Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Unterwegs

Dienstag, 17. April.

In der Dämmerung liegt unser Nomadengepäck ausgebreitet auf der Erde, durchnäßt von dem Sprühregen, trostlos anzuschauen. Der Wind fegt unter den sich hochauftürmenden drohenden Wolken dahin. Die weiten Sandflächen, in die wir uns jetzt auf gut Glück hineinstürzen sollen, heben sich hell vom Horizont ab; die Wüste ist weniger dunkel als der Himmel.

Eine große Segelbark, die wir in Bender-Bouchir geheuert haben, wirft uns hier an der Schwelle der Einsamkeiten aus, auf das glühende Ufer des Persischen Golfes, wo Menschen aus unserem Klima die fiebergeschwängerte Luft kaum atmen können. Und hier ist der Ausgangspunkt, wo sich gewöhnlich die Karawanen bilden, die nach Chiraz und Mittel-Persien aufsteigen sollen.

Wir waren vor ungefähr drei Wochen auf einem Schiff von Indien fortgefahren, das uns jetzt langsam an der Küste entlang vorwärts trägt, indem es sich auf den schweren und heißen Gewässern dahinschleppt. Und seit mehreren Tagen sehen wir am nördlichen Horizont eine Art endloser Mauer, die, bald blau, bald rosa, uns zu folgen scheint, und die auch an diesem Abend sich vor uns aufgetürmt hat. Der Rand Persiens, das Ziel unserer Reise, das, zwei- oder dreitausend Meter über dem Meeresspiegel, in den ungeheuren Höheflächen Asiens ruht.

Der erste Empfang auf persischem Boden war für uns kein freundlicher: Als wir von Bombay ankamen, wo die Pest wütete, mußten mein französischer Diener und ich dort fünf Tage in Quarantäne liegen, allein auf einer sumpfigen kleinen Insel; eine Barke brachte uns jeden Abend die nötigen Lebensmittel, die uns vor dem Hungertode schützen sollten. In einer Backofenhitze, inmitten der Qualen des heißen Sandes, den uns das benachbarte Arabien sandte, inmitten der rätselhaften Winde, mußten wir lange dort leiden. Tagsüber von der Sonne zu Boden gedrückt, mit Bremsen und giftigen Fliegen bedeckt, nachts die Beute ungezählten Ungeziefers, das das Gras verpestete.

Als wir endlich in Bender-Bouchir, der Stadt der Trauer und des Todes, mit ihren verfallenen Mauern, mit ihrem unheilvollen Himmel, einziehen durften, trafen wir in aller Eile unsere Vorbereitungen, kauften Lagergegenstände, mieteten Pferde, Maultiere, Maultiertreiber, die, um wieder mit uns zusammenzutreffen, heute morgen aufbrechen mußten; sie hatten eine Bucht zu umschreiten, wir aber schnitten zu Wasser eine ganze Ecke ab, um auf diese Weise einen Marsch in der glühenden Sonnenhitze zu vermeiden.

So haben wir uns also an der Schwelle der Wüste niedergelassen, gegenüber einem ganz verfallenen Dorf, wo die Leute in Lumpen gehüllt auf Mauertrümmern hocken und rauchen und unserem Treiben zuschauen.

Lange Unterredungen mit unseren halbnackten Schiffern, die uns auf ihren triefenden Schultern ans Land getragen haben, denn die Barke mußte wegen der Sandbänke ungefähr hundert Meter vom Ufer entfernt liegen bleiben. Lange Unterredungen mit dem Ortsvorsteher, der von dem Gouverneur von Bouchir den Befehl erhalten hat, mir eine berittene Begleitmannschaft zu stellen, und schließlich mit einem »Tcharvadar« (dem Anführer meiner Karawane), dessen Pferde und Maultiere hier sein sollten, die aber nicht ankommen.

Von allen Seiten der weite Raum, den der Wind bewegt, der Raum der Wüste oder des Meeres. Und wir befinden uns ohne Schutz, unser Gepäck liegt zerstreut auf dem Boden. Und der Tag erlischt langsam über unserer Verwirrung.

Einige Tropfen Regen. Aber in diesem Lande achtet man nicht darauf; man weiß, daß es nicht regnen wird, daß es nicht regnen kann. Die Leute, die rauchend auf den Ruinen saßen, haben soeben ihr Moghreb-Gebet gesprochen, und die Nacht sinkt herab, Unheil verkündend.

Wir warten auf unsere Tiere, die noch immer nicht kommen. In der Dunkelheit tönen von Zeit zu Zeit die Glöckchen zu einem Glockenspiel zusammen, und jedesmal flößen sie uns Hoffnung ein. Aber nein, es ist irgendeine fremde Karawane, die vorüberzieht; zu zwanzig oder dreißig, die Maultiere streifen uns; um sie daran zu verhindern, unser Gepäck und uns selbst zu zertrampeln, schreien unsere Leute – und alsbald verschwinden sie, dem fernen Nebel entgegen. (Wir sind hier am Eingang zu der Straße von Bouchir nach Ispahan, einer jener großen Straßen Persiens, und dieser kleine, verfallene Hafen ist ein sehr besuchter Durchgang.)

Endlich kommen sie an, die Unsrigen, auch sie mit lauttönenden Glöckchen.

Eine Nacht, die immer dichter wird, unter einem niedrigen, unruhigen Himmel.

Alles liegt auf der Erde durcheinander geworfen. Die Tiere machen Sprünge, schlagen hinten aus – und die Zeit schreitet fort, wir sollten uns eigentlich schon längst auf dem Marsche befinden. Zuweilen hat man im nächtlichen Alpdruck ähnliche unlösbare Schwierigkeiten zu überwinden gehabt, hat vor diesen unentwirrbaren Hindernissen, inmitten wachsender Nebel gestanden. Wirklich, es erscheint unmöglich, wie so viele verschiedene Dinge, Waffen, Decken, Geschirre, die in aller Eile in Bouchir gekauft und nicht eingepackt wurden, und die jetzt hier im Sande verstreut liegen, in einer solchen Nacht wie der heutigen so schnell auf glöckchenbehangenen Maultieren verladen werden können, die dann in einer langen Reihe, eins hinter dem anderen in der schwarzen Wüste untertauchen.

Indessen, man geht an die Arbeit, indem man von Zeit zu Zeit innehält, um Gebete zu sprechen.

Die Gegenstände in große Karawanensäcke von buntbemalter Wolle verstauen, dieselben zuschnüren, umwinden, wägen, das Gewicht jedes Tieres abmessen – das alles geht unter dem Scheine zweier kleiner, jämmerlich anzuschauender Laternen, inmitten des unruhvollen Dunkels vor sich. Kein Stern, keine Öffnung dort oben, durch die der geringste Strahl fällt. Die Windstöße wirbeln mit klagendem Geheul den Sand auf. Und während der ganzen Zeit ertönt hinter der Szene das Geläute der Schellen und Glöckchen; unbekannte Karawanen ziehen vorüber. Jetzt führt mir der Ortsvorsteher drei Soldaten zu, die mit meinen Dienern und meinen Maultiertreibern diese Nacht meine Wache ausmachen sollen. Die beiden kleinen Laternen, die man auf die Erde gestellt hat, und die die Heuschrecken anziehen, zeigen mir von unten in unbestimmtem Licht die beiden Ankömmlinge: hohe schwarze Hüte über feinen Gesichtern, lange Haare und lange Bärte, weite Kleider mit einem Einschnitt in der Taille und mit Ärmeln, die wie Flügel herunterhängen . . .

Endlich gelingt es dem Mond, dem Freund der Nomaden, das schwarze Chaos zu entwirren. In einem jähen Riß, am Rande des Horizontes geht er riesenhaft und rot auf und enthüllt im selben Augenblick die noch nahen Gewässer, auf denen sein Widerschein sich zu einem blutigen Tuch verlängert (eine Ecke des Persischen Golfes), enthüllt auch die Berge dort unten, die er zu einer Silhouette ausschneidet (die große Kette, die wir morgen besteigen müssen). Sein wohltuendes Licht ergießt sich über die Wüste, macht den Unmöglichkeiten des Alpdrucks ein Ende, befreit uns von den unlösbaren Verwirrungen, zeigt uns einander, Gestalten, die sich von dem weißen Sand in schwarzer Zeichnung abheben, und vor allen Dingen, sondert uns ab, uns die Gruppen, die für dieselbe Karawane bestimmt sind, von anderen gleichgültigen Gruppen oder Wegelagerern, die hier und dort Aufstellung genommen haben und deren Gegenwart uns überall beunruhigte.

Neuneinhalb Uhr. Der Wind legt sich. Es teilen sich die Wolken, die Sterne kommen zum Vorschein. Alles ist eingepackt, verladen. Meine drei Soldaten sitzen im Sattel und halten ihre langen Gewehre gerade vor sich hin. Man führt uns unsere Pferde zu, auch wir sitzen auf. Unter fröhlichem Geläute setzt meine kleine Karawane sich in Bewegung, ein kleiner unordentlicher Haufe, aber schließlich schlägt sie durch die grenzenlose Ebene eine bestimmte Richtung ein.

Eine Ebene von grauem Schlamm, der gleich nach dem Sande beginnt, eine Ebene von Schlamm, den die Sonne getrocknet hat, und der mit Eindrücken übersät ist: Wege von hellerem Grau, die unzählige Fußtritte im Laufe der Jahre getreten haben, das sind die Pfade, die uns führen, und die sich vor uns in dem unendlichen Raum verlieren.

Sie befindet sich auf dem Marsch, meine Karawane. Und sechs Stunden Weges liegen vor uns, dann werden wir unser Quartier um drei oder vier Uhr morgens erreichen.

Trotz des entmutigenden Aufbruchs, der niemals ein Ende zu nehmen schien, befindet sie sich auf dem Marsch, ziemlich schnell, ziemlich leicht und behend zieht sie dahin, durch den unbestimmten Raum, dessen Ausdehnung durch keinen Merkstein begrenzt wird.

Noch nie zuvor war ich früher in tiefer Nacht durch die Wüste gereist. In Marokko, Syrien, in Arabien schlug man stets noch vor der Stunde des Moghreb sein Lager auf. Aber hier ist die Sonne so vernichtend, daß weder Menschen noch Tiere eine Reise am hellen Tage aushalten könnten: diese Wege kennen nur nächtliches Leben.

Der Mond geht am Himmel auf, schwere Wolken, die noch nicht verschwunden sind, hüllen ihn von Zeit zu Zeit in geheimnisvolle Nebel.

Meine Begleitung bilden lauter Fremde, Silhouetten, deren Umrisse echt persisch erscheinen; die Gesichter sind alle neu für mich, diese Kleidung, diese Rüstungen sehe ich zum erstenmal.

Unter eintönig harmonischem Geläute dringen wir allmählich in der Wüste vor: Große Glocken mit ernstem Ton, die unter den Bäuchen der Maultiere hängen, kleine Glöckchen und Schellen, die sich in einem Kranz um ihren Hals winden. Und ich höre auch die Leute meines Gefolges, wie sie in den hohen Tönen des Muselmanns ganz leise singen, als träumten sie.

Meine Karawane ist schon ein abgeschlossenes Ganzes geworden. Ein abgeschlossenes Ganzes, das sich zuweilen in einer langen Reihe ausdehnt, dessen einzelne Glieder unter dem Mond, in der grauen Unendlichkeit weiten Abstand voneinander nehmen, aber das sich dann unwillkürlich wieder schließt, das sich von neuem zu einem geschlossenen Körper formt, so eng, daß man sich gegenseitig mit den Beinen streift. Und man faßt Zutrauen zu diesem instinktiven Zusammenhang, so daß man nach und nach die Tiere laufen läßt, wie es ihnen beliebt.

Allmählich klärt sich der Himmel auf; mit einer Geschwindigkeit, die diesen Zonen eigen ist, zerteilen sich die Wolken dort oben, die so schwer erschienen, ohne Regen zu spenden.

Und in dieser Einöde strahlt jetzt der Vollmond, wunderbar und einsam. Die ganze heiße Atmosphäre ist gebadet in seinen Strahlen, die ganze sichtbare Ausdehnung ist überflutet von einer weißen Klarheit.

Es kommt zuweilen vor, daß irgendein launenhaftes Maultier sich hinterlistig entfernt, daß es, man weiß nicht warum, eine verkehrte Richtung einschlägt; aber es ist leicht zu erkennen, da es sich mit seiner Last, die wie ein großer buckliger Rücken aussieht, schwarz inmitten dieser ruhigen, hellen Fernen abhebt, wo weder ein Felsen noch ein Grasbüschel die gerade Fläche unterbricht; einer unserer Leute läuft ihm nach und führt es zurück, indem er mit geschlossenem Mund den langen Schrei ausstößt, der hier der Ruf der Maultiertreiber ist.

Und die leise Musik unserer Reiseglocken fährt fort, uns mit ihrer süßen Eintönigkeit einzuwiegen; das unaufhörliche Glockenspiel in dem unaufhörlichen Schweigen schläfert uns ein. Einige der Leute schlafen jetzt ganz; ausgestreckt liegen sie wie tot auf dem Halse ihres Maultieres, den sie mechanisch mit beiden Armen umschlingen. Ihr bewußtloser Körper ist durch ein Nichts aus dem Sattel zu werfen, und ihre langen nackten Beine baumeln herunter. Andere sitzen noch aufrecht und singen ohne Unterbrechung zu dem Geläute der hängenden Glocken, aber vielleicht schlafen auch sie.

Wir haben jetzt die Zonen des rosa Sandes erreicht, mit einer seltsamen Regelmäßigkeit ist er gezeichnet, auf dem getrockneten Schlamm des Bodens zieht er sich in zebraartigen Streifen dahin, und die weite Wüste gleicht einem großgemusterten Teppich. Und vor uns am Horizont, aber noch weit entfernt, liegt die Gebirgskette mit ihrer senkrechten Mauer, die die erstickenden Regionen hier unten begrenzt und die den Rand der weiten Hochebene Asiens bildet, den Rand des wirklichen Persiens, den Rand von Persien, Chiraz und Ispahan: dort oben, zwei- oder dreitausend Meter über den todbringenden Ebenen, ist das Ziel unserer Reise, das Land, das wir ersehnen, aber das so schwer zu erklimmen ist, das Land, wo unsere Mühen ein Ende haben werden.

Mitternacht. Etwas, das einem erfrischenden Windhauch ähnlich ist und uns nach der Backofenhitze des Tages erquickend erscheint, wirkt plötzlich wie befreiend auf uns. Über die rosa und grau gemusterte unendliche Ebene ziehen wir wie hypnotisiert dahin.

Ein Uhr, zwei Uhr morgens. Wie auf dem Meere in Nächten, wenn man Wache geht, alles bei schönem Wetter leicht erscheint, und man nur das Schiff gleiten zu lassen braucht, so auch hier. Man verliert das Bewußtsein von der Dauer der Zeit, bald erscheinen die Minuten lang wie Stunden, bald sind die Stunden kurz wie Minuten. Übrigens ist auch hier nicht mehr zu sehen als auf dem ruhigen Meer, nichts hebt sich in der Wüste ab, das uns den zurückgelegten Weg angeben könnte.

Ich schlafe sicher, denn das kann nur ein Traum sein! . . . Ganz in meiner Nähe reitet ein junges Mädchen auf einem Esel, der Mond enthüllt mir ihre wunderbare Schönheit. Sie trägt einen Schleier und einen Madonnenscheitel. Um Schritt zu halten, bewegt der Esel seine kleinen Beine in leisem Trab vorwärts . . .

Aber nein, sie ist wirklich von Fleisch und Blut, meine hübsche Reisebegleiterin, und ich, ich wache! . . . Und dann kommt mir in dem ersten Augenblick der Verwirrung der Gedanke, daß mein Pferd meinen Halbschlaf benutzt hat, um mich davonzutragen und sich irgendeiner fremden Karawane anzuschließen.

Indessen erkenne ich zwei Schritt von mir entfernt einen der Soldaten meiner Begleitmannschaft, und dieser Reiter vor mir ist ja mein Tcharvadar, der sich im Sattel umdreht und mich mit seinem ruhigsten Lächeln begrüßt . . . Rechts und links von uns reiten andere Frauen auf anderen kleinen Eseln; es ist ganz einfach eine Schar Perser und Perserinnen, die von Bender-Bouchir zurückgekehrt sind und jetzt der Sicherheit wegen um die Erlaubnis gebeten haben, mit uns diese eine Nacht reisen zu dürfen.

Drei Uhr morgens. Auf der hellen Ebene zeichnet sich vor uns ein dunkler Fleck ab und nimmt an Größe zu. Die Palmen, das Grün der Oase, unser Marschquartier, und wir sind angelangt.

Vor einem Dorfe, vor schlafenden Hütten steige ich mechanisch ab, ich schlafe stehend, von einer guten, gesunden Müdigkeit heimgesucht. Unter einer Art Scheune, die mit Stroh bedeckt ist und in die die Mondstrahlen hineindringen, schlagen meine persischen Diener in aller Eile kleine Feldbetten für meinen Diener und für mich auf, nachdem sie hinter uns ein durchsichtiges, plumpes aber sicheres Gitter geschlossen haben. Ich sehe dies alles nur unbestimmt und sinke dann in einen traumlosen Schlaf.

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