5. Mein preußisches Beamtentum
Warum ich Professor in Göttingen wurde.
Meine konsularische Thätigkeit erreichte ihr Ende, nachdem
ich einsehen gelernt hatte, daß ich durchaus nicht dazu
geschaffen war und, nebenbei bemerkt, auch meine materiellen
Mittel ihr Ende erreicht hatten. Das konsularische Amt ist
eines der ehrenvollsten, das ich kenne, denn es muß seinen
Träger mit Stolz erfüllen, der Vertreter einer großen und
mächtigen Regierung zu sein. Seine Unverletzlichkeit auf
fremdem Gebiete umgiebt ihn mit einem Nimbus, welcher den
Ehrgeiz anstachelt und ihm die Pflicht auferlegt, mit aller
Strenge und Sorgfalt die mit seinem Amte verbundene Thätigkeit
auszuüben. Hinter ihm steht ein Schützer und Rächer, der
stärker nicht gedacht werden kann, und das Senken seiner
Landesfahne ist gleichbedeutend mit einer kriegerischen
Drohung. Ich habe mich bemüht, meine Obliegenheiten in einer
so ehrenvollen Stellung nach Maßgabe meiner schwachen Kräfte
zu erfüllen, aber ich hätte nur Konsul und nicht Ägyptologe
sein müssen, um meine Thätigkeit ausschließlich meinem Berufe
zu widmen.
Ich verließ Ägypten nach kurzer Zeit, um meinen Weg diesmal
über Berlin nach Paris einzuschlagen. Mariette, der mit meiner
Lage vollkommen vertraut war, denn ich hatte ihm mein ganzes
schweres Herz ausgeschüttet, war um guten Rat nicht verlegen
und lud mich ein, meinen Weg nach Paris zu richten, mit ihm
dort zusammenzutreffen und im stillen an den Arbeiten für die
geplante Weltausstellung im Jahre 1867 teilzunehmen. Er hatte
in Passy eine Villa inmitten eines hübschen Gartens gemietet,
ich war sein Gast und Mitbewohner seines Hauses und so lebten
wir im täglichen und freundschaftlichen Verkehr neben
einander, mit den Vorarbeiten für die Weltausstellung
beschäftigt. Ich hatte dabei vollauf Gelegenheit und Zeit, mit
den mir von meiner ersten Reise her befreundeten französischen
Gelehrten aufs neue in Verbindung zu treten und vor allem in
dem Grafen Emmanuel de Rougé, der damals bereits den Rang
eines Staatsrats bekleidete, einen ebenso warmen als
großmütigen Beschützer zu finden. Der Graf hatte nämlich die
Stellung eines Professors am Colloge de France inne, mit
welcher eine Besoldung von 12000 Franken verbunden war. Er
machte mir den Vorschlag, an demselben Collège Vorträge über
die ägyptisch-demotische Schrift und Litteratur zu halten,
wogegen er mir freiwillig seine Besoldung als Professor
abtrat, doch sei, wie er hinzufügte, die Genehmigung des
Kaisers Napoleon erforderlich, um meine Stellung in eine
dauernd feste zu verwandeln.
Was die kaiserliche Genehmigung anbetraf, so machte sich
Mariette anheischig, dieselbe in kürzester Zeit durch eine
bejahrte Freundin zu erreichen, welche ihm selber die
ausgezeichnetsten Dienste geleistet hatte und mit dem Kaiser
auf du und du stand. Es war die Milchschwester desselben
Madame Cornu, deren Namen ich bereits oben Gelegenheit hatte
zu erwähnen. Die Dame, an einen Maler von mittelmäßigem
Talente verheiratet, hatte früher lange Zeit am Rhein gelebt
und war der deutschen Sprache vollkommen mächtig Sie bewohnte
mit ihrem Gatten ein bescheidenes Haus in Versailles, in
welchem ich die Sechzigerin zu sehen und zu sprechen häufig
Gelegenheit hatte. Sie war mit der Geschichte der Napoleoniden
vollkommen vertraut und erzählte mir Einzelheiten, wie man sie
nur unter vier Augen einem guten Freunde anzuvertrauen pflegt.
Auf Madame Eugénie war sie überaus schlecht zu sprechen, da
sie derselben die Schuld beimaß, ihren Milchbruder zu einem
Eidbruch veranlaßt zu haben. Madame Cornu, wie man dazu wissen
muß, war Erzrepublikanerin, und seine Erhebung auf den
Kaiserthron ging ihr wider den Strich. Sie hatte deshalb
abgelehnt, jede ihr angebotene Unterstützung aus seinen Händen
zu empfangen, und es vorgezogen, gemeinschaftlich mit ihrem
Manne ihren Unterhalt durch eigene Arbeit zu gewinnen. Sie
durfte sich jedoch jederzeit dem kaiserlichen Milchbruder
nahen und an dem Abendthee teilnehmen, ja selbst ihm
Ratschläge geben, wenn es sich um nicht staatliche
Angelegenheiten handelte. Ihre Erinnerungen an die Familie der
Napoleoniden reichten bis in die Zeit von Madame Laetitia
zurück, der Mutter Napoleon Bonapartes. Noch klingt mir ihre
Erzählung in die Ohren, wie sie als vierjähriges Kind von
ihrer Mutter nach dem Hause geführt wurde, in welchem Madame
Laetitia in Rom ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Die
Gemächer waren sämtlich von dem Treppenhause an mit Trauerkrep
ausgeschlagen, und alle dekorativen Teile in Schwarz
ausgeführt. Wie Kinder zu thun pflegen, lachte sie mit lauter
Stimme, als die Gestalt einer ehrwürdigen, in tiefste Trauer
gekleideten, hochbejahrten Dame erschien, welche dem Kinde die
Worte zurief: »Meine Tochter, du bist im Hause der Mutter des
großen Kaisers, darin ist das Lachen unbekannt.« Sprach's und
verschwand, wie sie gekommen war.
Madame Cornu, die mich mit den schmeichelhaftesten Beweisen
ihres Zutrauens überschüttete, übernahm mit Vergnügen die
Aufgabe, dem Kaiser von dem beabsichtigten Eintritt eines
demotischen Deutschen in französische Dienste Kenntnis zu
geben und um seine Genehmigung für die vorläufig getroffene
Vereinbarung zu bitten. Eine Folge dieser Vermittlung war
meine gleich darauf folgende Vorstellung, in welcher ich
Gelegenheit hatte, mit dem damals allgewaltigen Herrscher
Frankreichs eine längere Unterhaltung zu führen. Sie betraf
mein Leben, meine Schicksale und vor allem meine
wissenschaftlichen Arbeiten, von denen er eine allgemeine
Kenntnis besaß, worauf er sein Lieblingsthema, Julius Cäsar
und die Eroberung Alexandriens durch diesen römischen
Feldherrn, berührte. Er stand in einer Fensterecke, redete
mich in deutscher Sprache an, legte mir Fragen vor, die ich,
ohne von ihm unterbrochen zu werden, in einem Flusse
beantwortete. Der Kaiser löste darauf sein gewohnheitsmäßiges
langes Schweigen und verständigte mich darüber, auf meine
zukünftige Stellung in Frankreich übergehend, daß mir auf
seinen Befehl die Naturalisation als Franzose nicht erst nach
zehnjährigem Aufenthalte in Frankreich, wie es das Gesetz
erheischt, sondern nach einjährigem bewilligt werden sollte.
Ich muß sagen, daß die Eile, mit welcher meine
Naturalisation vor sich zu gehen drohte, mich ein wenig
erschreckte. Ich erinnerte mich zwar sehr wohl, daß mir von
hochstehender Seite in Berlin kurz vor meiner Abreise nach
Paris der billige Rat gegeben wurde, mich nach einer Stellung
im Auslande umzusehen, da man in Berlin weder die Luft, noch
die Mittel besitze, Ägyptologen zu züchten. Ich sagte mir
ferner zu eigenem Troste, daß eine Anzahl deutscher Gelehrter
von bestem Namen im Auslande lebten, – ich brauche nur an die
Namen des Hellenisten Hase, des Iraniers Julius Mohl, des
Keilschriftenentzifferers Julius Oppert in Frankreich, des
Sprachforschers Max Müller in England u.s.w. zu erinnern, –
die sämtlich von deutschen Müttern geboren wurden, ohne daß
ihnen jemals der Übertritt in eine fremdländische
Unterthanenschaft zum Vorwurf oder gar zum Verbrechen
angerechnet worden wäre. Dennoch tauscht man nicht ohne
schwere Gründe sein Heimatsrecht gegen ein anderes aus, wie
man etwa ein neues Kleid anlegt und das alte in den Winkel
wirft. War ich auch als Berliner Kind einer der
reiselustigsten Bewohner meiner lieben Vaterstadt, so war mir
dennoch niemals der Gedanke gekommen, als Ausländer im Elend
zu sterben.
Das letzte, so nahm ich mir vor, sollte nicht unversucht
bleiben, um mir und meinen Kindern das preußische Bürgerrecht
zu erhalten. Nachdem ich an die zuständige Stelle in Paris die
Bitte gerichtet, mir meine Entscheidung bis nach Verlauf von
vierzehn Tagen vorbehalten zu dürfen, reiste ich als Professor
in spe am Collège de France nach Berlin, um meine Entscheidung
in die Hände des Unterrichtsministeriums zu legen und mir den
Vorwurf zu ersparen, als habe ich leichtsinnig mit dem eigenen
Vaterlande gebrochen. Ich danke es vorzüglich der Vermittlung
des Professor Lepsius, der mit meiner Übersiedelung nach
Frankreich wenig einverstanden war, daß mir vom Ministerium
des Unterrichtes eine gesicherte Stellung als ordentlicher
Professor an der Georgia-Augusta-Universität in Göttingen
übertragen wurde. Es ist eine eigentümliche Erscheinung in
unserm Vaterlande, daß der Prophet in demselben so lange
nichts gilt, als bis das Ausland seiner begehrt. Die alte
Erfahrung bewahrheitete sich an mir selber und ich kam mir als
ein. »Etwas« vor, wie die Perser sagen, seitdem ich fühlte,
daß ich den Wert eines begehrten Artikels erreicht hatte. Ich
danke es noch heute der höchsten Unterrichtsbehörde meines
Vaterlandes, mir durch meine Versetzung nach Göttingen die
Gelegenheit geboten zu haben, mir und meiner Familie das
preußische Unterthanenrecht zu erhalten.
Meine Übersiedelung nach Göttingen und mein Aufenthalt in
dieser Stadt war mit einzelnen sonderbaren Zwischenfällen
verbunden, an die ich noch manchmal später mit Vergnügen
zurückgedacht habe. Man erinnere sich, daß Göttingen eine
Universitätsstadt des Königreichs Hannover bildete und daß
nach der Annexion desselben die ehrwürdige alma mater genötigt
war, von Berlin aus ihre Gelder und Weisungen zu empfangen.
Kaum drei Jahre waren seit der Einverleibung Hannovers in
Preußen vergangen. Es konnte daher nicht in Erstaunen setzen,
daß die Gesinnungen der Bewohner Göttingens und an ihrer
Spitze die der hannoverschen Träger der Weisheit gegen Preußen
und seinen Herrscher nichts weniger als freundlicher Natur
waren. Bei meiner ersten Orientierungsfahrt nach den Ufern der
Leine erprobte ich an mir selber die Widerhaarigkeit der
angestammten Einwohner der Stadt, denn nirgends war man
geneigt, mir eine Wohnung zu einem angemessenen Preise zu
vermieten. Der Zufall hatte es gefügt, daß wenige Monate vor
meiner Ankunft ein Rechtslehrer an der Universität von
preußischer Herkunft, Herr von der Knesebeck, das Zeitliche
gesegnet hatte und daß die Witwe nach seinem Tode ein ihr
hinterlassenes unbewegliches Besitztum in Gestalt eines
soliden zweistöckigen Hauses in der Unteren Maschstraße zu
veräußern wünschte. Die Hinterseite ging nach dem sogenannten
»Wall« hinaus, der damals die gute Stadt Göttingen umgürtete,
heutzutage jedoch an verschiedenen Orten durchbrochen ist. An
einer Stelle desselben befand sich. wenigstens noch zur Zeit
meines Aufenthaltes in Göttingen, ein Häuschen, zu dessen Thür
man über eine kleine Holzbrücke gelangte. Es wurde mir als die
festungsartige Wohnung mit Zugbrücke des Fürsten Bismarck
während seiner Studienzeit in Göttingen bezeichnet.
Bei der Abneigung gegen den eingewanderten preußischen
Professor, dem die Wohnungsnot hellen Kummer zu bereiten
anfing, blieb mir nichts weiter übrig als das oben erwähnte
Haus käuflich zu erwerben, wozu eine Anzahlung von mehreren
tausend Thalern das erste Erfordernis war. Das fehlende Geld
war indes meine geringste Sorge, denn schon nach wenigen Tagen
war ich in der Lage, die verlangte Summe der Besitzerin bar
und richtig auszuzahlen. Mein großes hieroglyphisches Lexikon
lag handschriftlich vollendet vor mir, ich übergab es der J.
C. Hinrichsschen Buchhandlung in Leipzig zum Verlag und diese
letztere fand sich gern bereit, einen Teil des verlangten
Honorars mir vorweg einzuhändigen. Allerdings traten harte
Monate und Jahre der Arbeit an mich heran. Ich war genötigt,
das ganze Werk mit meiner eigenen Hand niederzuschreiben im
steten Kampfe mit spröder Feder und zäher Fetttinte, um
dasselbe zum Umdruck vorzubereiten.
Vom Jahre 1867 an bis zum 19. März 1882 habe ich das
siebenbändige Werk zu vollenden vermocht. Auf 3146 Seiten
finden sich ungefähr 8400 Wörter in hieroglyphischen und
demotischen Schriftzügen ausgeführt, besprochen und zum
größten Teile erklärt. Ich darf mir nicht das Selbstlob
spenden, damit eine gewaltige Arbeit ausgeführt zu haben, doch
wohl es offen gestehen, daß von den Gelehrten des In- und
Auslandes dem Werke bereits bei dem Erscheinen der ersten
Lieferungen die größte Anerkennung gezollt worden ist. Es
liegt in der Natur der schwierigen Aufgabe, daß Irrtümer und
Fehler darin unvermeidlich waren, aber diese Mängel haben den
Wert des Wörterbuchs bis zur Stunde nicht auf heben können.
Mit Vergnügen machte ich die Wahrnehmung, daß seit der
Veröffentlichung der umfangreichen Arbeit die Entzifferungen
altägyptischer Inschriften und Texte die Thätigkeit der
Gelehrten in stets wachsendem Maßstabe beschäftigte. Selbst
ein Lepsius schrieb mir darüber am 22. April 1882 »Es ist dies
ein Lebenswerk, dem kein ähnliches gegenübergestellt werden
kann in der Ägyptologie«.
So saß ich denn im eigenen Hause und hatte vollauf Zeit,
mich in das Göttinger Bürgertum einzuleben, ohne den
geringsten Ärger darüber zu empfinden, daß meine lieben
Nachbarn hüben und drüben gelben und weißen Sand zu streuen
nicht müde wurden oder mit Blumen ihre Fenster schmückten,
welche dieselben Farben zur Schau trugen. Mehr ärgerte es
meine liebe Frau, daß die Händler mit Lebensmitteln an unserem
Hause vorübergingen, ohne es zu betreten, und daß der
hannoverschen Köchin beim eingewanderten Preußen auf dem
Markte doppelte und dreifache Preise abgefordert wurden.
Die Aufnahme, deren ich mich von seiten meiner nunmehrigen
Herren Kollegen zu erfreuen hatte, war nichts weniger als
hannoverisch, sondern offenbarte einen echt deutschen
Charakter. Selbst ein Ewald, der in der Politik wie in der
Wissenschaft verbissene und allgemein gefürchtete große
Hebräer, ließ mich seine antipreußischen Gesinnungen in keiner
Weise fühlen und trat sogar in einen näheren
wissenschaftlichen Verkehr mit mir, welcher der Mehrung meines
Wissens sicherlich nicht zum Schaden gereichte. Zu meinen
aufrichtigen Freunden und Gönnern zählte ich damals Professor
Curtius, den ehemaligen Lehrer Kaiser Friedrichs, den
Sanskritforscher Benfey, die Physiker Wöhler, Weber und
Listing, um anderer nicht zu gedenken, die mir im geselligen
Verkehr näher standen. In meinem verehrten Kollegen Dr.
Klinkerfues lernte ich schon damals einen Witzbold
sondergleichen bewundern.
Die Vorlesungen, die ich in dem größten Saale der
Universität öffentlich hielt, erfreuten sich eines ungeheuren
Zuspruchs, denn ich befand mich nicht selten mehr als 500
aufmerksamen Hörern gegenüber. Kleine Seelen, welche der Neid
zu plagen schien, konnten deshalb den Scherz nicht
unterdrücken, meine Vorlesungen als das Sommertheater der alma
mater in Göttingen zu bezeichnen.
Auf eine jüngere lebenslustige Kraft, welche die Welt und
ihre größten Städte gesehen hat und auf den Reisen mit
Menschen der verschiedensten Nationen in Berührung gekommen
war, übt Göttingen mit der Zeit einen abspannenden Eindruck
aus. Es liegt nicht an der Natur, an den Bergen und Wäldern in
der Umgebung der Stadt, nicht an ihrer Kleinheit und dem
beengenden Halsring in Gestalt des Walles, sondern wohl eher
in dem Charakter ihrer Einwohner, der sich seit Heines Zeit
wenig geändert zu haben scheint. Allerdings sind ihre Wünsche
für ein glückliches Dasein bescheiden, denn sie beschränken
sich auf den begehrten Besitz eines zahlungsfähigen Bruder
Studio in einem Zimmer des Vorderhauses und auf ein greulich
stinkendes Schwein im Hinter hause. So war es wenigstens zu
meiner Zeit. Meine Geruchsnerven konnten es täglich und
stündlich bezeugen, welch eine widrige, grunzende Gesellschaft
unmittelbar neben meinem Gärtchen ihr Unwesen trieb. Es war,
besonders in sommerlicher Jahreszeit, kaum mehr zu ertragen,
ganz zu schweigen von dem zahllosen Fliegengeschmeiß, welches
die Nähe des Borstenviehes anzog. Die Fenster meines Hauses
blieben Tag und Nacht geschlossen. Wie sehnte ich mich nach
den reinen Lüften unter dem blauen Himmel des Nilthales!