Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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7. Vogelfrei

Meine zweite Reise nach dem Lande der Sonne.

Im August des Jahres 1885 befand ich mich in dem böhmischen Städtchen Marienbad, um von den Wässern dieses hochberühmten Kurortes Heilung von einem beginnenden Leberleiden zu finden. Es ist die leidige Folge eines längeren Aufenthaltes unter dem Himmel des Morgenlandes, daß Leber und Niere der europäischen Ansiedler nicht selten durch Schmerzen schwer heimgesucht werden. In einem solchen Falle bietet neben Karlsbad der erwähnte Kurort die fast sichere Aussicht auf Befreiung von dem Leiden dar.

Ich hatte kaum die ersten Becher aus dem Kreuzbrunnen getrunken, als von Berlin aus eine amtliche Anfrage an mich eintraf, ob ich gewillt sei, für Kaiser und Reich meine persischen Kenntnisse und Erfahrungen dem Auswärtigen Amte zu Gebote zu stellen und mich als Mitglied der ersten außerordentlichen Gesandtschaft an den Hof des Schahynschah im Lande Iran anzuschließen.

Ich muß es offen gestehen, daß mich der ehrenvolle Antrag anfänglich in eine gewisse Verlegenheit stürzte. Auf meinem Lebensstrome hatte ich bereits die 58. Jahresstation hinter mir gelassen, die traurigen Erinnerungen an meine erste persische Reise waren außerdem nicht dazu angethan, besondere Begeisterung für die weite Wanderung nach dem Herzen Asiens in mir zu wecken, auch die voraussichtlich lange Trennung von meiner Familie stimmten mich ein wenig trübe, und dennoch, der Appell an Kaiser und Reich gab den entscheidenden Ausschlag bei allen meinen Erwägungen. Ich sang mit dem französischen Grenadier: »Was schiert mich Weib, was schiert mich Kind«, klappte meine altägyptischen Schriften zu, packte meine sieben Sachen zusammen und rüstete mich zu der bevorstehenden Abfahrt nach dem fernen Lande Iran.

Fast empfand ich Reue über meinen Entschluß, als unmittelbar vor meiner Abreise eine Begebenheit eintrat, die ich kaum hätte voraussehen können. Der Altmeister der Ägyptologie, Professor Lepsius, hatte seine Pilgerfahrt auf Erden beendigt, nachdem er zuletzt noch sich des Glücks erfreut hatte, neben seiner Würde als Mitglied der königlichen Akademie in seinen letzten Lebensjahren die Stellungen eines Oberbibliothekars der königlichen Bibliothek, eines Direktors des ägyptischen Museums und eines ordentlichen Professors der Ägyptologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität neben einander zu bekleiden. War es vermessen von mir, zu hoffen, daß eines von den zuletzt erwähnten beiden Ämtern mir, dem korrespondierenden Mitgliede der Akademie, übertragen werden würde.? Durch meine zahlreichen Arbeiten auf dem altägyptischen Gebiete glaubte ich einer Berücksichtigung wert gewesen zu sein, allein meine Hoffnungen betrogen mich auch dieses Mal auf das gründlichste und zu allen früheren Niederlagen, die ich erduldet hatte, wurde mir im eigenen Vaterlande eine neue hinzugefügt, von der ich nicht zu sagen wußte: war sie verdient oder nicht? Ich weiß nur, sie schuf mir schweres Herzeleid, weil sie mir die Überzeugung aufdrängte, daß ich den Wert meiner beinahe fünfzigjährigen Arbeiten vollständig überschätzt hatte. Ich beklagte es damals bitter, meine ganze Kraft eigentlich an nutzlosen Dingen vergeudet und bis zum Abend meines Lebens einem leeren Phantom nachgejagt zu haben.

Mein hoher Gönner Prinz Friedrich Karl war geradezu bestürzt, als ich ihm meine Absicht, nach Persien zu wandern, mitteilte, aber die staatlichen Rücksichten standen ihm höher als die Gefühle persönlicher Freundschaft und so gab er mir seinen Segen mit auf den Weg, in der Hoffnung auf ein glückliches Wiedersehen. »Wer weiß, mein lieber Basse«, so lauteten seine letzten Abschiedsworte, die er in seinen Gemächern im königlichen Schlosse zu Berlin an mich richtete, »ob Sie mich lebendig wiederfinden werden. Hier (und er legte seine rechte Hand auf die linke Brustseite), hier ist es nicht richtig bestellt, seitdem, – Sie wissen es ja. – Ich bitte Sie indes, mich häufig durch briefliche Nachrichten zu erfreuen und meiner Antworten sicher zu sein.« Er drückte mir die Hand zum Abschiede, ohne daß ich eine Ahnung davon besaß, dem hochherzigen Fürsten zum letztenmale in die treuen Augen geschaut zu haben. Mir selber war's beim Heraustreten aus dem Schlosse recht weh zu Mute, denn die Erinnerung an die letzte Vergangenheit rief mir die ganze Fülle des Wohlwollens zurück, mit der mich der Feldmarschall überschüttet hatte, und ich bereute fast die Stunde, in der ich mich verpflichtet hatte, die mir übertragene Mission nach Persien zu übernehmen.

Die außerordentliche Gesandtschaft, außer ihrem Herrn Chef aus drei Mitgliedern, einem ersten Legationssekretär, einem Militär-Attaché und meiner eigenen Person bestehend, brach im September des Jahres 1885 auf, um über Breslau den Weg nach Odessa zu nehmen und auf einem der russischen Dampfer, welche die russische Küste des Schwarzen Meeres befahren, die Seestadt Batum an der Ostseite desselben zu erreichen. Ich war nicht wenig erstaunt, an derselben Stelle, die ich vor 25 Jahren als einen traurigen, nur mit wenigen Häusern und Hütten bedeckten türkischen Ort kennen gelernt hatte, eine blühende russische Handelsstadt wiederzufinden, in der, nach den Geschäftsschildern zu urteilen, das französische Element in vorderster Reihe vertreten war. Von der Meeresküste und dem Landungsplatze der Dampfschiffe aus führte ein Schienenweg in der Richtung nach Osten. Er verbindet das Schwarze Meer über Tiflis mit dem Kaspischen Meere, an dem er bei der Petroleumstadt Baku endet. Die Reise von hier aus nach dem Lande Iran wird auf kleinen Dampfern zurückgelegt, deren Kessel mit brennendem Petroleum geheizt werden. Das der Nähe von Baku halber so billige Brennmaterial bewährt sich ganz vorzüglich, leidet jedoch an dem Nachteil, daß dem ganzen Schiffe bis zu den Speisen und Getränken hin ein unausstehlicher Geruch anhaftet.

Alles war mir neu auf diesem Teile der Reise und überraschte mich bis zum gerechtesten Erstaunen hin. Ich konnte es mir nicht verhehlen, daß Rußland seit meiner letzten Anwesenheit auf kaukasischem Gebiete außerordentliche Anstrengungen gemacht hatte, die frühere öde Steppe am Kur-Flusse bis nach Baku hin dem Verkehr zu erschließen und an einzelnen Stellen geradezu Wunder zu schaffen. Auch die russischen Küstengebiete an dem westlichen Ufer des Kaspischen Meeres, in deren Hinterwäldern der persische Tiger seine nördlichsten Sitze aufgeschlagen hat, zeigten wohlgebaute Ansiedlungen im landesüblichen Stile, deren schmuckes leuchtendes Aussehen den fremden Wanderer zu einem Besuche verlocken muß.

Von der persischen Hafenstadt Enseli an, in der südwestlichen Ecke des Kaspischen Meeres, glich die Reise der ersten deutschen Gesandtschaft einem wahren Triumphzuge und mit Stolz durften es ihre Mitglieder empfinden, Sendboten des ersten deutschen Kaisers und Angehörige eines mächtigen Reiches zu sein. Die Namen des Imperator Wilhelm und Schahsadeh (eigentlich Königssohn, dann so viel als Prinz bedeutend) Bismarck waren in aller Munde und ich hatte vollauf zu thun, um den zahllosen Fragen nach dem Wohlbefinden des großen Kaisers und seines mannlichen Kanzlers in persischer Zunge Rede zu stehen. Ich muß dabei eines besonderen Umstandes gedenken, der mich selber betraf und anfangs mich in Verlegenheit setzte. Viele Perser, die den Fürsten nur aus Abbildungen kannten, wie sie in den persischen Städten und Dörfern zahlreich verbreitet sind, hielten mich gar für einen Bruder oder für einen Sohn des großen Kanzlers. Selbst dem Schah von Persien fiel die Ähnlichkeit meiner Züge mit denen des Kanzlers auf und er kam in seinen Gesprächen mit mir immer wieder darauf zurück. Auch meine Bekannte und Freunde in Europa geben mir noch heute dieselbe Versicherung, der ich hinzufügen will, daß mir erst vor wenigen Jahren der erlauchte Beherrscher zweier großen Reiche im Norden Europas bei einer Unterredung bemerkte, ich sei durchaus einem – nur »vermilderten – Bismarck« ähnlich.

Von der Stadt Kaswinan, jenseits des El-Burs-Gebirges, war mir das persische Gebiet bis zur Hauptstadt Teheran hin von meiner ersten Reise her wohl bekannt, doch überraschte es mich, daß in dieser früheren Residenz einstiger Großkönige auf kaiserlichen Befehl und auf Staatskosten ein vornehmes Hotel im europäischen Stil gebaut, sowie ein regelrechter Postdienst bis Teheran mit Hilfe vierrädriger Wagen auf einer ziemlich gut unterhaltenen Landstraße eingerichtet war. Der Schah hatte nach der Rückkehr von seiner zweiten Reise nach Frängistan den Befehl zu dieser Erleichterung des öffentlichen Verkehrs gegeben und auch sonst in der heutigen Residenzstadt Teheran selber manche Neuerungen geschaffen, zu denen ihm sein Besuch in den Hauptstädten Europas die Veranlassung geboten hatte. Die Pflasterung der Straßen mit behauenen Steinen und ihre Erleuchtung durch Gas und, stellenweise wenigstens, auch elektrisches Licht reichte allein schon aus, mich in Erstaunen zu versetzen und die Willenskraft des Schahynschah aufrichtig bewundern zu lassen. Daß nicht alles so ging wie es gehen sollte, noch so klappte, wie es klappen sollte, darf sein Verdienst nicht verringern, noch weniger Grund zu spöttischer Lachlust für den europäischen Kritiker abgeben. Es genüge zu wissen, daß mir Persien in einem entschieden neuen Lichte er schien bis zu der vorgeschrittenen Bildungsstufe hin, in welcher mir die Mehrzahl der Träger höherer Ämter in der vorteilhaftesten Beleuchtung gegenübertraten. Sie hatten eine Menge landesüblicher alter Vorurteile abgeschüttelt, sich in europäische Anschauungen vollkommen eingelebt und eine Fertigkeit in der Kenntnis und im mündlichen Ausdruck europäischer Sprachen gewonnen, die mein Staunen von Tage zu Tage nur vermehrte. Ich lernte sogar jüngere Perser kennen, es waren die beiden Söhne des persischen Unterrichtsministers, die unsere deutsche Muttersprache in ihrem vollsten Umfange beherrschten und in Berlin und Charlottenburg besser Bescheid wußten als in Teheran und in der nächsten Umgebung. In der Familie meines alten Freundes Prof. Dr. Dieterici in Charlottenburg hatten beide Kinder Irans ihr wundervolles Deutschtum gewonnen.

Aber auch von anderen Eindrücken war seit der Ankunft der ersten deutschen Gesandtschaft in Persien meine Seele gefesselt. Sie verschafften mir die Freude, mich selbst im Herzen von Asien mit Stolz als Deutscher fühlen zu können. Unter der Regierung und Führung Kaiser Wilhelms I., dem seine Paladine Fürst Bismarck und Graf Moltke als treue Hüter und Schützer des geeinigten Deutschen Reiches zur Seite standen, hatte das Vaterland über den ganzen Erdball hin eine Bedeutung erreicht, die bei sei nen vielen redlichen Freunden das Gefühl der Bewunderung und Achtung, bei seinen wenigen Feinden Neid und Furcht hervorriefen. Der Name Aleman war in dem fernsten persischen Dorfe bekannt und zu einem Ehrenworte für alle Größe und jede Tugend geworden. Alemania saß an der Spitze im Rate der Völker und Iran mußte es in tiefster Seele empfinden, daß die deutsche Freundschaft nicht bloß ein leerer Wahn sei. Darum die aufrichtige Herzlichkeit und die höchsten Ehrungen, mit denen die erste deutsche Gesandtschaft in Teheran vom Schah und der gesamten Bevölkerung empfangen wurde. Daß jedes Mitglied der Gesandtschaft seinen Teil von der aufrichtigen Begeisterung des Perservolkes davontrug, braucht nicht erst gesagt zu werden. Selbst unsere persischen Diener empfingen ihr Teilchen davon, sobald sie sich mit dem eingestickten deutschen Reichsadler am Dienstrock auf der Gasse sehen ließen.

Meine kurze diplomatische Laufbahn entbehrte nicht eines poetischen Beigeschmackes, wenigstens suchte ich das nüchterne Alltagsleben mit den Blumen der persischen Dichtkunst zu schmücken. Die Wiege meines Buches »Die Muse in Teheran« stand in der modernen Residenz des Schahynschahs. Ich vergaß darüber beinahe meine altägyptischen Forschungen. Kein einziges mit Hieroglyphen bedecktes Blatt war mit mir nach Persien gewandert. Erst die Perser und an ihrer Spitze »der Mittelpunkt des Weltalls« Schah Nasr-ed-din, und mit ihnen das gesamte gebildete Europäertum, – nur ein Einziger schloß sich zu meinem Leidwesen davon aus, – erinnerten mich daran, daß der Name des deutschen Musteschar, wie man mich persisch betitelte, von der ägyptischen Antike unzertrennlich dastand.

Zu meinen nächsten Freunden in Teheran gehörten der russische Gesandte Melnikoff und der französische Leibarzt des Schah Dr. Tholozan. Unsere Freundschaft schrieb sich von den Jahren 1860 und 1861 her. Sie war alt und ein jeder von uns dreien mit ihr alt und grau geworden, aber sie verjüngte uns wieder und die Herzen schlossen sich aneinander. Wir fühlten uns glücklich in den Erinnerungen an die längst entschwundene Vergangenheit, an unsere Jugend.

Ein schweres Fieber packte mich und warf mich wochenlang auf das Krankenlager. Mein Leben hing an einem Faden. Von allen Seiten wurden mir die Beweise der größten Teilnahme geliefert; der Schah, die Wesire und »die Säulen der Regierung«, selbst die Prinzessinnen des Hofes ließen täglich Nachricht über mein Befinden einziehen. Inzwischen lag ich in Fieberträumen auf meinem Schmerzenslager und sehnte mich selber nach dem Ende meiner Leiden. Die Fürsorge des Dr. Tholozan und des deutschen Arztes Dr. Albu, der sich damals als Lehrer an der medizinischen Schule in Teheran befand, und die aufopfernde Pflege eines treuen deutschen Dieners retteten mich aus den Klauen des Todes. Mit der seltsamen Sehnsucht nach einer Berliner – Kartoffelsuppe begann meine Genesung. Frau Dr. Albu befriedigte Tag auf Tag meine kulinarischen Gelüste und ich gesundete, freilich um später wochenlang, von zwei Dienern gestützt, schwache Gehversuche zu wagen, bevor ich die alte Kraft wieder gewann.

Der Winter über gehörte dem gesandtschaftlichen Leben an. Arbeit im eigenen Hause, Audienzen, Besuche, Gastmähler, Bälle und große und kleine Gesellschaften bildeten die Hauptaufgaben der internationalen Welt, die in Summa aus etwa 60 Personen beiderlei Geschlechtes bestand. Auch das Militär lieferte seine Beiträge zu den offiziellen Einladungen; deutsche, österreichische, italienische, russische und französische Offiziere neben ihren persischen Kollegen halfen die Feste verherrlichen.

Nach einem Aufenthalte von sieben Monaten zog ich es vor, mich meiner Familie und der altägyptischen Weisheit in der Heimat zurückzugeben. Die Hauptaufgabe, die mit meiner Mission verbunden war, hatte ich nach besten Kräften gelöst und gegen Kaiser und Reich meine Pflichten erfüllt. Ich feierte noch zuguterletzt das glanzvolle Frühlingsfest der Perser, ich hörte noch die Nachtigall im dichten Gebüsch schlagen, sog den Rosenduft in paradiesischen Gärten ein, beklagte es, von teuren Freunden scheiden zu müssen, aber ließ mich durchaus nicht bewegen, meinen Aufenthalt weiter zu verlängern.

Einen Hauptgrund zu der Eile, mit der ich meine Abreise traf, gab eine Postkarte ab, die mit eng geschriebenen Zeilen von der Hand des Prinzen Friedrich Karl bedeckt war. Sie gaben mir Kunde von seiner Kur in Marienbad und forderten mich auf, mit möglichster Schnelligkeit nach der Heimat zurückzukehren. Ich las zwischen den Zeilen und stürmte nach Deutschland zurück.

Auf demselben Wege, den ich gekommen war, erreichte ich zuletzt Breslau. Ausrufer auf dem Bahnhofe boten schwarz umränderte bedruckte Blätter aus. Ich traute meinen Ohren kaum, als ihre Stimme den Tod des Prinzen verkündigte. Die gedruckten Worte der Zettel bestätigten ihre Worte.

Ich war zu spät eingetroffen, um den Prinzen noch lebend zu finden und konnte nur noch an der kirchlichen Einsegnung der Leiche in Potsdam und an seinem feierlichen Begräbnisse teilnehmen. Tief erschüttert folgte ich im Zuge und suchte meine Thränen, so gut es angehen wollte, zu ersticken. Warum mußte auch er mir entrissen werden? Die großen Lichter, welche meinen Lebensweg mit ihrem Glanze erhellten, erloschen eines nach dem andern und es wurde immer dunkler um mich.

Drei Jahre nach meiner Abreise aus Persien und nach meiner Rückkehr in die Heimat kündigten die Zeitungen die Ankunft des Schah in Berlin an. Es war das dritte Mal, daß sich die iranische Majestät entschlossen hatte, der Residenz seinen Besuch abzustatten. Das Schloß von Bellevue, am kühlen Strand der Spree, war ihm und seiner zahlreichen Begleitung während seines Aufenthaltes als Absteigequartier hergerichtet worden. Ich hielt es nicht für angemessen, als Legationsrat a. D. dem König der Könige meine Aufwartung zu machen und blieb in bescheidenem Hintergrunde. Daß ich damit ein Unrecht begangen hatte, sah ich leider zu spät ein.

Bereits am zweiten Tage seines Berliner Aufenthaltes erschienen zu meiner Überraschung zwei königliche Wagen vor meinem Hause. Dem einen entstieg mein alter Freund, der Leibarzt des Schah Dr. Tholozan, dem andern der hochgebildete persische Unterstaatssekretär Mohammed-Chan. Beide erfüllten einen Auftrag des Schah, indem sie mich ersuchten, Seiner Majestät meine ganze Familie, Frau und Kinder, vorzustellen.

Meine Verlegenheit war ebenso groß als meine Überraschung, doch mußte dem Befehl Folge geleistet werden. Im Schlosse von Bellevue erschien die achtköpfige Familie, aus sechs männlichen und zwei weiblichen Mitgliedern bestehend, um vom Schah, in der Umgebung seiner vornehmsten Begleiter vom Stamme der Perser, in der huldvollsten Weise empfangen und während einer halben Stunde durch Anreden und Fragen ausgezeichnet zu werden.

Mein Harem und unsere Kinder hatten märchenhafte Vorstellungen von einem persischen Schah und zitterten wie Espenlaub, als sein schwarzes Feuerauge auf ihnen der Reihe nach ruhte. Allmählich verlor sich ihre Angst, denn sie sahen in das heitere und lächelnde Angesicht des Königs der Könige, der fern von jeder persischen Etikette sich auf das eingehendste mit ihnen unterhielt und den gelehrten Vater als Muster für seine Kinder aufstellte.

Es versteht sich von selbst, daß in meinem Hause noch wochenlang von dem Besuche beim Schahynschah die Rede war, wobei wir alle zu der Überzeugung gelangten, daß dem gefürchteten Beherrscher Irans ein menschliches Herz im Busen schlug. Wie wäre es ihm sonst in den Sinn gekommen, uns alle zu sich zu rufen, um freundliche und liebenswürdige Worte an den deutschen Musteschar und sein ganzes Volk zu richten?

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