Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil

Freitag, 4. Mai

Bei kaltem, klarem Sonnenaufgang brechen wir auf und reiten über die weißen Mohnblumen hinweg, auf denen noch der ganze Tau der Maiennacht liegt. Zum erstenmal seit Chiraz legen meine Perser ihren Burnus an und ziehen ihre Magiermützen tief über die Ohren.

Nachdem die Ebene hinter uns liegt, steigen wir noch einmal zu den großen Palästen des Schweigens hinan, um von ihnen Abschied zu nehmen. Aber das Licht des Morgens, das niemals verfehlt, das ganze Alter, den ganzen Verfall der Dinge bloßzulegen, zeigt uns weit mehr als die Abendsonne es vermochte, welcher Vernichtung die Herrlichkeiten des Darius und des Xerxes entgegengehen, wie verfallen die wunderbaren Treppen sind, wie traurig der Anblick der gestürzten Säulen ist. Nur die seltsamen Basreliefs aus grauem Kiesel, dem auch die Jahrhunderte nichts anzuhaben vermögen, können unter den Strahlen der aufgehenden Sonne bestehen: Prinzen mit glatten Bärten, Krieger oder Priester strahlen in dem hellen, grellen Licht mit einem Glanz wieder, der ebenso neu erscheint wie an dem Tage, als die mazedonischen Horden gleich einem Wirbelwind herangebraust kamen.

Während ich über den Boden der Geheimnisse dahinschreite, stößt mein Fuß auf ein halbverstecktes Stück Holz, das ich herausgrabe, um es näher zu betrachten; es ist ein Teil irgendeines riesengroßen Balkens aus den unverwüstlichen Zedern des Libanon gehauen, und – es herrscht kein Zweifel –, dies Stück gehört zu dem Gebälk der Gemächer des Darius. . . . Ich hebe es auf und kehre es um. Eine der Seiten ist geschwärzt, verkohlt und zerbröckelt unter dem Druck meiner Finger: Das Feuer, das die Fackel Alexanders angelegt hat! . . . Hier haben wir die Spur dieses sagenhaften Feuers, zwischen den Händen halte ich sie jetzt nach mehr als zweitausend Jahren! . . . Während eines Augenblickes verschwinden die dazwischenliegenden Jahre für mich; es scheint mir, als habe diese Feuersbrunst gestern gewütet; man könnte sagen, daß diesem Stück Zedernholz die Kraft innewohnt, Geister heraufzubeschwören, weit klarer als gestern, fast wie eine Vision sehe ich den Glanz dieser Paläste, das Leuchten der Emaillen, des Goldes und der purpurnen Teppiche, sehe ich den Prunk dieser unausdenkbar reichen Säle, die höher waren als das Schiff der Madeleine, und deren Säulenreihen gleich Riesenalleen sich in einen Waldesschatten verloren. Eine Stelle des Plutarch kehrt mir ins Gedächtnis zurück, eine Stelle, die ich einst, in Schülertagen, unter der Fuchtel meines Lehrers übelgelaunt und voll Langerweile übersetzte, aber plötzlich belebt sie sich, wird sie mir verständlich; es handelt sich um die Beschreibung einer Nacht der Orgien in der Stadt, die sich hier um diese freien Plätze ausdehnte, auf der Stelle, wo jetzt die wilden Blumenfelder liegen: Der Mazedonier ist durch einen zu langen Aufenthalt inmitten des ihm unbekannten Luxus aus dem Gleichgewicht geraten, er ist berauscht, hat sich mit Rosen bekränzt, ihm zur Seite sitzt die schöne Thaïs, die Beraterin in allen Ausschweifungen, und zum Schluß des Mahles erhebt er sich mit einer Fackel in der Hand – um eine Laune seiner Geliebten zu befriedigen – und begeht das nie wieder gutzumachende Opfer, entfacht die Feuersbrunst, legt das Freudenfeuer in den Gemächern der Achämeniden an. Alsbald ertönt das laute Geschrei der Trunkenheit und des Schreckens, steht plötzlich das Zederngebälk in hellen Flammen, hört man das Geknatter der Emaille an den Mauern, das Fallen der riesenhaft großen Säulen, die übereinander zusammenstürzen und mit Donnergetös gegen den Boden anprallen. . . . Der kleine schwärzliche Teil des Balkenstückes, das noch übriggeblieben ist, und das meine Hände berühren, wurde in jener Nacht zu Kohle verbrannt . . .

Die Etappe heute wird neun Stunden dauern und wir verlängern sie noch, indem wir einen Umweg machen, um den braunen Berg in nächster Nähe sehen zu können. Hinter Persepolis ragt dieser Berg gleich einer Mauer aus Kupfer auf, und schwarze Löcher, die Begräbnisstätten der Achämeniden-Könige, führen in sein Inneres hinein.

Um an den Fuß dieses Felsens zu gelangen, muß man über die endlosen Schutthaufen ausgehauener Steinblöcke, eingestürzter Mauerreste klettern; die gewaltige Vergangenheit hat diesen Boden befruchtet, in dem viele Schätze, viele Totengebeine ruhen müssen.

Drei ungeheuer große Begräbnisstätten liegen im Schoße des Berges voneinander getrennt, aber in einer Reihe; um die Gräber des Darius und der Prinzen seines Hauses unzugänglich zu machen, wurden die Öffnungen zu diesen Gewölben in halber Höhe der steilen Felswand gelegt, und wir können nur mit Leitern, Stricken, mit einem ganzen Belagerungs- und Einbruchsmaterial dort hinauf gelangen. Der monumentale Eingang zu jeder einzelnen dieser Stätten ist von Säulen umgeben und von figürlichen Basreliefs überragt; die alle in den Felsen selbst hineingehauen sind; die Verzierungen scheinen von den Ägyptern und den Griechen zugleich beeinflußt zu sein; die Säulen, das Gesims sind jonisch, aber der Gesamteindruck erinnert doch mehr an die schwere Pracht der Portale Thebens.

Unterhalb der Gräber, am Fuße des als Begräbnisstätte dienenden Berges, sieht man hier und dort, ohne irgendwelchen Zusammenhang, andere riesengroße Basreliefs in vertiefte Vierecke ausgehauen, sie gleichen eingerahmten Gemälden. Übrigens sind sie älter als die Begräbnisstätten, sie stammen aus der Zeit der Sassaniden-Könige; fast alle Gesichter der fünfzehn bis zwanzig Fuß hohen Figuren haben die Mohammedaner verstümmelt, aber trotzdem wirken verschiedene Kampfes- oder Siegesdarstellungen noch immer. Besonders ins Auge fallend ist ein Sassaniden-König, der in stolzer Haltung auf einem Kriegsroß sitzt, vor ihm kniet und demütigt sich wahrscheinlich ein Besiegter, ein römischer Kaiser, an seiner Toga erkenntlich, dies ist die ergreifendste und zugleich die größte aller Gruppen, die von dem roten Felsen eingerahmt werden.

Die Sieger alter Zeiten verstanden zu zerstören! Man ist bestürzt, wenn man heute dem Nichts gegenübersteht, in das so viele alte ruhmreiche Städte durch einen einzigen Stoß getaucht werden konnten, Karthago zum Beispiel und auch hier am Fuße dieser Paläste, dies Istakhar, das solange gestanden hatte, das einer der herrlichsten Plätze der Welt gewesen, und das im VII. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung unter dem letzten Sassaniden-König noch immer eine große Hauptstadt war: eines Tages aber zog der Kalif Omar vorbei, er befahl sie zu unterjochen und ihre Einwohner nach Chiraz zu verpflanzen; sein Befehl wurde ausgeführt, und nichts ist von der Stadt zurückgeblieben, kaum ein Haufen Steine unter dem Gras; man zögert, an diesem ihre Spur zu erkennen.

Ich suchte zwischen den Trümmerhaufen nach einem älteren Denkmal, nach einem Denkmal, das mehr in die Augen fällt und das die Zoroaster, die Emigranten in Indien, mir als noch erhalten bezeichnet hatten. Und jetzt liegt es ganz in der Nähe, wild und schweigend auf dem Postament eines Felsblockes vor mir. Nach der Beschreibung erkannte ich es sofort wieder, außerdem wurde mir seine Identität durch die Bezeichnung des Tcharvadaren »Ateuchka!« bestätigt – in der ich das türkische Wort ateuch wiederfinde, das Feuer bedeutet. Zwei schwere, einfache, abgestumpfte Pyramiden, von grobem Zackenwerk gekrönt, zwei Zwillingsaltäre für den Kultus des Feuers bestimmt, aus der Zeit der ersten Magier stammend, die mehrere Jahrhunderte vor Beginn des großen Baues der Persepolis und des ausgehauenen Berges lebten; sie waren schon sehr alt und ehrwürdig, als die Achämeniden diesen Ort erwählten, um hier ihre Paläste, ihre Stadt und ihre Gräber zu errichten, sie standen schon da in den dunkelsten Zeiten, wo die zur Begräbnisstätte dienenden Berge noch unberührt und jungfräulich waren, und wo die ruhige Ebene sich an Stelle so vieler ungeheurer Vorhallen und steinerner Plätze ausdehnte; sie haben die gesteigerten Zivilisationen anwachsen und verschwinden sehen, und immer sind sie auf ihrem Postament fast dieselben, die beiden Ateuchkas geblieben, unverwüstlich und gleichsam ewig in ihrer derben Herbheit. Wie man weiß, verschwinden die Feueranbeter immer mehr aus ihrem Heimatland, ja sogar von der Erde; die Übriggebliebenen sind, ähnlich wie das Volk Israels, in alle Winde verstreut; aber in Yezd, der Wüstenstadt, die ich auf meinem Wege rechts liegen ließ, gibt es eine noch ziemlich große Gemeinde, man findet auch einige in Arabien, andere in Teheran, und schließlich bilden sie eine wichtige, reine Kolonie in Bombay, wo sie ihre großen Begräbnistürme errichtet haben. Aber von allen Punkten der Erde, wohin sie ihr Schicksal auch geführt haben mag, kehren sie doch immer wieder als Pilger zu diesen beiden erschreckend alten Pyramiden zurück, die ihre heiligsten Altäre sind.

In dem Maße, wie wir uns entfernen, scheinen die schwarzen Löcher der Grabstätten uns gleich dem Auge des Todes zu verfolgen. Indem die Könige ihren Begräbnisplatz so hoch legten, wollten sie zweifellos bezwecken, daß ihr Schatten, noch von der Schwelle der dunklen Pforte aus, mit Herrscheraugen über das Land dahinschweben und immer von neuem den Betenden Furcht einflößen könnte.

Um weiter vorzudringen, folgen wir zuerst einem schmalen Bach, der eingeschachtelt und tief über Kieselsteine, durch Schilf und Weiden dahinfließt; ein Streifen Grün liegt halbversteckt in einem Spalt des Bodens, umgeben von den dunklen Steinregionen. Und bald, nachdem wir die Grabstätte alter Herrlichkeiten, nachdem wir auch das schattige kleine Tal aus dem Auge verlieren, umgibt uns von neuem die gewohnte, gleichmäßige Eintönigkeit: die baumlose Ebene, mit kurzen Gräsern und blassen Blumen bewachsen, dehnt sich, zweitausend Meter hoch gelegen, ruhig wie das Wasser eines Flusses zwischen zwei Bergketten aus, die eine aschgraue, oder vielmehr eine lederbraune Farbe, die Farbe des toten Tieres zeigen.

Und in dieser Ebene reiten wir dahin, bis zur Stunde der Dämmerung, bis es plötzlich ganz kalt wird.

Aber während die Sonne noch hoch am Himmel steht und ihre sengenden Strahlen auf uns herniederwirft, sehen wir schon am Ende der grünen Fläche das Dorf Ali-Abad liegen, wo wir zu übernachten gedenken. Doch zahllose tückische Spalten durchschneiden hier und dort die Ebene, die so leicht erschien, gefährliche Risse im Boden, über die der Reiter nicht hinwegsetzen kann, zwingen uns immer wieder, neue Umwege zu machen; wir sind wie in einem Labyrinth gefangen, kommen nicht von von der Stelle, und in diesen Schluchten liegen die Leichnahme der Pferde, Esel oder Maultiere, wie sie der ewige Durchzug der Karawanen dort hingesät hat, und bilden den Sammelplatz der schwarzen Vögel. Ali-Abad sehen wir noch immer sich in der gleichen Entfernung vor uns erheben, man könnte sagen, es sei ein befestigtes Schloß aus dem Mittelalter: dreißig Fuß hohe, mit Schießscharten und Türmen versehene Mauern bilden den Schutzwall gegen die Nomaden und Panther.

Jetzt müssen wir einen Gießbach überschreiten, der durch eine Schlucht dahinbraust. Bauern eilen zu unserer Hilfe herbei, um uns die Furt zu zeigen, sie heben ihre blauen, baumwollenen Kleider bis über den Gürtel auf, steigen in das schäumende Wasser und wir folgen ihnen, auch unsere Pferde werden bis an den Bauch durchnäßt. Endlich nähern wir uns Ali-Abad; noch eine halbe Meile reiten wir an Friedhöfen, eingestürzten Gräbern entlang; dann geht's an den Umzäunungen, den Gärten, den Lehmmauern vorbei, über die das zitternde Laub unserer heimatlichen Bäume herabhängt, Kirschen-, Aprikosen-, Maulbeerbäume, alle schon tragen sie kleine grüne Früchte; und schließlich erreichen wir das Eingangstor der Wälle, unter dessen großen Spitzbogen alle Frauen sich aufgestellt haben, um uns vorüberziehen zu sehen. Diese Warten, Mauern, diese Zinnen, dieser ganze furchteinflößende Verteidigungsapparat, dieses alles macht, in der Nähe besehen, den Eindruck eines bloßen Festungsschattens, dies alles besteht nur aus Lehm, hält sich nur wie durch ein Wunder aufrecht, genügt vielleicht als Schutz gegen das Gewehrfeuer der Nomaden, wird aber bei dem ersten Kanonenschuß wie ein Kartenhaus zusammenstürzen.

Die Frauen stehen dicht gegen die mit großen eisernen Nägeln beschlagenen Türflügel gelehnt und beobachten uns, wie wir im bunten Durcheinander mit einer Herde Ochsen an ihnen vorüber zum Tor hineinziehen. Hier gibt es keine schwarzen Gespenster mit weißen Masken mehr, die die Straßen Chiraz' verdunkelten, die langen Schleier sind aus klarem Stoff, mit Palmenzweigen oder altmodischen Blumen übersät, und bilden mit ihren verblaßten Farben ein harmonisches Ganzes; man hält sie mit der Hand gegen den Mund, um nur die Augen zu zeigen, aber der Abendwind, der sich mit uns unter den Spitzbogengewölben verliert, hebt ihn in die Höhe und mehr als ein Antlitz, mehr als ein naives Lächeln können wir überraschen.

Die Karawanserei befindet sich an dem Tor selbst, und diese fast ganz gleichmäßigen Löcher, unterhalb der Zinnen, mit denen der Spitzbogen gekrönt ist, sind die Fenster unserer Schlafräume. Wir klettern auf Lehmtreppen dort hinauf, gefolgt von dem gefälligen Volk, man trägt uns unser Gepäck, schleppt uns Krüge mit Wasser, Näpfe mit Milch herbei, bringt uns Reisigbündel, um Feuer machen zu können. Und bald dürfen wir uns an den hellflammenden Scheiten erwärmen, die den ganzen Raum mit ihrem süßen Wohlgeruch erfüllen.

Zwischen den Wällen liegen zahllose Lehmdächer nebeneinander gedrängt, sie bilden die innere Terrasse, von wo aus man einen Überblick über das Dorf hat. Und auf diesen Dächern treten jetzt alle Frauen, all die bescheidenen, geblümten, verblaßten Schleier ihren gewohnten Spaziergang an; sie können nicht in die Ferne sehen, die Damen Ali-Abads, denn die sehr hohen Festungsmauern halten sie hier wie in einem Gefängnis gefangen, aber sie betrachten sich gegenseitig und unterhalten sich von einem Haus zum andern; in diesem eingeschlossenen und verlorenen Dorf müßte die abendliche Stunde im Freien besonders süß und reizvoll sein, und man würde dieselbe noch länger ausdehnen, wenn es weniger kalt wäre.

Der Gebetsausrufer singt. Und jetzt kehren die Herden heim. So oft haben wir diesen dicht gedrängten, blökenden Einzug gesehen, daß wir wirklich nicht wieder von neuem Gefallen daran zu finden brauchten, aber hier an diesem engen Ort ist er wirklich noch ganz besonders eigenartig: Durch das spitzbogige Eingangstor bricht die lebende, schwarze Flut herein, wie ein Fluß nach heftigen Regengüssen überschwemmt sie das Land. Und sofort teilt sie sich in verschiedene kleine Zweige, in kleine Bäche, die durch die engen Gäßchen laufen: Jede Herde kennt ihr Haus, trennt sich von selbst und zögert nicht; die Zicklein, die Lämmlein folgen ihrer Mama, die weiß, wohin sie zu gehen hat, niemand täuscht sich, und sehr schnell ist die Sache erledigt, das Geblöke schweigt, der Fluß der schwarzen Schafe hat sich aufgelöst und läßt nur in der Luft den Duft der Weiden zurück, all die kleinen artigen Tiere sind heimgekehrt.

Und auch wir sehnen uns nach unserem Lager, nach dem Schlaf unter dem eisigen Wind, der durch die Löcher unserer Mauern streicht, und lenken deshalb unsere Schritte dem Hause zu.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de