Fünfter Teil
Mittwoch, 23. Mai
Heute legen wir einen achtstündigen Weg durch die einsamste
aller Einöden zurück. Abends wird vor einem armseligen Weiher
haltgemacht; zehn kleine Lehmhäuser, denen ein heller Bach
Leben zuträgt, einige winzige Kornfelder, ein Gebüsch von drei
oder vier Maulbeerbäumen, über und über besät mit weißen
Maulbeeren; das ist alles, soweit das Auge sieht im ganzen
Umkreise, nichts als Wüste. Die Leute scheinen sehr arm zu
sein, und wahrscheinlich ist der Ort ungesund, denn sie sehen
leidend aus. In dem Loch, unserem Zimmer, haben die
zutraulichen Schwalben mehrere Nester über dem Kamine gebaut;
streckt man den Arm aus, so könnte man die Jungen erreichen,
deren kleine Köpfe alle sichtbar sind.
Und wir kommen gerade an dem Tage an, als die Ältesten des
Dorfes – etwa zehn vertrocknete alte Leute – bestimmt haben,
ihre erste Maulbeerernte abzuhalten. Dies soll zur Stunde der
Vesper, der Kalyan und des süßen Müßigganges vor sich gehen,
zur Stunde, wo wir mit zwei oder drei Hirten in der Tür der
verfallenen Herberge sitzen, und dem sanften Gemurmel des
einzigen, herrlichen Flusses lauschen und die Sonne an dem
weiten Horizont untertauchen sehen. Die wenigen Kinder sind
alle zerlumpt und blaß, sie schließen einen Kreis um die
verkrüppelten Maulbeerstämme, die man jetzt schütteln will,
und diesmal leuchtet die Freude der Erwartung in ihren sonst
so schwermütigen Augen auf. Bei jedem Stoß fällt ein Regen von
Früchten auf den traurigen, harten Boden herab, und die
Kleinen stürzen sich wie Sperlinge, denen man Körner
hinstreut, darüber, während der magerste der Greise die
allzugroßen Leckermäuler zurückhält und mit Strenge darüber
wacht, daß die Teilung gleichmäßig geschieht. Diese Bäume sind
der einzige Schatz im meilenweiten Umkreise; und
höchstwahrscheinlich denkt man in dem einsamen Dorf wochenlang
im voraus an die Ernte, die in der Dämmerstunde vor sich geht,
die man sich für die langen Maienabende aufspart . . . Ist das
Fest vorüber, so senkt sich die kalte Nacht herab, die
Abgeschiedenheit macht sich noch fühlbarer. Diese kleine
menschliche Ansiedlung kennt keine Mauern, wie sie die Oasen
des Südens umgeben; die Tür zu unserer Herberge läßt sich
nicht einmal schließen, und mit dem Revolver in der Hand
schlafen wir ein.