Unterwegs
Donnerstag, 19. April.
Ich weiß nicht, ob ich wache oder schlafe . . . Seit einem
Augenblick habe ich das unbestimmte Gefühl, als befände ich
mich inmitten einer Schar von singenden Vögeln, die so dicht
an mir vorüberfliegen, daß ich den Wind ihrer Flügel spüre,
wenn sie mich streifen . . . Und in der Tat, es sind
geschäftige Schwalben, die ihre Nester an den Balken meiner
niedrigen Decke gebaut haben! Die Nester sind voll von Jungen.
Wenn ich meine Hand ausstrecke, würde ich sie fast berühren.
Durch meine Fenster – die weder Scheiben noch Läden haben, um
sie zu schließen – fliegen und kommen sie mit fröhlichem
Gezwitscher; und die Sonne geht auf! Jetzt kehrt die
Erinnerung wieder; ich befinde mich in der Oase Daliki, ich
bewohne das Ehrenzimmerchen der Karawanserei. Gestern abend
wurde ich auf einer an die Außenseite des Hauses angebrachten
Treppe in diese kleine Wohnung geführt, die nur aus
weißgekalkten Lehmwänden besteht. Meine beiden Perser Yomsouf
und Yakout beeilten sich, unsere Feldbetten aufzuschlagen und
unsere Decken auszubreiten, während mein Diener und ich vom
Schlaf überwältigt warteten und gierig aus einem Kruge
frischen Wassers tranken.
Die Hitze ist hier schon weniger schwer als am Rande des
schrecklichen Golfes, und es ist so strahlend schön! Mein
Zimmer, das einzige des Dorfes, das nicht im Erdgeschoß liegt
und das seine Umgebung bis zu einem gewissen Grade beherrscht,
ist durch seine vier kleinen Fenster den vier Winden
zugänglich. Ich liege inmitten der frischen, grünen
Dattelbäume, unter einem flachsblauen Himmel, der von sehr
leichten Wölkchen von weißer Wolle übersät ist. Auf der einen
Seite türmt sich etwas Dunkles, Riesenhaftes, etwas Rotbraunes
so hoch auf, daß ich den Kopf zum Fenster hinausstecken und in
die Höhe sehen muß, um sein Ende mit den Augen zu erreichen:
es ist die große Kette Irans, die dort ganz in der Nähe uns
fast zu überdachen scheint. Auf der anderen Seite erstreckt
sich das Dorf, ganz in der Ferne schimmert ein Stückchen der
Wüste durch die vielen schlanken, gleichmäßigen Stämme der
Palmen hindurch. Der Schrei der Hähne, das Gezwitscher der
Schwalben ertönt um die Wette. Die kleinen Lehmhäuser haben
spitzbogige Türen in rein arabischem Stil, und flache,
terrassenförmige Dächer, auf denen das Gras so üppig wie in
den Feldern wächst. Die schönen Mädchen der Wüste treten ins
Freie, um ihre Toilette unter offenem Himmel zu machen, sie
sind nicht verschleiert, setzen sich auf irgendeinen Stein vor
ihrer Wohnung und scheiteln ihr schwarzes Haar. Man hört die
Gerätschaften der Weber klappern. Da dieser Ort sehr besucht,
und da es die Ankunftsstunde der kaufmännischen Karawanen ist,
die allnächtlich langsam diese Wege dahinziehen, so ertönen
jetzt von allen Seiten die Glocken der Maultiere, die der
Karawanserei entgegeneilen, und die mit geschlossenem Munde
ausgestoßenen Rufe der Maultiertreiber; den hohen schwarzen
Hut der Perser weit auf dem feinen dunklen Kopf
zurückgeschoben, schreiten die Führer leichtfüßig und fröhlich
heran.
Nachmittags wiederholte lange Wortstreitigkeiten mit meinem
Tcharvadar. In Bouchir hatte ich nach der Karte beschlossen,
den Marsch heute abend zu verdoppeln, er hatte sich geweigert,
war in Aufregung geraten, war nur durch Drohungen zum
Nachgeben zu bewegen gewesen, nachdem er zuvor Miene gemacht
hatte, auszureißen, ohne den Kontrakt zu unterschreiben. Heute
da ich mich von der Verfassung der Wege überzeugt habe, ziehe
ich vor, nur 6 Stunden zu marschieren, um, so wie er es zuerst
vorgeschlagen hatte, in dem Dorfe Konor-Takté ausruhen zu
können – und jetzt ist er derjenige, der nicht darauf eingehen
will. Schließlich, als mir die Geduld reißt, rufe ich aus:
Ȇbrigens bleibt es so, wie ich gesagt habe, aus dem einfachen
Grunde, weil ich es will, und damit ist die Unterredung
beendet!« Sein fein gemeißeltes Gesicht klärt sich plötzlich
auf, und er spricht lächelnd: »Wenn du sagst: ich will, so
kann ich nur antworten: es sei.«
Er stritt um zu streiten, um die Zeit totzuschlagen, einen
anderen Grund hatte er nicht.
Sechs Uhr abends. Meine drei neuen Begleiter, die mir das
hiesige Oberhaupt gestellt hatte, treten an; sie haben schöne
geblümte Kleider aus Baumwolle und sehr alte Gewehre. Zum
erstenmal seit der Abreise bricht meine Karawane noch am Tage,
bei den letzten roten Strahlen der Sonne, auf. Und wir
verlassen ruhig die Oase, wo unter hohen Palmen an den Ufern
der klaren Bäche zahllose, fast ausnahmslos hübsche Frauen mit
ihren kleinen Kindern sich der Süße des melancholischen Abends
hingeben.
Alsbald beginnt die Einsamkeit des Sandes und der Steine.
Die lange persische Felsenküste, in die wir uns endlich über
Nacht hereinstürzen werden, erstreckt sich, so weit das Auge
reicht, bis ans Ende des unermeßlichen Horizontes; man kann
sagen, sie sei von mutwilliger Hand mit grellen, schreienden
Farben angestrichen, Gelb-orange oder Gelb-grün wechseln in
seltsamen Streifen mit einem Rotbraun ab, das die untergehende
Sonne bis zum Unmöglichen und Schreckhaften steigert, ganz in
der Ferne gehen die Töne ineinander über, um als ein
wunderbares Violett, der Farbe des Bischofgewandes, wieder zu
erstehen.
Wie in der letzten Nacht riecht dieser ungeheure Wall Irans
auch heute nach Schwefel, nach unterirdischem Feuer. Man hat
den Eindruck, daß er mit giftigen Salzen, mit Stoffen
gesättigt ist, die dem Leben feindlich sind; er nimmt die
Farben vergifteter Dinge an, er zeigt sich in Formen, die
Furcht einflößen. Außerdem hebt er sich von einem drohenden
Hintergrunde ab, denn die eine Hälfte des Himmels ist schwarz,
schwarz wie die Sintflut oder der Weltuntergang: wieder eins
jener falschen Gewitter, die in diesem Lande heraufsteigen,
als wenn sie alles vernichten wollten, aber die, man weiß
nicht wie, verschwinden, ohne jemals einen Tropfen Wasser zu
schenken. . . . Ein Mensch, der niemals unser Klima verlassen
hat, und den man ohne irgendwelche Vorbereitung hierher
führen, ihn vor eine Erscheinung von solcher Kraft und Größe
stellen würde, dieser Mensch könnte sich nicht freimachen von
der Angst vor dem Unbekannten, von dem Gefühl, nicht mehr auf
Erden zu sein, oder von dem Schrecken des Weltunterganges . .
.
Der wellenförmigen Wüste, durch die wir seit zwei Tagen
geritten sind, folgt ein Abhang, der bis zum Fuße dieser Berge
hinaufführt, die jetzt über unseren Häuptern zu hängen
scheinen; von dem Punkte aus gesehen, wo wir stehen, liegt die
weiße Ebene der Wüste schon unter uns; bis ins Unendliche
dehnt sie sich vor unseren Augen aus, hebt sich blaß von dem
drohenden Himmel ab, und zwei oder drei fernliegende Oasen
sind als gar zu grüne Flecken, mit einem grellen Grün, wie man
es auf chinesischen Aquarellen sieht, hineingezeichnet.
So trostlos wie die Wüste, von der wir jetzt Abschied
nehmen, auch aussehen mag, so gastfreundlich und leicht
zugänglich erscheint sie im Vergleich zu dieser Gebirgswand,
die sich dort geheimnisvoll und drohend unter den schwarzen
Wolken erhebt, als wolle sie niemandem Zutritt gewähren.
Zu der Stunde, wo die blutrote Scheibe der Sonne hinter dem
Horizont der Ebenen untertaucht, öffnet sich jäh ein großer
dunkler Einschnitt in der persischen Mauer, zwischen den zwei-
bis dreihundert Meter hohen senkrechten Felswänden.
Wir reiten dort hinein. Eine plötzliche Dämmerung senkt
sich auf uns herab, fällt von den überhängenden Felsen, als
sei sie ein Schleier, in den wir ganz unerwartet eingehüllt
werden. Das Schweigen, die Schallempfindlichkeit steigern sich
in demselben Maße wie der Schwefelgeruch. Und die Sterne, die
man noch vor kurzem nicht entdecken konnte, erscheinen
alsbald, als hätte man sie alle gleichzeitig angezündet, und
als würden sie aus der Tiefe eines Brunnens geschaut; sie
stehen am hellen Zenit, den die Gewitterwolken noch nicht
erreicht haben.
Eine ganze Stunde lang, bis es dunkle Nacht geworden,
dringen wir unter großen Anstrengungen in dem Lande der
geologischen Schrecken durch das Chaos der wilden,
zerklüfteten Steinmassen vor; immer folgen wir demselben
Spalt, derselben Kluft, die tiefer und tiefer in die Weichen
des Berges einschneidet, gleich einem endlosen sich
schlängelnden Geheimgang. Dort sind Löcher, Steinhaufen, steil
ansteigende Wege, und dann wieder jähe Abhänge, mit scharfen
Biegungen über tiefen Schlünden. Mitten in dies Gewirr hat der
jahrhundertelange Durchzug der Karawanen unbestimmte Pfade
gezeichnet, deren Spur unsere Tiere trotz der Dunkelheit nicht
verlieren. Von Zeit zu Zeit ruft man sich, zählt man nach,
zählt die Begleiter von Daliki und sich selber; man reiht sich
enger aneinander, man macht halt, um Atem zu schöpfen. Durch
die Nebel, die uns umgeben, hören wir die unterirdischen
Wasser brodeln, hören die Donner rollen, die Wasserbäche
fallen. In diesen Schlünden, wo man von allen Seiten von
heißen Steinmassen eingeschlossen ist, herrscht eine
Backofenhitze, und manchmal glaubt man zu ersticken, wenn man
den Geruch der Schwefelgruben einatmet. Aber noch gefährlicher
zu passieren sind die Wege, dort, wo Granitplatten, gleich
reihenweise aufgestellten Tischen, zur Hälfte aus dem Boden
hervorspringen und schmale, tiefe Zwischenräume bilden, in die
das Bein eines Maultieres, wenn es unglücklicherweise dort
hineingeraten sollte, wie in einer Falle gefangen säße. Und
über diese Steine hinweg muß man in der Dunkelheit seinen Weg
suchen.
Eine Stunde relativer Ruhe gewährt uns der Ritt über einen
weißlichen Boden am Ufer eines schlafenden Baches entlang . .
. Ein unheilvoller Fluß, der weder Baum noch Schilf noch
Blumen kennt, sondern der sich geheimnisvoll und wie
verwünscht dahinschleppt, so eingeschlossen, daß die Sonne
niemals dort hinunter dringen wird. Jetzt spiegelt er ein
kleines Stückchen Himmel mit einigen Sternen zwischen den
umgekehrten Bildern der großen schwarzen Gipfel wider.
Und nun schließt sich der Weg vor uns, das Tal wird
vollständig abgesperrt durch eine senkrechte, drei- bis
vierhundert Meter hohe Mauer.
Wir haben uns also verirrt, das ist klar, uns bleibt nichts
weiter übrig, als denselben Weg zurückzugehen, auf dem wir
gekommen sind . . .
Mein Tcharvadar muß wahnsinnig sein, er schickt sich an,
dort hinaufzuklettern, treibt sein Pferd eine Art Treppe
hinauf, die wohl für die Ziegen berechnet sein mag, und
behauptet, dies sei der Weg! . . .
Anmutig verneigen meine drei Begleiter sich vor mir und
nehmen Abschied. Sie dürfen uns nicht weiter folgen. Denn,
sagen sie, das hieße die Grenze ihres Gebietes überschreiten.
Ich glaube, daß sie mich genau wie ihre Brüder gestern im
Stich lassen. Aber weder Drohungen noch Versprechungen
vermögen hier etwas auszurichten, sie machen kehrt, und wir
sind uns selbst überlassen.
Und in der Tat ist diese undenkbare Treppe der richtige
Weg; ich muß es ja schließlich glauben, weil alle es
bestätigen. Offenbar ist dies der einzige Pfad, der dort
hinaufführt nach jenem geheimnisvollen und unzugänglichen
Chiraz, wo wir vielleicht nach den anstrengenden Ritten dreier
weiterer Nächte uns endlich in der gesunden und erfrischenden
Höhenluft ausruhen dürfen. Dies ist die weite Straße vom
Persischen Golf nach Ispahan!
Wenn man einem vernünftigen Mann, der unsere europäischen
Begriffe betreffs Wege und Reisen mitbringt, diesen kleinen
Trupp Pferde und Maultiere zeigen würde, ihm zeigen würde, wie
die Tiere sich anklammern, wie sie an der senkrechten Mauer
eines solchen Berges hinaufklettern, so müßte er glauben,
irgendeinem phantastischen Hexenritt nach dem Brocken
beizuwohnen.
Dies mühsame Klettern, bei dem man sich die Knochen
zerschlagen kann, dauert mehr als zwei lange Stunden. Schon
allein das Sitzenbleiben im Sattel erfordert unaufhörlich
große gymnastische Anstrengungen; unsere Tiere – die übrigens
einen seltenen Instinkt und wunderbare Vorsicht an den Tag
legen – tasten in der Dunkelheit mit ihren Vorderfüßen umher,
tasten über ihren Kopf hinweg, suchen einen Vorsprung, an den
sie sich anklammern können, als hätten sie Krallen und ziehen
sich dann mit einer geschmeidigen Anstrengung der Schenkel
hinauf. Und so sieht uns jede Minute ein kleines Stückchen
höher über dem Abgrund schweben, der in der Tiefe gähnt. Die
sogenannten Fußpfade, denen wir folgen, steigen in sehr kurzen
Zickzacklinien mit scharfen Biegungen hinan, derart, daß sich
der eine immer unmittelbar über dem Kopfe des anderen
befindet, alle schmiegen wir uns dicht gegen die steile
Felswand, und wenn einer der Vordermänner straucheln und in
den Schlund hinabstürzen sollte, so würde er die anderen mit
sich reißen, und viele würden gleichzeitig verunglücken. Mit
all den Steinen, die sich unter unseren Füßen loslösen, und
die in dem Maße, wie wir uns von dem gähnenden Schlund dort
unten entfernen, immer länger werdende Kaskaden und Lawinen
bilden, mit all diesen eisenbeschlagenen Hufen, die über die
Steine dahinschrammen, die ausgleiten und wieder Boden fassen,
tragen wir einen großen Lärm hinein in das feierliche
Schweigen. Wenn in dieser Gegend Räuber auf der Lauer liegen,
so müssen sie uns schon von weitem hören können. Meinen
Diener, dessen Leben mir anvertraut ist, lasse ich vor mir
reiten, um wenigstens sicher zu sein, daß er, so lange ich
seine Silhouette sehen kann, nicht mit seinem Pferd hinter
meinem Rücken in die tieferliegenden Täler gestürzt ist.
Zuweilen strauchelt ein Maultier mit seiner Last und fällt zu
Boden, alsbald stoßen unsere Leute lange Warnungsrufe aus, und
dann rette sich wer kann: wenn es den Abhang herunterollt und
im Fallen alle, die hinter ihm sind, mit fortreißt, dann würde
sich eine Lawine bilden, die aus uns, unseren Maultieren und
allen unseren Tieren zusammengesetzt wäre.
Die Pfade, von denen wir uns nicht entfernen dürfen, sind
im Laufe der Jahrhunderte von nächtlichen Karawanen getreten,
sie sind so schmal, daß man sich auf ihnen wie eingeschachtelt
in einer Schlitterbahn befindet, zwischen Felsen, die den
Reiter an beiden Seiten einzwängen, an denen man sich die Knie
wund stößt. Wiederum hat diese schreckliche Treppe zuweilen
nicht den geringsten Schutzrand, und dann sieht man lieber gar
nicht hinab, denn stockdunkle Schlünde gähnen fast unmittelbar
uns zu Füßen, Schlünde, deren Grund jetzt so weit entfernt
ist, daß man fast sagen könnte, es sei die unendliche Leere
selbst. In dem Maße wie wir vorwärts schreiten, wechselt,
verändert sich das Bild unter dem unbestimmten Licht der
Sterne; dort öffnen sich riesenhafte Talkessel, mit
eingestürzten Seiten, dort ziehen wir an großen überhängenden
Steinen vorbei, deren Formen nur undeutlich in der Nacht zu
erkennen sind, sie neigen sich vor und scheinen uns zu drohen.
Von Zeit zu Zeit erfüllt ein Leichengeruch die glühende,
schwere Luft, während eine unbewegliche Masse uns den Weg
versperrt: ein Pferd oder Maultier irgendeiner früheren
Karawane hat sich das Rückgrat gebrochen, und man hat es hier
verwesen lassen; wir müssen darüber hinwegreiten oder einen
gefährlichen Umweg wagen.
Zum Schluß unserer zweistündigen Qual erhellt eine große
Klarheit den östlichen Himmel. Gottlob, es ist der Mond, der
uns aus dieser Finsternis erretten will.
Und wie soll ich die Erlösung beschreiben, die wir
empfanden, als wir uns plötzlich von dem großen Schweigen
umgeben, auf einem freien leichten Boden wiedersahen! In
demselben Augenblick, wo man dem Schwindel der Abgründe, dem
Absturz in das schwarze Nichts, wo man dem Ersticken in den
Steintälern entflieht, in demselben Augenblick atmet man auch
eine reinere, wunderbar frische Luft ein. Man befindet sich
auf einer Ebene – einer Ebene, die tausend bis zwölfhundert
Meter über dem Meeresspiegel liegt – und an Stelle der Wüste,
die wir eben verlassen, erstreckt sich hier das blühende Land,
erstrecken sich die Kornfelder, die ungemähten Wiesen mit
ihrem wunderbaren Duft. Der Mond, der aufgegangen ist, zeigt
uns überall Mohn und Gänseblümchen. Auf breiten Wegen reitet
man friedlich über die weiche Erde und über das Gras dahin,
begleitet von einer Wolke von Leuchtkäferchen, gleichsam
eingehüllt in einen harmlosen Funkenregen. Wir befinden uns
hier auf der ersten Stufe, auf der ersten Terrasse Persiens,
und wenn wir eine zweite Bergwand überschritten haben werden,
die sich dort hinten vom Himmel abhebt, dann haben wir endlich
die Hochebene Asiens erreicht. Es ist übrigens eine
Erleichterung zu sagen, daß man diese schreckliche Treppe
nicht wieder hinabzusteigen braucht, wir werden nämlich auf
den besuchteren nördlichen Straßen über Teheran und das
Kaspische Meer zurückkehren.
Vor uns hören wir Glockengeläute, die Schellen der
Maultiere: eine andere Karawane, die in entgegengesetzter
Richtung reist, und die uns jetzt kreuzt. Man hält an, um
Worte zu wechseln, um unter dem schönen Mond einander in
Augenschein zu nehmen, und der neue Tcharvadar, der herannaht,
ruft mit einem Freudenschrei den meinen mit Namen: »Abbas!«
Die beiden Männer fallen sich in die Arme und halten sich
lange umschlungen: es sind Zwillingsbrüder, die auf den
Fahrstraßen als Karawanenführer leben, und die sich scheinbar
lange nicht begegnet waren.
Der jetzt eintönige Weg und die vollkommene Sicherheit
treiben uns nach so viel gesunder Ermüdung unwiderstehlich dem
Schlaf in die Arme, und in der Tat, wir schlafen auf unseren
Pferden . . . Zwei Uhr morgens. Mein Tcharvadar kündet
Konor-Takté, unser heutiges Nachtquartier, an.
Ein befestigtes Dorf, in einem Wald von Palmen gelegen, die
Pforten der Karawanserei, die sich vor uns auftun, und sich
hinter unserem Rücken schließen: das alles sehe ich
undeutlich, wie im Traum . . . Und dann ist alles erloschen,
wir versinken in die Ruhe der Bewußtlosigkeit . . .