4. Von Dschedda nach Mekka
Als ich am Abend des 25. Du el Kada 1276 (15. Juni 1860)
vor die Tür meiner Wohnung, der Kaffeebude, trat, bot sich mir
ein seltsames Bild dar. Da lagerten auf den Plätzen der Stadt,
zwischen den Schilfhütten und Reiserbuden und Zelten wohl
tausend Hadschadsch aus aller Herren Länder. Am sie herum
standen, lagen oder knieten die Kamele, von malerisch
zerlumpten, sonnverbrannten Beduinen begleitet, dazwischen
flinke Eselchen, hier und da ein reichbeladenes Maultier und
zuweilen auch ein edles arabisches Roß ans dem Nedsched, dem
Vaterland der schönsten Pferde, mit dem seinen, zarten Kopfe,
dem schlanken, gelenkigen Körper, mit hoher, wallender Mähne,
mit den dünnen, sehnigen Beinen und dem langen, dichtbehaarten
Schweife. Die Karawane, welche an diesem Abend Dschedda
verlassen und auch uns mitnehmen sollte, bestand aus etwa
fünfhundert Hadschadsch, von denen ungefähr hundert Kamele,
hundertfünfzig kleine Eselchen ritten und die übrigen zu Fuß
gingen. Aber unsere Karawane besaß keinen Häuptling und auch
keinen Zusammenhang und war überhaupt nichts anderes, als ein
unregelmäßiger Zug von Reisenden, die in der größten Anordnung
ritten oder gingen. Gelegentlich sah man wohl auch eine von
zwei reichverzierten Kamelen getragene Sänfte, durch deren
offenes Fenster man die seltsamen, gespensterartig verhüllten
Gestalten von Frauen erblicken konnte. Da wandelte zu Fuß ein
Häuflein Derwische mit schmutzigen und durchlöcherten Ihrams
und ungewaschenen Gliedern. Dazwischen sah man auch wohl
irgendeinen stolzen arabischen Häuptling, der kühn zu Pferde
auf einem edlen, sich hochbäumenden Araberhengst des Nedsched
saß und der mit seinem langen wallenden weißen Mantel, roten
Kopftuch und glänzenden Waffen im Gürtel sich vorteilhaft von
den einförmig gekleideten Pilgern unterschied.
In unserer Gesellschaft befand sich übrigens jetzt auch
wieder einer der beiden Mekkaner, welche von Kairo die
Nilfahrt, dann die Wüstenreise und endlich die Seefahrt auf
dem Roten Meere mit uns gemacht hatten. Zum Glück waren wir
den Spitzbuben, der den guten, dicken Haggi Omar bestohlen und
der die ganze Reise auf unsere Kosten mitgemacht hatte,
losgeworden. Den andern suchte ich mir geneigt zu machen,
indem ich ihm seine Kamelmiete von Dschedda nach Mekka
bezahlte; dies tat ich in der Hoffnung, daß er mir in Mekka
weitere Auskunft über die heilige Stadt gebe und mir bei der
Erlangung eines Quartiers behilflich sei. Das geschah denn
auch später ziemlich zu meiner Zufriedenheit. Hassan Ben
Ssadak, so hieß der Mekkawi, war aber, wie ich trotz seiner
Prahlereien sehr bald entdeckte, keineswegs der Sohn
wohlhabender Eltern; sein Vater Ssadak, den ich später in
Mekka kennen lernte, war vielmehr einer jener vielen gelehrten
Bettler, die ihre Kenntnisse des Korans dazu benutzen, um von
den Almosen der gläubigen Pilger zu leben.
Der Weg von Dschedda nach Mekka mag etwa neun deutsche
Meilen betragen. Da nun eine gewöhnliche Karawane volle zwei
Stunden gebraucht, um eine deutsche Meile zurückzulegen, so
hätten wir achtzehn Stunden hoch zu Kamel oder zu Esel
zubringen müssen. Wir zogen es aber vor, in einer
Mittelstation, die den Namen Hadda führt, einen Tag Aufenthalt
zu machen.
Bald nachdem wir das Gewirr von Kaffeezelten vor den Toren
Dscheddas verlassen hatten, traten wir in eine wahre Einöde
ein, in der, soweit ich in der Dunkelheit unterscheiden
konnte, nichts, gar nichts zu wachsen schien. Hier ruhte die
Natur in unermeßlichem Schweigen, kein Laut eines Nachtvogels
ließ sich vernehmen, kein Abendschwärmer summte dahin, kein
Leuchtkäfer funkelte durch die Nachtluft. Das einzige Leben
brachten die Pilger in die Totenstille, aber auch diese waren
schweigsam und würdevoll, wie es nun einmal die Morgenländer
alle sind.
Nach dreistündigem Ritt, der uns zwar unmerklich, aber doch
stetig aufwärts geführt hatte, wurde eine kurze Rast bei einem
Brunnen gemacht, neben dem eine Kaffeebude erbaut worden war.
Am 11 Uhr wurde schon wieder bei einer andern Kaffeebude
gerastet; die gewaltige Hitze in dieser Nacht hatte aber auch
alle sehr durstig gemacht. Meine Reisegefährten erquickten
sich durch Wasser und genossen ihr hartes schwarzes Durrabrot,
wozu ich ihnen einige eingesalzene Fische schenkte, was mir
manchen zum Freunde machte.
Der Mekkawi erzählte mir, daß diese Straße früher von
herumziehenden Räuberbanden sehr unsicher gemacht worden sei;
jetzt übten hier nun türkische Soldaten die Aufsicht, die aber
selbst wieder allerlei Räubereien begingen, sich von den
Pilgern Lebensmittel und Kaffee mit Gewalt erpreßten, die
Läden ausplünderten und die Wirte oft bis aufs Hemd
ausraubten. Deshalb sind diese Kaffeebuden hier auch meistens
in der Hand von Türken. Die beiden Söhne des Besitzers dieser
Kaffeebude fielen über die Araber, namentlich über die
sanfteren Ägypter, mit den gemeinsten Schimpfworten her; gegen
die städtischen Araber benahmen sie sich nur ein wenig
höflicher; gegen die Beduinen, die freien Söhne der Wüste,
aber trauten sie sich kaum den Mund aufzutun. Wo die Türken
sich in der Minderheit befinden, da werden sie von den Arabern
sehr verachtet; wo sie sich aber stark genug fühlen, da lassen
sie die armen Hadschadsch ihre ganze Roheit fühlen. – Da sich
in unserer Gesellschaft auch zwei Türken befanden, die beiden
nämlich, welche schon von Kairo mit uns gereist waren, so
brachten die beiden schimpflustigen Jünglinge bald eine große
Schüssel voll Pilaff, das bekannte türkische Nationalgericht
aus Reis, Butter und Hammelfleisch, auf den Tisch, worauf
sogleich ein ganz unmäßiges Fressen begann. Das Unanständigste
aber war nicht die Gier, mit der sie den Reis verschlangen,
sondern das Getöse, das aus ihrem Magen nach beendigter
Mahlzeit heraufstieg und das bei ihnen mit zum guten Ton
gehörte.
Nach einem Ritt von anderthalb Stunden gelangten wir an
einen Brunnen mit Kaffeezelten, rasteten jedoch nicht, sondern
setzten unsern Weg, der immer noch in die Höhe strebte, fort,
bis wir gegen vier Uhr morgens einen kleinen Ort namens Bahra
erreichten. Hier bemerkten wir mit freudigem Erstaunen wieder
mannigfaltigen Pflanzenwuchs, Akazien, Zuckerrohr und
vielerlei sonderbar geformte Blattpflanzen. Der Ort selbst
bestand aus dreißig elenden Hütten, zwischen denen ein kleiner
Markt abgehalten wurde. Die Eßwaren waren jedoch alle schlecht
oder verdorben und zudem mit einem Geschmeiß von Ungeziefer
bedeckt, welches, durch die Lichter angelockt, sich in Massen
auf den Waren lagerte, von denen nichts kaufen zu müssen ich
meinem Schöpfer dankte. Hier befand sich auch ein Posten
türkischen Militärs zur Sicherung des Weges in Garnison. Wir
bekamen aber keine Soldaten zu Gesicht; denn diese pflegen
nachts zu schlafen und nur am Tage, wenn es gar keine Pilger
gibt, die Straße zu bewachen.
Nach weiterem zweistündigen Ritt erreichten wir Hadda, die
Mittelstation, und zwar gerade – ein herrlicher Anblick – zur
Zeit des Sonnenaufgangs. El Hadda mochte etwa zweihundert
Bretterbuden, Reisighütten oder Zelte zählen. Zum Glück fanden
wir, wenn auch mit vieler Mühe und nur für schweres Geld,
Unterkommen in einer der vielen Kaffeebuden und brauchten
nicht wie so viele arme Hadschadsch in den Straßen der
armseligen Hüttenstadt auf der nackten Erde unser
Tagesquartier aufzuschlagen; denn in El Hadda, das war
ausgemacht, mußte der Tag zugebracht werden. Ich hatte zwar
große Lust, gleich den Weg nach Mekka fortzusetzen; denn meine
Ungeduld, die heilige Stadt zu erreichen, war groß; aber
selbst wenn ich einen Beduinen gefunden hätte, der mich bei
Tage hätte dahin führen wollen, so wäre ich dann doch von
meiner Reisegesellschaft getrennt worden, was ich nicht für
gut hielt.
Als ich nach sechs- bis siebenstündigem Schlafe wieder
erwachte, war bereits die erste Stunde des Nachmittags
angebrochen, in welcher jeder fromme Pilger seine vier Rikats
beten muß, was ich denn auch tat. Danach ging ich mit dem
Mekkawi in den Gassen von El Hadda ein wenig auf und ab.
Dieser Ort bot doch einen höchst seltsamen Anblick. Die
Reisighütten waren alle bienenkorbartig gerundet, so daß man
sich in ein Negerdorf versetzt glauben konnte, und waren
umschwärmt von einem dichten Heere halbnackter Hadschadsch,
die, seit Rabörh nicht mehr gewaschen und rasiert, von
Schmutz, Ungeziefer und Lumpen starrten. Mitten unter diesem
Volk begegneten wir einem Mann, der noch ein wirkliches und
ziemlich reinliches Gewand anhatte, zwar keine Schuhe besaß,
aber auf seinem Haupte einen mächtigen Turban schaukelte.
Dieser Mann war ein alter Bekannter meines Mekkawi, der ihm
denn auch lebhaft um den Hals fiel; er war Besitzer von acht
der bienenkorbartigen Hütten, aus deren Vermietung zur
Pilgerzeit er einen ansehnlichen Gewinn zog. Sonst diente jede
dieser Hütten einem eigenen Zweck, die eine als Küche, die
andere als Vorratskammer, eine als Gastzimmer, eine als
Schlafgemach, eine als Harem (Frauengemach), kurz alles war
schön eingeteilt. Jetzt aber war alles an die Fremden
vermietet, welche für diese elenden Räumlichkeiten Preise
zahlen mußten, für die man in jeder arabischen Stadt ein
schönes Haus mieten konnte. Seine sieben Frauen hatte dieser
tüchtige Geschäftsmann samt einem Dutzend schmutziger und
lärmender Kinder in eine einzige Hütte zusammengestopft, wo
sie sich nicht zum Besten befunden haben mögen. Komisch war es
nun, wenn eine der Gattinnen es wagen wollte, sich aus dem
Schmutz und Ungeziefer in der Hütte einen Augenblick
herauszureißen, um etwas frische Luft zu schöpfen. Dann hätte
man sehen sollen, mit welcher Eile der Herr, mit einem
großmächtigen Knüppel bewaffnet, herbeisprang und seiner
geliebten Frau eine tüchtige Portion Prügel verabreichte, so
daß sie schreiend und weinend in den Bienenkorb zurückkriechen
mußte. So sorgte der Herr dafür, daß seine Frauen nicht mit
den Pilgern zusammenkamen oder wohl gar eine Liebschaft mit
ihnen anfingen.
Mit diesem Manne und meinem Mekkawi überlegte ich denn
auch, wie ich in Mekka am besten zu einem Quartier kommen
konnte. Diese Spitzbuben wußten natürlich guten Rat für mich,
aber sie wollten jedenfalls auch ihren Vorteil dabei
wahrnehmen. Sie nannten mir ein Haus, in dem man, wenn man
ihren Worten trauen durfte, ganz vortrefflich leben könne; man
nähre sich dort von den herrlichsten Gerichten des Orients,
bekomme Polster zu Betten, man habe ein wunderschönes
Rauchzimmer, einen Divan, Teppiche auf dem Boden, den ganzen
Tag Kaffee, so viel man wolle, und wer weiß noch wie viele
Wonnen. Leider seien die Gäste dort nicht immer sehr fromm; es
kehrten da zuweilen Perser ein, die bekanntlich jedem
strenggläubigen Muselmann ein Greuel sind, und Maghrebia (aus
Algerien, Tunis und Marokko) gebe es dort leider gar nicht,
weil dies Haus in einem recht abgelegenen, ein wenig
verachteten Stadtteil liege. Man kann sich denken, daß mich
die geringe Strenggläubigkeit in diesem Hause wenig kümmerte;
daß aber dort meine Landsleute gar nicht zu finden seien, das
gerade machte mich fest entschlossen, nirgend anders als in
diesem Hause einzukehren.
El Hadda ist übrigens der erste Ort, wo das heilige Gebiet
von Mekka seinen Anfang nimmt. Noch ist es Zeit für einen
Ungläubigen, umzukehren, wagt er sich weiter, so trifft ihn
unfehlbar die Todesstrafe.
Um 7 Uhr abends war wieder alles zum Aufbruch bereit.
Schich Mustapha glaubte mir etwas recht Tröstliches zu sagen,
indem er mir erzählte, daß es unmöglich sei, daß ein Christ
das heilige Gebiet betrete, ohne gleich tot niederzufallen.
Ich hätte ihn leicht von der Unrichtigkeit dieser Erzählung
überzeugen können, denn ich befand mich, zwar schwach und fast
krank vor Erschöpfung von den Strapazen der Pilgerfahrt, doch
um kein Haar schlechter als vorher und dachte gar nicht daran,
auf der Stelle umzufallen; aber ich hütete mich doch, mich als
Kafir (Ungläubigen) zu verraten. Da wir von der Küste an immer
aufwärtsgestiegen waren, so machte sich die Nachtkühle doch
sehr empfindlich bemerkbar und viele der frommen Hadschadsch
zitterten in ihren leichten Umschlagetüchern wie Espenlaub,
litten sie doch fast zur Hälfte an Erkältungen des Halses, der
Brust und namentlich des Unterleibes. Auch ich litt viel seit
einigen Tagen an einer Unterleibserkältung, aber ein Gedanke
hielt mich aufrecht, der Gedanke, morgen mit dem frühesten
Hahnenschrei die Stadt zu betreten, welche erst, solange sie
besteht, zwölf Europäer gesehen hatten.
Um 11 Uhr erreichten wir die Kubba eines großen Marabuts
(Heiligen), von dem erzählt wurde, daß er aus einem fernen,
fernen Lande zum heiligen Grabe gepilgert, aber durch
übermäßiges Fasten so hinfällig geworden sei, daß er nur jeden
Tag ein oder zwei Stunden von seiner langen Fußreise hätte
zurücklegen können. So war unser frommer Pilger im Laufe
vieler, vieler Jahre immer näher dem Grabe gekommen, schon
hatte er das heilige Gebiet betreten, da gefiel es dem
garstigen Schicksal, hier an dieser Stelle seinen Lebensfaden
abzuschneiden. Wenn nun auch Allah in seiner großen Güte ihn
nach dem Tode noch nach Mekka geführt hat, damit er die sieben
Umgänge um die Kaaba vollenden konnte, so liegt er doch
wiederum hier begraben, hier an der Grenze der heiligen
Stätte.
An diesem Orte verrichteten wir natürlich Andachtsübungen
und rasteten dann wieder ein paar Stunden. Die meisten Pilger
gaben vor, daß sie bereits Mekka sehen könnten, was ganz
unmöglich war, da man es selbst am hellen Tag von hier aus
nicht sehen kann; aber so sehr wirkte die fromme Einbildung
auf diese von Glaubenseifer erhitzten Gemüter, daß sie alle in
der Dunkelheit Mauern, Türme und Moscheen in der Ferne zu
unterscheiden vermeinten und demzufolge niederknieten und die
Andachtsübungen verrichteten, die für den Augenblick, da man
zum erstenmal die heilige Stadt erblickt, vorgeschrieben sind.
Um nicht als lau oder ungläubig zu gelten, mußte ich sie
natürlich mitmachen, und da ich diese neuen umständlichen
Gebetsübungen nicht kannte, so mietete ich für ein gutes
Trinkgeld meinen Mekkawi, der mir die Gebete einzeln
vorsprechen mußte.
Bei diesem Hassan stieg übrigens, je näher wir seiner Stadt
kamen, der Hochmut, und darin erging es ihm wie allen andern
Mekkawia. Jeder Mekkaner ist nämlich von seiner eigenen
Vortrefflichkeit so überzeugt, daß es für ihn eine ausgemachte
Sache ist, daß der elendeste Bettler in Mekka noch besser ist,
als der vornehmste Mann in einem andern Lande. Wenn man sich
eine Stufenleiter der Menschen ausdenken wollte, wie sie sich
der Mekkaner vorstellt, so müßte auf der höchsten Stufe
natürlich der Mekkaner selbst zu stehen kommen. Dann würde
lange Zeit gar nichts kommen, denn nach ihm dürfte noch lange
niemand würdig gefunden werden, auf den Stufen der Leiter zu
stehen. Hundert Stufen unter ihm könnte der Bewohner von
Medina, der andern heiligen Stadt, seinen Platz finden,
fünfzig Stufen unter diesem die Beduinen und die andern
strenggläubigen Bewohner Arabiens, erst tief unter diesen die
Ägypter und Syrer, am tiefsten aber die Maghrebia, meine
vermeintlichen Landsleute, nur um ein wenig höher als die
Neger, die, auch wenn sie Moslems sind, doch zu den
niedrigsten Menschenkindern zählen. Ganz außerhalb dieser
Leiter aber würden die Türken zu stellen sein, die als
Barbaren verachtet werden, da sie kein Arabisch sprechen. Bis
jetzt ist aber nur von den Rechtgläubigen die Rede gewesen,
von denen es bekanntlich vier Sorten gibt. Was jedoch die
Perser und andere falschgläubige Moslems betrifft, so gelten
sie als so verwünschtes Höllenfutter, daß er ihnen den Namen
eines Menschen nicht mehr zulegen kann, sondern von ihnen als
von Hunden, Schweinen und noch Schlimmerem zu sprechen
genötigt ist, mit welchen schönen Namen er auch alle Christen
und Juden reichlich beschenkt, die ein Mekkaner
begreiflicherweise gar nicht für Geschöpfe Gottes ansieht.
Mein gutmütiger alter Freund Schich Mustapha hatte mit großem
Wohlgefallen meine Frömmigkeit gesehen und schickte sich nun
an, mir noch eine seiner beliebten langweiligen Predigten zu
halten. Aber jetzt sollte er eine große Demütigung erfahren.
Der Mekkaner, der den Ägypter als einen Barbaren tief
verachtete, hatte ihn bisher in seinen Predigten gewähren
lassen; jetzt aber, an der Schwelle des Heiligtums, im Gebiete
seiner Vaterstadt, sollte diese Komödie ein Ende nehmen.
»O du Esel,« schrie er ihn an, »du eingebildeter Narr! Was
wagst du hier zu sagen, wo doch ein Sohn der heiligen Stadt
zugegen ist? Was verstehst du überhaupt von Religion? Halte
dein unverschämtes Maul oder benutze es vielmehr, um damit die
Brosamen aufzulesen, die der Mekkaner vom Tische der
Erkenntnis fallen läßt!«
So ging es noch eine Zeitlang fort, und Schich Mustapha
ließ all diese Schimpfworte, welche über sein ehrwürdiges
Haupt ausgegossen wurden, ruhig über sich ergehen. »Möge Allah
dir deine Roheit verzeihen«, das waren seine einzigen still
vor sich hingesprochenen Worte; aber auch diese Worte sagte er
erst dann, als sich der Mekkaner einen Augenblick umgewandt
hatte und sie nicht hören konnte, sonst würde dieser mit einem
neuen Mistkarren von Schimpfwörtern geantwortet haben.
Nachdem wir genügend unsere Verehrung des alten Heiligen
zur Schau getragen hatten, begaben wir uns zu unseren
Gefährten zurück, um nun das letzte Stück der Pilgerfahrt
zurückzulegen. Mit Absicht hatten wir an diesem Ort so lange,
nämlich drei Stunden, gerastet, damit wir gerade bei
Tagesanbruch Mekka erreichen mußten. Unser Aufbruch, um 2 Uhr
morgens, erfolgte unter lautem und anhaltendem Ausstoßen des
Pilgerrufes »Labik«. »Labik« so rief die ganze Karawane, »Labik«
so tönte es von allen Felsen, Bergen und Hügeln zurück. Als
der Mond aufging, konnte ich dies Land, das halb Wüste halb
Steppe war, genauer erkennen. Hier und da kamen wir durch eine
kleine Wildnis von niedrigem Gesträuch, hier und da erblickten
wir einen einsamen Baum; zuweilen führte uns der Weg durch
eine steinige Schlucht, deren Wände senkrecht in die Höhe
ragten; dann kam wohl das Bett eines ausgetrockneten nur im
Winter Wasser führenden Gießbaches, manchmal ritten wir auch
wieder durch vollkommen wüstes Land, in der Ferne ließ uns der
matte Mondesschimmer Gebirge erblicken; und fast immer strebte
unser Weg noch in die Höhe, und die Morgenluft wehte uns
frischer und immer frischer an.
Plötzlich wurde ein zarter, rosiger Schein am östlichen
Himmel sichtbar. Es war die erste Tagesdämmerung, jene Zeit,
welche nicht mehr Nacht und noch nicht Tag ist, jene Zeit, in
der man nicht einen weißen Faden von einem schwarzen soll
unterscheiden können. Dieses matte rosige Licht dauerte
vielleicht nur eine Minute. Aber diese Minute genügte uns, um
auf dem zarten, mattgefärbten Himmelsrande eine graue Masse
mit undeutlichen Umrissen sich abzeichnen zu sehen. Beim
Anblick dieser grauen Masse brach auf einmal ein
fürchterlicher, unaussprechlicher Jubel aus allen Kehlen los.
Ein tausendfaches »Labik« begrüßte die Erscheinung. Mekka, die
neunmal heilige Stadt, Mekka, in dem jeder Stein heilig ist,
Mekka, in dem die Kaaba liegt, die Kaaba, das Heiligste auf
Erden, die Wiege des Islam, die feste Burg Gottes auf Erden,
Mekka war es, das aus allen Kehlen mit donnernden Rufen
begrüßt wurde. Eine Begeisterung, wie ich sie noch nie in
meinem Leben gesehen hatte, gab sich kund. Viele Pilger warfen
sich auf die Erde nieder, streckten die Arme sehnsüchtig nach
der schwarzen Häusermasse aus oder bedeckten den Wüstensand
mit brünstigen Küssen. Die meisten weinten, schluchzten oder
seufzten in lauten, gellenden Tönen.
Nun begann die eigentliche Morgendämmerung, die Gegend
erhellte sich mehr und mehr, und endlich sahen wir Mekka
deutlich vor uns liegen. Leider enttäuschte mich der Anblick
der Stadt, an der nichts Schönes zu sehen war als die große
Moschee mit ihren sieben Minaretts und den zahllosen Kuppeln
der Säulengänge rund um die hochherausragende vierkantige
Kaaba, keine Ringmauern, keine Zinnen und Wachttürme, die
andern orientalischen Städten oft ein so prächtiges Aussehen
geben, nur ein paar Wachttürme an den vier Haupteingängen der
Stadt, sowie auf einem Berge die mittelalterliche, aber schon
arg verfallene Festung der Stadt. Auch die Umgebung ist nicht
großartig. Die Stadt liegt in einem länglichen Tal, das von
niederen Höhen begrenzt ist; kein Baum, kaum ein Strauch, und
nur hier und da spärliche Gemüsepflanzungen verbreiten ihr
Grün über den Wüstenboden. In dieser traurigen Gegend wäre
gewiß nie eine Stadt entstanden, wenn nicht in alter Zeit ein
Heiliger, dem das Wasser der bitteren Quelle Semsem, die hier
fließt, genügte, die Menschen hierhergelockt und in ihnen den
Glauben an die gewaltige Wunderkraft dieser Gnadenquelle
erweckt hätte. So muß Mekka entstanden sein; zu welcher Zeit
es aber entstanden ist, das vermag kein Mensch zu sagen, und
ebenso nicht, wer es gründete.
In solche Betrachtungen vertieft war ich endlich bei dem
Haupteingang von Mekka, im Westen, angekommen. Hier breitet
sich ein Beduinenlager aus, das als eine Vorstadt von Mekka
gelten kann. Dann betraten wir die erste Hauptstraße, die uns
zwischen ansehnlichen, zwei- und dreistöckigen, mit Terrassen
gedeckten Häusern hinführte, gelangten dann durch eine lange,
winklige, vielgewundene Straße, die Bäderstraße genannt; dann
nahm uns eine schöne, weite Straße, El Emsa, auf, noch einige
siebzig Schritte, und wir standen an einem der Haupttore der
großen Moschee, am Bab El Ssalam (am Tor des Friedens oder des
Grußes). Ehe wir unser Quartier aufsuchen durften, ehe wir das
Gepäck in Sicherheit bringen, ehe wir das geringste genießen
oder die müden Glieder ausruhen durften, mußten wir der
Pflicht eines jeden frommen Hadsch genügen und gleich bei
unserer Ankunft in der heiligen Stadt den siebenmaligen Umgang
um die Kaaba ausführen.