Zivilisation und ...

Reise einer Wienerin in das Heilige Land

Ida Pfeiffer

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Aufenthalt in Konstantinopel

Der Turm in Galata

Wer die reizende Lage von Konstantinopel im vollen Maße genießen will, besteige den Turm in Galata nächst Pera oder den Serasker in Konstantinopel. Ersterer verdient nach meiner Meinung den Vorzug. In diesem Turm befindet sich ein Saal mit vierzehn Fenstern in der Rundung, und von diesen Fenstern aus erblickt man Bilder, welche die kühnste Einbildungskraft nicht schöner zu schaffen vermag.

Zwei Weltteile liegen vor uns an zwei Meeren ausgebreitet, die der Bosporus verbindet. Die herrlichen Hügel mit ihren Städten und Dörfern, die Menge von Palästen, Gärten, Kiosken und Moscheen, die Prinzeninseln, das Goldene Horn, das ewige Leben auf dem Meer, die ungeheure Flotte nebst den vielen Schiffen anderer Nationen, das Gewühl der Menschen in Pera, Galata und Tophane: alles dies vereint gewährt einen entzückenden Anblick. Die reichste Phantasie ist nicht imstande, ein solches Gemälde hervorzubringen, die geübteste Feder unvermögend, eine Beschreibung davon zu entwerfen. Dieses herrliche Bild wird nie meinem Gedächtnis entschwinden, wenn ich gleich nicht die Kraft besitze, es zu schildern.

Oft und mit großem Vergnügen bestieg ich diesen Turm, und stundenlang saß ich an den Fenstern, Gottes und der Menschen Werke zu bewundern. Ermüdet und ermattet vom vielen Schauen, kehrte ich stets in meine Wohnung zurück. Ich glaube behaupten zu können, daß kein Punkt der Welt ein ähnliches Bild darbietet oder sich mit ihm vergleichen kann. Wie sehr hatte ich recht, diese Reise jeder andern vorzuziehen. Hier ist eine andere Welt vor meinen Augen entfaltet. Alles ist anders: Natur, Kunst, Menschen, Sitten, Gebräuche und Lebensart. Hierher muß man kommen, wenn man etwas anderes als das Alltägliche der europäischen Städte und ihrer Bewohner sehen will.

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