. Dazu kam, daß
liebgewordene Gewohnheiten, die ihn täglich in die Nähe und
die Gesellschaft seines königlichen Freundes an den Hof in
Berlin, Sanssouci oder Charlottenburg geführt hatten, mit
einem Schlage abgebrochen waren, so daß seine früheren
Einflüsse ihre segensreichen Erfolge verloren. Es ist wahr,
daß der berühmte Gelehrte und Nestor der Wissenschaft von dem
Prinzen von Preußen und von seiner erlauchten Gemahlin, der
späteren Kaiserin Augusta, durch Auszeichnungen und
Aufmerksamkeiten voller Zartgefühl geehrt wurde, aber es wurde
ihm schwer, sich in die neuen Verhältnisse zu schicken und
warmen Anteil an Ereignissen zu nehmen, die früher seinen
Geist so lebhaft beschäftigt hatten. Seine Widersacher, und er
halte deren in schwerer Menge, triumphierten freilich über das
Erbleichen und Versinken des leuchtenden Sternes, sie
entblödeten sich nicht, gelegentlich von »dem bekannten
Touristen Humboldt« zu sprechen und seine hohen
wissenschaftlichen Verdienste in den Hintergrund zu drängen,
aber sie vergaßen, daß vor dem Ruhme seines Namens und seiner
Arbeiten die ganze Welt sich verehrungsvoll beugte.
Dankbar muß ich es bekennen, daß Fürst Pückler aus freiem
Antriebe sich bewogen fühlte, mich von diesen Zeitläuften an
unter seinen persönlichen Schutz zu stellen. Ihm allein
schuldete ich die Auszeichnung, im Jahre 1863 zum Konsul
Preußens in Kairo ernannt zu werden, wie es der Leser später
ausführlicher erfahren soll.
Die zweite Persönlichkeit, mit der ich im Jahre 1858 in
nähere Berührung trat, war Dr. Ferd. Lassalle, dessen Namen
ich nur zu nennen brauche. um eine der merkwürdigsten
Persönlichkeiten in das Gedächtnis zurückzurufen. Zu meiner
Überraschung erschien er eines Tages in meiner Wohnung, um mir
sein eben vollendetes Werk »Die Philosophie Herakleitos des
Dunkeln von Ephesos« als Angebinde seiner Hochachtung zu
überreichen und daran die Bitte zu knüpfen, ihn in Zukunft als
seinen Schüler betrachten zu wollen. Er sei entschlossen,
seine Zeit auf eine Reihe von Jahren ausschließlich
wissenschaftlichen Untersuchungen zu widmen, nachdem auf
Böckhs, des berühmten Hellenisten, und A. v. Humboldts
Empfehlung und Vermittlung seine bereits beschlossene
polizeiliche Ausweisung aus Berlin rückgängig gemacht worden
sei. Er wolle sich allen Ernstes mit altägyptischen Studien
beschäftigen und ersuche mich inständigst, ihn als Schüler
nicht zurückzuweisen. Er sei zu alt, um mitten unter jungen
Studenten im Kolleg zu meinen Füßen zu sitzen und zöge deshalb
die Form eines regelrechten Privatissimum vor. Auf meine
Frage, welchen besonderen Zweck er mit seinen zu erwerbenden
ägyptischen Kenntnissen verbinden wolle, erwiderte er mir, er
habe es sich in den Kopf gesetzt, das altägyptische »Totenbuch«
von Anfang bis zu Ende zu übertragen und zu erklären. Lächelnd
bemerkte ich ihm, daß dies eine Aufgabe sei, die kaum in
hundert Jahren gelöst werden könne, aber sein Entschluß stand
einmal fest, und er entgegnete mir einfach: »Was ich will, das
kann ich, ich werde die Aufgabe lösen, denn gerade die
Schwierigkeiten sind es, die einen besonderen Reiz auf mich
ausüben.«
Lassalle war damals 33 Jahre alt. Unser L. Pietsch hat in
seinem reizenden Buche »Wie ich Schriftsteller geworden bin«
die äußere Erscheinung des sozialdemokratischen Agitators mit
überraschender Treue und Wahrheit geschildert und die
Eigenheiten seines Charakters mit richtigen Strichen
gezeichnet. Einen Grundzug seines Charakters bildete das
Leidenschaftliche und Aufbrausende, mit dem die Sucht nach
Rechthaberei verbunden war. Es hat mich in der Folge viel Mühe
gekostet, in den verabredeten Stunden den Eigensinn des
Schülers zu zähmen. Häufig kam es vor, daß ich in einer
gewissen Erbitterung die Stunden aufgab, worauf regelmäßig
Lassalle in erregtester Stimmung Briefe an mich vom Stapel
ließ, die meist mit den Worten »Zum Teufel auch« begannen.
Als ich ihn zum erstenmal kennen gelernt hatte, wohnte er,
wie der Berliner zu sagen pflegt, Chambre garnie in einem
Eckhause, das an der Behren- und Mauerstraße gelegen war.
Später gründete er sein eigenes Haus in der Bellevuestraße,
dicht neben der Wohnung von Fräulein Ludmilla Assing. Sein
Heim war für damalige Verhältnisse vornehm eingerichtet, eine
prachtvolle Bibliothek befand sich in dem Saale, der sein
Arbeitszimmer bildete und von welchem aus eine Glasthür nach
einem Treibhause mit exotischen Pflanzen führte. Selbst ein
Diener fehlte nicht, um der Befehle des Herrn gewärtig zu sein
und der gnädige Herr war bisweilen sackgrob. Lassalle führte
ein Dasein im vornehmen Stile und nur in seinen Unterhaltungen
entwickelte er sozialdemokratische Ideen, die im vollsten
Gegensatze zu seinem wirklichen Leben standen.
Es ist bekannt, daß die Gesellschaften, die sich auf
besondere Einladungen in seinem Hause vereinigten, zu den
gewähltesten gehörten, sei es mit Rücksicht auf die Stellung
und den Namen der eingeladenen Gäste, sei es mit Bezug auf
ihre geistigen Vorzüge. Fürst Pückler-Muskau, General von
Pfuel, Hans von Bülow, um nur einige Namen zu nennen, folgten
gern den Einladungen des geistreichen und gelehrten Wirtes,
wobei die Gräfin von Hatzfeld so gütig war, die Honneurs des
Hauses zu machen. Die Bewirtung ließ an Auswahl und Feinheit
der aufgetragenen Gerichte und der kredenzten Weine nichts zu
wünschen übrig, und Lassalle schien seelenvergnügt zu sein,
wenn das Lob seiner Tafel aus dem Munde der Gäste erschallte.
Die Unterhaltung bewegte sich natürlich in den gewähltesten
Formen; sie war stets anregend geistvoll, und jeder der
Teilnehmer konnte behaupten, einen Gewinn für sich aus ihr
davongetragen zu haben.
Unsere Bekanntschaft, durch meine späteren Reisen nach
Persien und Ägypten jeweilig unterbrochen, dauerte bis zu
seinem Tode. Meine Vorstellung, daß Lassalle auf dem
altägyptischen Gebiete nichts Besonderes leisten würde, hat
sich vollauf bestätigt, denn es ist die Eigentümlichkeit
dieser Studien, daß sie die ganze Zeit und Arbeitskraft eines
Mannes verlangen und somit keine Gelegenheit bieten, sich mit
andern Dingen eingehend beschäftigen zu können. Daß Lassalle
ein ebenso gescheiter als hochgebildeter und wissenschaftlich
unterrichteter Mann war, steht unzweifelhaft fest. Sein
Scharfsinn schreckte vor keinen Schwierigkeiten zurück, aber
dem Ägyptischen gegenüber fehlte es ihm, wie ich vorher
bemerkt hatte, an der nötigen Zeit und Ruhe, um die Rätsel der
Vorzeit zu lösen und seinen Namen durch seine Leistungen auch
auf diesem Felde zur Berühmtheit zu bringen. Immerhin gedenke
ich der Berührungen mit Lassalle nicht ohne einiges Vergnügen
und rufe mir häufig die angenehmen Stunden in das Gedächtnis
zurück, die ich in seiner Häuslichkeit verbracht habe.
Die dritte Persönlichkeit, mit der ich zu verkehren die
Ehre hatte, war, wie die beiden vorangehenden, allen damaligen
Berlinern wohlbekannt. Der Freiherr Julius v. Minutoli
bekleidete längere Zeit die Stellung eines Polizeipräsidenten
von Berlin, der die Märztage des Jahres 1848 ein jähes Ende
bereiteten. Ich habe schon oben der Teilnahme gedacht, die er
dem jungen Gymnasiasten in vollstem Maße entgegentrug, wohl
zunächst aus dem besonderen Grunde, daß Ägypten und das
ägyptische Altertum einen besonderen Reiz auf ihn ausübte.
Sein Vater, der General H. C. Menu von Minutoli, gehörte in
die Zahl der älteren Reisenden, die Ägypten und Nubien in den
Jahren 1820 und 1821 unter der Herrschaft Mehemmed Alis
besucht und ihren Weg sogar bis zu der Oase des Jupiter Ammon
ausgedehnt hatten. Seine Bemerkungen über das alte und neue
Ägypten verrieten den Kenner, der mit offenem Auge die
Vergangenheit und Gegenwart des Orients betrachtete und seinen
Vorstellungen darüber einen anziehenden litterarischen
Ausdruck verlieh.
Das ägyptische Museum in Berlin verdankt ihm wertvolle
Beiträge antiker Schätze, die der General aus dem alten
Pharaonenlande nach der Heimat geführt hatte, während ein
anderer Teil im Besitze der Familie verblieb. Dieser letztere
war es, der meine häufige Verbindung mit dem ehemaligen
Polizeipräsidenten Berlins herbeiführte, die später, seltsam
genug, die Veranlassung zu meiner Reise nach Persien darbot.
Nach den Märztagen war Herr J. von Minutoli genötigt
worden, sich zeitweilig aus dem Staatsdienst zurückzuziehen.
Er benutzte die freie Zeit, Vorlesungen an der Universität zu
Berlin zu hören, und ich erinnere mich, häufig an seiner Seite
gesessen zn haben, um den geographischen Vorträgen unseres
großen Ritter zu lauschen. Später trat er von neuem in den
Staatsdienst ein, um in seiner Eigenschaft als Generalkonsul
die Interessen unseres preußischen Vaterlandes in Spanien und
Portugal zu vertreten. Der liebenswürdige Mann hatte die Güte,
von seinem Aufenthaltsorte Barcelona aus in den regsten
brieflichen Verkehr mit mir zu treten, mich von den
Nachgrabungen und Funden in Spanien in Kenntnis zu setzen und
seine Teilnahme soweit auszudehnen, meine Mitgliedschaft von
zwei spanischen Akademien an Ort und Stelle zu beantragen und
zu erreichen. Wie ich nachträglich bemerken will, erfreute er
sich während seines ganzen Aufenthaltes in Spanien der
besonderen Huld der damaligen Königin Isabella.