Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil

Donnerstag, 10. Mai

Um aus der großen, außerhalb der Wüste gelegenen Oase hinauszugelangen, suchen wir uns frühmorgens mitten durch die Höhlen und Löcher am Fuße, ja fast unterhalb der hängenden, hohen Stadt einen Weg; der vorspringende Felsen, der sie stützt, hüllt uns noch immer in seinen kalten Schatten ein, während die schöne, aufgehende Sonne sonst alles erwärmt. Über unseren Köpfen, in ihrem Adlerhorst, stehen viele Leute, am Rande der schwindelerregenden Terrassen, oder sie neigen sich aus den vorspringenden Fenstern heraus und sehen senkrecht auf uns herab.

Ein schmaler Pfad führt an der oberen Felswand des Tales zu den Einöden hinauf, einige hundert gleichgültige Eselchen versperren uns den Weg und machen keinen Platz. Wie immer, wenn ihnen ein Hindernis begegnet, setzen unsere Perser auch diesmal im Galopp mit lautem Geschrei mitten durch den Schwarm hindurch.

Schrecken und Verwirrung entsteht unter den Eseln, und mit großem Gepolter gelangen wir dort oben in der dürren, grauen Ebene an, erreichen wir die Höhe, im üblichen Galoppe.

Heute ist der Eselmorgen, wir kreuzen tausende von ihnen, begegnen meilenlangen Zügen, sie kehren aus Ispahan zurück, wohin sie Waren gebracht haben, kehren müßig zurück, auf ihrem Rücken liegt nur die gestreifte Decke von Chiraz. Doch einige tragen ihren Herrn, der, in einen Filzkaftan gehüllt, der Länge nach auf dem Rücken seines guten Tieres liegt, die Arme um dessen Hals geschlungen hat, und seinen nächtlichen Schlaf fortsetzt. Man sieht auch Eselmamas, in einem Korbe haben sie ihr Junges bei sich, das am Vorabend geboren wurde. Und schließlich sind da auch kleine Esel, die schon laufen können und schelmisch hinter ihrer Mutter herspringen.

Die Gegend ist heute nicht gar zu verlassen, die kleinen, grünen Oasen liegen nicht gar zu weit auseinander, eine jede hat ihren Weiler mit den krenelierten Zinnen und wird von einigen schlanken, mächtigen Pappeln beschattet.

In dem Dorfe Makandbey machen wir um die Mittagsstunde Rast, mehrere Gespensterdamen neigen sich über den Rand der Mauern hinüber und sehen zwischen den Zinnen in die traurige Ebene hinaus. Unter den Bogen der Karawanserei, im Hof, haben viele stattliche Reisende mit Turbanen und in Kaschmirkleidern Platz genommen; wir tauschen feierliche Begrüßungen mit ihnen aus, auf Kissen, auf Teppichen von selten schönen Farben sitzen sie scharenweise um Samowars und kochen ihren Tee und rauchen ihre Kalyan.

Wir haben heute den vorletzten Tag des persischen Fastens, und morgen ist der Todestag AlisAli, Kalif von Islam, der vierte nach Mahomet, wurde besonders verehrt in Persien. Ali fiel unter dem Dolch eines Mörders, seine beiden Söhne, Hassan und Hussein, wurden niedergemetzelt.; deshalb ist die religiöse Begeisterung in Makandbey besonders groß. Auf einem Platz, vor der bescheidenen Moschee mit ihren Spitzbogen aus Lehm, bilden etwa hundert Leute einen Kreis um einen Derwisch, dieser singt, seufzt, schlägt sich in die Brust. Sie haben alle ihre Schulter und ihre linke Brust entblößt, und schlagen sich selbst mit einer solchen Gewalt, daß das Fleisch anschwillt und die Haut fast blutig ist; man hört die Schläge in ihrem breiten Brustkasten hohl widerhallen. Der alte Mann, dem sie lauschen, erzählt ihnen, halb singend, halb sprechend, in Versen die Leidensgeschichte ihres Propheten, und sie unterstreichen die ergreifendsten Stellen, indem sie Schreie der Verzweiflung ausstoßen oder lautes Schluchzen nachahmen. In immer größere Aufregung gerät der alte Derwisch mit dem wilden Blick; jetzt singt er wie die Gebetsausrufer mit schwacher, meckernder Stimme, und doppelt schnell sausen die Schläge auf die nackten Schultern hernieder. Alle Gespensterdamen kommen auf den umliegenden Dächern zum Vorschein; sie schmücken die Terrassen und die schwankenden Mauern. Der Kreis der Männer schließt sich, und es beginnt ein furchtbarer Tanz, sie tanzen und springen im Wahnsinn an ein und demselben Platz umher, sie reihen sich enger aneinander an, bilden eine dichte, runde Kette, schlingen den linken Arm um ihren nächsten Nachbar, aber schlagen noch immer in steigendem Schmerzenseifer mit der rechten Hand wie wütend auf sich ein. Einige werden durch diesen Rausch so sehr entstellt, daß sie Mitleid erregen, andere erlangen den höchsten Grad menschlicher Schönheit. Alle Muskeln sind gewaltsam angespannt, und in den Augen leuchtet es wider von Sehnsucht nach einem Blutbad, nach dem Märtyrertod. Gellende Schreie und rauhes, tierisches Gebrüll steigen aus diesem Knäuel menschlicher Gestalten empor; der Schweiß und die Blutstropfen rollen über die braunroten Körper herab. Der Staub wird vom Boden aufgewirbelt und hüllt den Ort, auf den die brennende Sonne ihre sengenden Strahlen wirft, in eine dichte Wolke ein. Auf den Mauern dieses kleinen wilden Platzes stehen die Frauen mit ihren Masken wie versteinert da. Und über dem allen ragen die Gipfel der Berge, die Schneegefilde zu dem wunderbar blauen Himmel hinauf.

Nachmittags reiten wir durch eine Gegend, die immer belebter wird, wir stoßen auf Städte, auf Kornfelder, auf eingefriedigte Obstgärten. Abends sehen wir schließlich eine große Stadt mit ihrer trügerisch drohenden Mauer vor uns liegen; es ist Koumichah, und von dort bis nach Ispahan sind es nur noch acht bis neun Meilen.

In Persien sind die Zugänge zu den Städten weit schwieriger und gefährlicher für die Pferde als das platte Land. Bevor wir das Tor der Wälle erreichen, mühen wir uns deshalb auf Pfaden ab, auf denen man sich den Hals brechen kann, wo die Gebeine der Kamele und Maultiere überall den Weg versperren; mitten durch die Ruinen, Trümmer und Erdhaufen führt der Weg hindurch, und immer müssen wir zur Rechten und Linken nach den klaffenden Löchern spähen, aus denen man die Bauerde für die Festungen, Häuser und Moscheen geholt hat.

Die Sonne geht unter, als wir durch das spitzbogige Tor reiten, das sich immer wieder vor uns zu verbergen wußte. Die Stadt lag fast ganz versteckt hinter den Mauern da, jetzt aber bietet sie uns einen bezaubernden Anblick. Sie ist von demselben rosenroten Grau, wie wir es in Chiraz, in Abadeh, in jedem Dorf am Wege sahen, denn überall bedient man sich beim Bau derselben tonartigen Erde, aber hier breitet sie sich auf dem hügeligen Boden aus, entfaltet sich in der Art einer prächtigen Dekoration. Wie kann man es nur wagen, so viele kleine Kuppeln aus Lehm zu errichten, sie miteinander zu verbinden, sie in Pyramiden übereinander aufzutürmen? Wie können die vielen Arkaden, die großen, eleganten Spitzbogen, die nur aus getrocknetem Lehm bestehen, wie können die vielen Minaretts, deren Galerien mit Stakalit verbrämt zu sein scheinen, wie können sie alle sich aufrecht halten und den Regengüssen widerstehen? Das Ganze zeigt, wohlverstanden, keine scharfen Linien, keine bestimmten Umrisse; der Schatten und das Licht laufen zwischen den immer weichen, runden Formen unmerklich ineinander über. Auf den Denkmälern sieht man keine blauen Fayencen, in den Gärten keine Bäume, nichts, was den eintönigen Farbenton dieser Gebäude, die alle von einem silbernen Tau durchtränkt zu sein scheinen, unterbrechen könnte. Aber dort unten in den belebten Straßen geht das Farbenspiel vor sich. Männer in blauen Kleidern, Männer in grünen Kleidern; Scharen von verschleierten Frauen, tief schwarze Scharen mit grellen, weißen Flecken; das Weiß der Masken, die das Gesicht verbergen. Vor allem aber herrscht dort oben ein prächtiges Spiel; oberhalb der grauen Kuppeln, der grauen Arkaden, stoßen die Farben aufeinander: in der Dämmerung breiten die nicht zu erklimmenden Berge der Umgegend das kostbare Violett des Bischofsgewandes aus, ihr Violett, durch das die Schneegefilde lange, silberne Streifen ziehen; und an dem grünlichen Himmel scheinen die rot-gelben Wölkchen in Brand zu geraten, sie leuchten wie Flammen auf . . . Wir befinden uns noch immer etwa zweitausend Meter über dem Meeresspiegel, in der reinen Luft der Berge, und die Nachbarschaft der wasserlosen Wüste steigert noch mehr die Durchsichtigkeit, belebt noch mehr den zauberhaften Glanz der Abende.

Heute begeht man das große religiöse Fest der Perser, den Jahrestag des Martyriums ihres Kalifen. In den Moscheen stöhnen tausende von Menschen vereint; man hört von weitem ihre Stimmen, ein unverständliches Murmeln, das dem Rauschen des Meeres gleicht.

Sobald wir in der Karawanserei angelangt sind, eile ich nach dem heiligen Ort, um noch ein wenig von dem Fest zu sehen, das vor Hereinbruch der Nacht beendet sein wird. Zuerst will keiner mich dorthin begleiten. Schließlich aber willigen zwei Leute mit energischen Gesichtern und starken Schultern nach langem Zögern ein, gegen hohe Bezahlung mich an den Ort zu führen. Der eine von ihnen behauptet, ich müsse eins seiner Gewänder anlegen und seinen Astrachanhut aufsetzen, der andere erklärt, dies sei noch weit gefährlicher, und ich solle nur tapfer meine europäische Kleidung anbehalten. Schließlich bleibe ich, wie ich bin, und wir eilen im Sturmschritt nach der großen Moschee, denn es ist schon spät. Kurz vor Anbruch der Nacht befinden wir uns in dem dunklen Labyrinth, das ich schon im voraus zu kennen glaubte: Mauern ohne Fenster, hohe Gefängnismauern, in großen Abständen nur einige eisenbeschlagene Türen, Mauern, die von Zeit zu Zeit oben zusammenstoßen und uns in die in den persischen Städten so beliebte Dunkelheit eines Kellers hüllen. Aufstiege, Abstiege, Brunnen ohne Schutzwand, Höhlen und Löcher. Zuerst begegnen wir niemandem, und fast könnte man glauben, man eilte durch die düsteren, verlassenen Katakomben. Dann aber, als wir uns einem jener lärmenden Plätze nähern, an denen die Stadt heute abend reich ist, und von wo aus das Stimmengewirr wie Wogenrauschen an unser Ohr schlägt, treffen wir Scharen von Männern, alle kommen sie von derselben Seite, und fast ist diese Begegnung schrecklich. Sie haben die große Moschee, den Mittelpunkt des Geschreies und der Klagen verlassen, denn die Trauerfeier ist gleich beendet; haufenweise, zu zehn, zwanzig, dreißig eilen sie vorwärts, halten sich eng umschlungen, ihr Kopf fällt zurück, sie blicken nicht um sich; man sieht das Weiße in ihren Augen, die unnatürlich weit geöffnet sind, und deren gen Himmel gewandter Augapfel fast in die Stirn einzudringen scheint. Auch der Mund ist geöffnet, und unaufhörlich stoßen sie ein lautes Gebrüll aus; die rechten Hände fallen mit harten Schlägen auf die blutende Brust. Vergebens drückt man sich gegen die Mauern oder in die Türen, wenn man zufällig eine findet, man wird doch sehr empfindlich gestreift. Sie riechen nach Schweiß, nach Blut; blind, in unaufhaltbarem Lauf rollen sie wie eine große Welle vorüber.

Nach den engen Straßen gelangen wir durch einen großen Spitzbogen in den Hof der Moschee, und dieser Ort erscheint uns jetzt unendlich weit. Zwei- bis dreitausend Menschen stehen dort dicht nebeneinander gedrängt und rufen mit lauter Stimme, mit einem schreckeneinflößenden Rhythmus: »Hassan, Hussein! Hassan, Hussein!«Hassan, Hussein, die beiden Söhne des Kalifen Ali. Im Hintergrunde führt ein zweiter, riesengroßer Spitzbogen, der alles beherrscht und der mit den unvermeidlichen blauen Fayencen verziert ist, in das dunkle Heiligtum ein. Auf den Zinnen der Mauern, am Rande aller Terrassen der Umgegend, stehen die Frauen unbeweglich und stumm, sie gleichen einem Schwarm schwarzer Vögel, der sich auf die Stadt herabgelassen hat. In einem Winkel, gegen den menschlichen Strom, durch den Stamm eines hundertjährigen Maulbeerbaumes geschützt, sitzt ein Greis und schlägt wie besessen auf eine gewaltige Trommel: im Dreitakt sausen die ohrenbetäubenden Schläge so schnell herab, als wollten sie irgendeinem Ungetüm zum Tanzen aufspielen; – das Ding nämlich, das zum Takt der Trommel tanzt, ist ein Haus, am Ende langer Stangen wird es von mehreren hundert Armen hochgehalten und trotz seines großen Gewichtes wahnsinnig schnell hin und her bewegt. Das tanzende Haus ist mit altem, gemusterten Samt, mit alten seidenen Stickereien bedeckt, es schwebt zehn Fuß über der Menge, über den erhobenen Köpfen, den wildblickenden Augen, und zuweilen dreht es sich herum, die Getreuen, die es tragen, laufen im Kreise mitten durch den dichten Haufen, es dreht sich, es wirbelt herum. Drinnen sitzt ein verzückter Derwisch, um nicht zu fallen, klammert er sich fest, seine gellenden Schreie durchdringen den Lärm dort unten; und jedesmal, wenn er den Namen eines iranischen Propheten ausstößt, dringt ein noch lauterer Schrei aus allen Kehlen, und die grausamen Fäuste fallen so schwer auf die Brust herab, daß der dumpfe Widerhall das Schlagen der Trommel übertönt. Einige Männer haben ihre Mützen von sich geworfen und bringen sich blutige Wunden auf dem Schädel bei; der Schweiß und die Blutstropfen rollen über die Schultern herab; neben mir gibt ein junger Mensch, der sich zu heftig geschlagen hat, einen roten Auswurf von sich, und auch ich werde damit bespritzt.

Zuerst hatte keiner meine Gegenwart beachtet, und ich drückte mich hinter meinen beiden besorgten Führern eng an die Wand. Aber zufällig fällt das Auge eines Kindes auf mich, es errät, daß ich ein Fremder bin und schlägt Lärm, alsbald kehren sich andere Gesichter mir zu, einen Augenblick herrscht Schweigen, Todesstille . . . »Kommt!« rufen mir meine beiden Leute zu, sie schlingen ihre Arme um mich, wollen mich mit sich ziehen, und rückwärts gehend, wie die Tierbändiger, die den Tieren ins Auge blicken, wenn sie den Käfig verlassen, wenden wir der Menge das Gesicht zu und erreichen glücklich den Ausgang . . . In der Straße verfolgt man uns nicht mehr . . .

Abends gegen neun Uhr, nachdem ein großes Schweigen sich über die Stadt herabgesenkt hat, die von dem vielen Geschrei, von all dem Klagen erschöpft ist, verlasse ich von neuem die Karawanserei und begebe mich zu einem vornehmen Bürger, wo ich zu einer ganz geschlossenen, religiösen Feier eingeladen bin.

Einsam liegt Koumichah unter dem Mond in seinem rosenroten Gewande da, so ernst und feierlich ist es hier, wie in einem großen Grabgewölbe. Nirgends eine menschliche Seele; der Mond allein beherrscht diese Stadt aus getrocknetem Lehm, der Mond beherrscht die ungezählten kleinen Kuppeln mit ihren weichen Umrissen, das Labyrinth mit seinen engen Gängen, die Trümmerhaufen und die Spalten.

Aber wenn auch die Straßen verlassen sind, so wacht man doch in allen Häusern, hinter den doppelt verschlossenen Türen; man wacht, man klagt, man betet.

Nach einer langen, schweigenden Wanderung zwischen meinen beiden Laternenträgern erreiche ich die geheimnisvolle Tür meines Wirtes. In dem von Mauern umgebenen kleinen Garten, beim Schein des Mondes und einiger Lampen, die an Jasminzweigen oder Weinlauben hängen, findet die Trauerfeier statt. Vor dem versteckt liegenden Hause hat man Teppiche auf die Erde gebreitet, und dort sitzen zwanzig bis dreißig Männer im Kreise, sie tragen hohe, schwarze Hüte und rauchen ihre Kalyan; mitten zwischen ihnen liegt ein Brett, mit einem Berg stengelloser Rosen – persische Rosen, die immer wunderbar duftenden Rosen, steht auch ein Samovar, auf dem man Tee kocht, und diesen schenken die Diener immer von neuem in die winzig kleinen Tassen ein. In Anbetracht des religiösen Charakters dieses Abends würde meine Gegenwart im Garten selbst unzulässig sein; deshalb bringt man mich allein mit meiner Kalyan in dem Ehrenzimmer unter, von wo aus ich durch die offen stehende Tür alles sehen und hören kann.

Einer der Gäste steigt auf eine steinerne Bank, zwischen den übervoll blühenden Rosen, er erzählt mit tränenerstickter Stimme von dem Tod des Ali, des Kalifen, den die Perser so sehr verehren, und zu dessen Andenken wir hier versammelt sind. Die Zuhörer unterstreichen selbstverständlich seine Beschreibung durch Klagen und Schluchzen, hauptsächlich aber durch Ausrufe, die ihren ganzen Zweifel ausdrücken sollen, sie haben diese Geschichte tausendmal gehört, und doch scheinen sie zu fragen: »Darf ich meinen Ohren trauen? Ist eine solche Schandtat überhaupt möglich?« Nachdem der Erzähler geendet hat, setzt er sich neben dem Samovar nieder, und während man ihm seine Kalyan anzündet, betritt ein anderer die Kanzel, um von neuem alle die Einzelheiten dieses unvergeßlichen Verbrechens auszumalen.

Der kleine Salon, wo ich, getrennt von den anderen, wache, zeigt eine wunderbare, nicht gewollte Altertümlichkeit; wenn man ihn auf diese Weise eingerichtet hat, wie man es auch schon vor fünfhundert Jahren hätte machen können, so liegt es daran, daß es in Koumichah keine neuere Mode gibt, daß bis jetzt noch keiner unserer westlichen Schundgegenstände in diese Wohnung eingedrungen ist, nirgends sieht man hier Spur von den bedruckten Baumwollstoffen, mit denen England jetzt Asien überflutet; die Augen können zum Zeitvertreib alle diese Dinge genau betrachten, ohne daß sie auch nur ein einziges Merkmal unserer Zeit darunter fänden. Auf der Erde liegen die alten persischen Teppiche; als Möbel dienen Kissen und große Zederntruhen, mit Kupfer oder Perlmutter eingelegt. In die dicken weißgekalkten Mauern hat man kleine Nischen, kleine spitzbogige oder ausgezackte Grotten eingelassen, sie ersetzen in diesen Ländern die Schränke, und werden mit kleinen, silbernen Kästen, mit Karaffen und Schalen verziert; dies alles ist alt, dies alles steht auf viereckigen, altertümlich gestickten Atlasdeckchen. Vor den inneren Türen, durch die mir der Zutritt verweigert ist, hat man Vorhänge aus seltsam reichen, harmonischen Seidenstoffen herabgelassen, die absichtlich verwischten Zeichnungen dieser Vorhänge zeigen ein buntes Gewirr von Linien, sie gleichen zuerst nur großen phantastischen Flecken, aber nach Art der Impressionisten enthüllen sie mir schließlich die Umrisse dunkler Zypressen.

In dem Garten, wo das Fest seinen Lauf nimmt, folgen die immer geschickter oder immer aufgeregter werdenden Erzähler einander auf der steinernen Bank. Die Redner, die jetzt sprechen, bringen durch Stellung und Bewegung einen wirklichen Schmerz zum Ausdruck. Bei gewissen Sätzen stoßen die Zuhörer einen verzweifelten Schrei aus, werfen den Körper nach vorne und schlagen mit der Stirn gegen den Boden; oder sie entblößen alle die Brust, die schon in der Moschee zerschlagen ist, und rufen mit angsterfüllter Stimme immer wieder die beiden Namen: »Hassan, Hussein! . . . Hassan, Hussein!« Einige bleiben ganz auf der Erde liegen, In der Allee des Hintergrundes unter dem vorspringenden Jasmingebüsch der Mauer stehen die schwarzen, gespensterhaften Frauen, man sieht sie kaum, sie treten auch nicht näher, aber man weiß, daß sie da sind, und ihre Klagen verlängern das Echo dieses traurigen Konzerts. Wie für die Sänger des Gartens, so hat man auch mir auf einem Brett Rosen gebracht, und diese fallen auf die alten, kostbaren Teppiche herunter. Auch der Jasmin da draußen durchflutet trotz der Kälte die klare, sternenglänzende Maiennacht mit seinem Wohlgeruch. Dies ist eine Szenerie aus der ganz alten orientalischen Vergangenheit mit ihrer unberührten Ausschmückung, die durch die vielen Mauern, die jetzt verriegelten Tore beschützt wird: doppelte, sich windende Mauern umgeben dies Haus; hohe Mauern schließen, das Viertel ein und sondern es ab, noch höhere Mauern beschirmen diese Stadt mit ihrer hundertjährigen Unvergänglichkeit – und dies alles liegt inmitten der einsamen Umgebung, auf die sich in diesem Augenblick das unendliche Schweigen herabsenkt, und deren Schneegefilde unter den Strahlen des Mondes bläulich leuchten...

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