Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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5. Mein preußisches Beamtentum

Warum ich Professor in Göttingen wurde.

Meine konsularische Thätigkeit erreichte ihr Ende, nachdem ich einsehen gelernt hatte, daß ich durchaus nicht dazu geschaffen war und, nebenbei bemerkt, auch meine materiellen Mittel ihr Ende erreicht hatten. Das konsularische Amt ist eines der ehrenvollsten, das ich kenne, denn es muß seinen Träger mit Stolz erfüllen, der Vertreter einer großen und mächtigen Regierung zu sein. Seine Unverletzlichkeit auf fremdem Gebiete umgiebt ihn mit einem Nimbus, welcher den Ehrgeiz anstachelt und ihm die Pflicht auferlegt, mit aller Strenge und Sorgfalt die mit seinem Amte verbundene Thätigkeit auszuüben. Hinter ihm steht ein Schützer und Rächer, der stärker nicht gedacht werden kann, und das Senken seiner Landesfahne ist gleichbedeutend mit einer kriegerischen Drohung. Ich habe mich bemüht, meine Obliegenheiten in einer so ehrenvollen Stellung nach Maßgabe meiner schwachen Kräfte zu erfüllen, aber ich hätte nur Konsul und nicht Ägyptologe sein müssen, um meine Thätigkeit ausschließlich meinem Berufe zu widmen.

Ich verließ Ägypten nach kurzer Zeit, um meinen Weg diesmal über Berlin nach Paris einzuschlagen. Mariette, der mit meiner Lage vollkommen vertraut war, denn ich hatte ihm mein ganzes schweres Herz ausgeschüttet, war um guten Rat nicht verlegen und lud mich ein, meinen Weg nach Paris zu richten, mit ihm dort zusammenzutreffen und im stillen an den Arbeiten für die geplante Weltausstellung im Jahre 1867 teilzunehmen. Er hatte in Passy eine Villa inmitten eines hübschen Gartens gemietet, ich war sein Gast und Mitbewohner seines Hauses und so lebten wir im täglichen und freundschaftlichen Verkehr neben einander, mit den Vorarbeiten für die Weltausstellung beschäftigt. Ich hatte dabei vollauf Gelegenheit und Zeit, mit den mir von meiner ersten Reise her befreundeten französischen Gelehrten aufs neue in Verbindung zu treten und vor allem in dem Grafen Emmanuel de Rougé, der damals bereits den Rang eines Staatsrats bekleidete, einen ebenso warmen als großmütigen Beschützer zu finden. Der Graf hatte nämlich die Stellung eines Professors am Colloge de France inne, mit welcher eine Besoldung von 12000 Franken verbunden war. Er machte mir den Vorschlag, an demselben Collège Vorträge über die ägyptisch-demotische Schrift und Litteratur zu halten, wogegen er mir freiwillig seine Besoldung als Professor abtrat, doch sei, wie er hinzufügte, die Genehmigung des Kaisers Napoleon erforderlich, um meine Stellung in eine dauernd feste zu verwandeln.

Was die kaiserliche Genehmigung anbetraf, so machte sich Mariette anheischig, dieselbe in kürzester Zeit durch eine bejahrte Freundin zu erreichen, welche ihm selber die ausgezeichnetsten Dienste geleistet hatte und mit dem Kaiser auf du und du stand. Es war die Milchschwester desselben Madame Cornu, deren Namen ich bereits oben Gelegenheit hatte zu erwähnen. Die Dame, an einen Maler von mittelmäßigem Talente verheiratet, hatte früher lange Zeit am Rhein gelebt und war der deutschen Sprache vollkommen mächtig Sie bewohnte mit ihrem Gatten ein bescheidenes Haus in Versailles, in welchem ich die Sechzigerin zu sehen und zu sprechen häufig Gelegenheit hatte. Sie war mit der Geschichte der Napoleoniden vollkommen vertraut und erzählte mir Einzelheiten, wie man sie nur unter vier Augen einem guten Freunde anzuvertrauen pflegt. Auf Madame Eugénie war sie überaus schlecht zu sprechen, da sie derselben die Schuld beimaß, ihren Milchbruder zu einem Eidbruch veranlaßt zu haben. Madame Cornu, wie man dazu wissen muß, war Erzrepublikanerin, und seine Erhebung auf den Kaiserthron ging ihr wider den Strich. Sie hatte deshalb abgelehnt, jede ihr angebotene Unterstützung aus seinen Händen zu empfangen, und es vorgezogen, gemeinschaftlich mit ihrem Manne ihren Unterhalt durch eigene Arbeit zu gewinnen. Sie durfte sich jedoch jederzeit dem kaiserlichen Milchbruder nahen und an dem Abendthee teilnehmen, ja selbst ihm Ratschläge geben, wenn es sich um nicht staatliche Angelegenheiten handelte. Ihre Erinnerungen an die Familie der Napoleoniden reichten bis in die Zeit von Madame Laetitia zurück, der Mutter Napoleon Bonapartes. Noch klingt mir ihre Erzählung in die Ohren, wie sie als vierjähriges Kind von ihrer Mutter nach dem Hause geführt wurde, in welchem Madame Laetitia in Rom ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Die Gemächer waren sämtlich von dem Treppenhause an mit Trauerkrep ausgeschlagen, und alle dekorativen Teile in Schwarz ausgeführt. Wie Kinder zu thun pflegen, lachte sie mit lauter Stimme, als die Gestalt einer ehrwürdigen, in tiefste Trauer gekleideten, hochbejahrten Dame erschien, welche dem Kinde die Worte zurief: »Meine Tochter, du bist im Hause der Mutter des großen Kaisers, darin ist das Lachen unbekannt.« Sprach's und verschwand, wie sie gekommen war.

Madame Cornu, die mich mit den schmeichelhaftesten Beweisen ihres Zutrauens überschüttete, übernahm mit Vergnügen die Aufgabe, dem Kaiser von dem beabsichtigten Eintritt eines demotischen Deutschen in französische Dienste Kenntnis zu geben und um seine Genehmigung für die vorläufig getroffene Vereinbarung zu bitten. Eine Folge dieser Vermittlung war meine gleich darauf folgende Vorstellung, in welcher ich Gelegenheit hatte, mit dem damals allgewaltigen Herrscher Frankreichs eine längere Unterhaltung zu führen. Sie betraf mein Leben, meine Schicksale und vor allem meine wissenschaftlichen Arbeiten, von denen er eine allgemeine Kenntnis besaß, worauf er sein Lieblingsthema, Julius Cäsar und die Eroberung Alexandriens durch diesen römischen Feldherrn, berührte. Er stand in einer Fensterecke, redete mich in deutscher Sprache an, legte mir Fragen vor, die ich, ohne von ihm unterbrochen zu werden, in einem Flusse beantwortete. Der Kaiser löste darauf sein gewohnheitsmäßiges langes Schweigen und verständigte mich darüber, auf meine zukünftige Stellung in Frankreich übergehend, daß mir auf seinen Befehl die Naturalisation als Franzose nicht erst nach zehnjährigem Aufenthalte in Frankreich, wie es das Gesetz erheischt, sondern nach einjährigem bewilligt werden sollte.

Ich muß sagen, daß die Eile, mit welcher meine Naturalisation vor sich zu gehen drohte, mich ein wenig erschreckte. Ich erinnerte mich zwar sehr wohl, daß mir von hochstehender Seite in Berlin kurz vor meiner Abreise nach Paris der billige Rat gegeben wurde, mich nach einer Stellung im Auslande umzusehen, da man in Berlin weder die Luft, noch die Mittel besitze, Ägyptologen zu züchten. Ich sagte mir ferner zu eigenem Troste, daß eine Anzahl deutscher Gelehrter von bestem Namen im Auslande lebten, – ich brauche nur an die Namen des Hellenisten Hase, des Iraniers Julius Mohl, des Keilschriftenentzifferers Julius Oppert in Frankreich, des Sprachforschers Max Müller in England u.s.w. zu erinnern, – die sämtlich von deutschen Müttern geboren wurden, ohne daß ihnen jemals der Übertritt in eine fremdländische Unterthanenschaft zum Vorwurf oder gar zum Verbrechen angerechnet worden wäre. Dennoch tauscht man nicht ohne schwere Gründe sein Heimatsrecht gegen ein anderes aus, wie man etwa ein neues Kleid anlegt und das alte in den Winkel wirft. War ich auch als Berliner Kind einer der reiselustigsten Bewohner meiner lieben Vaterstadt, so war mir dennoch niemals der Gedanke gekommen, als Ausländer im Elend zu sterben.

Das letzte, so nahm ich mir vor, sollte nicht unversucht bleiben, um mir und meinen Kindern das preußische Bürgerrecht zu erhalten. Nachdem ich an die zuständige Stelle in Paris die Bitte gerichtet, mir meine Entscheidung bis nach Verlauf von vierzehn Tagen vorbehalten zu dürfen, reiste ich als Professor in spe am Collège de France nach Berlin, um meine Entscheidung in die Hände des Unterrichtsministeriums zu legen und mir den Vorwurf zu ersparen, als habe ich leichtsinnig mit dem eigenen Vaterlande gebrochen. Ich danke es vorzüglich der Vermittlung des Professor Lepsius, der mit meiner Übersiedelung nach Frankreich wenig einverstanden war, daß mir vom Ministerium des Unterrichtes eine gesicherte Stellung als ordentlicher Professor an der Georgia-Augusta-Universität in Göttingen übertragen wurde. Es ist eine eigentümliche Erscheinung in unserm Vaterlande, daß der Prophet in demselben so lange nichts gilt, als bis das Ausland seiner begehrt. Die alte Erfahrung bewahrheitete sich an mir selber und ich kam mir als ein. »Etwas« vor, wie die Perser sagen, seitdem ich fühlte, daß ich den Wert eines begehrten Artikels erreicht hatte. Ich danke es noch heute der höchsten Unterrichtsbehörde meines Vaterlandes, mir durch meine Versetzung nach Göttingen die Gelegenheit geboten zu haben, mir und meiner Familie das preußische Unterthanenrecht zu erhalten.

Meine Übersiedelung nach Göttingen und mein Aufenthalt in dieser Stadt war mit einzelnen sonderbaren Zwischenfällen verbunden, an die ich noch manchmal später mit Vergnügen zurückgedacht habe. Man erinnere sich, daß Göttingen eine Universitätsstadt des Königreichs Hannover bildete und daß nach der Annexion desselben die ehrwürdige alma mater genötigt war, von Berlin aus ihre Gelder und Weisungen zu empfangen. Kaum drei Jahre waren seit der Einverleibung Hannovers in Preußen vergangen. Es konnte daher nicht in Erstaunen setzen, daß die Gesinnungen der Bewohner Göttingens und an ihrer Spitze die der hannoverschen Träger der Weisheit gegen Preußen und seinen Herrscher nichts weniger als freundlicher Natur waren. Bei meiner ersten Orientierungsfahrt nach den Ufern der Leine erprobte ich an mir selber die Widerhaarigkeit der angestammten Einwohner der Stadt, denn nirgends war man geneigt, mir eine Wohnung zu einem angemessenen Preise zu vermieten. Der Zufall hatte es gefügt, daß wenige Monate vor meiner Ankunft ein Rechtslehrer an der Universität von preußischer Herkunft, Herr von der Knesebeck, das Zeitliche gesegnet hatte und daß die Witwe nach seinem Tode ein ihr hinterlassenes unbewegliches Besitztum in Gestalt eines soliden zweistöckigen Hauses in der Unteren Maschstraße zu veräußern wünschte. Die Hinterseite ging nach dem sogenannten »Wall« hinaus, der damals die gute Stadt Göttingen umgürtete, heutzutage jedoch an verschiedenen Orten durchbrochen ist. An einer Stelle desselben befand sich. wenigstens noch zur Zeit meines Aufenthaltes in Göttingen, ein Häuschen, zu dessen Thür man über eine kleine Holzbrücke gelangte. Es wurde mir als die festungsartige Wohnung mit Zugbrücke des Fürsten Bismarck während seiner Studienzeit in Göttingen bezeichnet.

Bei der Abneigung gegen den eingewanderten preußischen Professor, dem die Wohnungsnot hellen Kummer zu bereiten anfing, blieb mir nichts weiter übrig als das oben erwähnte Haus käuflich zu erwerben, wozu eine Anzahlung von mehreren tausend Thalern das erste Erfordernis war. Das fehlende Geld war indes meine geringste Sorge, denn schon nach wenigen Tagen war ich in der Lage, die verlangte Summe der Besitzerin bar und richtig auszuzahlen. Mein großes hieroglyphisches Lexikon lag handschriftlich vollendet vor mir, ich übergab es der J. C. Hinrichsschen Buchhandlung in Leipzig zum Verlag und diese letztere fand sich gern bereit, einen Teil des verlangten Honorars mir vorweg einzuhändigen. Allerdings traten harte Monate und Jahre der Arbeit an mich heran. Ich war genötigt, das ganze Werk mit meiner eigenen Hand niederzuschreiben im steten Kampfe mit spröder Feder und zäher Fetttinte, um dasselbe zum Umdruck vorzubereiten.

Vom Jahre 1867 an bis zum 19. März 1882 habe ich das siebenbändige Werk zu vollenden vermocht. Auf 3146 Seiten finden sich ungefähr 8400 Wörter in hieroglyphischen und demotischen Schriftzügen ausgeführt, besprochen und zum größten Teile erklärt. Ich darf mir nicht das Selbstlob spenden, damit eine gewaltige Arbeit ausgeführt zu haben, doch wohl es offen gestehen, daß von den Gelehrten des In- und Auslandes dem Werke bereits bei dem Erscheinen der ersten Lieferungen die größte Anerkennung gezollt worden ist. Es liegt in der Natur der schwierigen Aufgabe, daß Irrtümer und Fehler darin unvermeidlich waren, aber diese Mängel haben den Wert des Wörterbuchs bis zur Stunde nicht auf heben können. Mit Vergnügen machte ich die Wahrnehmung, daß seit der Veröffentlichung der umfangreichen Arbeit die Entzifferungen altägyptischer Inschriften und Texte die Thätigkeit der Gelehrten in stets wachsendem Maßstabe beschäftigte. Selbst ein Lepsius schrieb mir darüber am 22. April 1882 »Es ist dies ein Lebenswerk, dem kein ähnliches gegenübergestellt werden kann in der Ägyptologie«.

So saß ich denn im eigenen Hause und hatte vollauf Zeit, mich in das Göttinger Bürgertum einzuleben, ohne den geringsten Ärger darüber zu empfinden, daß meine lieben Nachbarn hüben und drüben gelben und weißen Sand zu streuen nicht müde wurden oder mit Blumen ihre Fenster schmückten, welche dieselben Farben zur Schau trugen. Mehr ärgerte es meine liebe Frau, daß die Händler mit Lebensmitteln an unserem Hause vorübergingen, ohne es zu betreten, und daß der hannoverschen Köchin beim eingewanderten Preußen auf dem Markte doppelte und dreifache Preise abgefordert wurden.

Die Aufnahme, deren ich mich von seiten meiner nunmehrigen Herren Kollegen zu erfreuen hatte, war nichts weniger als hannoverisch, sondern offenbarte einen echt deutschen Charakter. Selbst ein Ewald, der in der Politik wie in der Wissenschaft verbissene und allgemein gefürchtete große Hebräer, ließ mich seine antipreußischen Gesinnungen in keiner Weise fühlen und trat sogar in einen näheren wissenschaftlichen Verkehr mit mir, welcher der Mehrung meines Wissens sicherlich nicht zum Schaden gereichte. Zu meinen aufrichtigen Freunden und Gönnern zählte ich damals Professor Curtius, den ehemaligen Lehrer Kaiser Friedrichs, den Sanskritforscher Benfey, die Physiker Wöhler, Weber und Listing, um anderer nicht zu gedenken, die mir im geselligen Verkehr näher standen. In meinem verehrten Kollegen Dr. Klinkerfues lernte ich schon damals einen Witzbold sondergleichen bewundern.

Die Vorlesungen, die ich in dem größten Saale der Universität öffentlich hielt, erfreuten sich eines ungeheuren Zuspruchs, denn ich befand mich nicht selten mehr als 500 aufmerksamen Hörern gegenüber. Kleine Seelen, welche der Neid zu plagen schien, konnten deshalb den Scherz nicht unterdrücken, meine Vorlesungen als das Sommertheater der alma mater in Göttingen zu bezeichnen.

Auf eine jüngere lebenslustige Kraft, welche die Welt und ihre größten Städte gesehen hat und auf den Reisen mit Menschen der verschiedensten Nationen in Berührung gekommen war, übt Göttingen mit der Zeit einen abspannenden Eindruck aus. Es liegt nicht an der Natur, an den Bergen und Wäldern in der Umgebung der Stadt, nicht an ihrer Kleinheit und dem beengenden Halsring in Gestalt des Walles, sondern wohl eher in dem Charakter ihrer Einwohner, der sich seit Heines Zeit wenig geändert zu haben scheint. Allerdings sind ihre Wünsche für ein glückliches Dasein bescheiden, denn sie beschränken sich auf den begehrten Besitz eines zahlungsfähigen Bruder Studio in einem Zimmer des Vorderhauses und auf ein greulich stinkendes Schwein im Hinter hause. So war es wenigstens zu meiner Zeit. Meine Geruchsnerven konnten es täglich und stündlich bezeugen, welch eine widrige, grunzende Gesellschaft unmittelbar neben meinem Gärtchen ihr Unwesen trieb. Es war, besonders in sommerlicher Jahreszeit, kaum mehr zu ertragen, ganz zu schweigen von dem zahllosen Fliegengeschmeiß, welches die Nähe des Borstenviehes anzog. Die Fenster meines Hauses blieben Tag und Nacht geschlossen. Wie sehnte ich mich nach den reinen Lüften unter dem blauen Himmel des Nilthales!

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