Aufenthalt in Konstantinopel
Ausflug nach Brussa
Die beiden Brüder, Freiherren v. B., und der talentvolle
Maler Herr S. beschlossen, eine Partie nach Brussa zu machen,
und als ich den gleichen Wunsch äußerte, waren sie so
gefällig, mich als vierte Person ihrem Bund beitreten zu
lassen; doch als es zur Ausführung kam, wäre ich bald wankend
geworden. Es fragte mich nämlich jemand, ob ich gut reiten
könne. Wäre dies nicht der Fall, dann sollte ich ja nicht
mitgehen, denn von dem Hafenort Gemlik seien es vier deutsche
Meilen nach Brussa, der Weg schlecht, und die Herren müßten
scharf reiten, um von halb drei Uhr nachmittags, der
gewöhnlichen Landungsstunde zu Gemlik, die Stadt vor
Sonnenuntergang zu erreichen. Wenn ich nicht fortkäme, würde
ich die Herren in große Verlegenheit setzen, oder sie müßten
mich gar auf dem Weg zurücklassen.
Ich hatte noch nie auf einem Pferd gesessen und war nahe
daran, die Wahrheit zu sagen, doch meine Neugier, Brussa, die
schöne Stadt am Fuß des Olymps, zu sehen, war überwiegend, und
ich behauptete ganz kühn, daß ich zu Pferd gewiß nicht
zurückbleiben würde.
Am 13. Mai um halb sieben Uhr morgens fuhren wir auf einem
kleinen Dampfschiff mit vierzig Pferdekräften von
Konstantinopel ab. An den Prinzen- und Hundsinseln vorüber
brausten wir durch das Meer von Marmara dem schneebedeckten
Olymp entgegen, bis wir nach siebenstündiger Fahrt Gemlik
erreichten.
Gemlik, vierunddreißig Seemeilen von Konstantinopel
entfernt, ist ein erbärmliches Nest; allein als Hafen in
Bithynien ziemlich lebhaft. Der Agent der
Donauschiffahrtsgesellschaft war so gefällig, uns gute Pferde
und einen echten, kräftig und wild aussehenden Turkomanen als
Führer zu verschaffen. Dieser hatte im Gürtel einige Pistolen
nebst einem Dolch, an der Seite einen stark gebogenen Säbel
und statt der doppelten Beschuhung hohe Stiefel, die oben mit
einem sehr breiten Streifen weißen Tuches, auf welchem blaue
Blumen und Zierate gestickt, überschlagen waren. Den Kopf
zierte ein schöner Turban.
Um halb drei Uhr kamen die Pferde. Ich schwang mich ganz
beherzt auf meine Rosinante, empfahl mich meinem Schutzgeist,
und nun ging es zwar noch langsam, aber doch über Stock und
Stein. Meine Freude war unbegrenzt, als ich mich fest sitzend
auf dem Pferd fühlte, allein als der Trab anfing, wurde mir
ganz kurios zumute, ich konnte mit den Steigbügeln nicht
zurechtkommen, bald saßen sie mir auf der Ferse, bald verlor
ich sie ganz und kam dadurch in Gefahr, das Gleichgewicht zu
verlieren. Ach, daß ich hätte jemand um Rat fragen können!
Leider konnte ich es nicht, ohne meine Unkenntnis des Reitens
zu verraten. Ich blieb daher vorsätzlich die letzte, unter dem
Vorwand, daß mein Pferd stützig sei und nur dann gut gehe,
wenn es die andern vor sich habe; die eigentliche Ursache aber
war, daß die Herren meine Manöver nicht sähen, denn alle
Augenblicke glaubte ich herabzustürzen. Mit beiden Händen
erfaßte ich oft den Sattel und schwankte bald auf die eine,
bald auf die andere Seite. Der Galopp, auf den ich mich noch
mehr fürchtete, ging zu meiner Verwunderung besser als der
Trab. Mein Mut wurde belohnt, und ich erreichte zwar tüchtig
zusammengerüttelt, aber doch ohne Unfall das Ziel unserer
Reise. Während der Zeit, als es im Schritt ging, hatte ich
auch Muße gehabt, die Gegend zu betrachten. Die Hälfte des
Weges führt von einem Tal in das andere; sooft man einen Hügel
erklimmt, hat man vor sich eine beschränkte Aussicht, allein
man darf den Kopf nur rückwärts wenden, um einen schönen
Überblick über das Marmarameer zu haben. Nach einem Ritt von
dritthalb Stunden gelangten wir an einen kleinen Chan, wo wir
ein halbes Stündchen Rast machten. Ein Chan ist ein steinernes
Gebäude, das einige ganz leere Zimmer enthält, um den
Reisenden, in Ermangelung der Gasthöfe, Schutz und Schirm
gegen Nacht oder Wetter zu gewähren. Gewöhnlich hält sich ein
Türke dabei auf, der den Reisenden schwarzen Kaffee serviert.
Nicht weit davon erreichten wir den letzten Hügel und das
große Tal, an dessen Ende Brussa, an den Olymp sich lehnend,
liegt, öffnete sich dem erwartenden Blick, während man noch
immer rückwärts, weit über Berg und Tal hinaus, das vom
Horizont begrenzte Meer erblickt. Schön ist diese Ansicht,
aber Schöneres sah ich doch schon in der Schweiz. Das
ungeheure Tal, welches sich vor Brussa ausbreitet, ist
unkultiviert, menschenleer und wasserarm; kein üppiger
Rasenteppich, kein rauschender Strom, kein freundliches
Dörfchen beleben die herrliche und dennoch einförmige Gegend,
und keine Riesenberge, auf denen ewiger Schnee thront, starren
in das ausgebreitete Tal. Ach, solche Bilder sah ich in der
Schweiz, Tirol und Salzburg gar viele. Hier fand ich wohl auch
einzelne Schönheiten, aber kein Ganzes. Der Olymp ist ein
schöner, majestätischer Berg, der eine lange Grenze bildet,
dessen Höhe aber kaum sechstausend Fuß überschreiten mag, und
der noch diesen Monat seiner silberweißen Schneeflächen
gänzlich beraubt wird. Brussa mit den unzähligen Minaretten
ist der einzige Lichtpunkt, auf den das Auge immer fällt, weil
sonst weit und breit nichts Anziehendes ist. Ein kleiner Bach,
über welchen eine sehr hohe steinerne Brücke führt, der aber
schon im halben Mai so wenig Wasser hatte, daß es unsern
Pferden kaum den Huf deckte, und näher gegen Brussa ein
elendes Dörfchen nebst einigen Oliven- und Maulbeerpflanzungen
sind alles, was man auf diesem langen Weg sieht.
Den Olivenbaum fand ich überall, hier wie bei Triest oder
in Sizilien, häßlich. Sein Stamm ist zerrissen, die Blätter
sind schmal und schmutzig grün. Dagegen ist der Maulbeerbaum
mit seinem üppig fetten, glänzend grünen Laub eine angenehme
Erscheinung. Die Seide ist in diesen Gegenden von vorzüglicher
Güte, weshalb auch die Stoffe von Brussa weit und breit
berühmt sind.
Glücklich erreichten wir die Stadt noch vor
Sonnenuntergang. Nichts Fataleres kann einem begegnen, als
wenn man eine Stadt im Orient nach Sonnenuntergang erreicht;
da sind die Tore geschlossen, und vergebens würde man sich um
Einlaß bemühen.
Wir mußten, um zu dem Gasthof zu gelangen, beinahe durch
die ganze Stadt reiten, wobei wir Gelegenheit hatten zu sehen,
daß sie ebenso häßlich ist wie das Innere Konstantinopels. Die
Straßen sind eng, die Häuser aus Holz, Lehm, manche sogar aus
Stein erbaut, alle aber haben ein ärmliches und dabei
eigentümliches Aussehen: das erste Stockwerk jedes Hauses
nämlich hat so weit hervorragende Erker, daß selbe mehr als
den halben Teil der Gasse einnehmen und diese dadurch eng und
dunkel machen. Auch der Gasthof, in welchem wir abstiegen, sah
von außen nicht sehr einladend aus, wir waren schon sehr wegen
des Nachtquartiers in Angst. Allein so erbärmlich das Äußere
war, so angenehm fanden wir uns im Innern überrascht. Ein
geräumiger netter Hof, in dessen Mitte wir ein Bassin mit
hellsprudelndem Wasser, umschattet von mehreren
Maulbeerbäumen, erblickten, erregte gleich unsere
Aufmerksamkeit. Ringsherum befanden sich in zwei Stockwerken
große, reinliche, ganz einfach eingerichtete Zimmer. Die Kost
war gut, und man kredenzte uns sogar eine Flasche
vortrefflichen Weines von der untern Region des Olymps.
14. Mai 1842
Früh morgens besahen wir unter der Leitung und dem Schutz
eines Kawassen die Stadt und deren Umgebung. Die Stadt selbst
ist sehr groß; sie soll über zehntausend Häuser haben und wird
nur von Türken bewohnt. In den Vorstädten, welche bei
viertausend Häuser zählen, wohnen Christen, Juden, Griechen
usw. Die Stadt zählt dreihundertsechzig Moscheen, die meisten
darunter sind aber so verfallen und unansehnlich, daß man sie
kaum bemerkt.
Der Eintritt in die Moscheen ist hier in Begleitung eines
Kawassen erlaubt. Wir gingen in die vorzüglichsten, worunter
unstreitig die Ulu-Cami gehört. Die Kuppel, welche ein wahres
Meisterwerk sein soll, ruht auf zierlichen Säulen. Oben ist
sie offen und verbreitet ein sanftes Licht und eine reine Luft
in der Moschee. Gerade unter dieser Kuppel befindet sich ein
großes Marmorbecken, in welchem kleine Fische sich erlustigen.
Die Moschee Sultan Mohammeds I. und die Yildirim-Cami sind
wegen ihrer schönen Bauart nicht zu übersehen, und bei
letzterer, die auf einer Anhöhe liegt, ist die Aussicht
lohnend. In der Moschee Murads I. sieht man noch Stücke seiner
Kleider und Waffen hängen. Kaiserliche Prachtgebäude, deren
manche Schriftsteller erwähnen, sah ich nicht. Der kaiserliche
Kiosk ist so einfach, daß, wenn man nicht der schönen Aussicht
wegen hinaufginge, es um jeden Schritt schade wäre.
Eine steinerne, ganz gedeckte Brücke über ein ungeheuer
hohes, aber wasserarmes Flußbett verbindet die Stadt mit den
Vorstädten. Auf dieser Brücke sind an beiden Seiten kleine
Wohnungen angebracht, in welchen Seidenweber wohnen und
arbeiten. Diese Brücke erregte meine Bewunderung in hohem
Grad, denn ihre Bauart schien eher unsern Ländern anzugehören
als dem Orient. Ich sah auch keine zweite mehr, weder in
Syrien noch in Ägypten.
Die Gassen sind alle höchst tot und menschenleer, was doch
bei einer Bevölkerung von hunderttausend Seelen zum Verwundern
ist. In den meisten Straßen sieht man mehr Hunde als Menschen.
Nicht nur in Konstantinopel, sondern in den meisten Städten
des Orients gibt es eine Unzahl herrenloser Hunde.
Einiges Leben ist wie überall in den Bazaren und besonders
in den gedeckten. Der vorzüglichste Handelsartikel besteht in
schönen, dauerhaften Seidenstoffen, wovon die schönsten und
kostbarsten in den geschlossenen Magazinen aufbewahrt werden.
Auf dem gemeinen Bazar fanden wir nichts als Eßwaren, darunter
kleine, äußerst unschmackhafte Kirschen. Kleinasien ist das
Vaterland dieser Frucht; aber Herrliches sah ich weder hier
noch acht Tage später in Smyrna.
Brussa hat einen außerordentlichen Reichtum an
kristallreinen, kalten Quellen, welche dem Olymp entströmen.
Von allen Seiten durchschneiden unterirdische Kanäle die
Stadt, in vielen Gassen hört man das Gemurmel des Wassers
unter und neben sich, und jedes Haus hat Brunnen und Bassins,
ja selbst in den Bazaren sind dergleichen angebracht.
In der Nähe nimmt sich der Olymp nicht halb so gut aus wie
in einiger Entfernung. Der Fuß desselben ist von mehreren
kleinen Hügeln umgeben, welche dem Gesamtüberblick hinderlich
sind.
Die Bäder, die eine halbe Stunde von der Stadt entfernt
sind, haben eine freundliche Lage und großen Reichtum an
mineralischem Wasser; viele Fremde kommen hierher, ihre
verlorene Gesundheit zu erlangen.
Das schönste unter den Bädern heißt Yeni Kaplica. Ein
runder hoher Saal enthält ein großes Vollbad in Marmor gefaßt,
darüber wölbt sich eine herrliche Kuppel mit einer Menge (man
sagt sechshundert) Lichtgläser, die das Ganze magisch
beleuchten.
Die Rückreise nach Konstantinopel lief nicht so ganz
glücklich ab. Einer der Herren stürzte vom Pferd und zerbrach
sich seine Taschenuhr. Sättel und Riemzeug sind gewöhnlich so
schlecht, daß man alle Augenblicke etwas zu knüpfen und zu
machen hat. Wir ritten gerade ein bißchen scharf, der Halfter
riß, und Sattel und Reiter flogen hinab. Ich kam glücklich
zurück, obschon ich oftmals in Gefahr war, vom Pferd zu
stürzen, ohne daß ein Riemen zu reißen nötig gehabt hätte.
Die Herren waren mit mir sehr zufrieden, denn nie blieb ich
zurück, und nirgends wurden sie meinetwegen aufgehalten. Erst
als wir auf dem Schiff waren, gestand ich mein Wagestück und
meine ausgestandene Angst.