Ankunft in Konstantinopel
Morgens um drei Uhr, als wir in den Hafen von
Konstantinopel eingelaufen waren, lag außer einigen Matrosen
alles in tiefster Ruhe, und ich stand auf dem Verdeck und
harrte und sah die Sonne im vollsten Glanz ihrer Pracht über
der mit Recht bewunderten Kaiserstadt aufgehen.
Wir hatten Anker geworfen in der Nähe von Tophana, und
ausgebreitet vor meinen Blicken lag nun diese Stadt aller
Städte auf mehreren Hügeln, deren jeder selbst wieder eine
Stadt trägt und doch sich passend und großartig dem Ganzen
anschmiegt.
Die eigentliche Stadt Konstantinopel ist von Tophane,
Galata und Pera durch das sogenannte Goldene Horn getrennt und
durch eine lange, breite, hölzerne Brücke in Verbindung
gesetzt. Skutari und Bulgurlu erheben sich terrassenartig am
asiatischen Ufer.
Die wundervollen Moscheen mit ihren feingezeichneten
Minaretten, die Paläste und Harems, die Kioske und großen
Kasernen, die Gärten, die Boskette und Waldungen von
Zypressen, die vielfarbig angestrichenen Häuser, über welche
oft wieder einzelne Zypressen ihre schlanken Gipfel erheben,
und endlich der ungeheure Wald von Masten – dies alles bildet
einen unbeschreiblich überraschenden Anblick.
Und erst, als das rege Leben der Menschen begann, sowohl am
Ufer als auf dem Meer, da langten meine Augen nicht aus. Eine
Unzahl Kaïks bedeckte nach und nach das Meer und das Goldene
Horn, so weit der Blick reichte. Das bewegteste Leben am Ufer,
von Menschen aller Nationen und Farben, von weißen Europäern
bis zum schwärzesten Äthiopier, das Gemisch der
eigentümlichsten, verschiedenartigsten Trachten, alles dies
hielt mich gebannt auf dem Verdeck. Die Stunden flohen gleich
Augenblicken dahin, für mich kam die Zeit der Ausschiffung
viel zu früh, obwohl ich von früh drei Uhr bis acht Uhr stand
und nichts als schaute.
Alle Mühseligkeiten der Reise fand ich reich belohnt, ich
war glücklich beim Anblick dieser wunderbaren morgenländischen
Bilder und hätte nur gewünscht, ein Dichter zu sein, um dieses
Wundervolle, Herrliche schildern zu können.
Zu Tophane ans Land zu steigen und von Lohndienern und
Hamaks (Lastträgern) umschwärmt zu werden ist das Los jedes
Reisenden. Man ist weder Herr seines Willens noch seiner
Sachen. Der eine rühmt diesen Gasthof, der andere jenen. Die
Träger raufen und schlagen sich um die Effekten, die
Zollaufseher kommen oft mit dem Stock dazwischen und machen
Ordnung, die Koffer zu visitieren, was mit einem Trinkgeld von
zehn bis zwanzig Kreuzern bald abgetan ist.
Sehr wohl tut man, schon vor der Ausschiffung einen Gasthof
zu bestimmen, in dem man absteigen will. Es gibt immer
Reisende auf dem Schiffe, die entweder da heimisch oder doch
wenigstens recht gut bekannt sind; diese haben dann schon die
Gefälligkeit, hierüber Rat zu erteilen. Auf solche Art kann
man den geldgierigen Lohndienern gleich den Abschied geben und
braucht nur dem Träger den Gasthof zu nennen.
Die Gasthöfe für die Franken (so heißen im Orient alle
Europäer) sind in Pera. Ich stieg bei der Witwe Madame
Balbiani ab. Man ist bei dieser Frau in jeder Hinsicht
trefflich aufgehoben. Reinliche Zimmer mit der schönen
Aussicht auf das Meer, gesunde, sehr gewählte und schmackhafte
Kost und schnelle, gute Bedienung sind ja für jedermann das
Wünschenswerteste, und all dies, nebst einem äußerst
liebenswürdigen und gebildeten Benehmen der Hausfrau und ihrer
Familie findet man da vereint. Die gute Frau nahm sich meiner
mit wahrer Teilnahme an, und ich kann wohl sagen, wenn ich
nicht das Glück gehabt hätte, unter ihr Dach zu kommen, wäre
es mir schlecht ergangen. Ich hatte zwar mehrere
Empfehlungsbriefe, weil ich aber das Unglück hatte, weder mit
großem Namen noch in großem Pomp erscheinen zu können, so
hielten es meine Landsleute nicht der Mühe wert, sich um mich
zu kümmern.
Ich schäme mich an ihrer Statt, dies Bekenntnis ablegen zu
müssen, doch nicht nur, was ich auf dieser Reise alles sah,
sondern auch was mir selbst zustieß, zeichne ich genau auf,
und da gehört denn dies doch gewiß auch dazu. Um so inniger
rührte mich das herzliche Benehmen dieser fremden Menschen,
die ohne Empfehlung, ohne Landsmannschaft sich der hilflos
einzelnstehenden Frau so bieder annahmen. Mit wahrer Freude
spreche ich bei jeder Gelegenheit meinen innigen Dank aus für
alle freundlichen Stunden, die mir in diesem Kreise zuteil
wurden.
Von Wien bis Konstantinopel sind tausenddreihundertzwanzig
Seemeilen.