Quran im Islam
Der Quran im Islam

Mehr zum Autor siehe: Allama Sayyid Muhammad Husain Tabatabai

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Der Quran im Islam

Die Bedeutung des Ta´wil im Quran

Aus der Verwendungsweise des Wortes Ta´wil in den Quranischen Versen, von denen einige in den vorausgegangenen Kapiteln zitiert wurden, geht hervor, dass mit Ta´wil keine wörtliche Bedeutung gemeint ist. Es ist offenkundig, dass in den Traumdeutungen der Geschichte von Joseph (a.), in der dieser Ausdruck vorkommt, die Beschreibung der Träume mit deren Deutung keine wörtliche Übereinstimmung aufweist. Auch in den Geschichten von Moses (a.) und Chidr (a.) ist keine wörtliche Übereinstimmung zwischen der Beschreibung der Geschichten und deren Deutung, die Moses (a.) von Chidr (a.) erfährt, festzustellen. Ebenfalls weisen in dem (bereits zitierten) Vers: „Und gebt, wenn ihr zumeßt, volles Maß und wägt mit der richtigen Waage“ diese Sätze nicht unmittelbar auf eine bestimmte wirtschaftliche Lage hin, welche die Deutung der Angelegenheit ist.

In gleicher Weise weist der Wortlaut des (bereits zitierten) Verses: „Und wenn ihr über eine Sache streitet, dann bringt sie vor Allah und den Gesandten“ nicht auf dessen Deutung, d.h. auf die islamische Einheit, hin. Bei näherer Betrachtung stellen wir fest, dass es sich bei den anderen diesbezüglichen Versen ebenso verhält. Bei der Traumdeutung handelt es sich um die Feststellung einer Realität der Außenwelt, die dem Träumenden in einer bestimmten Weise erscheint. In den Geschichten von Moses und Chidr ist die von Chidr vorgebrachte Deutung eine Realität, von der seine Handlungsweise bestimmt wird, eine Handlungsweise, deren Deutung in ihr selbst beinhaltet ist. Und die Deutung des Verses, in dem befohlen wird, richtig zuzumessen und zu wiegen, führt uns zu einer allgemeinen Wahrheit, auf die sich dieses Gebot stützt und die es verwirklicht. Mit dem Vers über das Bringen der Streitigkeiten vor Gott und seinen Gesandten verhält es sich ebenso.

Die Deutung eines Sachverhaltes ist also die Feststellung einer Wahrheit, aus der dieser Sachverhalt hervorgeht, welcher die Wahrheit in einem gewissen Sinne trägt, symbolisiert und verwirklicht. Der Gegenstand der Deutung wird durch das Deuten ins Leben gerufen, und die Deutung verdankt ihre Entstehung diesem Gegenstand.

Die Feststellung trifft auch auf den Quran zu, denn diese heilige Schrift geht auf Wahrheiten zurück, die frei von der Materie sind, über den sinnlich wahrnehmbaren Dingen stehen und den engen Rahmen der Worte, die das Produkt unseres materiellen Lebens sind, sprengen.

Diese Wahrheiten lassen sich nicht in Worte kleiden. Mit den Worten aus dem Reiche des Übersinnlichen ist der Menschheit lediglich die Ermahnung gekommen, sich durch das Festhalten am rechten Glauben und dem gerechten Handeln zur Wahrnehmung einer Glückseligkeit zu befähigen, die sie erleben werden. Erst am Tage der Auferstehung und der Begegnung mit Gott werden diese Wahrheiten völlig offenkundig. Die aus den Suren “Die Höhen“ und “Jonas“ zitierten Verse deuten – wie schon festgestellt – auf diesen Umstand hin.

Gott der Erhabene sagt in diesem Zusammenhang:

„Bei der deutlichen Schrift! Wir haben sie zu einem arabischen Quran gemacht. Vielleicht würdet ihr verständig sein. Sie steht bei uns in der Urschrift erhaben (die der gewöhnliche Verstand nicht erreicht) und ist festgefügt (zu der er keinen Zugang findet).“ (43:3-4)

Es ist ersichtlich, dass der letzte Teil dieses Verses auf die Deutung in dem erwähnten Sinne hinweist, zumal hier gesagt wird: „Vielleicht würdet ihr verständig“ und nicht „vielleicht versteht ihr sie“, denn das Wissen um die Deutung, wie es in dem Vers über die Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit gemeint ist, steht nur dem erhabenen Gott zu („Aber niemand weiß es wirklich zu deuten außer Allah.“).

Aus diesem Grunde, wenn er dort diejenigen, die vom rechten Weg abgewichen sind, tadelt, weil sie den mehrdeutigen Versen folgen, sagt er, dass sie darauf aus sind, diese zu deuten. Sagt aber nicht, dass sie es auch wirklich können. Bei der Deutung des Quran handelt es sich also um eine Wahrheit oder um Wahrheiten, die sich in der Urschrift bei Gott befinden und in der übersinnlichen Welt angesiedelt sind. An einer anderen Stelle heißt es in diesem Sinne:

„Nein, doch! Ich schwöre bei den Orten, an denen die Sterne herabfallen. Das ist – wenn ihr es nur wüsstet – ein gewaltiger Schwur. Es ist ein vortrefflicher Quran, in einer wohlverwahrten Schrift (Urschrift), die nur von Reinen berührt wird, vom Herrn der Menschen in aller Welt herabgesandt.“ (56:75-80)

Aus diesen Versen ist ersichtlich, dass der Quran zwei Stellenwerte aufweist: Den Stellenwert einer wohlverwahrten Schrift, die nur von Reinen berührt wird, und den Stellenwert einer Schrift, die für alle Welt herabgesandt, also für alle verständlich ist.

Aus den bislang aus anderen Versen gewonnenen Erkenntnissen geht hier noch hervor, dass nur die Reinen die Wahrheit und die Deutung des Quran erfahren können. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch zu der Feststellung, dass nur Gott wisse, wie sie zu deuten sei. Denn die beiden Verse zusammengenommen führen zu der Schlussfolgerung, dass der erhabene Gott in seinem Wissen um diese Wahrheiten autonom ist, und dass außer ihm keiner sie wissen wird, es sei denn mit seiner Erlaubnis.

Auch das Wissen über das Verborgene wird laut zahlreichen Versen nur dem erhabenen Gott zugeschrieben und keinem anderen. Wobei auch hier die Menschen, die ihm genehm sind, ausgenommen werden:

„Er ist es, der das Verborgene weiß. Er klärt niemanden darüber auf, außer wenn ihm ein Gesandter genehm ist.“ (72:26-27)

Aus dem gesamten Zusammenhang hat sich die Schlussfolgerung ergeben, dass das Wissen über das Verborgene ein autonomes Recht Gottes ist, das keinem außer ihm zusteht, es sei denn mit seiner Erlaubnis.

In der Tat sind die Reinen aufgrund dieser Verse berechtigt, die Wahrheit des Quran zu berühren, wie es an einer anderen Stelle auch heißt:

„Allah will die Unreinheit von euch entfernen, ihr Leute des Hauses, und euch wirklich rein machen.“ (33:33)

Dieser Vers ist laut zahlreicher Überlieferungen über die Angehörigen der Familie des Propheten offenbart worden. Der Prophet (s.) und die Angehörigen seiner Familie (a.) sind also die Reinen und besitzen das nötige Wissen, den Quran zu deuten.

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