Der Rosengarten
Sechste Abteilung: Von der Schwäche und dem Alter
Als ich einst mit einigen Gelehrten in der Hauptmoschee zu
Damaskus in einer Erörterung begriffen war, trat plötzlich ein
Jüngling zur Türe herein und fragte: Ist jemand unter euch des
Persischen kundig? Sie wiesen auf mich. Was gibt's? fragte
ich. Er antwortete: Ein Greis von hundertundfünfzig Jahren
liegt im Sterben, und er sagt etwas in persischer Sprache, was
wir nicht verstehn können; wenn du die Gewogenheit hättest,
dich zu ihm zu bemühen, würdest du ein verdienstliches Werk
tun; vielleicht will er seinen letzten Willen offenbaren. Als
ich an sein Bett kam, sagte er diese Verse:
Ich hofft', es würden mir noch ein'ge
Augenblicke
Vergönnt, doch ach! gehemmt ist schon des Atems Flug.
Gegessen hab' ich an des Lebens buntem Tische
So kurze Zeit, und ach! schon sagt man mir: genug.
Ich erklärte den Syrern die Bedeutung dieser Worte auf
arabisch; sie wunderten sich, daß er nach einem so langen
Leben noch den Verlust des Erdendaseins beseufzte. Ich fragte
ihn, wie ihm jetzt zumute sei? Was soll ich sagen? antwortete
er:
Zieht man aus dem Mund nur einen Zahn,
Siehst du, welchen Schmerz der Mensch empfindet?
Schließe daraus, was er fühlen mag,
Wenn die Seele sich dem Leib entwindet.
Ich sagte: Entferne die Vorstellung des Todes aus deiner
Einbildungskraft, und laß diesen Gedanken nicht über deinen
Geist herrschen, denn Philosophen haben gesagt: Wenn auch die
Körperbeschaffenheit noch so fest ist, so kann man sich auf
ihren Bestand nicht verlassen, und wenn auch die Krankheit
noch so schrecklich ist, so ist sie doch kein Beweis des
Todes. Wenn du es wünschest, wollen wir einen Arzt rufen, daß
er dir eine Arznei gebe und es dir besser werde. Das sei
ferne! sprach er.
Noch schmückt der Herr die Zimmer und die
Hallen,
Indes der Grund des Hauses schon zerfallen.
Kein Mittel bringt der kluge Arzt mehr an,
Wenn er den Alten sieht im Fieberwahn.
Der alte Mann seufzt unter Todesstreichen,
Die Alte will mit Sandel ihn bestreichen,
Doch wo erloschen ist des Lebens Licht,
Hilft nicht Arznei, hilft Amulett auch nicht.
*
Ein Greis erzählte folgendes: Ich hatte ein Mädchen als
Gattin heimgeführt und mein Zimmer mit Rosen verziert, und
weilte bei ihr allein und ließ sie das Band meiner Augen und
meines Herzens sein, und in den langen Nächten, wo ich mußte
schlaflos bleiben, suchte ich ihr die Zeit durch Scherze und
Schmeichelreden zu vertreiben, damit sie keine Abneigung
empfände, sondern sich in meine Gesellschaft fände. Unter
anderm sagte ich ihr eine Nacht: Ein freundliches Geschick hat
dich bedacht und das Auge des Glückes hat über dich gewacht,
daß du in die Gesellschaft eines Greises gekommen, der reif
ist und welterfahren, der die Hitze und Kälte des Lebens
erfahren und das Gute und Böse desselben befahren, der die
Rechte der Genossenschaft innehat und die Pflichten der
Freundschaft im Sinne hat, der zärtlich ist und wohlgesinnt
und durch Wort und Tat das Herz gewinnt; –
Dein Herz zu fesseln, ist nur all mein Denken,
Und kränkst du mich, doch will ich dich nicht kränken.
Nährt dich nur Zucker gleich dem Papagei,
Mein süßes Leben schafft ihn dir herbei. –
daß dich nicht ein Jüngling in seine Gewalt bekommen hat,
ein eingebildeter und unverständiger Tropf, ein Leichtfuß und
Brausekopf, in dem jeden Augenblick eine neue Begierde reift,
und der bei jedem Atemzug nach einem neuen Gedanken greift,
der jede Nacht an einem andern Orte liegt und jeden Tag an
einen andern Freund sich schmiegt.
Zwar lustig und gefällig ist der Jüngling
wohl,
Allein ihn festzuhalten, wird dir nie gelingen.
Erwarte Treue von den Nachtigallen nicht,
Die jeden Augenblick auf andern Rosen singen.
Die Greise dagegen richten nach der Vernunft und der guten
Sitte ihr Leben ein, und lassen nicht die jugendliche Torheit
ihre Richtschnur sein.
Suche einen Bessern als du selbst und halte
ihn,
Denn mit deinesgleichen gehst du nur im Irrtum hin.
Dergleichen, erzählte er weiter, sagte ich viel zu ihr, und
ich dachte schon, ihr Herz sei in mein Netz gegangen und habe
sich in meiner Schlinge gefangen; aber plötzlich stieß sie
einen jammervollen Seufzer aus kummervollem Herzen aus und
sprach: Alles, was du mir sagst, kann doch auf der Wage des
Verstandes ein einziges Wort nicht aufwiegen, das ich einst in
meinem Stamme gehört habe, nämlich: Für eine junge Frau ist
ein Pfeil in der Seite besser, als ein alter Mann an der
Seite.
»Als sie bei ihrem alten Herrn
Nur Mattigkeit und Schwachheit fand,
Sprach sie: Das kräft'ge Amulett
Wirkt nichts in des Gestorbnen Hand.«
Kann sich vom Gatten nicht die Frau befriedigt finden,
So wird im Hause man nur Streit und Unmut finden.
Der Greis, der ohne Stab nicht aufzustehn vermag,
Wie kann die Frau an ihm denn einen Stab noch finden?
Kurz, eine Übereinstimmung kam nicht zustande und eine
Scheidung löste zuletzt die Bande. Als die gesetzliche Zeit
vorüber war, gab man sie zur Ehe einem jungen Manne von
strengem Aussehn und finsterer Gemütsart, mit leerer Hand und
schlimmer Sinnesart; sie mußte viele Roheit und Gewaltsamkeit
sehn und viele Not und Plage ausstehn. Dessenungeachtet aber
dankte sie Gott und sprach: Gelobt sei Gott, daß ich aus jener
Höllenpein entkommen und in dieses Paradiesesglück gekommen.
Bist du auch finstern Sinnes, hart und roh,
Doch weil du schön bist, bin ich deiner froh.
Lieber mit dir in dem Brand der Hölle weilen,
Als mit andern in des Paradieses Schoße.
Aus des Schönen Munde riecht der Knoblauch besser,
Als von einem Häßlichen gereicht die Rose.
Gesichtesreiz und seidenes Gewand
Und Farbenglanz und Duft und Lieblichkeit,
Dies alles dient den Frauen wohl zum Schmuck:
Des Mannes Schmuck ist nur die Männlichkeit.
*
Ich war einst der Gast eines Greises in Diarbekir, der
große Reichtümer und einen wohlgestalteten Sohn besaß. Eine
Nacht erzählte er mir: Ich habe in meinem Leben nur diesen
einzigen Sohn gehabt; in diesem Tale ist ein Baum, zu welchem
die Leute wallfahrten, um zu beten; am Fuße dieses Baumes habe
ich viele Nächte zu Gott geseufzt, bis er mir endlich diesen
Sohn geschenkt. Dabei hörte ich den Jüngling heimlich zu
seinen Genossen sagen: Wenn ich doch nur wüßte, wo dieser Baum
ist, daß ich dort um den Tod meines Vaters beten könnte.
Der alte Herr freut sich des verständigen Sohnes, und der
Jüngling verwünscht den kindischen Vater.
Vorbeigegangen sind schon viele Jahre, seit
Du an des Vaters Grabe nicht vorbeigegangen.
Was hast du an dem Vater Gutes denn getan,
Daß du vom Sohne könntest Gleiches nun verlangen?
*
Eines Tages hatte ich mit jugendlichem Übermut eine große
Strecke in eiligem Laufe zurückgelegt, und mich bei Anbruch
der Nacht ermattet am Fuße eines Berges niedergelegt. Ein
alter schwacher Mann, der hinter der Karawane herging, sagte
zu mir: Warum liegst du da? Steh auf, dies ist kein Ort zum
Schlafen! Wie soll ich gehn? antwortete ich, meine Füße
versagen mir den Dienst. Er erwiderte: Hast du nicht gehört,
was das Sprichwort sagt: Gehn und niedersitzen ist besser, als
laufen und niederstürzen?
Sehnst du dich nach der Herberg', eile nicht!
Befolge meinen Rat, geh' mit Bedacht.
Zwei Strecken rennt das Pferd des Arabers,
Doch das Kamel geht langsam Tag und Nacht.
*
In unsrer Gesellschaft war einst ein munterer,
liebenswürdiger Jüngling, mit lächelndem Munde und süßer
Zunge, in dessen Herz keiner Art Kummer eindringen, und der
seine Lippen vor Lachen nicht zusammenbringen konnte. Einige
Zeit verging, ohne daß wir uns begegneten. Als ich ihn nachher
wiedersah, hatte er ein Weib genommen und Kinder bekommen, die
Wurzel seiner Fröhlichkeit war abgeschnitten und die Rose
seiner Munterkeit war abgestorben. Ich fragte ihn, wie er sich
befände? Er antwortete mir: Seitdem sich Kinder eingefunden,
sind die Kinderspiele verschwunden.
»Dahin ist nun die Jugend und das Haar wird
bleich;
Der Zeiten Wechsel ist ein ernster Warner mir.«
Du Alter darfst dich nicht mit Kindischem befassen,
Du mußt den Scherz und Witz den Jungen überlassen.
Dem Greisen ist der Jugend Tanz verwehrt,
Weil nicht der Bach zur Quelle wiederkehrt.
Wenn sich die Zeit der Ernte schon genaht,
Tanzt nicht mehr wie im jungen Grün die Saat.
Ach! entschwunden sind der Jugend Zeiten!
Ach! erloschen ist das Herz und kalt!
Gleich dem Panther kau' ich nun am Käse,
Hin ist meiner Löwenfaust Gewalt.
Eine Alte färbte schwarz die Haare:
Mütterchen, sprach ich, so grau und alt,
Künstlich kannst du dir die Haare schwärzen,
Krumm bleibt doch des Rückens Ungestalt.
*
In jugendlichem Leichtsinne fuhr ich eines Tages meine
Mutter hart an; mit bekümmertem Herzen setzte sie sich in
einen Winkel und sagte weinend zu mir: Du hast wohl deine
Kindheit vergessen, daß du mich so hart behandelst?
Wie schön hat eine Frau zu ihrem Sohn gesagt,
Der Tiger niederschlug und Elefanten glich:
Gedächtest du doch nur noch deiner Kindheit Zeit,
Wo auf dem Arm ich trug so schwach und hilflos dich,
Gewiß, du wärest nicht so hart und grausam jetzt,
Wo du ein Löwenmann, ein altes Weiblein ich.
*
Ein reicher Geizhals hatte einen kranken Sohn. Wohlgesinnte
Freunde sagten zu ihm: Es wäre zweckmäßig, um seinetwillen
einen Koran zu lesen oder eine Opfergabe auszuteilen,
vielleicht würde ihm Gott Genesung schenken. Nachdem er ein
wenig nachgedacht, erwiderte er: Besser ist es, den Koran, den
wir da haben, zu lesen, denn die Herde ist fern von hier. Ein
Einsichtsvoller, welcher dieses hörte, sprach: Er hat darum
das Koranlesen vorgezogen, weil der Koran auf seiner
Zungenspitze ist, das Gold aber mitten in seiner Seele sitzt.
Schwer würde mit gebeugtem Hals der Mensch
Gott anflehn,
Müßt' er zum Geben auch mit offnen Händen dastehn.
Um einen Groschen steckt im Kot er fest wie Langohr;
Verlangst du ein Gebet, er sagt dir hundert gleich vor.
*
Ein alter Mann wurde gefragt, warum er nicht heirate? Er
antwortete: Mit alten Weibern kann ich mich nicht vertragen.
So nimm dir ein junges Weib, da du Vermögen hast, sagte man.
Ich alter Mann, erwiderte er, kann mich mit alten Weibern
nicht vertragen, wie ist es denn denkbar, daß eine junge Frau
für mich alten Mann Freundschaft haben sollte?
Die Frau ist dem Gold nicht, der Kraft ist sie
hold;
Mehr gilt ihr ein Starker als zehn Pfunde Gold.
*
Von einem alten Mann hört' ich unlängst
erzählen,
Dem in den greisen Kopf der Einfall kam zu frei'n.
Er nahm ein Mädchen schön und rein gleich einer Perle,
Die vor dem Männerblick bewahrt der Perlenschrein.
Wie es Gebrauch ist, ward ein Hochzeitmahl bereitet,
Doch stellte sich nach Wunsch drauf nicht die Liebe ein.
Den Freunden klagte er und gab als Grund der Klage,
Sie plünd're ihm sein Haus und feg' es leer und rein.
Es folgte Zank und Not, sie kamen vor den Richter;
Doch Sadi sagte gleich: Was hilft da Streit und Schrei'n?
Die Frau ist ohne Schuld, denn wem die Hände zittern,
Der nehm' und fasse nicht die Perle glatt und fein.
*
Ein Jüngling war von lauterm Sinn und Leben,
Der einem lautern Antlitz sich ergeben.
Einst fielen sie bei einer Meeresfahrt
In einen Strudel, den sie nicht gewahrt.
Ein Schiffer kam, um jenes Hand zu fassen,
Eh' noch das teure Leben ihn verlassen;
Doch er rief mitten aus dem Wogenbrand:
Laß mich und fasse schnell des Freundes Hand!
Indes er sprach, sah er die Welt zerrinnen;
Mit diesem Wort entschwanden seine Sinnen:
Die Liebe lerne nicht vom eiteln Mann,
Der in Gefahr den Freund vergessen kann. –
So werden stets die wahren Freunde handeln:
Von dem Erfahr'nen lerne recht zu wandeln;
Denn Sadi weiß, wie's in der Liebe geht,
Wie man arabisch in Bagdad versteht.
Für den Geliebten soll dein Herz nur sorgen,
Sonst sei die ganze Welt dem Blick verborgen.
O kehrten Leila und Medschnun zurück,
Sie fänden hier beschrieben ihr Geschick.