Vierter Teil
Mittwoch, 16. Mai
Nachmittags gehe ich unter sicherer Führung auf die Suche
nach seltenen Nippsachen, die nicht in den Schaufenstern
aufgestellt werden, sondern die man in den Häusern, in Truhen
verborgen hält und nur den bevorzugten Käufern zeigt. Auf
alten, engen Treppen, deren Stufen so weit voneinander
entfernt sind wie die Sprossen einer Leiter, durch dunkle,
winkelige Gäßchen dringen wir in, ich weiß nicht wie viele,
altertümliche, mißtrauisch, heimlich dreinblickende Wohnungen
ein. Die Zimmer, wo man uns Kissen zum Sitzen anbietet, sind
klein, ihre Wände sind mit zellenartigen Geweben und Arabesken
bedeckt; sie werden nur spärlich beleuchtet durch die dunklen
Höfe, deren kachelausgelegte Mauern seltsam mit menschlichen
Figuren, Tieren und Blumen bekleckst sind. Zuerst trinken wir
eine kleine Tasse Tee, denn es gehört zum guten Ton, daß man
uns sofort eine Tasse anbietet. Dann werden die Zedernläden,
die mit ungeahnten Altertümern angefüllt sind, langsam vor uns
geöffnet, und man zieht einen Verkaufsgegenstand nach dem
andern hervor, den man aus altem Plunder und Flitterkram
herausschälen muß. Dies alles stammt aus dem großen
Jahrhundert des Schah-Abbas, oder wenigstens aus der Zeit der
Sophis-Könige, seinen Nachfolgern, und diese Ausgrabung, diese
Aufstellung in dem Staub und dem Schatten, zeigt uns, wie
zart, wie vornehm, wie anmutig die geduldige Kunst der Perser
war. Hier sieht man Kästchen in allen Formen aus Martin-Lack,
ihr wunderbares Kolorit hat der Zeit widerstanden, sie sind
mit den Bildern vornehmer Perser bemalt, und zwar ist ihre
Zeichnung von ungekünstelter Anmut, von seltener Genauigkeit,
die kleinsten Einzelheiten ihrer Wappen, ihrer Edelsteine
können eine Prüfung durch die Lupe bestehen; jener Teil der
iranischen Bevölkerung, der mir zu sehen versagt ist, wird
hier mit einer Art verliebten Anbetung zur Darstellung
gebracht: schöne Frauen aus früheren Jahrhunderten, ihre
Schönheit ist sichtbar übertrieben, Sultaninnen mit runden,
rotgeschminkten Wangen, mit gar zu langen, von schwarzen
Ringen umgebenen Augen, sie neigen den Kopf in gezierter Anmut
und halten eine Rose in ihren zu kleinen Händen . . . Und
manchmal begegnet man neben den echt persischen Bildern einem
anderen, das plötzlich an die holländische Renaissance
erinnert: das Werk eines westlichen Künstlers, der große
Kaiser Ispahans hatte ihn zu sich entboten, und in seiner
Abenteuerlust ist er dem Ruf gefolgt.
Man zeigt uns feine Emaillearbeiten, die auf Silber oder
Gold gelegt sind, Waffen Aladins, golddurchwirkte
Brokatstoffe, die die Schultern der Sultaninnen umhüllten,
Schmuckgegenstände, Stickereien, Teppiche, wie man sie nur in
Persien findet, einst wurden diese von den Nomaden
angefertigt, und ihre Arbeit erforderte zehn volle Jahre eines
Menschenlebens; Teppiche, seidiger als Seide, samtartiger als
Samt, die engen, engen Zeichnungen erscheinen uns so
rätselhaft wie die Schönschreibekunst des Koran. Und
schließlich sehen wir Fayencen, die heute kaum mehr
aufzufinden sind, ihre Glasurkleidung hat im Laufe der
Jahrhunderte einen Zersetzungsprozeß durchgemacht und zeigt
deshalb jene seltenen goldenen oder kupferroten Töne.
Nachdem wir die verfallenen Häuser verlassen haben, wo die
Überreste der toten Herrlichkeiten uns mit dem Wunsch nach
Frieden, mit einem Heimweh nach der Vergangenheit erfüllen,
kehre ich, heute ohne Begleitung, nach der »Schule der Mutter
des Schahs« zurück, um mich im Schatten der hundertjährigen
Platanen, in dem alten, von Fayencemauern eingeschlossenen
Garten auszuruhen. Und hier finde ich eine noch größere
Stille, eine noch größere Abgeschiedenheit als am Vorabend.
Vor dem wunderbaren Eingang bettelt ein Derwisch, ein in
Lumpen gehüllter Greis, er sitzt, den Kopf gegen die silber
und hochrot leuchtende Schmiedearbeit gelehnt, ganz winzig am
Fuß dieser gewaltigen Tür da, fast nackend, halbtot, mit Erde
und Staub bedeckt, schreckeneinflößend hebt er sich von diesem
Hintergrund der höhnischen Herrlichkeiten ab. Auf das große
glasierte Tor folgt die grüne Nacht des Gartens, und die leise
Musik, die diesem Platz eigen ist; ganz oben, dem Himmel und
dem Licht nah, singen die Schwalben und die Meisen; unten hört
man das leise Gurgeln der ausgestreckten Raucher und das
Geplätscher des Wasserstrahls in dem Springbrunnen. Die Leute
haben mich schon gesehen und beunruhigen sich nicht, ohne
Widerspruch zu begegnen, setze ich mich, wohin ich will auf
die grünlichen Fliesen. Vor mir sehe ich in die
Verschlingungen, in die Büsche, in das Geriesel der weißen
Heckenrosen hinein, sehe die Heckenrosen sich an den Platanen
hinaufschlängeln, deren gewaltige Stämme, fast so weiß wie die
Blüten selbst, den Säulen eines Tempels gleichen. Und dort
oben, wo die Vögel wohnen, durch die Spalte des Blätterdaches
hindurch, leuchtet die Glasur auf und erinnert an die
Minaretts, an die Kuppeln, an die ganze Herrlichkeit, die sich
unter den Sonnenstrahlen ausbreitet. In Ispahan, in der Stadt
der blauen Ruinen, kenne ich keinen Zufluchtsort, der
anziehender wäre als dieser alte Garten.
Als ich nach dem Hause des Fürsten zurückkehre, ist es
gerade die Hauptstunde des Muezzin, die unbestimmte, die
scheidende Stunde, wo man zum letztenmal am Tage den Aufruf
zum Gebet vernimmt. Das Abendlied zittert durch die Luft, und
gleichzeitig kreisen die Segler am Himmel; sehr deutlich
unterscheidet man den immer wiederkehrenden Namen: Allah; aber
die schönen wohlklingenden Stimmen, die Eintönigkeit des
Vortrags erinnern fast an Glockengeläute, man könnte glauben,
es sei der Ruf eines frommen Glockenspiels, der über diesen
alten Terrassen, über den alten Mauern Ispahans ertönt.