Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

Zum Inhaltsverzeichnis

2. Meine Studentenjahre

In Holland.

Meinen älteren Freund und Gönner, den Museumsdirektor Passalacqua fand ich nach meiner Rückkehr in Berlin in höchster Verstimmung wieder. Sein Ärger, daß seine Pläne zu der Anlage und Aufstellung der seiner Obhut anvertrauten Ägyptischen Sammlung in dem eben vollendeten Neuen Museum höheren Ortes unberücksichtigt geblieben waren, verleiteten ihn zu einer offiziell eingereichten Klage gegen den damaligen Generaldirektor Herrn von Olfers und den Prof. Lepsius, die handschriftlich nicht weniger als 270 Bogenseiten umfaßte. Der vielbeschäftigte Verfasser des Kosmos lehnte es ab, das ihm übersandte umfangreiche Opus durchzulesen und überhaupt sich mit der heiklen Angelegenheit zu befassen. Jupiter tonans zürnte, aber seine Blitze fielen ins Wasser. Mich selber traf sein geheimer Groll, da ich mich entschieden weigerte, wissenschaftliche Angriffe gegen Lepsius vom Stapel gehen zu lassen, und im Gegenteil, auf Humboldts mündlich und schriftlich ausgesprochene weise Ratschläge, darauf bedacht war, in Zukunft eine freundlichere Stimmung des offiziellen Gelehrten gegen mich zu erwecken. Passalacqua hatte mich einmal als Trumpf in der bedauerlichen Angelegenheit ausgespielt und in allen gesellschaftlichen Kreisen Berlins das lärmende Tamtam geschlagen, ein anderes Mal riet mir die einfachste Lebensklugheit, mich nicht als Mittel zu anderen Zwecken mißbrauchen zu lassen. Ich fühlte mich genugsam gewitzigt und widerstand allen Versuchungen, die an mich herantraten. Eine rätselhafte, nie aufgeklärte Klatschgeschichte trug hauptsächlich dazu bei, mich bei Zeiten zu warnen. Herr de Saulcy sollte sich während eines Aufenthaltes in Frankfurt a. M. abfällig über Alex. v. Humboldt und meine Wenigkeit geäußert und es ausgesprochen haben, er wolle nach Berlin kommen, um Rechenschaft (über was?) zu fordern. Mein hoher Gönner zog es vor, an ihn eine offene Anfrage zu richten. Die Erwiderung darauf giebt inhaltlich das folgende Schreiben wieder:

»Ich eile Ihnen zu sagen, daß in einem Briefe vom 19. Oktober, schon als Antwort auf meine Vorwürfe, Mr. de Saulcy auf die liebenswürdigste Weise meldet: daß er in den Pyrenäen war, nicht daran gedacht habe, jetzt nach Berlin zu kommen; daß er eben erfahren, »nach Fremdenbüchern in Mainz reife ein Mensch unter seinem Namen!!« Da der Brief die größten Lobsprüche von Ihnen enthält (Mr Brugsch est un jeune homme du plus brillant avenir, entre ses mains, je vous l'affirme, la p hilologie égyptienne fera des progrès admirables. Il a débuté par un coup de maître et certes il ne s'arrêtera pas en aussi beau chemin), so will ich ihn (ehe ich Ihnen diesen schenke) dem König zeigen. Ich würde Ihnen diese Lobsprüche nicht mitteilen, wenn Ihr Betragen mir nicht die Sicherheit gäbe, frühes und so lebhaft ausgedrücktes Lob ertragen zu können. Anderen als Ihnen, mein teurer Br., könnte es verderblich werden. A. v. Humboldt. Mittwoch.«

Meine Pariser Reise lag längst hinter mir, als auch durch königliche Großmut mein Wunsch in Erfüllung ging, die reichen Museen in Leyden und in Turin besuchen zu können. um in deren berühmten Sammlungen nach demotischen Schätzen zu fahnden, gleichzeitig aber der hieroglyphischen Grammatik und ihrem Wörtervorrat meine ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden. Im Laufe meiner eigenen Forschungen hatte sich mir die Überzeugung aufgedrängt, daß Champollions unsterbliche Arbeiten, noch dazu in ihrer nach seinem Tode von ziemlich unkundigen Händen veröffentlichten Gestalt, durchaus nicht mehr ausreichten, um altägyptischen Texten ihr wirklich philologisch begründetes Verständnis abzugewinnen. Der große Meister hatte das erste Licht in tausendjährige Dunkelheiten hineingetragen, aber es glich dem schwachen Morgenrot, das mit seinem Dämmerungsscheine das künftig zu erobernde Gebiet nur matt zu erleuchten vermochte. Das vorliegende ungeheure Material aus den Zeiten der schreibseligen alten Ägypter mußte gesichtet, das Jüngere und Jüngste von dem Älteren und Ältesten getrennt und die Unterschiede der einzelnen Schriftzeichen und der sprachlichen Ausdrücke von dem Grammatischen an streng gesondert werden. Die Entwicklung der Schriftzeichen selber bis zum kurrentesten Demotischen hin mußte im Laufe eines mehr als 3000jährigen Bestehens der altägyptischen Litteratur von Jahrhundert zu Jahrhundert an Beispielen nachgewiesen und desgleichen die Entwicklung der Sprache bis zum modernen Koptischen hinein in der grammatischen und lexikalischen Wortbildung mit aller notwendigen Gründlichkeit verfolgt werden. Das alles war eine Riesenaufgabe, an deren Lösung noch das heutige Geschlecht arbeitet. Selbst die koptische Sprache, deren Wörtervorrat in dem bekannten Lexikon des gelehrten italienischen Abbés Amadeo Peyron noch lange nicht erschöpft oder vom heutigen wissenschaftlichen Standpunkte aus genügend behandelt worden ist, bedurfte einer vollständigen Umarbeitung und erforderte die eingehendsten Untersuchungen. Mit einem Worte: es blieb noch alles zu thun übrig, um den aufgehäuften rohen Blöcken Form und Gestalt zum Aufbau eines gewaltigen Gebäudes zu geben, dessen Fundamente der Meister eben nur flüchtig in seinem Grundplane skizziert hatte.

Mir schwebte der Gedanke vor, zunächst den Wortschatz in alphabetischer Anordnung zusammenzustellen, mich von der Bedeutung der gefundenen Wörter durch klare Beispiele zu überzeugen und damit mir selber und meinen Nachfolgern eine feste Grundlage unserer Studien zu schaffen. In Holland kam dieser Gedanke zu seiner Reise und ich begann eine Arbeit, die in den Jahren 1868 bis 1880 der Öffentlichkeit übergeben worden ist, mein siebenbändiges hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch, das heutzutage Gemeingut der Wissenschaft geworden ist, denn wie man mich versichert, bildet es bis zur Stunde die viel benutzte Quelle aller altägyptischen Entzifferungen.

Meine Reise nach Holland ging bei der Bescheidenheit meiner Mittel natürlich dritter Klasse mit der Eisenbahn und auf der Post vor sich. Über Wesel und Amsterdam gelangte ich glücklich nach Leyden. Es gewährte mir einen außerordentlichen Reiz, in dem weiten, von gradlinigen Kanälen durchfurchten, aber überall wohlbebauten und mit sauberen, buntbemalten Dörfern und Ansiedlungen bedeckten Ebenen meine Straße dahinzuziehen und mit ebenso sauberen als biedermännischen Mitreisenden holländischer Abkunft in den sonderbarsten Wagenkasten der Eisenbahn zusammenzusitzen. Die dritte Wagenklasse entbehrte damals der Fenster, und wie bei unseren Berliner Pferdeeisenbahnen in sommerlicher Jahreszeit dienten farblose Leinwandtücher um alle vier Seiten des Kastens als einziges Schutzmittel gegen Sonnenschein und Regengüsse. Mit der Sprache kam ich nicht weit, denn außer Myn Her verstand ich so gut wie nichts, und mein Erstaunen, während meines kurzen Aufenthaltes in dem holländischen Venedig, der alten Handelsstadt Amsterdam, die Anwesenheit so vieler Cantore an den blanken Schildern der schwarz angestrichenen Hausthüren entdeckt zu haben, legte sich erst, nachdem mir die Bedeutung des holländischen Cantor im Sinne des französischen Comptoir erklärt wurde.

Mein Einzug in Leyden, der Universitätsstadt der Niederlande, fand in der Frühe des Morgens bei starkem Regenwetter statt. Ein Trupp Soldaten marschierte in Reih und Glied an mir vorüber. Offiziere und Mannschaften hatten Regenschirme aufgespannt, ohne ahnen zu können, wie sehr mich, das Soldatenkind, ein solcher Anblick belustigte. Aber die Holländer schienen mir außerordentlich praktische Leute zu sein, die sich wenig um Äußerlichkeiten kümmerten. Daß, wie ich es später häufig zu beobachten Gelegenheit fand, die Mägde den halben gepflasterten Straßendamm und die steinernen Stufen der Hausthürtreppe mit Bürsten und Wasser sorgfältig säuberten und förmlich bügelten, fiel mir zuletzt gar nicht mehr auf. Es mußte eben bis zu den leuchtenden Fensterscheiben hin alles blitzblank gewaschen erscheinen, und wenn ich später die schmutzigsten ägyptischen Fellachendörfer durchwanderte, so gedachte ich fast jedesmal mit heimlicher Sehnsucht der holländischen Reinlichkeit.

Den verehrten Direktor der ägyptischen Sammlungen des Museums in Leyden, Herrn Dr. Leemans, hatte ich die Freude zum erstenmale persönlich kennen und in dem Herausgeber der Denkmäler seines überreichen Schatzes einen ebenso gelehrten als kritisch hervorragenden Mann schätzen zu lernen. Er zog mich nach kurzer Bekanntschaft in sein gastliches Haus und ich hatte die Gelegenheit, bei ihm, wie bei allen übrigen Bekannten, die mich durch Einladungen beehrten, die Gediegenheit und die Gemütlichkeit des holländischen Familienlebens zu bewundern. Kein Abend verging, ohne daß sich der Hausvater mit den Seinigen vereinigt fand und der Gesang oder die Musik der Söhne und Töchter die Stunden in angenehmster Weise verschönte. Die junge Holländerin erschien mir wie der Typus der jugendfrischen Heiterkeit. Ihr offenes, ehrliches Wesen, fern von jedem Zimperlichen oder Gezierten, ihr liebliches Lächeln in dem ehrlichen, frischen, hübschen Gesicht hinterließ einen unwiderstehlichen Eindruck und entzückte mich in höchstem Maße. In dem Hause des Professors Juynboll hätte ich um ein Haar mein Herz verloren, wenn sie mich eben nur gewollt hätte. Auch das studentische Leben, wie es in Leyden äußerlich nach englischem Klubwesen eingerichtet ist, fesselte meine Aufmerksamkeit. Das Kameradschaftliche bildete den Grundton und das gemeinschaftliche Zusammenleben in den stattlichen Sälen eines eigenen Gebäudes verfehlte seines Eindruckes nicht. Freilich konnten, meiner Meinung nach, nur Söhne reicherer Eltern an den Vorzügen eines solchen stattlichen Heims teilnehmen, denn die Kosten des Unterhalts mußten ganz beträchtlich sein.

Die Tage im Leydener Museum und die Abende im Hause meines holländischen Gastfreundes flossen wie Minuten dahin, und ich war selber erstaunt, als die Stunde des Abschiedes genaht war. Aber volle sechs Wochen waren seit meiner Ankunft verflossen und an der Fülle meiner wissenschaftlichen Ernte sah ich am besten, daß ich meine anderthalb Monate wohl ausgenutzt hatte. In dem vortrefflichen Dr. Leemans hatte ich für das Leben einen stets hilfreichen Freund gewonnen, mit dem ich viele Jahre hindurch in brieflicher Verbindung stand und dessen weisen Ratschlägen ich stets mein Ohr öffnete. Er erfreut sich noch heute eines glücklichen Daseins auf Erden, wenn auch sein Alter sich bis in die Achtziger hinein vorgeschoben hat.

Ich verließ das holländische Gebiet mit allen Segenswünschen gegen seine gastfreundlichen Stätten und konnte die Zeit meiner Rückkehr nach Berlin kaum erwarten, um meine wissenschaftliche Ausbeute zu durchmustern und schließlich meinem hohen Gönner A. von Humboldt eine schriftliche Abhandlung zu überreichen, die eine Frucht meiner Leydener Studien in sich schloß. Sie betraf die Bekanntschaft der Alten mit dem Hypnotismus (mindestens schon im zweiten Jahrhundert) und dessen Ausbeutung durch magischen Charlatanismus auf Grund der demotisch abgefaßten sogenannten gnostischen Papyri des Leydener Museums. Ich erweiterte später meine Arbeiten, insoweit sie demotische Funde in Holland betrafen, durch den Nachweis, daß die äsopischen Fabeln zweifelsohne alle Zeichen einer ägyptisch-äthiopischen Herkunft an sich tragen.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de