Mesnevi

Mesnevi

Dschalaleddin Rumi

Aus dem Persischen übertragen von Georg Rosen

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Erzählung vom König und der Magd

Vernimm dies Gleichnis, Freund, das ich erzähle,
Denn es entspricht der Lage meiner Seele.
In alten Zeiten lebt' einmal ein König,
Dem Welt und Glauben waren untertänig.
Und dieser König stieg einmal zu Ross,
Um auf die Jagd zu gehen mit seinem Troß.
Er zog durch Berg und Tal, ein Wild zu fangen,
- Der Liebe Netze selber ihn umschlangen.
Ein Mägdlein er auf offnem Heerweg traf,
- Des Königs Herz ward dieses Mägdlein Sklav'.
Sein Herz tobt in der Brust, ein Vögelein
Im Käfig, - er gibt Gold – die Maid ist sein.
Wie ist er nach dem Kauf so hocherfreut!
Doch ach, er fand sie krank, die schöne Maid.
Des Esels Herr, muss er den Sattel missen,
Den find't er, als der Wolf sein Tier zerrissen.
Er hat den Krug, doch Wasser find't er nicht,
Und als er Wasser trifft, sein Krug zerbricht.

Der König ließ nach vielen Ärzten senden;
„Zwei Leben“, sprach er, „sind in euren Händen.
Mein Leben, nichts! Sie, meiner Seele Leben!
Ihr Heil nur kann mir Siechem Heilung geben.
Wer heilt sie, meine Seele, meine Holde?
Ich mach' ihn reich an Perlen und an Golde!“
Sie sprachen: „Unser Haupt steh' auf dem Spiele!
Vereint führt unsre Kunst uns wohl zum Ziele;
Wir sind ja ein Messias auf der Erde,
Wir wissen Rat für jegliche Beschwerde.“
Aus Stolz fügt keiner bei: „Mit Gottes Segen!“
Drum zeigte Gott gar bald ihr Unvermögen.
Ich rede hier von ihrem starren Sinn,
Denn aus dem bloßen Wort kommt kein Gewinn.
Das Wort, o mancher führt es nicht im Munde,
Dem es doch lebt auf seines Herzens Grunde. -
Auf jeden Heiltrank sich das Über mehrt,
Alle Gebete bleiben unerhört.
Zum Haar, zum Schatten wird die kranke Maid,
Zum Tränenstrom des Königs Aug' aus Zeid.
Es will nicht, diese innre Glut zu zwingen,
Dem Oxymel und Mendelöl gelingen,
Durch Lösemittel sich die Stockung mehrt -
Das Wasser, gleich dem Pech, den Brand nur nährt.

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Als er der Ärzte Ohnmacht nun erkannte,
Der König barfuß zu dem Tempel rannte;
Vor der Betnische er sich niedersetzte,
Mit heißen Tränen er den Boden netzte,
Bis er sich aufrafft' aus dem Schmerzgetobe
Und sanft erschloss den Mund zu Gottes Lobe:
„O du, dem kleine Gab' das Reich der Welt,
Was red' ich noch? Du weißt ja, was mir fehlt.
Du meiner Wünsche ewiges Asyl,
Verfehlt hab' ich aufs neu' den Weg zum Ziel!
Doch du gebest: Und ist dein Herz mir klar;
Sollst du doch dein Begehr mir bringen dar.“
So sprach er tief zerknirscht; da ist alsbald
Der Ozean der Gnade aufgewallt.
Es macht' der Schlaf ein Ende seinem Weinen,
Und träumend sah er seinen Greis erscheinen,
Der sprach: „Heil, Herr, dein Flehn ist angenommen.
Es wird ein Fremder morgen zu dir kommen,
Der kommt von mir; vertrau' ihm ohne Scheu!
Er ist ein weißer Arzt, geschickt und treu.
Dir werden seine Mittel zauberhaft
Und voll erscheinen von des Höchsten Kraft.“
Und als die Zeit gekommen, und es tagte,
Und Sonnenglanz das Sternenheer verjagte,
Da harrt' auf dem Altan der Herr der Erde,
Ob, was der Traum verheißen, ihm auch werde.
Und fern sah er ein Männlein, ernst und schlicht,
Der Sonne gleich, die durch den Schatten bricht,
Kaum sichtbar, wie der Sichelmond vor Nacht,
Ein Nichts, das Phantasie zum Wesen macht.
Wie Nichts ist ja die Phantasie im Geist,
Doch in der Phantasie das Weltall kreist;
Frieden und Krieg ist Phantasiegebild,
Und Ehr' und Schand' der Phantasie entquillt;
Selbst Edens Wonnen aus ihr wiederscheinen,
Wo sie umstrickt den Sinn der Heil'gen, Reinen.
Das Traumbild, das der König schlafend sah,
In seinem Gast verwirklicht steht's nun da.
Bis zu dem Tore geht er im Palaste
Entgegen dem geheimnisvollen Gaste,
Und beide fühlten sich bekannt einander,
Die fremden Seelen wie verwandt einander.
Er sprach: „Du warst und nicht die Maid mein Streben,
Doch eins folgt aus dem andern stets im Leben.
Zu deinem Dienst umgürt' ich mich, o Meister,
Mein Achmed du, ich deiner Gläub'gen Treuster.“

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Um gute Sitte stehn wir zu dem Herrn!
Wem sie fehlt, dem ist Gottes Gnade fern.
Nicht sich bloß schadet der, dem Sitte fehlt,
Nein, Feuer legt er an die ganze Welt.
Ein Tisch stieg einst vom Himmel hoch herab,
Der sorg- und mühelos die Fälle gab.
Doch eine freche Schar bat den Propheten:
„Willst du um Zinsen nicht und Knoblauch beten?“
Da schwand der Gnadentisch, das Himmelsbrot,
Und blieb dafür der Saat und Ernte Not.
Als Jesus flehend dann zum Herrn sich wandte,
Und Gott die reiche Tafel nieder sandte,
Ließ wieder sich das Volk von Gier verlocken
Und stahl vom Tische bettelhaft die Brocken.
Sie warnt liebreich Marias Sohn: „Bereit
Ist diese Tafel auch für alle Zeit;
Jedoch das Misstraun und die Habsucht gelten
Als Undank an dem Tisch des Herrn der Welten.“
Die Bettler sahn und hörten nicht aus Gier,
Drum schloss sich ihnen bald die Gnadentür.

Wo nicht der reiche spendet, fällt kein Regen;
Aus Unkeuschheit wird Seuche allerwegen.
Was du von Finsternis und Gram musst leiden,
Das ist, weil du nicht rein bist und bescheiden.
Wer frech sich zeigt, des Freundes Pfad beschreitend,
Geht selber irr', in Irrsal andre leitend.
Gehorsam füllt mit ew'gem Lichterscheine
Den Himmel, gibt den Engeln Tugendreine,
Wann Ungehorsam hüllt in Nacht die Sonne
Und Asasel verstößt vom Tor der Wonne.

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Mit offner Hand er seine Brust umfasst,
Als würd' sein Herz von Liebeslust erfasst;
Und Stirn und Hände küsst er seinem Gaste
Und fragt, wie er gekommen, wo er raste,
Geleitet ihn also zum Ehrenplatz
Und spricht: „Geduld erward mir meinen Schatz.
Bitter ist die Geduld, doch es entsprießen
Ihr süße Früchte, die wir froh genießen.
Den Spruch: Der Freunde Schlüssel ist Geduld,
Hat mir bewährt in dir des Höchsten Huld.
O du, des Anblick jede Schwierigkeit
Löst und auf jede Frage gibt Bescheid,
Du Dolmetsch meiner heimlichsten Gedanken
Und Retter derer, die im Schlamm versanken,
Sei mir willkommen, mein Erkorener du!
Wo du selbst, kommt der Schmerz und wicht die Ruh'.
Meister im Volk bist du; wer dich nicht ehrt,
Der ist verworfen, bis er sich kehrt!“ -
Sprach's und erladt den Gast mit reichem Mahle,
Und führt ihn an der Hand zum Frauensaale,
Erzählt ihm von des Mägdleins Krankheit vieles
Und setzt ihn hin zu Häupten ihres Pfühles.
Der Arzt vernahm, wie es der Maid ergangen,
Erforscht' den Pulsschlag und das Rot der Wangen,
Und sprach: „Was ihr die andern eingegeben,
War zum Verderben, aber nicht zum Leben!
Sie ahnten nichts von einem Leid der Seele -
Hilf, Gott, dass ich das Wahre nicht verfehle!“ -

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Wohl ihres Leids Geheimnis der durchschaut;
Doch hat er's nicht dem König anvertraut.
Die Säfte waren nicht der Krankheit Grund -
Denn wie des Holzes Duft im Rauch wird kund,
So deutet ihm innres Leid ihr Schmerz -
Ihr Leib gesund, doch krank und wund ihr Herz.

Liebe verraten schwere Seufzer ja; -
Kein Leiden kommt der Liebe Leiden nah,
Kein andrer Kranker gleicht dem Liebekranken:
Auf zu Gott weist die Liebe den Gedanken;
Ob sie vergänglich, ob sie unvergänglich,
Liebe macht stets den Sinn für Gott empfänglich.
Was über Lieb' ich je gesagt, ergründet,
Des schäm' ich mich, sobald mich Lieb' entzündet.
Wohl ist das Wort der Allesoffenbarer,
Doch wortlos ist die Liebe nur noch klarer.
Des Schicksals Schreibrohr zog unaufgehalten,
Als es zur Liebe kam, da war's zerspalten.
Verstand ist hier ein Esel im Morast -
Der Liebe Wesen nur die Lieb' erfasst.
Der Sonne Wesen tut die Sonne dar,
Der schau' sie an, dem nicht ihr Wesen klar.
Auch gibt der Schatten wohl von ihr Bericht, -
Und so füllt Liebe stets den Geist mit Licht.
Kein Wesen gleicht der Sonn' an Mejestät, -
Liebe, der Seele Sonn', nie untergeht.
Einzig die Sonn' die Körperwelt bestrahlt,
Jedoch ihr Abbild wohl ein Künstler malt;
Der Seele Sonn' ist ohne äußre Spur,
Ihr gleicht im Geist nichts, nichts in der Natur.
Hat Vorstellung die Lieb' je aufzufassen
Vermocht, der Lieb' ein Bildnis anzupassen?

Da diese Red' der Glaubenssonne denkt,
Des vierten Himmels Sonn' ihr Antlitz senkt.
Und da Tebrizis Nam' hier vorgekommen,
Sollt' ich hier reden von dem Reinen, Frommen.
Vom Duft des Kleides Josephs angeweht,
Ergreift auch mein Gewand Hussam und fleht:
„Bei dieser Freundschaft, die uns Jahre eint,
Rede mir von dem vielgepries'nen Freund,
O rede, dass das ganze Weltall lache,
und Aug' und Geist mir wachs' ins Hundertfache!“
- „Drin nicht in mich! Die Kräfte mir versagen,
Es stockt mein Geist; ich kann sein Lob nich wagen.
Zum Reden möchtst du wohl den Kranken bringen,
Doch wohlzureden würd' ihm nie gelingen.
In meinen Adern glüht ein wild Entzücken,
Kann mir des Freundes, des Einz'gen, Lob da glücken?
Lass ab! Von meiner Sehnsucht, meinem Leid,
Red' ich zu dir in einer andern Zeit.“
Er sprach: „Gib was mein lechzend Herz begeht,
Und schnell“ die Zeit ist wie ein schwarfes Schwert.
Als Sufi bist du Sohn der Zeit geworden,
Aufschub ist nicht erlaubt in unserm Orden.
Bist du vom Orden nicht der Selbstentsagung?
Zum Nichtsein wird das Sein durch die Vertagung.“
Ich sprach: „Freund, auf mein Gleichnis sollst du hören,
Denn es umhüllt des Scheichs geheime Lehren,
Gleichwie wahrheitumschleiernd ein Gedicht
Von den Geheimnissen der Liebe spricht.“
Er sprach: „Gib mir enthüllt und rein die Wahrheit,
Versag' mir, Meister, nicht die ganze Klarheit!
Gib sie mir nackt und lüfte ganz den Schleier, -
Im Kleid begeh' ich nicht der Brautnacht Feier!“
Ich sprach: „Wenn nackt dein Aug' sie würde sehn,
Du würdest, Freund, zu Nichts vor ihr vergehn;
Unmäßig ist der Wunsch, den du gehegt, -
Den Bergklotz der Strohhalm nimmer trägt!
Wenn nicht die Sonne, die das All erhellt,
Fern bleibt, so lodert auf die ganze Welt.
Zu Zwist und Kampf und Mord führt dein Begeht,
Drum rede von Tebrizi mir nicht mehr!“
Endlos ist dieser Stoff; drum von der Kranken
Aufs neu' zu ehren sammle die Gedanken.

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Der Arzt sprach: „Großer Schah! Verlass den Saal
Mit deinem Hofgesinde allzumal.
Auch horche niemand auf den Korridoren,
So leiht mir wohl die Maid geneigte Ohren.“
Als man die Menge nun hinaus getrieben,
Und mit der Maid der Arzt allein geblieben,
Fragt' er sie sanft: „Von wannen bist du?“ sprich!
Für meine Kur ist dies erforderlich.
Sag' mir, ob du daheim Verwandte ließest,
Ob du dort Freunde und Bekannte ließest?“
Den Pulsschlag fühlend, fragt' er so die Maid
Nach ihrem Missgeschick und Herzeleid.
Wer einen Dorn im Fuße fühlt, der rückt
Auf Knie den Fuß, zu sehn, was ihn da drückt,
Und prüft mit spitzer Nadel seine Wunde
Und netzt, wenn er nichts fand, sie mit dem Munde;
So schwer ist's schon, den Dorn im Fuß zu finden,
Wie viel mehr, den im Herzen zu ergründen!
Sähe der Tor des Herzens Dorn so bald,
Wo bliebe da des Kummers Allgewalt? -
Was hilft, wenn Dornen man am Schweif zu tragen
Dem Esel gibt, sein Springen ihm und Schlagen?
Er springt und tiefer dringt der Dorn nur ein,
Denn nur Vernunft kann ihn vom Schmerz befrein.
Entledigen möcht' er sich seiner Qual -
Ausschlägt er und wird blutig überall.
Meister in seiner Kunst der Fremde war, -
Er fühlt' umher, er macht' sich alles klar,
Und im Gespräch lockt' aus des Mägdleins Munde
Von ihren Angehör'gen er die Kunde.
Ohn' Rückhalt sprach sie nun vom Vaterlande.
Seinen Bewohnern, seinem Herrenstande; -
Auf alles dies hörte der Greis gespannt,
Achtend zugleich des Pulsschlags unverwandt,
Ob nicht ein Nam' ihr Blut in Ballung brächte,
wenn des Geliebten ihre Rede dächte.
Der Vaterstadt Bekannte gab sie an
Und sprach von einer andern Stadt sodann.
Sie fragt' der Arzt: „Als du von Haus gekommen,
Wo wurdest du zuerst aufgenommen?“
Sie nennt den Ort, und dies bewegt sie nicht,
Es bleibt sich gleich ihr Puls, gleich ihr Gesicht.
Von Herrn und Bürgern spach sie, wie sich's bot,
Von ihren Häusern, ihrem Salz und Brot.
Also erzählte sie umständlich, lange,
Nicht zuckt' ihr Puls und nicht ward blass die Wange.
In ihren Adern floss das Blut gemach, -
Bis von dem wonnigen Samarkand er sprach.
Da bebt' ihr Puls, der Wangen Farbe schwand,-
Ein Goldschmied aber lebt' in Samarkand!

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Als das Geheimnis er der Maid entwunden
Und er den Grund von ihrem Leid gefunden,
so fragt' er sie: „Und wo wohnt er allda?“ -
„Im Ort Ghatfer,“ sprach sie, „der Brücke nah.“
„Jetzt“, rief er, „kenn' ich deiner Krankheit Wesen,
Und wie durch Zauberkraft sollst du genesen!
O sorge nicht, ich mach' dich neu erblühn,
Wie Regen auffrischt der Gefilde Grün.
Mein ist dein Gram, drum du sei nicht betrübt;
Dich lieb' ich mehr als nur ein Vater liebt.
Doch hüte dich, jemand davon zu sagen,
Sollt' auch der König vielfach danach fragen.
Dein Herz sei wie ein Grab für dein Geheimnis,
Und in Erfüllung geht dein Wunsch ohn' Säumnis.
In stille Erde man das Saatkorn schließt,
Und sieh', des Gartens Schmuck aus ihm ersprießt.
Und wüchsen Gold und Silber wohl im Schacht,
Wenn sie nicht schliefen in verborgner Nacht?“ -
Diese Versprechen, diese Freundlichkeit
Entfernten jede Furcht der kranken Maid.
Das Herz gewinnen wahrhafte Versprechen,
Wann lügnerische alle Ruhe brechen;
Ein Schatz ist, der stets fließt, des Biedern Wort,
Doch Seelenkummer ist des Niedern Wort.

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Drauf ging der Arzt, wo er den König fand,
Erzählte kurz ihm, wie die Sache stand,
Und sprach: „das beste wär', die Maid zu heilen,
Wenn jener Goldschmied herkäm' ohne Weilen.
Send' einen Boten, der zu dieser Gnade
Ihm Luft erwecke und ihn zu die lade;
Beruf' ihn her aus jenem fernen Lande
Und mach' ihn stolz durch Gold und Prachtgewande,
Auf dass durch ihn das Herz der Maid genese
Und diese Schwierigkeit durch ihn sich löse.“

Der König, als er dies vom Arzt vernommen,
War einverstanden mit dem Rat vollkommen.
Zwei Boten sandt' er aus nach Samarkand,
Zwei Fürsten seines Hofs, klug und gewandt;
Die zogen aus und zu des Goldschmieds Türe
Langten sie mit der Botschaft, die Emire:
„Kunstreicher Meister du, des Ruhm erklungen
Auf Erden ist und bis zu uns gedrungen!
Erkoren hat dich unsres Königs Gunst
Für sich zum Dienst; denn groß ist deine Kunst
Schau her, die Gold nimm; diese Prachtegwande;
Des Königs Freund wirst du in unserm Lande.“
Der Mann sah auf der reichen Gaben Wert,
Und Weib und Kind verließ er stolz betört.
Er macht' sich auf den Weg mit frohem Mut,
Nicht ahnend, dass des Königs Wunsch sein Blut.
Ein Ross Arabiens ritt er, stolz, in Freude –
Und sah kein Blutgeld in dem Ehrenkleide.
Oh, wie mit Luft und Wonne zog er aus!
Sein eigner Fuß trug ihn in Tod und Graus.
Und wie sein Hirn von Hochmut eingenomen,
Sprach Asrael: „Zeuch aus, es wird schon kommen!“

Als er das Ziel erreich von seiner Reise,
Führt’ ihn der Arzt zum König hin, der Weise.
Gleichwie dem Lichtschein naht, der sie verzehrt,
Die Mücke, so dem Schah er, hochgeehrt.
Der König sah ihn und begrüßt’ ihn hold,
Und gab in seine Hände all sein Gold. –
Dann sprach der Greis zum Schah: „Die Maid verehre
Dem Fremden, Herr, dass ihm sie angehöre!
Vereint mit ihm erstarkt sie, und die Glut
Der Lieb’ erlischt in des Genusss Flut.
Ihm gab der Schah die Mondgesichtige,
Zwei Herzen einend so, sehnsüchtige.
Sechs Monde lebten sie in Luft und Freude,
Bis ganz die Maid genas von ihrem Leide.
Dann mischt’ der Arzt dem Goldschmied einen Trank,
Durch den er vor der Maid zu Boden sank;
Und er ward krank, und seine Schönheit ging,
Da wich der Zauber, der die Maid umfing.
Denn wie er bleich und hässlich ward und schwach,
Ward kalt des Mägdleins Liebe nach und nach.
Nicht Lieb’ ist, die aus Schönheit nur entstanden,
Die Liebe, denn sie wird zuletzt zuschanden.
Oh, hätt’ er nimmer Liebreiz doch besessen,
Nie wär’ ihm soviel Unglück zugemessen!
Ströme von Blut weint’ er in seiner Not, -
Sein eignes Antlitz bracht’ ihm ja den Tod.
So ist des Pfauen Feind sein schön Gefieder,
Und manchen König warf der Prunk darnieder.
Er sprach: „Dem armen Reh gleich’ ich, erlegt
Dem Jäger um den Moschus, den es trägt;
Dem Hermeline gleich’ ich, umgebracht
In öder Heid’ ob seines Pelzes Pracht;
Dem Elefanten, dessen Blut vergoss
Um seinen Zahn des Jägers Mordgeschoss.
Wer mir das Leben nahm um kleinres Glut,
Bedachte nicht, dass nimmer schläft mein Blut.
Gilt es mir heut, so morgen ihm, dem Toren,
Der nicht weiß, dass mein Blut stets unverloren.
Fällt einer Mauer Schatten noch so weit,
Einmal kommt, wo er ihr sich naht, die Zeit.
Die Welt gleicht einem Berg, die Tat dem Schalle,
Der stets zum Rufer kehrt im Widerhalle.“
Sprach es und ging alsbald zum Grabe ein –
Von Liebe blieb und Leid das Mägdelein rein.

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Liebe zu Toten, die das Aug’ lebendig
Nicht wiedersieht, ist nimmer ja beständig!
Des Ewigen Liebe sich in Herz und Geist
Frischer als Blütenknospen stets erweist.
Drum wähl’ dir sie, die stets entzückende,
Mit Seelenbalsam dich erquickende;
Wähle dir sie, die zum Prophetentume
Die Seher Gottes hob, zum ew’gen Ruhme!
Sorge nicht, wenn’s an Fürsprach’ dir gebricht, -
Deren bedarf’s bei edlen Herrschern nicht.

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Den Arzt, da er den Goldschmied sterben ließ,
Nicht Furcht noch Hoffnung also handeln hieß.
Nicht gab er ihm dem Schah zulieb’ den Tod, -
Nein! Was er tat, war seines Herrn Gebot.
Als Chydhyr so des Knäbleins Blut vergossen,
Blieb der geheime Grund dem Volk verschlossen.
Wem Offenbarung ward von Gott zuteil,
All dessen Tun ist recht und führt zum Heil.
Nehmen kann uns das Leben der geschenkt es;
Was sein Vertrauter tut, Gott selbst verhängt es.
Drum sollst du auch, wie Ismael, dein Leben
Freudig und lächelnd seinem Mordstahl geben,
Dass gleich der Seele Achmeds stets, des Reinen,
Auch deine lächelnd weile bei dem Einen!
Vom Freudenbecher schlürft, wer wahrhaft liebt,
Wann des Geliebten Hand den Tod ihm gibt.
Der Schah vergoss kein Blut aus eitler Lust –
Von solchem Misstraun halte frei die Brust!
Er habe Frevel, wähntest du, geübt, -
Doch Reines wird durch Läutrung nicht getrübt.
Wie vom Metall die Glut die Schlacken scheidet,
Zur Läutrung so der Mensch Trübsal erleidet,
Und Gutes muss und Böses er erproben,
Bis sich der Schaum vom Goldfluss abgehoben.
Hätt’ er as eignem Trieb so handeln können,
Nicht König, nein, ich würde Hund ihn nennen.
Von lüsterner Begierde war er rein,
Sein Tun war gut, nur hatt’ es bösen Schein.
Chydhyr im Meere einst ein Schiff zerbrach,
Es war die Tat verdienstlich hundertfach;
Doch ihren Sinn vermochte zu durchdringen
Selbst Moses nicht; – du fleug nicht ohne Schwingen;
Die rote Rose, nenne sie nicht Blut –
Nenne nicht Wahnsinn der Begeistrung Glut!
Htt’ er sich nach der Gläub’gen Blut gesehnt,
Ein Heide wär’ ich, dass ich sein erwähnt;
Denn wer den Bösen lobt, regt Irrgedanken
Dem Frommen auf, ja macht den Himmel wanken.
Er war ein König und ein weiser König,
Und treu und Gottes Willen untertänig.
Wen er Vernichtung solch ein König weiht,
Der geht zum Bessern ein, zur Seligkeit.

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Wollt’ er durch Leiden uns zum Heil nicht wenden,
Wie könnt uns der Allgütige Leiden spenden?
Wenn vor des Baders Messer Kinder zittern,
So bringt es Freude doch besorgten Müttern.
Gott nimmt ein halbes und gibt ew’ges Leben,
Was nie dein Geist geahnt, wird er dir geben.
Willst du messen den Herrn nach dir, dem Knecht? –
Weit gehst du irre, weit! O schaue recht!

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