7. Vogelfrei
Meine zweite Reise nach dem Lande der Sonne.
Im August des Jahres 1885 befand ich mich in dem böhmischen
Städtchen Marienbad, um von den Wässern dieses hochberühmten
Kurortes Heilung von einem beginnenden Leberleiden zu finden.
Es ist die leidige Folge eines längeren Aufenthaltes unter dem
Himmel des Morgenlandes, daß Leber und Niere der europäischen
Ansiedler nicht selten durch Schmerzen schwer heimgesucht
werden. In einem solchen Falle bietet neben Karlsbad der
erwähnte Kurort die fast sichere Aussicht auf Befreiung von
dem Leiden dar.
Ich hatte kaum die ersten Becher aus dem Kreuzbrunnen
getrunken, als von Berlin aus eine amtliche Anfrage an mich
eintraf, ob ich gewillt sei, für Kaiser und Reich meine
persischen Kenntnisse und Erfahrungen dem Auswärtigen Amte zu
Gebote zu stellen und mich als Mitglied der ersten
außerordentlichen Gesandtschaft an den Hof des Schahynschah im
Lande Iran anzuschließen.
Ich muß es offen gestehen, daß mich der ehrenvolle Antrag
anfänglich in eine gewisse Verlegenheit stürzte. Auf meinem
Lebensstrome hatte ich bereits die 58. Jahresstation hinter
mir gelassen, die traurigen Erinnerungen an meine erste
persische Reise waren außerdem nicht dazu angethan, besondere
Begeisterung für die weite Wanderung nach dem Herzen Asiens in
mir zu wecken, auch die voraussichtlich lange Trennung von
meiner Familie stimmten mich ein wenig trübe, und dennoch, der
Appell an Kaiser und Reich gab den entscheidenden Ausschlag
bei allen meinen Erwägungen. Ich sang mit dem französischen
Grenadier: »Was schiert mich Weib, was schiert mich Kind«,
klappte meine altägyptischen Schriften zu, packte meine sieben
Sachen zusammen und rüstete mich zu der bevorstehenden Abfahrt
nach dem fernen Lande Iran.
Fast empfand ich Reue über meinen Entschluß, als
unmittelbar vor meiner Abreise eine Begebenheit eintrat, die
ich kaum hätte voraussehen können. Der Altmeister der
Ägyptologie, Professor Lepsius, hatte seine Pilgerfahrt auf
Erden beendigt, nachdem er zuletzt noch sich des Glücks
erfreut hatte, neben seiner Würde als Mitglied der königlichen
Akademie in seinen letzten Lebensjahren die Stellungen eines
Oberbibliothekars der königlichen Bibliothek, eines Direktors
des ägyptischen Museums und eines ordentlichen Professors der
Ägyptologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität neben
einander zu bekleiden. War es vermessen von mir, zu hoffen,
daß eines von den zuletzt erwähnten beiden Ämtern mir, dem
korrespondierenden Mitgliede der Akademie, übertragen werden
würde.? Durch meine zahlreichen Arbeiten auf dem
altägyptischen Gebiete glaubte ich einer Berücksichtigung wert
gewesen zu sein, allein meine Hoffnungen betrogen mich auch
dieses Mal auf das gründlichste und zu allen früheren
Niederlagen, die ich erduldet hatte, wurde mir im eigenen
Vaterlande eine neue hinzugefügt, von der ich nicht zu sagen
wußte: war sie verdient oder nicht? Ich weiß nur, sie schuf
mir schweres Herzeleid, weil sie mir die Überzeugung
aufdrängte, daß ich den Wert meiner beinahe fünfzigjährigen
Arbeiten vollständig überschätzt hatte. Ich beklagte es damals
bitter, meine ganze Kraft eigentlich an nutzlosen Dingen
vergeudet und bis zum Abend meines Lebens einem leeren Phantom
nachgejagt zu haben.
Mein hoher Gönner Prinz Friedrich Karl war geradezu
bestürzt, als ich ihm meine Absicht, nach Persien zu wandern,
mitteilte, aber die staatlichen Rücksichten standen ihm höher
als die Gefühle persönlicher Freundschaft und so gab er mir
seinen Segen mit auf den Weg, in der Hoffnung auf ein
glückliches Wiedersehen. »Wer weiß, mein lieber Basse«, so
lauteten seine letzten Abschiedsworte, die er in seinen
Gemächern im königlichen Schlosse zu Berlin an mich richtete,
»ob Sie mich lebendig wiederfinden werden. Hier (und er legte
seine rechte Hand auf die linke Brustseite), hier ist es nicht
richtig bestellt, seitdem, – Sie wissen es ja. – Ich bitte Sie
indes, mich häufig durch briefliche Nachrichten zu erfreuen
und meiner Antworten sicher zu sein.« Er drückte mir die Hand
zum Abschiede, ohne daß ich eine Ahnung davon besaß, dem
hochherzigen Fürsten zum letztenmale in die treuen Augen
geschaut zu haben. Mir selber war's beim Heraustreten aus dem
Schlosse recht weh zu Mute, denn die Erinnerung an die letzte
Vergangenheit rief mir die ganze Fülle des Wohlwollens zurück,
mit der mich der Feldmarschall überschüttet hatte, und ich
bereute fast die Stunde, in der ich mich verpflichtet hatte,
die mir übertragene Mission nach Persien zu übernehmen.
Die außerordentliche Gesandtschaft, außer ihrem Herrn Chef
aus drei Mitgliedern, einem ersten Legationssekretär, einem
Militär-Attaché und meiner eigenen Person bestehend, brach im
September des Jahres 1885 auf, um über Breslau den Weg nach
Odessa zu nehmen und auf einem der russischen Dampfer, welche
die russische Küste des Schwarzen Meeres befahren, die
Seestadt Batum an der Ostseite desselben zu erreichen. Ich war
nicht wenig erstaunt, an derselben Stelle, die ich vor 25
Jahren als einen traurigen, nur mit wenigen Häusern und Hütten
bedeckten türkischen Ort kennen gelernt hatte, eine blühende
russische Handelsstadt wiederzufinden, in der, nach den
Geschäftsschildern zu urteilen, das französische Element in
vorderster Reihe vertreten war. Von der Meeresküste und dem
Landungsplatze der Dampfschiffe aus führte ein Schienenweg in
der Richtung nach Osten. Er verbindet das Schwarze Meer über
Tiflis mit dem Kaspischen Meere, an dem er bei der
Petroleumstadt Baku endet. Die Reise von hier aus nach dem
Lande Iran wird auf kleinen Dampfern zurückgelegt, deren
Kessel mit brennendem Petroleum geheizt werden. Das der Nähe
von Baku halber so billige Brennmaterial bewährt sich ganz
vorzüglich, leidet jedoch an dem Nachteil, daß dem ganzen
Schiffe bis zu den Speisen und Getränken hin ein
unausstehlicher Geruch anhaftet.
Alles war mir neu auf diesem Teile der Reise und
überraschte mich bis zum gerechtesten Erstaunen hin. Ich
konnte es mir nicht verhehlen, daß Rußland seit meiner letzten
Anwesenheit auf kaukasischem Gebiete außerordentliche
Anstrengungen gemacht hatte, die frühere öde Steppe am
Kur-Flusse bis nach Baku hin dem Verkehr zu erschließen und an
einzelnen Stellen geradezu Wunder zu schaffen. Auch die
russischen Küstengebiete an dem westlichen Ufer des Kaspischen
Meeres, in deren Hinterwäldern der persische Tiger seine
nördlichsten Sitze aufgeschlagen hat, zeigten wohlgebaute
Ansiedlungen im landesüblichen Stile, deren schmuckes
leuchtendes Aussehen den fremden Wanderer zu einem Besuche
verlocken muß.
Von der persischen Hafenstadt Enseli an, in der
südwestlichen Ecke des Kaspischen Meeres, glich die Reise der
ersten deutschen Gesandtschaft einem wahren Triumphzuge und
mit Stolz durften es ihre Mitglieder empfinden, Sendboten des
ersten deutschen Kaisers und Angehörige eines mächtigen
Reiches zu sein. Die Namen des Imperator Wilhelm und
Schahsadeh (eigentlich Königssohn, dann so viel als Prinz
bedeutend) Bismarck waren in aller Munde und ich hatte vollauf
zu thun, um den zahllosen Fragen nach dem Wohlbefinden des
großen Kaisers und seines mannlichen Kanzlers in persischer
Zunge Rede zu stehen. Ich muß dabei eines besonderen Umstandes
gedenken, der mich selber betraf und anfangs mich in
Verlegenheit setzte. Viele Perser, die den Fürsten nur aus
Abbildungen kannten, wie sie in den persischen Städten und
Dörfern zahlreich verbreitet sind, hielten mich gar für einen
Bruder oder für einen Sohn des großen Kanzlers. Selbst dem
Schah von Persien fiel die Ähnlichkeit meiner Züge mit denen
des Kanzlers auf und er kam in seinen Gesprächen mit mir immer
wieder darauf zurück. Auch meine Bekannte und Freunde in
Europa geben mir noch heute dieselbe Versicherung, der ich
hinzufügen will, daß mir erst vor wenigen Jahren der erlauchte
Beherrscher zweier großen Reiche im Norden Europas bei einer
Unterredung bemerkte, ich sei durchaus einem – nur
»vermilderten – Bismarck« ähnlich.
Von der Stadt Kaswinan, jenseits des El-Burs-Gebirges, war
mir das persische Gebiet bis zur Hauptstadt Teheran hin von
meiner ersten Reise her wohl bekannt, doch überraschte es
mich, daß in dieser früheren Residenz einstiger Großkönige auf
kaiserlichen Befehl und auf Staatskosten ein vornehmes Hotel
im europäischen Stil gebaut, sowie ein regelrechter Postdienst
bis Teheran mit Hilfe vierrädriger Wagen auf einer ziemlich
gut unterhaltenen Landstraße eingerichtet war. Der Schah hatte
nach der Rückkehr von seiner zweiten Reise nach Frängistan den
Befehl zu dieser Erleichterung des öffentlichen Verkehrs
gegeben und auch sonst in der heutigen Residenzstadt Teheran
selber manche Neuerungen geschaffen, zu denen ihm sein Besuch
in den Hauptstädten Europas die Veranlassung geboten hatte.
Die Pflasterung der Straßen mit behauenen Steinen und ihre
Erleuchtung durch Gas und, stellenweise wenigstens, auch
elektrisches Licht reichte allein schon aus, mich in Erstaunen
zu versetzen und die Willenskraft des Schahynschah aufrichtig
bewundern zu lassen. Daß nicht alles so ging wie es gehen
sollte, noch so klappte, wie es klappen sollte, darf sein
Verdienst nicht verringern, noch weniger Grund zu spöttischer
Lachlust für den europäischen Kritiker abgeben. Es genüge zu
wissen, daß mir Persien in einem entschieden neuen Lichte er
schien bis zu der vorgeschrittenen Bildungsstufe hin, in
welcher mir die Mehrzahl der Träger höherer Ämter in der
vorteilhaftesten Beleuchtung gegenübertraten. Sie hatten eine
Menge landesüblicher alter Vorurteile abgeschüttelt, sich in
europäische Anschauungen vollkommen eingelebt und eine
Fertigkeit in der Kenntnis und im mündlichen Ausdruck
europäischer Sprachen gewonnen, die mein Staunen von Tage zu
Tage nur vermehrte. Ich lernte sogar jüngere Perser kennen, es
waren die beiden Söhne des persischen Unterrichtsministers,
die unsere deutsche Muttersprache in ihrem vollsten Umfange
beherrschten und in Berlin und Charlottenburg besser Bescheid
wußten als in Teheran und in der nächsten Umgebung. In der
Familie meines alten Freundes Prof. Dr. Dieterici in
Charlottenburg hatten beide Kinder Irans ihr wundervolles
Deutschtum gewonnen.
Aber auch von anderen Eindrücken war seit der Ankunft der
ersten deutschen Gesandtschaft in Persien meine Seele
gefesselt. Sie verschafften mir die Freude, mich selbst im
Herzen von Asien mit Stolz als Deutscher fühlen zu können.
Unter der Regierung und Führung Kaiser Wilhelms I., dem seine
Paladine Fürst Bismarck und Graf Moltke als treue Hüter und
Schützer des geeinigten Deutschen Reiches zur Seite standen,
hatte das Vaterland über den ganzen Erdball hin eine Bedeutung
erreicht, die bei sei nen vielen redlichen Freunden das Gefühl
der Bewunderung und Achtung, bei seinen wenigen Feinden Neid
und Furcht hervorriefen. Der Name Aleman war in dem fernsten
persischen Dorfe bekannt und zu einem Ehrenworte für alle
Größe und jede Tugend geworden. Alemania saß an der Spitze im
Rate der Völker und Iran mußte es in tiefster Seele empfinden,
daß die deutsche Freundschaft nicht bloß ein leerer Wahn sei.
Darum die aufrichtige Herzlichkeit und die höchsten Ehrungen,
mit denen die erste deutsche Gesandtschaft in Teheran vom
Schah und der gesamten Bevölkerung empfangen wurde. Daß jedes
Mitglied der Gesandtschaft seinen Teil von der aufrichtigen
Begeisterung des Perservolkes davontrug, braucht nicht erst
gesagt zu werden. Selbst unsere persischen Diener empfingen
ihr Teilchen davon, sobald sie sich mit dem eingestickten
deutschen Reichsadler am Dienstrock auf der Gasse sehen
ließen.
Meine kurze diplomatische Laufbahn entbehrte nicht eines
poetischen Beigeschmackes, wenigstens suchte ich das nüchterne
Alltagsleben mit den Blumen der persischen Dichtkunst zu
schmücken. Die Wiege meines Buches »Die Muse in Teheran« stand
in der modernen Residenz des Schahynschahs. Ich vergaß darüber
beinahe meine altägyptischen Forschungen. Kein einziges mit
Hieroglyphen bedecktes Blatt war mit mir nach Persien
gewandert. Erst die Perser und an ihrer Spitze »der
Mittelpunkt des Weltalls« Schah Nasr-ed-din, und mit ihnen das
gesamte gebildete Europäertum, – nur ein Einziger schloß sich
zu meinem Leidwesen davon aus, – erinnerten mich daran, daß
der Name des deutschen Musteschar, wie man mich persisch
betitelte, von der ägyptischen Antike unzertrennlich dastand.
Zu meinen nächsten Freunden in Teheran gehörten der
russische Gesandte Melnikoff und der französische Leibarzt des
Schah Dr. Tholozan. Unsere Freundschaft schrieb sich von den
Jahren 1860 und 1861 her. Sie war alt und ein jeder von uns
dreien mit ihr alt und grau geworden, aber sie verjüngte uns
wieder und die Herzen schlossen sich aneinander. Wir fühlten
uns glücklich in den Erinnerungen an die längst entschwundene
Vergangenheit, an unsere Jugend.
Ein schweres Fieber packte mich und warf mich wochenlang
auf das Krankenlager. Mein Leben hing an einem Faden. Von
allen Seiten wurden mir die Beweise der größten Teilnahme
geliefert; der Schah, die Wesire und »die Säulen der
Regierung«, selbst die Prinzessinnen des Hofes ließen täglich
Nachricht über mein Befinden einziehen. Inzwischen lag ich in
Fieberträumen auf meinem Schmerzenslager und sehnte mich
selber nach dem Ende meiner Leiden. Die Fürsorge des Dr.
Tholozan und des deutschen Arztes Dr. Albu, der sich damals
als Lehrer an der medizinischen Schule in Teheran befand, und
die aufopfernde Pflege eines treuen deutschen Dieners retteten
mich aus den Klauen des Todes. Mit der seltsamen Sehnsucht
nach einer Berliner – Kartoffelsuppe begann meine Genesung.
Frau Dr. Albu befriedigte Tag auf Tag meine kulinarischen
Gelüste und ich gesundete, freilich um später wochenlang, von
zwei Dienern gestützt, schwache Gehversuche zu wagen, bevor
ich die alte Kraft wieder gewann.
Der Winter über gehörte dem gesandtschaftlichen Leben an.
Arbeit im eigenen Hause, Audienzen, Besuche, Gastmähler, Bälle
und große und kleine Gesellschaften bildeten die Hauptaufgaben
der internationalen Welt, die in Summa aus etwa 60 Personen
beiderlei Geschlechtes bestand. Auch das Militär lieferte
seine Beiträge zu den offiziellen Einladungen; deutsche,
österreichische, italienische, russische und französische
Offiziere neben ihren persischen Kollegen halfen die Feste
verherrlichen.
Nach einem Aufenthalte von sieben Monaten zog ich es vor,
mich meiner Familie und der altägyptischen Weisheit in der
Heimat zurückzugeben. Die Hauptaufgabe, die mit meiner Mission
verbunden war, hatte ich nach besten Kräften gelöst und gegen
Kaiser und Reich meine Pflichten erfüllt. Ich feierte noch
zuguterletzt das glanzvolle Frühlingsfest der Perser, ich
hörte noch die Nachtigall im dichten Gebüsch schlagen, sog den
Rosenduft in paradiesischen Gärten ein, beklagte es, von
teuren Freunden scheiden zu müssen, aber ließ mich durchaus
nicht bewegen, meinen Aufenthalt weiter zu verlängern.
Einen Hauptgrund zu der Eile, mit der ich meine Abreise
traf, gab eine Postkarte ab, die mit eng geschriebenen Zeilen
von der Hand des Prinzen Friedrich Karl bedeckt war. Sie gaben
mir Kunde von seiner Kur in Marienbad und forderten mich auf,
mit möglichster Schnelligkeit nach der Heimat zurückzukehren.
Ich las zwischen den Zeilen und stürmte nach Deutschland
zurück.
Auf demselben Wege, den ich gekommen war, erreichte ich
zuletzt Breslau. Ausrufer auf dem Bahnhofe boten schwarz
umränderte bedruckte Blätter aus. Ich traute meinen Ohren
kaum, als ihre Stimme den Tod des Prinzen verkündigte. Die
gedruckten Worte der Zettel bestätigten ihre Worte.
Ich war zu spät eingetroffen, um den Prinzen noch lebend zu
finden und konnte nur noch an der kirchlichen Einsegnung der
Leiche in Potsdam und an seinem feierlichen Begräbnisse
teilnehmen. Tief erschüttert folgte ich im Zuge und suchte
meine Thränen, so gut es angehen wollte, zu ersticken. Warum
mußte auch er mir entrissen werden? Die großen Lichter, welche
meinen Lebensweg mit ihrem Glanze erhellten, erloschen eines
nach dem andern und es wurde immer dunkler um mich.
Drei Jahre nach meiner Abreise aus Persien und nach meiner
Rückkehr in die Heimat kündigten die Zeitungen die Ankunft des
Schah in Berlin an. Es war das dritte Mal, daß sich die
iranische Majestät entschlossen hatte, der Residenz seinen
Besuch abzustatten. Das Schloß von Bellevue, am kühlen Strand
der Spree, war ihm und seiner zahlreichen Begleitung während
seines Aufenthaltes als Absteigequartier hergerichtet worden.
Ich hielt es nicht für angemessen, als Legationsrat a. D. dem
König der Könige meine Aufwartung zu machen und blieb in
bescheidenem Hintergrunde. Daß ich damit ein Unrecht begangen
hatte, sah ich leider zu spät ein.
Bereits am zweiten Tage seines Berliner Aufenthaltes
erschienen zu meiner Überraschung zwei königliche Wagen vor
meinem Hause. Dem einen entstieg mein alter Freund, der
Leibarzt des Schah Dr. Tholozan, dem andern der hochgebildete
persische Unterstaatssekretär Mohammed-Chan. Beide erfüllten
einen Auftrag des Schah, indem sie mich ersuchten, Seiner
Majestät meine ganze Familie, Frau und Kinder, vorzustellen.
Meine Verlegenheit war ebenso groß als meine Überraschung,
doch mußte dem Befehl Folge geleistet werden. Im Schlosse von
Bellevue erschien die achtköpfige Familie, aus sechs
männlichen und zwei weiblichen Mitgliedern bestehend, um vom
Schah, in der Umgebung seiner vornehmsten Begleiter vom Stamme
der Perser, in der huldvollsten Weise empfangen und während
einer halben Stunde durch Anreden und Fragen ausgezeichnet zu
werden.
Mein Harem und unsere Kinder hatten märchenhafte
Vorstellungen von einem persischen Schah und zitterten wie
Espenlaub, als sein schwarzes Feuerauge auf ihnen der Reihe
nach ruhte. Allmählich verlor sich ihre Angst, denn sie sahen
in das heitere und lächelnde Angesicht des Königs der Könige,
der fern von jeder persischen Etikette sich auf das
eingehendste mit ihnen unterhielt und den gelehrten Vater als
Muster für seine Kinder aufstellte.
Es versteht sich von selbst, daß in meinem Hause noch
wochenlang von dem Besuche beim Schahynschah die Rede war,
wobei wir alle zu der Überzeugung gelangten, daß dem
gefürchteten Beherrscher Irans ein menschliches Herz im Busen
schlug. Wie wäre es ihm sonst in den Sinn gekommen, uns alle
zu sich zu rufen, um freundliche und liebenswürdige Worte an
den deutschen Musteschar und sein ganzes Volk zu richten?