Nazareth
Wir kamen schon um neun Uhr morgens zu Nazareth an und
stiegen im Fremdenhaus des Klosters der Franziskaner ab, wo
uns die Geistlichen sehr zuvorkommend empfingen. Kaum hatten
wir unsere Gemächer ein wenig in Augenschein genommen und sie
an Aussehen und Einrichtung jenen zu Jerusalem vollkommen
ähnlich gefunden, so machten wir uns wieder auf den Weg, um
alle merkwürdigen Plätze, vor allem aber die Kirche zu
besuchen, in welcher sich die Grotte der Verkündigung
befindet. Diese Kirche, in welche uns ein Geistlicher
begleitete, ist nicht besonders groß. Im Hintergrund führt
eine Treppe in die Grotte hinab, in welcher die heilige Maria
durch den Engel die Botschaft des Herrn empfing. Drei kleine
Granitsäulen sind in dieser Grotte noch sichtbar. Der untere
Teil von einer derselben wurde durch die Türken zerstört, sie
ist nur oben befestigt, daher behaupten viele, sie schwebe
ganz frei in den Lüften. Hätten diese Menschen weiter gesehen,
als ihre Nase reicht, und nur einen Blick in die Höhe
geworfen, sie würden schwerlich ein Wunder behaupten, das nur
in ihrer Einbildung existiert. Ein ziemlich gutes Gemälde an
der Wand stellt die Verkündigung vor. Die eigentliche Wohnung
Marias ist hier nicht zu sehen, weil der Sage nach ein Engel
sie nach Loretto in Italien trug. Seitwärts gelangt man über
einige Stufen zu der Grotte, in welcher die Nachbarin Marias
wohnte, die in Abwesenheit der letzteren die Aufsicht über
deren Wohnung führte und ihre häuslichen Geschäfte besorgte.
In der Stadt liegt auch die Grotte, wo Josephs Werkstätte
war; man hat sie in ihrem ursprünglichen Zustand gelassen und
nur einen ganz einfachen hölzernen Altar darin errichtet.
Unweit davon findet man die Synagoge, wo Jesus das Volk
belehrte und die Pharisäer dadurch so erbitterte, daß sie ihn
von einem Berge gleich außerhalb des Städtchens herabstürzen
wollten. Zum Schluß zeigte man uns noch einen ungeheuren
Felsblock, auf welchem Jesus das Abendmahl mit seinen Jüngern
verzehrt haben soll.
Des Nachmittags besuchten wir den Marienbrunnen gleich
außerhalb Nazareths am Weg nach Tiberias; er ist mit Steinen
ummauert und liefert reines frisches Wasser. Hieher ging die
heilige Maria täglich mit dem Krug, und auch heute noch
drängen sich alle Weiber und Mädchen zu diesem Brunnen und
wandeln mit Krügen auf der Achsel hin und zurück. Diejenigen,
welche wir sahen, waren alle schmutzig und ärmlich gekleidet;
viele gingen ohne Kopfbedeckung, was um so häßlicher ist, da
ihnen die Haare ganz struppig wegstanden. Die ziemlich
lebhaften Augen waren das Hübscheste an ihnen. Auch hier
tragen sie eingefaßte Silbermünzen vom Scheitel bis unter das
Kinn.
Der heutige Tag war für mich ein Tag des Leidens, denn
schon des Morgens, als wir von Lagun fortritten, fühlte ich
mich sehr unwohl. Ich bekam unterwegs heftige Kopfschmerzen,
wiederholtes Erbrechen und starken Fieberschauer. Ich glaubte
kaum, Nazareth erreichen zu können. Das traurigste bei der
Sache war, daß ich meine Unpäßlichkeit ebenfalls wieder wie
damals auf dem Weg nach Jerusalem verbergen mußte, aus Furcht,
zurückgelassen zu werden. Auch war der Wunsch, alle heiligen
Orte in Nazareth zu besuchen, so lebhaft in mir, daß ich mit
größter Anstrengung den ganzen Tag mit der Gesellschaft
herumging, mich aber alle Augenblicke wegstahl, damit mein
Zustand nicht offenbar werde. Als wir zu Tisch gingen, erregte
mir der Geruch der Speisen einen solchen Ekel und solche
Übelkeit, daß ich mir schnell das Sacktuch vor die Nase hielt
und ein plötzliches Nasenbluten vorgab, um hinauseilen zu
können. Nur meiner braunen Gesichtsfarbe, die die Blässe
meines Aussehens nicht durchschimmern ließ, verdankte ich es,
daß mein Übelbefinden nicht bemerkt wurde. Ich genoß den
ganzen Tag über nichts; erst des Abends erholte ich mich ein
wenig. Nun stellte sich auch die Eßlust ein, aber leider war
nichts zu bekommen als eine schlechte Hammelsuppe und eine
Omelette in ranzigem Öl gebacken. Ach, es ist schon bitter, im
gesunden Zustand auf einen solchen Imbiß angewiesen zu sein,
um wieviel mehr erst, wenn man krank ist. Ich ließ daher um
etwas Wein und Brot bitten und suchte mich dadurch ein bißchen
zu stärken.